Protocol of the Session on December 15, 2010

Wir haben heute ein gesetzgeberisches Kuriosum: Es gab den Gesetzentwurf der Freien Wähler für das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers, dann - nur bezogen auf die Gemeindewahlen und Landkreiswahlen - den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen. Ferner gab es unseren, den Gesetzentwurf der GRÜNEN, der sich auf alle kommunalen Ebenen bezogen hat, also auch auf die Bezirkstage. Dann kam ein nachgeschobener Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen. Im Innenausschuss haben wir uns darauf geeinigt, dass die Koalitionsfraktionen ihren Gesetzentwurf entsprechend unserem Gesetzentwurf ändern. Wir haben dann auch unseren Gesetzentwurf wieder angepasst, sodass wir heute einen Gesetzentwurf der GRÜNEN und einen Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen parallel haben, die beide heute beschlossen werden. Sie sind identisch. Ich sage das, weil vorhin immer nur vom Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen die Rede war.

(Christian Meißner (CSU): Entschuldigung!)

Also zur Klarstellung: Heute stehen zwei Gesetzentwürfe zur Abstimmung. Das im Gesetzentwurf der Freien Wähler auf kommunaler Ebene bevorzugte Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers ist nicht das exaktere Verfahren. Hare-Niemeyer ist mathematisch genau. Bei Gremien, deren Größe schon vorher feststeht, gibt es auch keine Verzerrung. Die Möglichkeit, dass es da einen Effekt gibt, wie Sie angesprochen haben, besteht nicht.

Wenn wir die Sache verabschieden, haben wir einen Gleichklang für Landtagswahlen, Bezirkstagswahlen,

Gemeindewahlen, Stadtratswahlen, Kreistagswahlen. Sie werden alle nach dem gleichen Prinzip ausgezählt und sind dann mathematisch korrekt besetzt. Im Jahr 2014 werden sich die Kommunalparlamente dann gerechter zusammensetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin, bitte verbleiben Sie am Redepult für eine Zwischenbemerkung des Kollegen Rohde.

Frau Kollegin, ich möchte Ihre umfassende Aufzählung, die sehr detailreich war, nur um eine Nuance ergänzen. Ich erinnere daran, dass das Bezirkstagswahlrecht auch im Koalitionsvertrag vereinbart war, sodass Ihr Antrag in dieser Legislaturperiode vielleicht nicht unbedingt erforderlich war.

(Margarete Bause (GRÜNE): Es ist manches vereinbart, was nicht Realität ist! - Zuruf der Abgeordneten Simone Tolle (GRÜNE))

Das möchte ich nur ergänzen, weil Sie sonst alles vollständig dargestellt haben.

Ich hatte den Eindruck, dass Sie die Bezirkstagswahlen einfach vergessen haben. Deshalb haben wir den umfassenden Gesetzentwurf nachgeschoben. Sie haben ja dann nachgezogen. Sie hätten das auch sein lassen und unserem Gesetzentwurf zustimmen können.

(Beifall der Abgeordneten Margarete Bause (GRÜNE) - Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das geht nicht, das können Sie vergessen, das erleben wir nicht!)

Das machen Sie ja heute sowieso.

Jetzt darf ich für die SPD-Fraktion dem Kollegen Perlak das Wort erteilen. Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die möglichst gerechte Abbildung von Wahlergebnissen in der Zuteilung von Sitzen sowohl in Gemeinden wie Landkreisen und Bezirken ist nicht erst seit heute in der Diskussion. Sie hat uns schon mehrfach auch in diesem Hohen Hause beschäftigt.

Der Ablösung des ungerechten Sitzzuteilungsverfahren nach d´Hondt scheinen, wie wir gehört haben, nunmehr alle Fraktionen einmütig zuzustimmen. Es ist auch nachvollziehbar, weil der Wählerwille im Vergleich zum mathematisch wohl exakteren Hare-Niemeyer-Verfahren oder zum etwas komplizierteren,

aber dennoch gerechteren Verfahren nach SainteLaguë/Schepers weniger angemessen abgebildet wird und dann nach wie vor die großen Parteien bevorzugt würden.

Gestatten Sie mir, auch darauf hinzuweisen, dass der Bayerische Verfassungsgerichtshof einräumt, dass das d´Hondtsche Verfahren nicht ausreichend - ich zitiere wörtlich - zu "wahlproporzgerechten" Ergebnissen führt. Das sollte für uns Anlass genug sein, von dem alten Zopf Abstand zu nehmen.

Es ist schon dargestellt worden, dass das Verfahrens nach Sainte-Laguë/Schepers auf Europa- und Bundesebene längst angewendet wird. Ich darf daran erinnern, dass die Mehrheitsfraktionen bei der Konstituierung dieses Landtags in dieser Wahlperiode dieses Verfahren sicherlich auch aus bestimmten Gründen angewandt haben, weil es ihnen entsprechende Sitze zugeführt hat, die sie sonst nicht bekommen hätten.

Innerhalb der kommunalen Körperschaftsebenen werden aber immer noch unterschiedliche Sitzzuteilungsverfahren angewendet. Deshalb sollte das klar geregelt werden. Weil es aber selbst unter wissenschaftlich angestellten Analysen keine klare Empfehlung für Hare-Niemeyer oder zu Sainte-Laguë/ Schepers gibt, war es schon im Vorfeld bei der Behandlung im Fachausschuss schwierig, sich auf eines der beiden Verfahren festzulegen.

Unsere Fraktion ist auch deshalb davon ausgegangen, dass die getroffene Vereinbarung, nämlich einen gemeinsamen Gesetzentwurf aller Fraktionen vorzulegen, erst dann greift, wenn ein Gesetzentwurf der Staatsregierung vorliegt. Dieser Gesetzentwurf liegt leider trotz Empfehlung des Fachausschusses nicht vor. Auch die vorgeschlagene Prüfung, Herr Kollege Rohde, zur Abwägung der beiden Verfahren ist unterblieben - leider.

Dies war schließlich der Grund dafür, dass wir heute als einzige Fraktion keinen eigenen Gesetzentwurf eingebracht haben, weil wir eben auf diese Absprache vertraut haben. Wir haben immer schon - das ist hinlänglich bekannt - Hare-Niemeyer favorisiert, zu einem Zeitpunkt allerdings, als es das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers noch gar nicht gab. Wahlverfahrensexperten, meine Damen und Herren, bestätigen uns mittlerweile, dass das Verfahren nach SainteLaguë/Schepers den Wählerwillen unter allen Verfahren am besten abbildet. Leider werden wir uns zu Letzterem vermutlich heute mehrheitlich nicht durchringen können. Aber weil alle Gesetzentwürfe, die wir heute in Zweiter Lesung behandeln, in allen wesentlichen Inhalten und Zielsetzungen gleichgelagert sind, stimmen wir wie schon im federführenden

Ausschuss für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit dem Gesetzentwurf in Tagesordnungspunkt 15 und - wenngleich nur als zweitbester Lösung - auch den Gesetzentwürfen im Tagesordnungspunkt 16 zu.

(Beifall bei der SPD)

Bei der großen Übereinstimmung des Hohen Hauses verzichtet Innenminister Herrmann auf seine Wortmeldung. Das ist doch eine Anerkennung. Auch ich freue mich darüber.

(Zurufe von den Freien Wählern und den GRÜ- NEN)

Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Tagesordnungspunkte wieder getrennt.

Ich lasse zunächst über den Tagesordnungspunkt 15 abstimmen. Der Abstimmung liegt der Initiativgesetzentwurf der Fraktion der Freien Wähler auf Drucksache 16/3486 zugrunde. Der federführende Ausschuss für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit empfiehlt auf Drucksache 16/6682 die Ablehnung des Gesetzentwurfs. Wer dagegen dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktionen der SPD und der Freien Wähler und Frau Abgeordnete Dr. Gabriele Pauli, fraktionslos. Gegenstimmen? - Das sind die Fraktionen der CSU und der FDP. Stimmenthaltungen? - Das ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 16. Der Abstimmung liegen der Initiativgesetzentwurf der FDP-Fraktion und von Abgeordneten der CSU-Fraktion auf Drucksache 16/3557, der Änderungsantrag von Abgeordneten der FDP und der CSU auf Drucksache 16/5202, der Initiativgesetzentwurf der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 16/3661 und die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit auf Drucksache 16/6696 zugrunde.

Der federführende Ausschuss schlägt für beide Gesetzentwürfe eine gemeinsame Neufassung vor. Der Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Verbraucherschutz stimmt bei seiner Endberatung der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses zu, allerdings mit der Maßgabe, dass § 3 neu gefasst wird. Im Einzelnen verweise ich auf die Drucksache 16/6696. Wer dem Gesetzentwurf in der Fassung des endberatenden Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist das gesamte Hohe Haus. Gegenstimmen? Keine.

Stimmenthaltungen? - Keine. Einstimmig so beschlossen.

Da ein Antrag auf Dritte Lesung nicht gestellt wurde, führen wir gemäß § 56 der Geschäftsordnung sofort die Schlussabstimmung durch. Ich schlage vor, sie in einfacher Form durchzuführen. - Widerspruch erhebt sich nicht. Wer dem Gesetzentwurf in der Fassung des endberatenden Ausschusses seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. Das ist das gesamte Hohe Haus. Ich bitte die Gegenstimmen anzuzeigen. - Keine. Stimmenthaltungen? Keine.

Damit ist das Gesetz angenommen. Es hat den Titel: "Gesetz zur Änderung des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes sowie des Bezirkswahlgesetzes".

Mit der Annahme der Gesetzentwürfe in der soeben beschlossenen Fassung hat der Änderungsantrag auf der Drucksache 16/5202 seine Erledigung gefunden. Das Hohe Haus nimmt davon Kenntnis.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sind sehr gut in der Zeit. Damit haben Sie sich eine Mittagspause von einer Stunde verdient. Das tut auch dem Stenografischen Dienst gut. Wir treffen uns um 13.45 Uhr wieder.

(Unterbrechung von 12.44 bis 13.45 Uhr)

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist 13.45 Uhr.

Wie angekündigt, setzen wir unsere Sitzung fort mit den Tagesordnungspunkten 17 bis 19:

Gesetzentwurf der Abgeordneten Margarete Bause, Sepp Daxenberger, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Stärkung der kommunalen Demokratie Informationsrechte der Gemeinde-, Kreis- und Bezirksräte (ber. Drs. 16/3930) - Zweite Lesung

und

Gesetzentwurf der Abgeordneten Margarete Bause, Sepp Daxenberger, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Stärkung der kommunalen Demokratie Geschäftsgang der vorberatenden Ausschüsse (ber. Drs. 16/3932) - Zweite Lesung

und

Gesetzentwurf der Abgeordneten Margarete Bause, Sepp Daxenberger, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Stärkung der kommunalen Demokratie Bildung und Besetzung kommunaler Ausschüsse (ber. Drs. 16/3933) - Zweite Lesung

Ich eröffne jetzt die gemeinsame Aussprache. Im Ältestenrat wurde eine Redezeit von zehn Minuten pro Fraktion vereinbart. Die erste Rednerin ist Frau Kollegin Tausendfreund. Bitte sehr, Frau Kollegin.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wohl das Los der ersten Rednerin nach der Mittagspause, dass die Kolleginnen und Kollegen noch nicht so zahlreich erschienen sind. Dennoch steige ich in das Thema ein.

Wir haben drei Gesetzentwürfe vorgelegt, um einerseits die Rechte derjenigen, die in den Kommunalparlamenten sitzen, zu verbessern und andererseits auch die Informationsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu stärken und ihre Informationsansprüche zu unterstützen. Wir haben in der Debatte vor der Mittagspause sehr großen Wert auf die Wertschätzung gegenüber den kommunalen Mandatsträgern, gegenüber der kommunalen Demokratie, gegenüber der kommunalen Selbstverwaltung gelegt. Dieses Antragspaket, das wir jetzt vorgelegt haben, wäre ein guter Beitrag zur Stärkung der Demokratie auf der gemeindlichen, örtlichen und auf der Landkreisebene. Eigentlich sind es Selbstverständlichkeiten, die wir fordern, aber leider wurde in den Vorberatungen signalisiert, dass unsere Vorschläge von den Koalitionsfraktionen abgelehnt werden.

Der erste Block enthält im Grunde nur redaktionelle Anpassungen, damit wir zum Beispiel nicht nur in der Landkreisordnung, sondern auch in der Gemeindeund der Bezirksordnung den Auskunftsanspruch der kommunalen Mandatsträger, der ja selbstverständlich ist und der auch existiert, festlegen, und damit wir auch in der Bezirksordnung festschreiben, dass mit der Ladung zu einer Sitzung auch eine Tagesordnung verschickt werden muss. Dies ist auch in die anderen Kommunalverfassungen aufgenommen worden. Dass es einen Ausgleich im Hinblick auf die Ausschussgröße geben muss, wenn es zu Fraktionswechseln kommt, ist auch eine Selbstverständlichkeit, findet sich aber auch nicht in allen drei Kommunalverfassungen. - Das ist der eine Teil. Dieser hätte eigentlich als selbstverständlich angenommen werden müssen.

Der nächste Block ist die Stärkung der Rechte der kommunalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger. Wir fordern ein Akteneinsichtsrecht für jene, die in den

Räten sitzen. Meines Erachtens kann es nicht angehen, dass man zum Beispiel im Zweifel über einen Vertrag abstimmen muss, ohne dass man ihn einsehen konnte, oder dass man Tagesordnungspunkte vorbereiten muss, ohne dass man sich vorher in der Verwaltung eigenständig kundig machen kann. Leider wird hier die Akteneinsicht, die praktisch vom Goodwill der Bürgermeister abhängt, häufig verweigert.

Des Weiteren wollen wir festschreiben, dass die kommunalen Mandatsträger ausreichende Unterlagen für die Tagesordnungspunkte erhalten, die verhandelt werden sollen. Ich denke, dies ist die Basis für eine verantwortungsvolle Entscheidung vor Ort. Immer wieder sind Vorbehalte geäußert und es ist gesagt worden, dass irgendwelche Interna etc. nach außen dringen könnten. Kommunale Mandatsträger sind aber zur Verschwiegenheit verpflichtet. Darauf sind sie vereidigt. Insoweit sehe ich kein Problem, und schließlich sind sie die gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten vor Ort, denen man auch Vertrauen entgegenbringen muss.

(Beifall der Abgeordneten Christine Kamm (GRÜ- NE))