Protocol of the Session on November 19, 2009

Ich will zu den vier Punkten, die Sie hier vorgeschlagen haben, eine Anmerkung machen, schicke aber voraus, dass ich noch nicht erkennen kann, dass die Exekutive irgendetwas verzögern will oder dass sie etwas von dem abschwächen will, was wir in dem Gesetz damals beschlossen haben.

Der Antrag beinhaltet, wenn ich ihn recht verstehe, vier Forderungen. Als Erstes verlangen Sie die Umsetzung bis Mitte Dezember. Das sind noch reichlich drei Wochen. Sie werden mir zustimmen, zumal Sie zu Recht eine Ausschreibung fordern, dass das praktisch gar nicht machbar ist, wenn man solide arbeiten will. Frau Ludwig, in dem Punkt haben Sie Recht: Es geht um die Opfer. Sie brauchen eine solide Umsetzung des Gesetzes. Es bringt nichts, wenn wir jetzt etwas übers Knie brechen. Da sind vier oder acht Wochen mehr kein Verlust, sondern ein Gewinn für eine gute Sache. Wir in der SPD-Fraktion halten den Termin Ende Februar für eine realistische zeitliche Linie. Aber darüber können wir uns noch unterhalten.

Der zweite Punkt betrifft die Ausschreibung. Auch an dieser Stelle sage ich Ihnen: Sie haben dem Gesetz zugestimmt. Es lässt die Ausschreibung offen. Das hat seinen Grund. In den anderen neuen Bundesländern, wo es einen Diktatur- oder Stasibeauftragten gibt, ist das aus sehr verschiedenen Gründen sehr unterschiedlich gehandhabt worden. Wir haben diesen Punkt offengelassen, damit die Exekutive im Vollzug des Gesetzes und nach dem Gespräch mit den Opferverbänden - das ist der dritte Punkt Ihres Antrags - entscheiden kann, welcher Weg der sinnvollere ist. Ich persönlich tendiere zur Ausschreibung - da stimme ich Ihnen zu -, würde es aber der Exekutive in Verbindung mit den Opferverbänden überlassen, das Richtige zu erarbeiten. Wir bzw. der Hauptausschuss können das begleiten, uns immer zeitnah berichten lassen und uns in dieser Form einbringen.

Die Einbeziehung der Opferverbände halte auch ich für sinnvoll. Aber wir haben bei der Anhörung gesehen und gehört,

dass sie durchaus nicht alle einer Meinung sind, sondern dass dort Meinungsvielfalt herrscht. Es ist gut, wenn sie einfließt. Es dürfte selbstverständlich sein: Wer, wenn nicht die Opferverbände, soll in die Umsetzung einbezogen werden?

Frau Dr. Ludwig, Sie haben völlig Recht, was die fünf Stellen angeht. Aber damit bin ich wieder bei dem, was ich am Anfang gesagt habe: Das eine ist die Exekutive, das andere die Legislative. Wir, der Landtag, sind der Haushaltsgesetzgeber und haben es in den nächsten Wochen in der Hand, genau die fünf Stellen - darin sind wir uns einig -, die der Hauptausschuss damals gefordert hat, auch in den Landeshaushalt einzubringen.

(Zuruf von der CDU: Sieben!)

- Drei Stellen hatte der Haushaltsausschuss sozusagen schon vorgegeben. Wenn wir die fünf hinzuzählen, kommen wir auf acht, das heißt sieben plus ein Beauftragter.

Wir als Haushaltsgesetzgeber müssen die drei Stellen im neuen Haushalt absichern, aber darüber bestand schon im Haushaltsausschuss der vergangenen Legislatur Konsens. Aber auch die fünf neuen Stellen müssen wir in den Haushalt einstellen.

Insofern würde ich im Moment noch keinen Handlungsdruck sehen, der Ihrem Antrag entspricht. Wenn Sie der Meinung sind, dass das Gesetz, dem Sie damals zugestimmt haben, nicht ausreichend ist, dann hätten Sie aus der Mitte des Landtages heraus eine Gesetzesnovelle einbringen können - wir haben gestern gelernt, wie das geht -, die wir hier in 1. und 2. Lesung hätten behandeln und auch verabschieden können. Wie gesagt, meine Fraktion und ich sehen dafür keinen Handlungsbedarf. Wir werden aber unsere Möglichkeiten als Legislative nutzen - und nutzen müssen - und die Regierung bei ihrer Umsetzung des Auftrags kritisch begleiten. Insofern ist die SPD-Fraktion der Meinung, dass wir diesen Antrag ablehnen sollten.

Lassen Sie eine Zwischenfrage zu, Herr Kuhnert, bevor Sie Ihr letztes Wort sprechen? - Bitte schön.

Das ist nett, vielen Dank. - Sie verweisen immer darauf, dass wir ein Gesetz beschlossen hätten, das nur drei Stellen vorsehe. Da muss ich Sie korrigieren. Es geht um das Gesetz, das wir gemeinsam beschlossen haben, wonach es insgesamt acht Stellen geben soll.

Meine Frage ist jetzt: Wollen Sie diese acht Stellen, ja oder nein?

Die acht Stellen sind noch nicht beschlossen. Wir wollen acht Stellen. Der Hauptausschuss hat das so vorgeschlagen.

(Frau Dr. Ludwig [CDU]: Im Gesetz! - Dr. Woidke [SPD]: Nein, das steht nicht im Gesetz!)

- Vielleicht habe ich es überlesen. Ich muss noch einmal nachschauen, ich weiß es nicht. Der Hauptausschuss hat jedenfalls

eine entsprechende Empfehlung gegeben. Wir stehen dazu. Das bedeutet aber, dass wir als Haushaltsgesetzgeber für die Umsetzung im Haushalt sorgen müssen. Das ist die klare Regelung.

Herr Abgeordneter Kuhnert, es gibt noch eine Nachfrage. - Bitte schön.

Herr Kollege, diese acht Stellen sind Bestandteil der Begründung, die aber nicht Bestandteil der gesetzlichen Veränderung ist. Geben Sie mir darin Recht?

Ich gebe Ihnen Recht.

(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE)

Habe ich noch Redezeit?

Ich will noch darauf hinweisen, dass es nicht so ist, dass es in den vergangenen Jahren keine Beratung für die Betroffenen gegeben hätte. Der damals zuständige Innenminister Schönbohm hat auf eine Kleine Anfrage - Sie haben es angesprochen, Frau Dr. Ludwig; deshalb gehe ich darauf ein - im Frühjahr dieses Jahres geantwortet, dass er den Vorwurf weit von sich weise, die Opfer in Brandenburg bekämen keine Beratung. Zur unbürokratischen Beratung der Opfer stehe in Brandenburg „ein dichtgeknüpftes Angebot von Behörden, Gerichten und Verbänden zur Verfügung“. Die Mitarbeiter der 1994 geschaffenen Rehabilitierungsbehörde im Innenministerium bieten den Betroffenen Beratung an. Ich selbst habe diese Beratung in Anspruch genommen und weiß daher, dass das stimmt. Die Zusammenarbeit mit dem Stasibeauftragten von Berlin, die seit 2001 besteht - darauf weist Jörg Schönbohm auch hin -, hat dazu geführt, dass 3 700 Opfer eine Beratung auf diesem Weg erhalten haben. Nichtsdestotrotz brauchen wir dieses Gesetz und den Diktaturbeauftragten. Es trifft aber nicht zu, dass bisher nichts passiert wäre. - Danke schön.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Herzlichen Dank.- Das Wort erhält die Abgeordnete Teuteberg. Sie spricht für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Meine Damen und Herren! Weniger als einen Monat, nachdem wir hier bei unserer Konstituierung über die Stasiüberprüfung der Mitglieder unseres Hauses debattiert haben, holt uns die Realität schon wieder ein. Der neue Stasiverdacht hier im Haus beweist: Das Bewusstsein dafür, wie viel Schaden ein unglaubwürdiger Umgang mit der

eigenen Vergangenheit bei Betroffenen anrichten kann, ist offenbar noch nicht bei allen angekommen.

(Beifall FDP, CDU sowie GRÜNE/B90)

Wir haben hier vor weniger als einem Monat beschlossen:

„Die Aufarbeitung von Geschichte ist nie abgeschlossen. Sie ist jedoch die Voraussetzung für Versöhnung, für innere Einheit und neue Kraft, wenn sie kritisch, selbstkritisch, konstruktiv und mit Augenmaß vorgenommen wird.“

Was dazu in der Präambel des Koalitionsvertrages steht, wurde hier in den vergangen Tagen ausreichend zitiert:

„Der offene und kritische Umgang“

mit der eigenen Vergangenheit und

„mit früheren Fehlern ist ebenso notwendig wie die Übernahme von Verantwortung für verursachtes Unrecht in Missachtung von Freiheit und Demokratie.“

Auch darin sollte hier eigentlich Konsens bestehen.

(Schulze [SPD]: Darüber reden Sie dann mit Ihrem Frak- tionsvorsitzenden genauer!)

- Ich rede jetzt zum ganzen Haus.

Wie weit Anspruch und Wirklichkeit hier auseinanderklaffen, zeigen die aktuellen Ereignisse, aber nicht nur diese. Wer die Debatte über einen Stasibeauftragten für das Land Brandenburg insgesamt aufmerksam verfolgt hat, dem fällt die Nachlässigkeit auf, mit der führende Vertreter der bisherigen und auch neuen Regierungspartei über die Gegebenheiten im Land urteilen. Wer etwa wiederholt von einer Außenstelle Cottbus der BStU spricht, die es so nie gegeben hat, offenbart wenig Feingefühl im Umgang mit den Opfern und eine gewisse Ignoranz dafür, welche Beratungs- und Einsichtsangebote es in Brandenburg gibt.

Die Entscheidung, hier in Brandenburg einen eigenen Beauftragten für die Stasiunterlagen einzusetzen, ist deshalb längst überfällig. Sie ist heute ebenso dringend und notwendig wie vor zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren.

(Beifall FDP, CDU und GRÜNE/B90)

Umso wichtiger ist es, jetzt die Fehler, die in der Vergangenheit bereits gemacht worden sind, nicht zu wiederholen. Wir sollten die Belange der Opfer ernster nehmen und nicht erneut dermaßen außer Acht lassen, dass sich viele dieser Opfer wieder und wieder ungerecht behandelt fühlen.

Richtig ist: Wir würden alle Seiten bei diesem Thema überfordern, wenn wir Auseinandersetzung und Aufarbeitung mit Gerechtigkeit gleichsetzen würden. Wer hier aber im Sinne von Transparenz und Glaubwürdigkeit handeln will, sollte jetzt nicht vermissen lassen, die Stimmen der Opfer rechtzeitig zu hören. Wir brauchen deshalb auch beim weiteren Verfahren rechtzeitige Anhörungen der Opferverbände, insbesondere der Vereinigung der Opfer des Stalinismus und der Union der Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft. Wer Glaubwürdigkeit und

Vertrauen will, darf nicht zulassen, dass das noch einmal zu spät geschieht.

Eine öffentliche Ausschreibung und eine angemessene Ausstattung des Amtes des Landesbeauftragten sind die Voraussetzungen für Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit des zukünftigen Amtsträgers. Das Amt muss wenigstens vergleichbar zu dem in anderen neuen Bundesländern ausgestattet sein. Die im Beschluss des Hauptausschusses vorgesehenen acht Stellen sind notwendig und unverzüglich zu schaffen. Dass das hier in diesem Hause doch nicht so selbstverständlich ist, wie immer behauptet wird, haben die Reden der Vorredner aus der Koalition gezeigt.

Die notwendige Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur in Brandenburg darf nicht allein die Sache von bürgerschaftlichem Engagement sein, so wichtig und wertvoll das in unserem Land auch ist.

Neben der Beratung der Opfer sollte der Landesbeauftragte Bildungsangebote machen und die politische Bildung an den Schulen unterstützen.

(Beifall FDP)

Eine erste Aufgabe könnte es sein, sich dazu einen Überblick zu verschaffen, wie viele Brandenburger Schüler und welche Schulklassen die authentischen Gedenkstätten hier im Land schon besucht haben und was dort noch zu tun ist.

(Beifall FDP)

Die Bildungsarbeit in diesem Bereich muss systematisiert werden. Wir brauchen weiter vermehrte Anstrengungen um den Geschichtsunterricht an unseren Schulen. Es geht dabei darum, dass junge Menschen Kritikfähigkeit lernen und sich ihr eigenes Bild von unserer jüngeren Geschichte machen können, unabhängig vom Hintergrund von Eltern und Großeltern.