Protocol of the Session on June 2, 2010

In der Diskussion spielten natürlich auch die Hartz-IV-Familien eine Rolle. Das ist problematisch, unbestritten. Wir wissen, dass diverse Fragen in diesem Zusammenhang offen sind. Wir können diese Fragen gegenwärtig nicht beantworten, weil wir nicht wissen, wie der Bund die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen wird. Ich denke, es gibt ein erfreuliches Zeichen vonseiten des Bundes, zumindest was das Jahr 2010 angeht. In diesem Jahr wird auf keinen Fall eine Anrechnung auf die Regelsätze erfolgen. Auf welche Weise wir den beschriebenen Personenkreis unterstützen können, um den es mir auch geht - er macht allerdings nur ein Drittel der betreffenden Schülerschaft aus -, werden wir sehr intensiv prüfen, wenn wir Detailkenntnisse über die Regelungen des Bundes haben. Ich sage hier - das ist ein Versprechen -: Wir werden die Mädchen und Jungen aus den Bedarfsgemeinschaften nicht im Regen stehen lassen. Das verspreche ich an dieser Stelle.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vonseiten der Kommunalen Spitzenverbände und von anderen sind Einwände gegen den Gesetzentwurf erhoben worden, die nichts mit dem Inhalt, also dem grundsätzlichen Vorhaben, sondern mit der Gefahr eines Fehlstarts zu tun haben. Das bereitet auch mir durchaus Sorge, und ich nehme diese Hinweise sehr ernst. Martina Münch wird sicherlich noch etwas zu der Umsetzung sagen. Ich kann versprechen, dass wir uns gemeinsam mit allen Beteiligten bemühen werden, dieses Projekt so schnell und so präzise wie möglich und nötig umzusetzen. Ich bin davon überzeugt, dass es ein Erfolg werden wird.

Zum Schluss noch etwas zur Evaluation, die im Entschließungsantrag erbeten wird. Ich kann dazu sagen: Meine Unterstützung haben Sie. - Wir sollten dabei allerdings die datenschutzrechtlichen Bedenken, die es eventuell gibt, beachten. In diesem Sinne wünsche ich unserem heute geborenen Kind Schüler-BAföG ein langes Leben. - Danke schön.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Minister. - Ministerpräsident Platzeck hat Redebedarf angekündigt. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit welcher Begründung hat sich diese Landesregierung gebildet? Was ist der Überbau? Was ist die Notwendigkeit? Was haben wir erkannt, was für die gesellschaftliche Entwicklung in dieser Phase wichtig und dringend ist, was in der Gesellschaft erwartet wird? Da ist zum einen die weitere Modernisierung unserer Gesellschaft. Sie muss wettbewerbsfähig und widerstandsfähig sein, keine Frage. Aber wir hatten uns die Frage zu stellen: Was nützt alle Modernität, was nützt eine wettbewerbsfähige Wirtschaft, was nützen gut aufgestellte Unternehmen, was nützt ein Aufschwung, wenn am Ende 60 % der Bürgerinnen und Bürger sagen, dass bei ihnen davon nichts angekommen ist und ihre Not Stück für Stück größer wird. Was nützt die Modernität der Gesellschaft, meine Damen und Herren, wenn es in Deutschland seit Jahren die Tendenz gibt, dass der Bildungserfolg vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist? Dieses Phänomen nimmt zu und nicht ab.

Man kann sich hinstellen und wie die Kollegen der CDU und der FDP sagen: Das geht uns am Rücken vorbei, wir nehmen diese gesellschaftliche Realität nicht wahr. - Wir nehmen diese Realität wahr, meine Damen und Herren, und wir nehmen diese Realität ernst.

(Beifall SPD, DIE LINKE und von der Regierungsbank)

Natürlich kann man sich aus Anhörungen die Punkte herausnehmen - das ist Ihr gutes Recht als Opposition -, die kritisch gesehen werden. Ich weiß nicht, wo Sie sich aufhalten, aber ich nehme in Schulen, in Familien und in der Gesellschaft sehr viel Zustimmung zu diesem Projekt wahr. Deshalb sagen wir auch, es ist ein sinnvolles und ein gutes Projekt, das genau in diese Zeit und in die gesellschaftliche Realität hineinpasst, meine Damen und Herren.

(Beifall SPD, DIE LINKE und von der Regierungsbank)

Wenn Sie drittens sagen, da passe dieses oder jenes nicht, und man müsse am Beginn des Bildungsweges ansetzen, dann bitte ich Sie ganz herzlich: Schauen Sie doch einmal auf das Gesamtprojekt, das wir umsetzen. - Es wurde schon kurz skizziert. Wir tun praktisch schon vom nullten Lebensjahr an etwas für die Kinder: bessere Bedingungen der Krippenerzieher, wir haben die Netzwerke „Gesunde Kinder“, es werden mehr Lehrer eingestellt, es gibt Verbesserung in Kitas und Schulen, auch beim Übergang von Sek I zu Sek II. Erst das Ganze ergibt einen Sinn, und wir bestreiten mit unseren Vorhaben das Ganze. Wir handeln nicht nur segmentär, nicht nur an einem Punkt. Wir sehen das Kind in seiner gesamten Entwicklung.

Wenn man Ihre Debatte bis zu Ende führt, könnte man das BAföG für Studenten auch abschaffen. Das wäre der tiefere Sinn dessen, wie Sie argumentieren.

(Lebhafter Beifall SPD und DIE LINKE)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn ich aus CDU-Kreisen höre: „Uns begegnet dies nicht als ein gesellschaftlich relevantes Thema“ - das mag ja in den gesellschaftlichen Bereichen, in denen Sie sich bewegen, sein -,

kann ich Ihnen nur sagen: In meinem damaligen Wahlkreis im Süden Potsdams, in den Plattenbaugebieten, ist mir das Thema täglich begegnet. In meinem jetzigen Wahlkreis in der Uckermark, begegnet mir das Thema täglich. Vielleicht sollten Sie mal aus Potsdams „Berliner Vorstadt“ herauskommen. Dann haben Sie auch die Chance, wieder über 20 % zu kommen. Danke, meine Damen und Herren.

(Lebhafter, anhaltender Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. - Ich erteile dem Abgeordneten Burkardt von der CDU-Fraktion das Wort zu einer Kurzintervention.

Herr Ministerpräsident! Wir brauchen nicht die Betroffenheitslyrik bourgeoiser Jüngelchen,

(Ooch! bei der SPD)

die gelegentlich hier und dort Stippvisiten machen, sich Probleme anschauen und ihre Schlüsse ziehen. Es ist keine Frage des Geldes, sondern eine Frage der sozialen Umstände. Ich weiß aufgrund meines Werdegangs, wovon ich rede. Ich habe im Alter von 17, von 18 Jahren in der Fabrik, im Steinbruch und in der Betonfabrik gearbeitet. Ich habe mir daneben meinen Lebensunterhalt noch durch andere Aktivitäten verdient. Ich weiß, wie es ist, wenn man in sozial schwachen Verhältnissen aufwächst, um nicht den Begriff von „armen Leuten“ zu verwenden. Meine Eltern haben bis ins hohe Alter gearbeitet, damit ihre Kinder eine Bildung erhalten konnten. Und in meiner Generation...

(Zurufe von der SPD)

- Nun halten Sie mal den Mund und hören Sie zu!

(Zurufe, ironischer Beifall und Empörung bei der SPD und der Fraktion DIE LINKE)

Frau Präsidentin, ich bitte darum, den Ministerpräsidenten...

Herr Burkardt, ich bitte Sie, sich zu disziplinieren.

Damit Sie wissen, wie es in der Bildungswirklichkeit ausschaut: Nur zwei von mehr als einem Dutzend Kinder in einer größeren Familie haben zu meiner Zeit Abitur gemacht. In meiner engeren Familie, unter meinen Brüdern oder meinen Neffen, gibt es heute keinen Einzigen mehr, der das Abitur, auf welchem Wege auch immer, nicht gemacht hat. Das hängt nicht mit der finanziellen Situation zusammen - ob es nun 100 Euro im Monat mehr gegeben hätte oder nicht -, sondern damit, dass die Kinder in einem Umfeld aufgewachsen sind, das zur Bildung motiviert hat. Die Eltern haben ihre Kinder zu Bildung animiert und ihnen diese Möglichkeit gewährt.

(Beifall CDU)

Da müssten Sie ansetzen - da hätten Sie alle Unterstützung von uns - und nicht mit der Bakschischtüte durchs Land fahren und glauben, Sie könnten Bildungs- und Chancengleichheit produzieren.

(Beifall CDU)

Herr Burkardt, bei allem Engagement - ich bitte darum, dass wir in der Wortwahl, auch bezogen auf Zwischenrufe, uns so weit disziplinieren, dass wir uns noch in die Augen schauen können. - Der Herr Ministerpräsident hat die Möglichkeit, auf die Kurzintervention zu reagieren.

Das Parlament ist ja für die Debatte da, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren. Verehrter Herr Burkardt, vielleicht haben Sie gemerkt, was Sie eben Unerhörtes gesagt haben. Unerhörtes! Das, was Sie gesagt haben, heißt: Wenn in Familien Kinder aus sozialen Gründen, weil nicht genug Geld da ist, nicht die weiterführende Schule besuchen können, sind sie selber schuld; dann haben die Eltern nicht das Umfeld geschaffen. Ich finde das unerhört. Entschuldigen Sie sich bei den Familien, die Sie eben beleidigt haben, Herr Burkardt!

(Beifall SPD und DIE LINKE - Zuruf des Abgeordneten Dombrowski [CDU])

Herr Dombrowski, diese - Ihre - Kurzintervention ist im Rahmen der Debatte nicht angemeldet worden.

(Jürgens [DIE LINKE]: Sie haben nur eine Kurzinterven- tion in der Debatte, Herr Dombrowski!)

Herr Dombrowski, Sie haben, für mich kenntlich, die Möglichkeit der Kurzintervention an Herrn Burkardt übergeben. Sie haben die Möglichkeit einer Kurzintervention.

(Zuruf von der CDU: Er hat sich zuerst gemeldet, Sie ha- ben es bloß nicht gesehen!)

- Er hat sich zuerst gemeldet, das habe ich gesehen. Er hat Herrn Burkardt die Kurzintervention überlassen. Somit ist die Möglichkeit einer Kurzintervention erschöpft.

(Zurufe aus mehreren Fraktionen)

Ich kann sie nicht zulassen.

(Dombrowski [CDU]: Typisch Linkspartei! - Zurufe von der SPD und der Fraktion DIE LINKE - Senftleben [CDU]: Zur Geschäftsordnung!)

- Zur Geschäftsordnung, Herr Senftleben, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Platzeck hat ja gesagt, dass das Parlament zum Debattieren da ist, und auf dieser Grundlage beruht unsere Geschäftsordnung. Die Geschäftsordnung be

sagt ganz klar, dass Kurzinterventionen möglich sind, und beschreibt nicht, dass aus einer Fraktion heraus nur eine Kurzintervention zum Redebeitrag erfolgen kann.

Ich war Zeuge dessen, dass Herr Dombrowski zuerst und kurz darauf Herr Burkardt eine Kurzintervention angemeldet haben, weil sich beide zu einem aus unserer Sicht nicht sachgemäßen Beitrag von Herrn Platzeck zu Wort melden wollten. Ich bitte darum, die Geschäftsordnung zu beachten und beiden Kollegen die Möglichkeit einer Kurzintervention zu geben. Dies wird die Debatte mit Sicherheit bereichern und nicht abwürgen.

(Beifall CDU und FDP)

Es gibt weiteren Bedarf, die Geschäftsordnungsdebatte fortzuführen. Bitte, Herr Görke.

Ich möchte sie nicht fortführen, sondern nur etwas klarstellen. Was ich als Mitglied dieses Landtages vernommen habe, ist, dass eine Kurzintervention angemeldet wurde. Die Vizepräsidentin hat das festgestellt, und nach der Geschäftsordnung ist es üblich, dass nicht auf eine Intervention eine Kurzintervention angemeldet werden kann. Insofern sehe ich da keinen Handlungsbedarf.

Wir müssen darüber nicht in einen Austausch treten. Es ist ohnehin in Absatz 6 geregelt, dass ich diejenige bin, die über die Zulassung bzw. Nichtzulassung einer Kurzintervention zu entscheiden hat,

(Beifall DIE LINKE und SPD)

wenn die Debatte zu einem bestimmten Thema aus meiner Sicht erledigt ist.