Protocol of the Session on October 24, 2001

Bitte schön, Herr Abgeordneter Sarrach.

Herr Kollege Schippel, Sie können unterstellen, dass ich die Vorgänge in Sachsen-Anhalt kenne. Ist Ihnen aber auch bekannt, dass in Ländern wie Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz

oder auch Niedersachsen, die die Kooperationsform der Zusammenarbeit von Gemeinden kennen, in der Gemeindegrößenklassenordnung wesentlich mehr Gemeinden mit unter 500 Einwohnern existieren und darin kein Problem gesehen wird?

Das ist mir sehr wohl bekannt. Sie haben aus dem Bericht der Enquetekommission zitiert. Wir haben uns viele Modelle angesehen, auch das in Sachsen-Anhalt praktizierte, und sind letzten Endes zu dem im Bericht der Enquetekommission für Brandenburger Verhältnisse empfohlenen Modell gekommen. Wir mussten dann schlichtweg mit unserem Koalitionspartner ein paar Veränderungen abstimmen, die an dieser Stelle nicht gravierend sind.

(Lachen bei der PDS)

Insofern sehen wir keinen Grund, von den Leitlinien abzuweichen. Es wäre auch denen gegenüber nicht gerecht, die mit großer Mühe und trotz der Angriffe, denen sie mitunter ausgesetzt sind, versuchen, das Beste für ihre Gemeinden im Land Brandenburg herauszuholen. Insofern bedanken wir uns für den Bericht, Herr Innenminister. Wir werden zu der Phase kommen, in der wir über Einzelgesetze reden müssen. Wir sagen es hier ganz deutlich: Der eingeschlagene Weg wird bis zu diesem Zeitpunkt ohne Wenn und Aber fortgesetzt.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich danke dem Abgeordneten Schippel und gebe das Wort an die Fraktion der DVU, an Herrn Abgeordneten Claus.

(Zuruf von der PDS: Die CDU hat mehr geklatscht! - Schippel [SPD]: Ja, die haben das jetzt auch verstanden!)

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Ich möchte zunächst rückblickend auf Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein hinweisen. Im Juni 1807 fasste Stein die Erkenntnisse seiner bisherigen politischen Tätigkeiten zusammen und legte sie in der Nassauer Denkschrift nieder. Hier forderte er für Provinzen, Kreise und Gemeinden die Selbstverwaltung, um die Erneuerung Preußens durch die Beteiligung aller Bürger an der Mitgestaltung des Staatslebens zu erreichen.

Heute stehen wir wieder vor der Frage, wie wir möglichst viele Bürger in die Mitgestaltung des Gemeindelebens einbinden können. Reichsfreiherr vom und zum Stein führte als preußischer Minister am 19. November 1808 die Städteordnung ein, die zur Selbstverwaltung führte. Das Edikt vom 24. November 1808 schuf ein modernes Staatsministerium mit Fachressorts.

Weitere Reformgesetze wie die Selbstverwaltung der Landgemeinden, Kreistage und Provinziallandtage wurden von Stein noch vor seiner Entlassung vorbereitet.

Vielleicht sollte Herr Minister Schönbohm die vorbildlichen Reformen des Reichsfreiherrn einmal ausgiebig studieren

(Minister Schönbohm: Habe ich!)

- das haben Sie? -, bevor er die Axt an die Selbstverwaltungshoheit der Gemeinden legt, die immerhin in Artikel 28 Abs. 2 des Grundgesetzes garantiert wird.

Die Landesregierung behauptet in ihrem Bericht, dass größere Einheiten wirtschaftlicher, leistungsfähiger und zudem aufgrund einheitlicher Planungs- und Entscheidungsräume besser zu entwickeln seien. Strukturen mit einheitlicher politischer Willensbildung sollen angeblich Vorteile bieten. Was ist eigentlich eine einheitliche politische Willensbildung? Etwa das Diktat von oben, das Diktat einiger Parteivertreter? Die DVU-Fraktion legt Wert auf die Feststellung, dass auch in den Gemeinden ein demokratischer Willensbildungsprozess stattfinden muss, der in vielfältigen Positionen seinen Ausdruck findet.

Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Gemeinden hängt nicht zuletzt von dem gesamtwirtschaftlichen Geschehen in Deutschland ab. Eine rückläufige Konjunktur führt zu Steuermindereinnahmen, die besonders hart die Gemeinden treffen, zumal diese durch Eichels Steuerreform bereits besonders gebeutelt wurden. Die Landesregierung tut in ihrem Haushalt ein Übriges, indem sie die Investitionen abbaut und folglich das Eigenleben der Kommunen gefährdet.

Die DVU-Fraktion bezweifelt auch, dass die Leitlinien eine tragfähige Basis für die Schaffung leistungsfähiger Strukturen für bürgernahe und effiziente Verwaltungen darstellen. Die Propagandamaßnahmen der Landesregierung, die vornehm als Öffentlichkeitsarbeit umschrieben werden, haben die beabsichtigte Wirkung noch nicht erzielt.

Wenn es nicht freiwillig klappt, dann sollen Zwangszusammenschlüsse per Gesetz verabschiedet werden. Derartige Vorhaben werden wir seitens der Deutschen Volksunion in aller Deutlichkeit verurteilen. Oberste Maxime ist für die DVU die Freiwilligkeit.

Das Ehrenamt darf durch diese kommunale Neugliederung keinen Schaden nehmen. Im Gegenteil, angesichts der sinkenden Haushaltsmittel brauchen wir die freiwilligen und ehrenamtlichen Kräfte in den Kommunen.

Wir halten den Zeitplan der Landesregierung für nicht umsetzbar. Wir müssen den Gemeindebürgern mehr Zeit einräumen, um in aller Ruhe auf Bürgerversammlungen das Für und Wider von Gemeindezusammenschlüssen zu erörtern. Die Freiwilligkeitsphase, die am 31. März 2002, also in fünf Monaten, endet, muss auf jeden Fall verlängert werden.

Für die DVU gilt das Prinzip „Demokratie von unten” und nicht das Motto „Zwang von oben”. Kommandowirtschaft haben die Bürger der ehemaligen DDR in Brandenburg 40 Jahre lang ertragen müssen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke dem Abgeordneten Claus und gebe das Wort an die Fraktion der CDU. Herr Abgeordneter Petke, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fünf

Monate vor dem Ende der Freiwilligkeitsphase legt die Landesregierung den Bericht über die Umsetzung der Leitlinien zur Gemeindereform im Land Brandenburg vor. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Sarrach, können wir eine positive Bilanz zur Umsetzung der Leitlinien in Brandenburg ziehen. Hätten Sie damals richtig zugehört bzw. die Materialien richtig gelesen, wären Ihnen die 64 %, von denen Sie gesprochen haben, schon zum damaligen Zeitpunkt aufgefallen. Sie waren nämlich schon damals Gegenstand der Begründung.

(Zuruf der Abgeordneten Frau Osten [PDS])

Wir sind im Land gut vorangekommen. Zahlreiche Informationsveranstaltungen und Treffen mit Gemeindevertretern sind vom Ministerium des Innern organisiert worden. Auf diesen Veranstaltungen ist viel Überzeugungsarbeit geleistet worden. Auch einige Kollegen aus dem Landtag haben sich in ihren Wahlkreisen und darüber hinaus aktiv an der Umsetzung der Leitlinien beteiligt. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Sarrach, rechne ich persönlich damit, dass wir in der Freiwilligkeitsphase eine Umsetzung von landesweit 60 bis 70 % haben werden. Insofern haben sich die Bemühungen der Landesregierung und des Landtages ausgezahlt. Im Land ist die Situation anders, als Sie es sich möglicherweise wünschen. Die Menschen gehen auf die Argumente in den Leitlinien ein und nehmen die Möglichkeiten des Gemeindereformgesetzes in Anspruch. Es gibt nur in einigen wenigen Bereichen eine Totalverweigerung.

Ein Wort zur PDS: Wir, die Koalitionsfraktionen, aber auch der Innenminister und damit die Landesregierung haben Sie damals mehrfach eingeladen, diesen Weg mitzugehen und an dieser so wichtigen Reform für die Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung in Brandenburg teilzunehmen. Wir haben Sie informiert und mehrfach ehrlich gebeten, mitzumachen. Sie haben sich - das betrifft nicht alle Teile Ihrer Fraktion und Ihrer Partei - mehrheitlich verweigert. Insoweit finde ich es sehr schade, dass sich die größte Oppositionsfraktion im Landtag Brandenburg dieser Reform aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen verweigert.

Ein Wort an die DVU-Fraktion: Die in Artikel 28 Grundgesetz festgelegte kommunale Selbstverwaltung wird durch diese Gemeindereform nicht abgeschafft. Aber wir werden mit dieser Gemeindereform die Voraussetzung dafür schaffen, dass kommunale Selbstverwaltung gemäß Artikel 28 in Brandenburg dauerhaft möglich ist. Das ist das eigentliche Ziel dieser Reform; der Bestand des Artikels 28 bleibt ungeschmälert erhalten.

Zu unserem Entschließungsantrag fiel vorhin das Wort, er stelle keinen Beitrag zur Diskussion dar. Dieser Entschließungsantrag von SPD und CDU, um dessen Zustimmung ich werbe, ist ein wichtiger Beitrag zur Diskussion für die Leute vor Ort, die sich noch nicht entschieden haben und auch aufgrund Ihrer falschen Aussagen von der Annahme ausgehen, die ich vorhin wieder gehört habe, wir würden nicht den Mut haben, im nächsten Jahr Neugliederungsgesetze zu verabschieden. Schauen Sie auf den letzten Punkt, den Punkt d), dann finden Sie genau diese Aussage: In den Fällen, in denen die Leitlinien nicht umgesetzt werden, werden wir Neugliederungsgesetze verabschieden. In den Leitlinien finden Sie auch das klare Ziel, dass die Kommunalreform rechtzeitig vor der Kommunalwahl im Jahre 2003 abgeschlossen wird.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Bitte schön, Herr Abgeordneter Schöps.

Eine Frage zu den Strukturen: In Cottbus setzt einer der Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters in die Welt, die kreisfreie Stadt Cottbus solle nicht mehr länger kreisfrei bleiben, sondern sich einem Landkreis unterordnen. Ist das sachlich richtig oder falsch?

Herr Kollege Schöps, ich habe die Meldung auch gelesen und mich ein wenig gewundert. Ich habe daraufhin erschrocken in die Leitlinien geguckt und festgestellt, dass natürlich nicht vorgesehen ist, dass sich eine unserer vier kreisfreien Städte, auf die wir trotz all der Haushaltsschwierigkeiten dieser Städte zu Recht stolz sein können, einem Landkreis anschließt. Wenn der dortige Kandidat bei seinem Vorschlag davon ausgeht, dass es dafür gemäß § 26 Gemeindefinanzierungsgesetz Mittel zur Förderung der freiwilligen Zusammenschlüsse gebe, so muss ich ihn - aus meiner Sicht zum Glück - enttäuschen. Das ist nicht vorgesehen und das würde auch nicht zu einer Verbesserung der Finanzsituation von Cottbus führen.

(Frau Konzack [SPD]: An das Geld hat er aber auch nicht gedacht, sondern an Vernunft und Zukunftsfähigkeit!)

- Ich habe es ja nur in der Zeitung gelesen. Aber ich glaube -

Ich bitte darum, auf Zwiegespräche zu verzichten.

Der erklärte Wille der Leitlinien ist die Stärkung unserer Städte, auch die Stärkung unserer vier kreisfreien Städte. Uns ist schon bewusst, dass es zwischen den kreisfreien Städten und Landkreisen eine schwierige Diskussion gibt. Aber im Gegensatz zur PDS verweigern wir uns der Diskussion nicht, sondern nehmen sie gestaltend an.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren von der PDS, ich fordere Sie in dieser Debatte noch ein letztes Mal dazu auf, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen. Damit gäben Sie der Öffentlichkeit ein Zeichen, dass das Informationsmaterial der Landesregierung auch bei Ihnen Wirkung entfaltet hat. Ansonsten werden wir leider gezwungen sein - wir werden die Kraft dazu haben -, die Gemeindereform ohne Sie im Lande umzusetzen.

Herr Abgeordneter Petke, gestatten Sie noch eine Frage?

Bitte schön, Herr Abgeordneter Woidke.

Herr Petke, bei welcher Einwohnerzahl würden Sie denn darüber reden, ob es sich um eine kreisfreie Stadt handeln muss oder nicht? Sehen Sie es nicht auch so, dass eine Stadt, die von einem Landkreis umgeben ist, viele Leistungen leichter erbringen könnte, wenn die Einwohnerzahl größer wäre, ganz abgesehen davon, dass dann eine Verwaltungsoptimierung möglich wäre?

Herr Kollege, man kann vieles sehen, was notwendig ist. Aber wir müssen mit der Situation in Brandenburg umgehen. Ich komme selber aus Guben und glaube, dass es zwischen Cottbus und der Lausitz immer ein gewisses Spannungsverhältnis gegeben hat.

(Frau Konzack [SPD]: Das stimmt überhaupt nicht!)

Aber die Lausitz wäre ohne Cottbus nicht das, was wir als Lausitz kennen, und Cottbus wäre nicht Cottbus, wenn es darum herum nicht die Spree-Neiße-Region oder den Spreewald gäbe. In dieser speziellen Situation muss es eine Lösung geben, die beiden Interessen gerecht wird. Wir haben in Brandenburg kleinere kreisfreie Städte als Cottbus. Wir sollten alles dafür tun, dass der Standort der Technischen Universität Brandenburg und auch der Standort von Energie Cottbus sowie vieler Dienstleister erhalten bleibt und dass wir in unserem Land auch weiterhin von einer kreisfreien Stadt Cottbus reden können.

(Beifall bei CDU und SPD)