Protocol of the Session on June 20, 2001

Ich komme jetzt zum Schluss, Herr Präsident, und zwar mit einem Fazit: Nach meiner Auffassung hat die Koalition in Bonn mit der damaligen Gesundheitsministerin Fischer die Chance einer echten Gesundheitsreform vertan und dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten in Deutschland schweren Schaden zugefügt. Eine echte Gesundheitsreform - dies ist mein letzter Satz - muss jedoch vor dem Jahr 2002 in Angriff genommen werden, da das System Gesundheitswesen sonst außer Kontrolle gerät. Die Beitragssatzerhöhungen sind, wie gesagt, nur der Anfang dessen. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU)

Bevor ich dem Gesundheitsminister abschließend das Wort erteile, begrüße ich die Lehrlinge des Oberstufenzentrums I/Technik aus Neu Fahrland.

(Allgemeiner Beifall)

Herr Minister, Sie haben das Wort.

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Kollege Dr. Werner Kallenbach hat es vorhin gesagt: Sie haben sehr zugespitzt und verwinkelt Fragen an uns gestellt. Es ist Ihr gutes Recht, meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion, Große Anfragen zu stellen. Aber zunächst fragen Sie lediglich nach Ergebnissen der Gesundheitsreform 2000.

(Widerspruch bei der PDS)

- Ja, natürlich. Hier geht es zum großen Teil um Bundespolitik. Wir sind zwar nicht der Bundestag, aber ich will gerne all Ihre Fragen beantworten, einschließlich der Fragen, die Sie zur Bundesebene gestellt haben. - Das darf man ja wohl sagen.

Zunächst fragen Sie lediglich nach den Ergebnissen der Gesundheitsreform 2000, doch tatsächlich haben Sie - fachlich nicht schlecht gemacht; das muss man schon sagen -

(Zustimmung bei der PDS)

einen Rundumschlag zur gesamten Gesundheitspolitik zelebriert.

Wie Sie sehen, meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion, haben wir Ihre Fragen sachlich und in der gebotenen Ausführlichkeit beantwortet.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Machen Sie auch sachlich weiter!)

Sie werden feststellen, dass Sie mit Ihren häufig verzwickten Fragestellungen und offensichtlichen Gedankengängen die Koalition nicht auseinander dividieren können. Wir stehen hier in gemeinsamer Verantwortung und wir tragen das auch gemeinsam. Sollte Ihr Blick aus aktuellem Anlass nach Berlin gehen, dann lassen Sie sich auch Folgendes sagen: In Brandenburg ist die Situation eine andere.

(Zustimmung bei der CDU)

Unsere Antworten auf Ihren Rundumschlag geben ein reales Bild der gesundheitlichen Versorgung in Brandenburg, mit all ihren Erfolgen und mit den Notwendigkeiten, die wir in Abhängigkeit von bundesrechtlichen Regelungen schultern müssen.

Brandenburg kann sich im Vergleich mit den anderen Bundesländern durchaus sehen lassen. Wir arbeiten gut mit den Kassen und der Kassenärztlichen Vereinigung zusammen und wir haben die Regiekompetenz der kommunalen Gesundheitsämter deutlich gestärkt. Fahren Sie durch das Land und schauen Sie sich um. Erinnern Sie sich der Situation vor Jahren und an den großen Nachholbedarf und sehen Sie heute: Das stationäre Versorgungsniveau ist deutlich gestiegen, bei allem, was in der Weite des Landes noch zu tun bleibt. Vielerorts haben wir den Standard der alten Bundesländer erreichen können.

Wir werden uns auch künftig energisch für eine Förderung der Krankenhausinvestitionen im Rahmen des Aufbaus Ost einsetzen. Heute ist schon ein Tag dazu: Wir haben eine gemeinsame Sitzung mit der Bundesregierung.

Wir haben die aktuellen Probleme in der ambulanten Versorgung erkannt und sind in dieser Frage gemeinsam mit anderen Bundesländern aktiv geworden. In der Tat ist der Anteil der Ärzte am GKV-Budget, also dem Budget der gesetzlichen Krankenkassen, geringer als im Westen. Im Osten sind es 14 %, im Westen 17 %. Das wird sich unter anderem auch durch die Einführung des so genannten Wohnortprinzips ändern. Danach wird für Versicherte mit Krankenkassensitz im Westen eine Kopfpauschale an die Kassenärztliche Vereinigung des Wohnortes der Ost-Versicherten gezahlt. Es wird also Geld von West nach Ost fließen. Das bewirkt eine größere Gerechtigkeit. Gegenwärtig befindet sich der Gesetzentwurf dazu in der Bundesabstimmung, und zwar im Bundesrat. Außerdem wird es in den Jahren 2002 und 2003 eine außerordentliche Budgetanhebung um 2 % über die festgelegten Grenzen hinaus geben. Nach unseren Berechnungen kämen den Kassenärzten in den neuen Ländern dann etwa 200 bis 300 Millionen DM zusätzlich zugute immer vorausgesetzt, dass die Empfehlungen des Bundesrates umgesetzt werden, dass heißt, wirklich Geld von West nach Ost fließt.

Selbstverständlich bleibt die Gesundheitspolitik eine ständige

Reformbaustelle. Niemand kann bei anhaltendem Wandel in diesem Bereich alle Probleme auf einmal lösen. Wer das verlangt, lebt an den Realitäten vorbei. So wissen wir auch, dass wir zum Beispiel ambulante und stationäre Versorgung noch wirksamer verzahnen müssen. Dafür ist bei uns im Lande einiges im Gange, anderes muss allerdings noch nachgebessert werden.

Der Reformbedarf wird uns auch in Zukunft ständig begleiten; ich halte das für normal. Ich verstehe auch Ihre oppositionelle Ungeduld, meine Damen und Herren der PDS-Fraktion, bitte aber, auf dem Teppich zu bleiben. Brandenburg wird sich auch künftig aktiv an der gesundheitspolitischen Reformdiskussion beteiligen. An Spekulationen beteiligen wir uns hingegen nicht. Auch das machen unsere Antworten auf Ihre Große Anfrage deutlich. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke auch. - Wir sind am Ende der Rednerliste. Ich schließe die Aussprache. Damit ist die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 21, Drucksache 3/2708, zur Kenntnis genommen.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 5 und rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:

Tagesstrukturierende Maßnahmen für Senioren mit geistiger Behinderung

Antrag der Fraktion der PDS

Drucksache 3/2755

Das Wort geht an Frau Bednarsky, die für die beantragende Fraktion spricht.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Jahren wird die fachliche Begleitung von Seniorinnen und Senioren mit geistiger Behinderung zu einer wachsenden sozialen Herausforderung für unsere Gesellschaft. Die Ursachen dafür sind vielfältig.

Zum einen gleicht sich die Lebenserwartung von geistig Behinderten der von Nichtbehinderten an. Zum anderen gab es die Euthanasie-Verbrechen der NS-Zeit, in deren Folge heute Altersgruppen fehlen. Gegenwärtig ist mehr als die Hälfte der Behinderten in Deutschland über 65 Jahre alt. 12 % der in stationären Einrichtungen lebenden Menschen mit Behinderungen haben diese Altersgrenze erreicht. Die Tendenz ist aufgrund des demographischen Wandels in unserer Gesellschaft steigend.

Wir müssen uns als verantwortliche Sozialpolitiker fragen: Wie fördert und erhält unser Sozialsystem im Interesse der Betroffenen, aber auch im Interesse von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit im Bereich der Behindertenhilfe die lebenslange Lernund Entwicklungsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen? Oder sollen wir zulassen, dass nach der Beendigung der Arbeit

in den WFBs mit dem 65. Lebensjahr die Behinderten in den Wohnstätten und in den Familien vor dem Fernsehapparat oder auf der Couch in Inaktivität oder Langeweile versinken? Wollen wir diese behinderten Menschen ohne Beschäftigungs- und Freizeitangebote allein lassen und so durch unsere Unterlassungen dafür sorgen, dass sie bald zu bewegungs- und konzentrationsunfähigen Pflegefällen werden?

Der demographische Wandel in der Gesellschaft wird notwendigerweise auch zum Strukturwandel in den Einrichtungen und bei den ambulanten Diensten der Behindertenhilfe führen müssen, damit ältere und alte Menschen mit geistiger Behinderung ihren Lebensabend in Würde und bei bestmöglicher Gesundheit genießen können.

Diese notwendigen Veränderungen werden vor dem Land Brandenburg nicht Halt machen, auch wenn das zuständige Ministerium das notwendige intensive Problembewusstsein dafür noch nicht entwickelt hat, wie aus meiner Sicht erst gestern eine Tagung der AWO zum Thema gezeigt hat. In Brandenburg fehlen bisher in den meisten Wohnstätten für Behinderte und auch außerhalb von Wohnstätten und Einrichtungen tagesstrukturierende Maßnahmen, die nötig sind, damit die Mobilität und die Fertigkeiten zur Alltagsbewältigung der älteren Menschen mit Behinderungen nicht immer weiter abnehmen.

Der Mangel an Personal, an Qualifizierung und an Beschäftigungs- und Freizeitangeboten sorgt dafür, dass die älteren Behinderten, die nicht mehr die WFBs besuchen, sich selbst überlassen bleiben und dadurch ihre Pflegebedürftigkeit rasch wächst. Ein bisschen Stricken im Gemeinschaftsraum der Wohngruppe ist aus fachlichlicher Sicht einfach zu wenig.

Nach einem erfüllten Arbeitsleben gelingt es auch nichtbehinderten Menschen nur schwer, nicht in Apathie und Langeweile zu versinken. Deshalb sieht die offene Seniorenarbeit vielfältige Angebote zur Lebens- und Freizeitgestaltung sowie zur Gesunderhaltung vor. Menschen mit einer geistigen oder psychischen Behinderung müssen jedoch in viel höherem Maße zur Tagesgestaltung und Mobilitätserhaltung motiviert und dabei angeleitet werden. Sie brauchen ihnen entsprechende, auf ihre eingeschränkten Möglichkeiten abgestimmte Angebote, um nicht bald zu Pflegefällen zu werden, sondern wie die nichtbehinderten Seniorinnen und Senioren wieder am Leben in der Gemeinschaft teilhaben zu können.

Die Landesregierung wird von uns aufgefordert, endlich die notwendigen Schritte einzuleiten, um fachliche Erkenntnisse und praktische Erfahrungen zu bündeln. Zu denken wäre an die Initiierung von Modellversuchen, die anhand der individuellen Bedürfnisse Tagesstrukturmaßnahmen entwickeln und anbieten, sowie an die Bildung einer Arbeitsgruppe, in der sozialgerontologische und behindertenpädagogische Fachwissenschaftler ebenso vertreten sind wie die Einrichtungsträger mit ihrer Förder- und Betreuungserfahrung sowie die entsprechenden Leistungsträger der Alten- und Behindertenhilfe.

In einer solchen Arbeitsgruppe sollten die Lebensfelder Wohnen, Beschäftigung und Freizeit für ältere Behinderte untersucht und nach ambulanten und teilstationären Lösungen abgeklopft, die Nachfrage nach Tagesförderstätten für bei der Familie lebende Behinderte im Seniorenalter geprüft, die Vernetzung der Strukturen zwischen Alten- und Behindertenhilfe geplant, Kon

zeptionen einer seniorengerechten Behindertenhilfe erarbeitet, landesweite und verschiedene kommunale Strukturen berücksichtigende Modellversuche begleitet und Richtlinien und Empfehlungen für das Land Brandenburg entworfen werden, um die Behindertenhilfe auf ihre wachsenden Aufgaben für ältere Menschen mit Behinderungen vorzubereiten.

Eine solche Arbeitsgruppe müsste beispielsweise Antworten auf folgende Frage finden: Welche Angebote der Tagesstrukturierung, Förderung und Beschäftigung sollen zukünftig den immer zahlreicher wegen Erreichens der Altersgrenze aus den Werkstätten ausscheidenden Behinderten zur Verfügung stehen? Inwieweit sind die Wohn- und Betreuungsstrukturen der Behindertenhilfe bereits auf den mit der zunehmenden Alterung einhergehenden wachsenden Betreuungs- und Pflegebedarf der Menschen mit Behinderung eingestellt? Wie kann das fachpolitisch bedeutsame Zwei-Milieu-Prinzip - Trennung von Wohnung und Beschäftigung bzw. Arbeit - gewahrt werden, wenn altersbedingt der Tagesaufenthalt in der Werkstatt entfällt? Inwieweit unterscheiden sich die denkbaren, in der Behindertenhilfe neuen oder anzupassenden Versorgungsstrukturen von den vorhandenen Angeboten der offenen Altenhilfe und der Pflege? Inwieweit unterscheiden sich die Bedürfnisse der Zielgruppen alt werdender und gegebenenfalls auch pflegebedürftig werdender chronisch Kranker oder Behinderter von denen der zu erheblichen Teilen ebenfalls laut Statistik behinderten- und pflegebedürftigen Älteren so signifikant, dass getrennte Versorgungsangebote vorgehalten werden müssen?

Welche Aspekte erschließen sich bei einem vergleichenden Blick in andere Bundesländer und in die Länder Europas für eine bedarfsdeckende Versorgungsstruktur? Welche Erfahrungen werden in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Hamburg oder in Dänemark und den Niederlanden bei der Betreuung, Mobilisierung und Motivierung älter werdender Menschen mit geistiger Behinderung gesammelt?

Unser Antrag will also nicht mehr und nicht weniger, als dass die Landesregierung eine der vielen Versorgungslücken in der Behindertenhilfe Brandenburgs zur Kenntnis nimmt, eine Arbeitsgruppe aus Fachleuten einsetzt und in diesem Bereich der Behindertenpolitik endlich aktiv wird, damit ältere und alte Menschen mit Behinderungen in Würde und so gesund wie möglich ihre letzten Lebensjahre genießen können. Ideen sind durchaus vorhanden, auch in Brandenburg. Es sollte nicht nur darüber geredet werden, sondern es muss etwas getan werden. Ich bedanke mich.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Bednarsky. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der SPD. Frau Abgeordnete SchildhauerGaffrey, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen der PDS, ich setze voraus, dass Sie mit Ihrem Antrag in der besten Absicht eine Problematik aufgreifen, die von der Landesregierung längst erkannt wurde. Es ist richtig, dass wir als Sozialpolitiker nichts unterlassen und

alle Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation älter werdender Behinderter ausschöpfen müssen - aber nicht aus Anlass eines derart unsachlich formulierten Antrages.

Ich möchte einige Bemerkungen voranschicken, bevor ich auf die Forderungen am Ende des Antrages eingehe.

Wir wissen, dass in Zukunft mehr alte Menschen mit geistiger Behinderung unter uns leben werden als in den vergangenen Jahrzehnten. Genauso zutreffend ist es, dass diese Entwicklung die entsprechenden Einrichtungen vor große Herausforderungen stellt.

Den weiteren Passagen des Antrags kann ich immer weniger folgen. Die in zwei aufeinander folgenden Sätzen getroffene Aussage, dass tagesstrukturierende Maßnahmen in den meisten Wohnstätten fehlen und dass ältere Bürger sich selbst überlassen bleiben und dadurch schneller pflegebedürftig werden, ist in meinen Augen unverantwortlich.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?