Roland Koch
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Herr Landtagspräsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben auch in diesem Haus viel miteinander diskutiert und Bilanz gezogen. Ich habe meinen Kolleginnen und Kollegen der Hessischen Landesregierung, insbesondere Herrn Staatsminister Hahn als dem stellvertretenden Ministerpräsidenten,für eine mir sehr in Erinnerung bleibende Verabschiedung gestern zu danken.Ich beabsichtige nicht,das vor dem Hessischen Landtag zu wiederholen. Zu dem, was wir politisch einander zu sagen haben, verweise ich auf die letzte Landtagsdebatte. Ich will diese Gelegenheit nur nutzen,nach den elfeinhalb Jahren im Amt des Ministerpräsidenten und nach doch immerhin mehr als dreiundzwanzigeinhalb Jahren in diesem Hohen Hause mich zu verabschieden. Ich werde mit Wirkung vom morgigen Tag auch nicht mehr Abgeordneter des Hessischen Landtags sein.
Ich möchte die Gelegenheit nur nutzen, jetzt einen sehr institutionellen Dank auszusprechen. Zum einen ein Dank an meine Mitglieder des Kabinetts in den Zeiten seit 1999. Die Ministerinnen und Minister, die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre haben in großer Loyalität zu mir,mit Sachkunde und mit einem großen Einsatz, so wie Sie das erwarten und wie es auch die Minister und Staatssekretäre in den Regierungen zuvor getan haben, ihre Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes unter Ihrer Kontrolle und Aufsicht und in meiner Verantwortung geleistet. Ich glaube, dass dabei jedes einzelne Mitglied seine speziellen Leistungen und Erfahrungen mitgenommen hat.
Aber für mich als den Regierungschef ist am Ende wichtig: Diese besondere Konstellation, die darin besteht, dass der Ministerpräsident der Einzige ist, der von Ihnen abgewählt werden kann, und jeder Minister in eigener Verantwortung sein Ressort führt, also die politische Verantwortung sich bündelt und zugleich wieder trennt,erfordert ein besonderes Verhältnis von gegenseitiger Achtung, Rücksichtnahme, Bereitschaft zu Information und Bereitschaft zu Arbeit. Das habe ich in einem uneingeschränkten Maß erlebt. Das war ein Dienst an den Bürgerinnen und Bürgern von jedem Einzelnen, der damit auch ein Stück das Vertrauen gerechtfertigt hat, das ich in ihn gesetzt habe, als ich ihn dem Hessischen Landtag vorgeschlagen habe, sei es aus der Regierungspartei,der ich angehöre,oder aus der des Koalitionspartners. Ich sage dafür an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön. Es war ein wichtiger Dienst für das Land, und ohne den hätte ich meine Arbeit, für die ich heute hier verabschiedet werde, nicht leisten können.
Der zweite Dank, der mir ebenso wichtig ist, geht an meine Zeit hier im Parlament, an diejenigen, die für uns im Parlament arbeiten. Ich bin im Jahr 1987 Abgeordneter geworden, unter Arbeitsbedingungen, die sich von den heutigen weit unterscheiden, als die Debatte, ob es hauptamtliche Zuarbeit zu Abgeordneten geben kann, gerade in ihrem Anfang war und mir diejenigen, die zuvor im Landtag waren, noch darüber berichtet haben, dass die einzige Amtsausstattung ein kleines Schließfach war, in dem man wenigstens einen Mantel und eine Tasche verschließen konnte, wenn man an Sitzungen teilgenommen hat.
Wir sind Gott sei Dank und im Auftrag der Bürgerinnen und Bürger heute weit davon entfernt.Aber wir haben damit auch eine Menge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Hessischen Landtag an den unterschiedlichsten Stellen, von den wissenschaftlichen Diensten bis zu denen, die dafür sorgen, dass wir hier gut herein- und hinauskom
men, die das mit sehr viel mehr Kenntnis und politischem Gespür machen, als man das gemeinhin erwartet und als selbstverständlich voraussetzen kann.
Sie wissen, dass ich dieses Haus schon länger kenne, dass ich seit 1970 als Kind mit dem Vater schon einmal durch die Mauern dieses Schlosses gehen konnte. Ich habe beim Umbau im letzten Jahr festgestellt, dass es auch nach diesen 40 Jahren noch Gänge und Treppen gibt, die ich zum ersten Mal betreten habe, was die Unergründlichkeit jedenfalls der baulichen Struktur des Hessischen Landtags mir bis zum heutigen Tag immer vor Augen gehalten hat.
Wir Abgeordnete werden aber – das glaube ich nach einer solchen Zeit sagen zu dürfen – von unseren Mitarbeitern wirklich gut behandelt. Sie kümmern sich um uns. Ich habe meine Abgeordnetenpflichten jedenfalls immer gut erfüllen können, weil der Hessische Landtag und seine Kanzlei mir das ermöglicht haben. Auch dafür ein herzliches Dankeschön.
Erlauben Sie mir drittens eine Bemerkung zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der hessischen Landesverwaltung.Politik ist – so,wie sie der Hessische Landtag vorgibt und kontrolliert – viel mehr als das, was in der Zeitung darüber berichtet wird. Von 100 Gesetzen lesen die Bürger in den Zeitungen vielleicht über zwei oder drei Gesetze. Das gilt noch mehr für das, was an täglicher Verwaltungsarbeit im Dienste von Bildung,Infrastruktur,Gesundheit, Umwelt, Finanzen und Sicherheit jeden Tag geleistet wird, und zwar in unterschiedlicher Weise, in Zuarbeit zum Ministerpräsidenten und zu den Ministern, aber auch in direktem Kontakt zu vielen, vielen Bürgern.
Ich kam vor elfeinhalb Jahren in die Landesverwaltung, ohne jemals dem öffentlichen Dienst angehört zu haben; ich kam aus einem freien Beruf. Ich habe in diesen elfeinhalb Jahren gelernt, mit wie viel Fachkunde, Engagement und Leidenschaft an unendlich vielen Stellen für die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land gearbeitet wird. Da ist man natürlich nicht jeden Tag mit allem zufrieden – die Bürger nicht, wenn sie über uns sprechen, und auch wir nicht, wenn wir die Verantwortung dafür tragen. Die Tatsache, dass die, die in einer Regierung politisch arbeiten, zum ganz überwiegenden Teil des Tages Dinge zu leisten haben, von denen in der Öffentlichkeit niemals berichtet wird, hängt aber auch damit zusammen, dass sie damit befasst sind, ihre 150.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einer Weise zu führen, dass das Land in guten Händen ist. Am Ende liegt darin eine politische Verantwortung, die – über alle Stufen gesehen – nur vom Landtag über die Wahl des Ministerpräsidenten korrigiert werden kann. Es ist aber eine Arbeit,die viele,viele Tausend Menschen Tag für Tag leisten. Ich habe gelernt, sehr großen Respekt vor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu haben. Das bedeutet nicht, dass man immer der Meinung jedes Einzelnen sein muss; aber man muss wissen, auf was man gründet.
Mein herzlicher Dank geht daher an die,die mit mir in der Politik und im Kabinett gearbeitet haben, an die, die uns hier im Parlament geholfen haben, und an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im Interesse der hessischen Bürger täglich ihre Arbeit machen.
Ich möchte mich heute und hier von Ihnen verabschieden. Ich möchte mich bei Ihnen allen bedanken – für freundschaftliche Unterstützung, für heftige Kritik, für das Leben in einer demokratischen Auseinandersetzung. Ich werde Sie alle so in Erinnerung behalten, wie Sie sind;
denn ich kenne Sie alle lange genug und weiß, was über manche in der Zeitung zu lesen ist,was in Wirklichkeit der Fall ist, was aufgesetzt und was ehrlich gemeint ist. Das ist der Vorteil, wenn man 23 Jahre Mitglied des Parlaments war. Diesen Vorteil haben auch viele andere hier im Haus. Sie wiederum werden entscheiden, wie Sie mich in Erinnerung behalten. Ich wünsche Ihnen jedenfalls persönlich und für Ihre Arbeit im Hessischen Landtag für die Zukunft alles erdenkliche Gute. – Vielen herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will das ein bisschen aufnehmen, was Herr Abg. Rentsch zum Schluss getan hat. Sie werden verstehen, dass es, was mich persönlich angeht, nicht ganz so verkrampft zugehen muss, wie es gelegentlich in der Härte der Auseinandersetzung in den letzten 23 Jahren in diesem Hessischen Landtag zugegangen ist. Man kann das ein bisschen ruhiger angehen – unter Beibehaltung der inhaltlichen Unterschiede und Kontroversen, die wir im Hessischen Landtag zu führen haben und für die ich als Regierungschef stehe und gestanden habe, aber auch mit dem Wissen, welche Instrumente sich die jeweiligen Beteiligten aussuchen müssen, wenn sie in der Opposition sind, denn dort war ich vorher aus meiner Sicht lange genug.
Ich glaube, dass am Ende dieser Zeit eines übrig bleibt: Ja, wir, diese Regierung und diese Opposition, stehen für unterschiedliche politische Konzepte.Am Ende einer solchen Bilanz kann überhaupt niemand verlangen, dass die Opposition auf einmal aus Respekt das gut findet, was sie jahrelang bekämpft hat. Sie muss aber auch nicht erwarten, dass diejenigen, die sich mit ihrer Politik immer wieder dem Wähler gestellt haben, auf einmal beginnen, sich
dafür zu entschuldigen, dass sie immer wieder die Mehrheit und den Auftrag bekommen haben. Das ist einfach die normale Verteilung. Sie ist eben so, meine Damen und Herren.
Ich respektiere ausdrücklich,
dass ich nun sehr viele Auseinandersetzungen mit Herrn Kollegen Al-Wazir über die verschiedensten Fragen der Politik hatte, der mich sozusagen am dienstlängsten begleitet. Obwohl es viele Fragen gibt, über die wir uns einiger sind, als es Landtagsreden von jeweils zehn Minuten ermöglichen auszutauschen, werden wir in den wichtigen Fragen, in denen wir unterschiedlicher Meinung sind, wahrscheinlich nicht zusammenkommen. Die Demokratie unterscheidet sich von jeder anderen Form dadurch, dass wir hier keine Messer und nicht irgendwelche Tricks benutzen müssen,
um zu schauen, wie wir da irgendjemanden hineinsetzen, sondern dass wir am Ende in Wahlauseinandersetzungen gehen, jeweils auch mit unterschiedlichen Stilen, und am Ende schauen, was los ist. Auf diese Weise bin ich einer der dienstältesten Ministerpräsidenten und Sie einer der dienstältesten Oppositionsführer geworden. Das ist halt so.
Meine Damen und Herren, entschuldigen Sie, dass ich zum Schluss nicht über alles Bilanz ziehe – ich komme gleich noch auf zwei, drei Zahlen zu sprechen –, mich daran abarbeite und damit mein Recht der unbegrenzten Redezeit missbrauche. Es war mir und vielen Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP im Jahre 1999 jenseits all der Einzelpunkte wie Sicherheit, Bildung und der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes wichtig, dass wir einen ernsthaften Versuch unternehmen, unsere Skepsis, dass der Staat alles regeln kann,und unser Vertrauen,dass sich das Land dadurch besser entwickelt, wenn man Bürgern und verantwortlichen Mitarbeitern und Entscheidern mehr eigene Kompetenzen und Mitverantwortung gibt, in politisches Handeln umzusetzen.
Politisches Handeln ist manchmal ganz einfach: beispielsweise die Schaffung einer Ehrenamtsagentur, die es vorher nicht gab, oder die Einführung der Ehrenamtscard als Signal an die ehrenamtlich Arbeitenden. Wir haben politisch gehandelt, indem wir das, was im Sport insgesamt und bei den Sportverbänden geschieht, auf eine neue Grundlage gestellt haben. Wir haben aber auch das, was die Vertriebenenverbände in ehrenamtlicher Arbeit tun, im Gegensatz zu dem, was Sie vorher getan haben, wieder mit einer gewissen Anerkennung versehen.
Das sind zwar sehr unterschiedliche Bereiche, aber es war stets die gleiche Botschaft:Wir glauben,dass die Bürger es besser können. – Hessen ist heute das Land mit den meisten Stiftungen. Hessen ist das Land mit dem schnellsten Zuwachs an Stiftungen. Das ist – von der Bürgerstiftung in Wiesbaden bis zu den großen Stiftungen im RheinMain-Raum und vielen Initiativen in Nordhessen – eine wichtige Frage, wenn man glaubt, dass die Bürger Verantwortung tragen können. Ja, ich bekenne mich dazu.
Wir haben die Darmstädter Hochschule als erste Hochschule in die Freiheit entlassen. Ich weiß, was dazu alles gesagt worden ist. Die Parlamente und Bürokratien haben sich bis dahin nie vorstellen können, dass man das verantworten kann. Das ist aber ein europaweites Modell geworden. Diese gesetzlichen Möglichkeiten gelten heute nicht nur für alle Hochschulen in diesem Land, die das wollen, sondern sie sind auch in vielen Ländern der Bundesrepublik Deutschland Standard geworden.
Wir haben gesagt, Private können manche Dinge besser. Wir haben uns getraut, eine private und eine staatliche Universitätsklinik zu haben, sie über lange Zeit in den Wettbewerb zu stellen, und wir sind fest davon überzeugt, dass wir dadurch in Mittelhessen mehr medizinische Versorgung, mehr Arbeitsplätze, mehr Ausbildung und mehr Qualität für die Bürger erreicht haben, als es auf anderem Wege möglich gewesen wäre.
Wir probieren sogar aus, ob man Teile einer Justizvollzugsanstalt privatrechtlich betreiben kann – in dem Wissen,welche absurden Normen wir als Staat gelegentlich zu beachten haben, wenn wir anfangen zu bauen, wenn wir Aufträge vergeben und Sonstiges machen, wie viele Monate das dauert, um wie viel teurer es wird, und zwar nur deswegen, weil der Staat baut. Wir sind doch keine Ideologen, sondern wir sagen: Überall dort, wo Bürger etwas in eigenem Engagement machen können, ist es klüger, sie in die Verantwortung zu lassen. Überall dort, wo unsere Beamtinnen und Beamten etwas dezentral und allein verantworten können – in unserem Auftrag, mit festen Budgets –, ist es klüger, sie das machen zu lassen. Das betrifft z. B. die künftige Struktur von Schule. Ich bilde mir ein, dass ich diese Politik in den letzten elf Jahren sehr konsequent durchgehalten habe, und auf die daraus resultierenden Veränderungen in unserem Bundesland bin ich sehr stolz.
Wir hatten uns mit Auf- und Abschwüngen, mit unterschiedlichen Ergebnissen auf verschiedenen Feldern der Politik zu befassen. Da war nie alles richtig. Es war aber immer Ihre Aufgabe, zu sagen, was falsch ist, nicht meine.
Insofern bleibt das auch heute der Fall.Meine Damen und Herren, eines ist aber doch der Fall, wenn wir z. B. über das Thema reden, das Hessen immer am meisten „begeistert“, gespalten hat: die Bildungspolitik. Ich bin nicht mit allem zufrieden, was in den letzten zehn oder elf Jahre geschehen ist. Auch die zeitliche Entwicklung war nicht so, wie ich es gern gehabt hätte. Ich räume ein, dass manches sehr viel langsamer geht, als ich es mir persönlich erhofft und vorgestellt habe. Am Ende muss man aber auch sagen:Als wir an die Regierung kamen, sind viele Landtagsdebatten über den Unterrichtsausfall geführt worden. Jeden Tag fiel Unterricht aus, über 100.000 Unterrichtsstunden pro Woche. Zurzeit führen Sie doch gar keine Debatten über den Unterrichtsausfall mehr – aber nicht,weil Sie fauler geworden sind, sondern weil es das Thema nicht mehr gibt.
Das bedeutet natürlich nicht, dass alle Probleme in der Schule gelöst sind. Ich teile mit Ihnen die Auffassung, dass die Tatsache, dass eine ganztägige Betreuung heute einen höheren Stellenwert hat, diese zu einem ganz wichtigen Thema gemacht hat. Ich teile mit Ihnen die Auffassung, dass die Zahl der Schüler, die den Hauptschulabschluss
nicht schaffen und dann keinen Abschluss haben, ein Problem ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, als ich Ministerpräsident geworden bin,hatte die verehrliche rotgrüne Vorgängerregierung ein Gesetz in den Hessischen Landtag eingebracht und mit Mehrheit beschließen lassen, das die Einrichtung von neuen Ganztagsschulen per Gesetz in Hessen verbot. Wir haben das Gesetz aufgehoben, und wir begründen, wie Sie gestern bei der Frage an die Kultusministerin beantwortet bekommen haben, mit Hunderten neuer Stellen Jahr für Jahr gemeinsam mit den Schulträgern ganztägige Betreuungsangebote an den Schulen. Heute haben nur noch halb so viele Hauptschüler keinen Abschluss, wie es vor zehn Jahren der Fall war. Ich finde das gut, ohne dass ich damit uneingeschränkt zufrieden bin.
Ich weiß, dass es aus der Sicht der Opposition vielleicht der falsche Tag für diese Diskussion ist, aber ich will auf das hinweisen, was in den Vergleichsstudien zu den Bildungsstandards steht, die gestern veröffentlicht worden sind. Ich sage Ihnen: Ja, ich bin unzufrieden, wie langsam es vorangeht. Ich weiß, dass uns z. B. die Implementierung neuer Formen der Ausbildung, neuer Formen der frühkindlichen Erziehung, die in die Grundschule hineinreichen – etwa im Bereich der Beherrschung von Sprache –, viel Arbeit macht und dass es länger dauert,als man es angesichts der Ungeduld von Politik für gut halten kann. Aber ich sage Ihnen auch: Die gestern veröffentlichten Ergebnisse sind gut. Sie sind immer noch nicht so, dass es nichts mehr zu verbessern gäbe; aber wenn heute in den Zeitungen steht, dass die Hessen zu den Südländern aufgeschlossen haben, dann sage ich: Ja, das ist richtig und gut. – In dem Zusammenhang erlaube ich mir, außerdem zu sagen – ich rede sonst nicht über Personen –: Manches, was man über Karin Wolff und ihre Politik gesagt hat, muss in diesem Licht in den Geschichtsbüchern vielleicht doch etwas anders geschrieben werden.
Wir können über die frühkindliche Erziehung reden. Wir können darüber reden, wie viele Grundschulen eine Betreuung angeboten haben, als Sie regierten.
Es waren 20 % der Schulen. Heute sind es 95 %.Wir können über die Frage reden, wer vorschulische Sprachtests eingeführt hat, die feststellen, ob Kinder, die in die 1. Klasse kommen sollen, die Sprache des Lehrers verstehen, und wer zuvor etwas davon erzählt hat, dass Bilingualität oder gar Multilingualität in der Grundschule ein kultureller Fortschritt seien. Ein Teil der Probleme, die sich heute in den PISA-Studien widerspiegeln,ist dadurch entstanden, dass in diesem Lande früher einmal so dummes Zeug erzählt worden ist.
Ich lasse jetzt sehr bewusst vieles aus; denn ich glaube in der Tat, dass in der Schule noch manches zu tun ist. In der Koalitionsvereinbarung für diese Legislaturperiode steht eine Menge solcher Projekte: von der immer stärkeren Konzentration auf vorschulische Erziehung über die Frage, was wir hinsichtlich der Selbstständigkeit von Schule machen, um auf die Herausforderungen der Zeit zu reagieren, bis zu der Verabredung über eine neue Form der Mittelschule, um dort die Parallelität von praktischer
und theoretischer Ausbildung besser zu organisieren.Wir stehen mitten in einem Prozess. Dieser Prozess wird so fortgesetzt, weil die Wählerinnen und Wähler das wollten und uns mit der stärksten Mehrheit für eine solche Politik ausgestattet haben, die es in diesem Landtag je gab. Dieser Prozess wird fortgesetzt unter dem Gesichtspunkt, dass wir glauben, dass die Schritte, die wir gegangen sind, in die richtige Richtung gehen.
Das gilt genauso für die innere Sicherheit. Die Bürger haben heute nur noch ein halb so großes Risiko, dass bei ihnen zu Hause eingebrochen wird, wie das vor zehn Jahren der Fall war.Die Zahl der Einbrüche in Automobile ist um 75 % gesunken.Hessen ist das einzige Bundesland,das im Ländervergleich hinsichtlich der Zahl der rechtsradikalen Gewalttaten keinen signifikanten Anstieg zu verzeichnen hat.
Wir sind diesbezüglich das Land mit der niedrigsten Kriminalitätsrate. Wenn zehn Verbrecher, Gauner – wie immer man sie nennen will – vor zehn Jahren eine Straftat begangen haben, hatten sechs von ihnen eine Chance, nicht erwischt zu werden.Heute sind es nur noch vier.Das führt zu mehr Sicherheit, das führt zu mehr Entwicklung, und das ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Es wird zu meinen bleibenden Erlebnissen hinsichtlich der „Beweglichkeit“ von Verwaltung gehören, was ich im Jahr 1998 als Oppositionsführer im Landkreis WaldeckFrankenberg gesehen habe, der bei den modernen Projekten nicht so recht nach vorne kam. In den Polizeistationen mussten die Beamten die Anzeigen auf der AdlerSchreibmaschine zweimal tippen, weil nur sechs Durchschläge in die Maschine passten, man aber sieben Durchschläge brauchte, um die Anzeige ordentlich zu bearbeiten. Das war der Stand bei der Polizei, den wir vorgefunden haben. Heute hat jeder Polizeibeamte in Hessen einen eigenen Computer- oder Laptopanschluss. Fast jedes Polizeifahrzeug verfügt inzwischen über diese Form der Kommunikation. Die hessische Polizei gehört zu den am besten ausgestatteten Polizeieinheiten der Bundesrepublik Deutschland. Das ist der Unterschied zwischen Ihrer Politik und unserer Politik.
Ich sage als vorletzte Bemerkung: Ich glaube daran, dass es die ökonomischen Aspekte sind, die dieses Land ausmachen. Dieser Meinung muss man nicht in jedem Punkt sein.Ich glaube aber daran,dass sich die Frage,wie uns die Bürger am Ende bewerten, an dem Umstand entscheidet, wie viel Arbeit sie haben, welches Einkommen sie haben. Das ist eine Frage, die uns manchmal zusammengeführt hat. Ich denke, dass Opel ein Beispiel dafür war, dass man Probleme gemeinschaftlich, über alle Parteigrenzen hinweg, regeln kann.
Eine weitere dieser Fragen betrifft den Norden Hessens. Das ist erwähnt worden: Tatsache ist heute, dass wir die Arbeitslosenstatistik mit den Zahlen aus Nordhessen tendenziell aufhübschen können, wenn es in Südhessen schwierig wird. Das ist eine Vorstellung, die man vor 15 Jahren nicht haben durfte. Das wäre einfach absurd gewesen. Da hat sich also etwas verändert.
Verehrter Herr Kollege Rudolph, ob das mein Verdienst ist, werde ich am Rednerpult nicht beschreiben; aber ich habe eine grobe Vorstellung hinsichtlich Ihrer Rede, die Sie halten würden, wenn es nicht so wäre.
Deshalb lebe ich mit diesem Einwand – Sie vielleicht auch.
Meine Damen und Herren, ich lese das, was Sie in Ihren Anträgen schreiben, bei denen Sie glauben, dass die Quantität über Lob oder Kritik entscheidet. Ich jedenfalls bin fest davon überzeugt, dass zu den zentralen Aufgaben eines Staates – wir diskutieren gelegentlich darüber – die Bereitstellung einer ausreichenden Bildungsinfrastruktur und einer ausreichenden Verkehrsinfrastruktur gehört. Wenn der Staat diese beiden Aufgaben einigermaßen erfüllen kann,können freie und selbstbewusste Bürger in einem freien Land eine ganze Menge selbst organisieren.
Deshalb war die Verkehrsinfrastruktur mit all ihren Facetten eines der zentralen Elemente der Politik in dem Jahrzehnt, in dem ich hier die Verantwortung tragen durfte. Ohne etwas anderes zurückzusetzen: Dazu gehört natürlich auch der Ausbau des Frankfurter Flughafens, den die rot-grüne Koalition, die damals die Alternative war – oder eine rot-rot-grüne Koalition, die nach Ihren Vorstellungen heutzutage die Alternative hätte sein können –, niemals gewollt hätte.Vielmehr war das, was einige Sozialdemokraten möglicherweise wollten, immer Gegenstand des internen Fingerhakelns und des Versuchs von Herrn Al-Wazir gewesen, das zu verhindern.
Die Regierung von CDU und FDP und die Regierung der CDU haben immer an einen Strang gezogen, um ein solch schwieriges Projekt durchzusetzen. Das war nicht einfach. Es führte – und führt immer noch – zu Problemen. Das Nachtflugverbot ist ein Beispiel dafür, dass das alles nicht ohne Blessuren abgegangen ist – auch bei uns nicht. Am Ende steht jedoch die Tatsache, dass wir heute einen rechtssicheren Planfeststellungsbeschluss für den Bau haben und dass damit die Chance besteht, statt 50 künftig 80 Millionen Passagiere in diesem Land willkommen zu heißen. Das bedeutet, dass dieser Flughafen bei der Fracht und bei der Passage unter den zehn besten Flughäfen der Welt bleiben darf. Nur damit es einmal gesagt ist: Es gibt keinen anderen Flughafen auf der Welt,der gleichzeitig unter den zehn besten Frachtflughäfen und unter den zehn besten Passagierflughäfen ist, was seine Kapazität betrifft. Das gilt für keinen anderen Flughafen auf der Welt. Das ist die derzeitige Situation.
Wir haben die Entscheidungen in den letzten zehn Jahren so getroffen – es hat eben zehn Jahre gedauert –, dass in Hessen Wohlstand und Arbeitsplätze auch für die nächsten Jahrzehnte gewährleistet sind. Wohlstand – das kommt in dem höchsten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zum Ausdruck. Arbeitsplätze – das bedeutet gesicherte Arbeitsbedingungen quer durch das Land, wobei die Situation im Vergleich zu anderen Teilen der Bundesrepublik inzwischen überall günstig ist. Auch das ist eine Leistung, über die man diskutieren darf.
Wenn ich das zum Schluss sagen darf: Ich habe, was diese Diskussionen angeht, im Landtag gelegentlich versucht, darüber zu sprechen. Ich habe auch versucht, mich an die Vereinbarungen zu halten, wie laut wir die Trommeln schlagen und wie groß diese sind. Das ist uns, wie auch diese abschließende Debatte zeigt, nicht vollständig gelungen. Wahrscheinlich bin ich daran nicht unerheblich beteiligt.
Wissen Sie, ich habe solche Hilfsinstrumente nie gebraucht, um, wenn das an der richtigen Stelle war, ordentlich Lärm zu machen.
Aber ich verhehle nicht, dass es einen objektiven Grund dafür gab, warum unsere Auseinandersetzung immer so hart war. Die Mehrheiten sind in unserem Lande nämlich erst seit kurzer Zeit so eindeutig wie jetzt; sie waren über lange Zeit, eigentlich 25 bis 30 Jahre lang, sehr knapp, wobei das in die unterschiedlichsten Richtungen ging. Deshalb ist dies ein Parlament, in dem von allen Seiten um jeden Millimeter Raum,um politische Argumentationskraft und auch um Skandalisierung gefochten wird.Wie gesagt, ich verhehle nicht, dass ich dabei war,
und zwar auf beiden Seiten.
Ich befinde mich in meiner Fraktion gelegentlich sogar in der schwierigen Situation,das,was Sie,Herr Rudolph,machen, zu entschuldigen. Ich sage dann, wir waren auch einmal in der Opposition.
Sehen Sie das als ein Element der Gelassenheit der letzten Stunden an.
Eines kommt allerdings immer hinzu – dazu bekenne ich mich nach wie vor –: Ich glaube, dass die parlamentarische Auseinandersetzung auch hart sein muss. Ich glaube, dass es manchmal schwierig ist, das der Öffentlichkeit zu erklären; denn da wird getobt, da wird ein Stück weit gebrüllt,da wird gerungen,und der Herr Präsident hat in der Diskussion die Rolle eines Schiedsrichters inne, wie es im Augenblick in einem weit entfernten Teil der Welt der Fall ist, wo es darum geht, wie viele Gelbe und wie viele Rote Karten verteilt werden sollen. Da muss diszipliniert werden.
Aber ich glaube, wir sollten uns gelegentlich daran erinnern – das bleibt meine Überzeugung –, warum es eine Demokratie gibt und warum wir das so machen, d. h. welche Funktion die drei Tage dauernden Sitzungen haben. Warum stimmen wir nicht einfach per Computer von zu Hause aus ab? Die meisten wissen sowieso, wie die Abstimmungen in den nächsten Jahren ausgehen. Warum machen wir das nicht?
Wir machen das so,weil es auch um das räumlich verengte Zusammenführen von Menschen geht – in diesem Gebäude in besonderer Weise –,die nach bestimmten Regeln nicht nur Sachpunkte, sondern auch Emotionen auf den Prüfstand stellen. Damit wird ein Stück weit die Luft ab
gelassen und dafür gesorgt,dass diese Emotionen nicht an einer anderen Stelle der Gesellschaft in unkontrollierter Form zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht werden.Wenn wir hier immer nur wie in einem Mädchenpensionat bzw. wie in einem Jungenpensionat säßen – das gilt für Frau Fuhrmann, die eine gute Repräsentantin dieser Emotionalität ist; das gilt vielleicht auch für mich und für viele andere –, würden wir der Demokratie damit keinen Gefallen tun.
Es kann sein, dass ich einigen auf die Füße getreten bin, und Herrn Schmitt habe ich wahrscheinlich für den Rest seines Lebens traumatisiert.
Ich will jetzt nicht behaupten – nicht einmal Ihnen gegenüber, lieber Herr Kollege Schmitt –, dass es mir leidtut. Aber ich möchte Sie bitten, es so zu verstehen, dass das nicht dem Menschen, sondern immer dem Politiker im Plenarsaal gegolten hat, in dem die Auseinandersetzung zu führen ist und in dem man mit Härte und Klarheit Argumente austauschen kann. Das haben wir – Sie und ich – immer für uns in Anspruch genommen. Daher brauchen sich die Demokraten auch gar nichts dabei zu denken. Wenn wir hier alle ruhig wären, würde keiner mehr zuschauen. Aber, was noch schlimmer wäre, der Konsens in der Gesellschaft würde dann nur ein fadenscheiniger sein, weil Interessenunterschiede,Meinungsunterschiede,Analysen und Bewertungen nicht mehr so auf den Tisch kämen, wie es jetzt der Fall ist.
Ich verhehle nicht, es hat mir immer Spaß gemacht. Ich bin nicht sicher, aber da ich glaube, dass Sie mich in den nächsten eineinhalb Jahren nicht dazu provozieren werden, das an anderer Stelle zu machen – obwohl ich an dem Tag, an dem ich das Parlament verlasse, sicherlich noch Gelegenheit habe, mich von Ihnen zu verabschieden –, will ich Ihnen an dieser Stelle sagen: Das hessische Parlament ist sicherlich das rauflustigste, das wir in Deutschland haben. Aber ich persönlich finde nicht, dass es das schlechteste Parlament ist, das wir in Deutschland haben. Außerdem glaube ich, dass Hessen ein Land ist, das so hart an der Kante des Fortschritts segeln muss, dass wir es uns leisten dürfen und leisten sollten, besonders heftig um die Zukunft zu streiten.Wenn es einem in einem Streit am Ende gelingt, die Mehrheit zu erringen – nicht nur im Parlament, sondern auch bei den Wahlen –, ist es umso schöner.
Sie werden verstehen, dass ich nach elf Jahren als Regierungschef in aller Gelassenheit sagen kann: Es hat sich gelohnt, hier zu streiten. Ich habe viele Jahre lang streiten müssen – auch mit Ihnen als Oppositionsführer –, bevor wir eine Mehrheit der Bürger in diesem Lande überzeugen konnten.Aber ich bin dankbar, dass ich diese Chance gehabt habe, und ich bin – erlauben Sie mir das – auch ein bisschen stolz auf das, was ich mit meinen Kollegen von der CDU, mit den Kollegen von der FDP sowie mit vielen Kolleginnen und Kollegen in der Regierung in den etwa elfeinhalb Jahren geleistet habe.
Ich bedanke mich bei jedem von Ihnen, dass dies möglich war. Sie verzeihen, dass ich versuche, eine Debatte, die als Streit angelegt war, so versöhnlich zu beenden. – Vielen herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass die Ereignisse, die die Menschen in diesen Tagen genauso beschäftigen wie die politischen Institutionen im Zusammenhang mit Europa, der wirtschaftlichen Entwicklung Europas und unserer gemeinsamen Währung, des Euro, auch im Hessischen Landtag eine Rolle spielen müssen. Denn wir, auch das Bundesland Hessen, sind in den Beratungen des Bundesrates in diese Frage einbezogen, verhalten uns und wollen das selbstverständlich auch mit dem Hessischen Landtag diskutieren.
Dabei kommen wir in diesen Wochen immer wieder zu Situationen, in denen man, wenn man die letzten 24 Monate Revue passieren lässt, jeweils in den einzelnen Schritten, sei es die Bankenrettung in Deutschland, sei es der Rettungsschirm für Griechenland erst vor wenigen Tagen, subjektiv der Auffassung war und vielleicht auch hoffen durfte, dass es jeweils ein außergewöhnliches, einmaliges und in dieser Geschwindigkeit von Handlungsnotwendigkeiten auch für parlamentarische Institutionen nicht wieder vorkommendes Ereignis ist. Dennoch werden wir aller Voraussicht nach – wenn ich einmal unterstelle, dass die Bundesländer den von den Fraktionen des Deutschen Bundestages in diesen Stunden geäußerten Wünschen folgen – am kommenden Freitag erneut eine Beratung im Bundesrat haben und dort über die Frage des Euro-Rettungspakets oder des Euro-Sicherungsschirms sprechen.
Ich will gleich zu Anfang sagen: Aus der Sicht der Hessischen Landesregierung ist der Vorschlag, den die Bundesregierung dort macht und über die Bundestagsfraktionen einbringt, ein Vorschlag, dem wir am Ende folgen werden – nicht ohne Bedenken, nicht ohne Erwartungen an begleitende Maßnahmen, über die ich sprechen werde.Aber im Ergebnis sind wir der Auffassung, dass die Bundesregierung in den internationalen Verhandlungen in einer extrem schwierigen Situation das Richtige und Notwendige getan hat.
Wir müssen als Deutsche am Ende ein Interesse daran haben, in einem handlungsfähigen, wirtschaftspolitisch leistungsfähigen Europa mit einer starken eigenen Währung zu leben, weil das eine der Voraussetzungen für den Erfolg in der globalisierten Welt der Zukunft ist.
Dabei kann gar nicht bestritten werden, dass die Entscheidungen, die am 7. Mai in der Konferenz des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs und am 9. Mai im Ecofin-Rat, also dem Rat der Wirtschafts- und Finanzminister, getroffen worden sind, im Gegensatz zu allem, was zuvor geschehen ist, erhebliche grundsätzliche Bedeutung haben. Das ist ein Paradigmenwechsel. Wir
tun uns alle miteinander keinen Gefallen, wenn wir versuchen, das zu verschleiern oder zu verschweigen, sondern wir müssen es den Bürgern so offen sagen.Wir müssen ihnen auch sagen, dass das ein Paradigmenwechsel ist im Verhältnis zu Erwartungen, die sie Anfang der Neunzigerjahre bei der Gründung der europäischen Währungsgemeinschaft und den Entscheidungen im Vertrag von Maastricht zugunsten einer europäischen Gemeinschaftswährung gehabt haben, nämlich im Grundsatz die Erwartung, dass jeder Nationalstaat auch bei der einheitlichen Währung für sein eigenes wirtschaftliches Verhalten in vollem Umfang verantwortlich ist und bei der Bewältigung seiner Schulden nicht auf die Solidarität der übrigen Länder der Währungsunion zählen kann.
Es ist offenkundig, dass der 720-Milliarden-c-Rettungsschirm für eine verabredete begrenzte Zeit von drei Jahren, aber natürlich mit einer Grundsatzwirkung, derer man sich nicht durch die Dreijahresfrist einfach entledigen darf, zu dem Ergebnis führt, dass im Zweifel die Mitglieder der Währungsunion jetzt eine Vereinbarung getroffen haben, die unter angemessenen Bedingungen gegenseitige Hilfe zusichert. Aus „Keiner haftet für den anderen“ ist also eine, wenn auch konditionierte, Erklärung der Bereitschaft zur Haftung für den anderen geworden. Das ist wahrscheinlich nach der Einführung des Euro an sich die tiefgreifendste ökonomische Veränderung in Europa.
Es mag sein, das will ich jedenfalls für mich persönlich sagen, dass man sich hat vorstellen können, dass so etwas in der Weiterentwicklung eines gemeinsamen Europas der nächsten Jahrzehnte einmal kommen wird. Aber ganz sicher kann man auch sagen, dass niemand wollte und vorhergesehen hat,dass zu einem so frühen Stadium der ökonomischen Integration in Europa, wie wir es heute haben und sicher im nächsten Jahrzehnt nicht anderes gehabt hätten, ein solcher Schritt unternommen wird.
Dieser Schritt ist in der Logik von Weltwirtschaftskrisen durchaus nicht ganz unerwartet. Großen Bankenkrisen folgen immer Verschuldungskrisen von Staaten. Das ist in der Weltgeschichte nicht so oft ausprobiert worden, aber immer wenn es kam, folgte es der gleichen Regel. Dieser Regel sind wir nicht entronnen.
Der äußere Anlass dafür ist Griechenland. Die Situation von Griechenland macht sicher auch uns in der Politik,die wir uns im eigenen Land zu rechtfertigen haben, die Debatte nicht einfacher. Denn es bleibt festzuhalten, dass Griechenland mit falschen Zahlen Mitglied der Eurozone geworden ist und dass wir lange Zeit die entwickelten volkswirtschaftlichen Versäumnisse gesehen haben, die es in Griechenland gab und die jetzt zu dem Abgrund einer internationalen Zahlungsunfähigkeit geführt haben. Es bleibt auch festzuhalten, dass wir heute wissen, dass die Europäische Union keine ausreichenden geeigneten Instrumente hat, eine solche Entwicklung zu verhindern.
Ich denke, es muss festgehalten werden: Das Starren auf Griechenland in der Publizistik, teilweise in einer ungewöhnlichen Publizistik, verdeckt ein wenig die Tatsache, dass wir uns mit einem tiefer greifenden Problem beschäftigen, das in Wahrheit alle Volkswirtschaften auf diesem europäischen Kontinent betrifft und am Ende in einigen Facetten bis zu uns heranreicht, nämlich die Tatsache, dass eine Staatskrise über Verschuldung nur ausgelöst werden kann, wenn man zu viele Schulden hat. Die Tatsache, dass wir aus Jahrzehnten kommen, in denen die Schulden insgesamt zu hoch geworden sind, wie unterschiedlich sie im Prozentsatz zum Volksvermögen auch
sein mögen, führt dazu, dass Menschen, die Kredite geben, nun in einer Weise Einfluss auf das wirtschaftliche Geschehen von Staaten nehmen können, das diese Staaten abhängig macht, weil sie ein solches Maß an Schulden haben.
Sicher ist das in Griechenland am extremsten, und die Diskussion ist insbesondere in Griechenland unter dem Gesichtspunkt zu führen, dass dort die volkswirtschaftlichen Versäumnisse am nachhaltigsten sind und jetzt unsere Hilfe am kurzfristigsten und damit sicherlich auch am schwierigsten ist.
Ich will für die Landesregierung ausdrücklich erklären, dass wir der Bundesregierung, der Bundeskanzlerin, dem Bundesaußenminister und dem Bundesfinanzminister, sehr dankbar dafür sind, dass sie diese Hilfen konditionieren. Wir müssen auch sehen, dass es in Europa Länder gibt,die in einem durchaus näheren Stadium an einer sehr hohen Verschuldung sind als wir in Deutschland, die aber jedenfalls nicht die wirtschaftliche Potenz haben, einen so hohen Anteil der Schulden für Europa zu tragen, die manchmal auch in einer erstaunlichen Gelassenheit der Auffassung sind,dass die Schulden der anderen einfach zu tragen seien.
Die Bundesregierung kann und darf das nicht. Wenn, wie manche geraten haben oder immer wieder raten, die Bundesregierung vor sechs oder acht Wochen auf dem damaligen Stand der Beratungen ohne Beteiligung des Internationalen Währungsfonds, ohne klare Erklärungen von Regierungen zur Veränderung des Verhaltens, ohne extrem harte Konditionierungen der Kredite an bestimmte, in Dreimonatsrhythmen zu überprüfende Verhaltensweisen, diese Kredite gegeben hätte, wäre das nichts anderes geworden als eine sich mehr und mehr entwickelnde Transferunion mit einem Länderfinanzausgleich zwischen starken und schwachen Ländern, über den jedenfalls Hessen nicht ohne gewisse Emotionen sprechen könnte. Den wollten wir nicht in Europa, und den wollen wir nicht in Europa, weil er auch nicht die Zustimmung der Menschen findet.
Deshalb ist jetzt wichtig, gerade nach der Tatsache, die ich beschrieben habe, dass wir immer auch über eigene Fehler – eigene Fehler im Sinne politischer Instanzen in den Ländern und der Parteien – miteinander reden, dass mit dieser Beharrlichkeit, auch wenn es teilweise eine Position war, mit der Deutschland in bestimmten Verhandlungen alleinstand, die nationalen Interessen der Bundesrepublik mit vertreten worden sind.
Das Ergebnis ist ein hartes Sanierungskonzept für Griechenland. Ich finde, dass es die Fairness von Politikern gebietet, die hier in Regierung und Parlament sitzen, schon zu sagen, alle Vergangenheit dahingestellt: Das, was die griechische Bevölkerung jetzt eingehen muss, um ihre Zahlungsfähigkeit wiederzuerlangen, ist ein Schritt, von dem wir uns nur wünschen können und alles dafür tun müssen, dass er in unserer Gesellschaft nie von jemandem verlangt werden muss. Denn wenn man sich vorstellt, dass ganze Gruppen der Bevölkerung, ob es die Rentner oder die Bediensteten im öffentlichen Dienst sind, von denen es in Griechenland sehr viele gibt, von einem auf den anderen Monat bis zu 25 % ihres realen Einkommens verlieren, wenn man sieht, dass im gleichen Umfang öffentliche Leistungen, Investitionen, Dienstleistungen gekürzt werden, dann ist das eine Veränderung, die die Belastbar
keit einer demokratischen Gesellschaft auf das Äußerste anspannt.
Das werden wir jetzt nicht ändern können, auch niemand in Griechenland kann es ändern. Aber ich sage noch einmal, weil mich jedenfalls bestimmte Überschriften in einer Zeitung in den letzten Wochen sehr irritiert haben:Ich glaube, dass das griechische Volk einen Anspruch darauf hat, dass sie mit uns hart über wirtschaftliche Bedingungen verhandeln müssen, dass sie aber nach wie vor Sympathie und Solidarität in einem gemeinsamen Europa haben und nicht die Ausgegrenzten sind, auf die man mit dem Finger zeigt. Davon haben wir nichts in einer politischen Gesellschaft und Debatte.
Ich habe bereits gesagt: Wir waren der Auffassung, dass mit dieser Entscheidung, die wir im Bundestag und im Bundesrat getroffen haben, die Probleme auf den internationalen Märkten zunächst einmal zu beherrschen sind. Wir haben lernen und feststellen müssen, dass die Zweifel an der Rückzahlungsfähigkeit der Verschuldung nicht nur in Griechenland, sondern auch in anderen Ländern Europas am Ende dazu geführt haben, dass es nicht mehr nur Zweifel an der Rückzahlungsfähigkeit der Verschuldung einzelner Länder waren, sondern dass daraus ein Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Euro an sich geworden ist.
In der Zeit vom 7. bis 9. Mai, nach dem Schluss der Börsen am Freitag, wurde uns die Situation von den Zentralbankpräsidenten und den Akteuren, die diese Märkte mit der größten Kenntnis beurteilen können, geschildert, dass am Ende wirklich die Frage stand, ob eine massive Spekulation gegen den Euro diese Währung insgesamt in einen Strudel zieht. Der Satz, den der EU-Kommissar Rehn dazu gesagt hat: „Wir werden am Ende den Euro verteidigen, koste es, was es wolle“, ist der einzige Satz, den man in einer solchen Situation sprechen kann, wenn man noch erreichen will,dass die Verteidigung des Euro nicht zu viel kostet – so verrückt und schwierig die Kombination der beiden Sätze ist.
Ich denke, dass mit dem Instrument, das die Regierungschefs und die Finanzminister geschaffen haben, mit den direkten Krediten der EU-Kommission von bis zu 60 Milliarden c, mit der sogenannten intergouvernementalen Zweckgesellschaft der 16 Euroländer und mit einer generellen Kreditzusage des Internationalen Währungsfonds – beides zusammen 660 Milliarden c –, also insgesamt einem 720-Milliarden-c-Paket, eine Sicherheit geschaffen worden ist, die es nicht mehr lukrativ erscheinen lässt, auf die Pleite eines Staates der Eurozone zu wetten. Das bedeutet nicht, dass alles erledigt ist. Das sehen wir in diesen Tagen an den Märkten. Man muss die Aufregung aber in Grenzen halten. Denn der Euro war schon auf ganz anderen Werten, und wir waren nicht der Auffassung, dass das ein schlechter Euro war. Aber es bedeutet, dass die Märkte ihre Unsicherheit nicht verloren haben.
Wir befinden uns nicht am Ende eines Prozesses, sondern wir befinden uns am Anfang eines Prozesses – eines Prozesses,in dem man noch vieles erreichen muss,um die Stabilität des Euro dauerhaft zu sichern. Trotzdem, die Beträge, über die wir sprechen, sind gigantisch. Sie überschreiten unsere individuelle Vorstellungskraft. Das geht uns hier so, die wir im Auftrag der Bürgerinnen und Bürger mit großen Summen umgehen müssen. Das geht den Bürgerinnen und Bürgern natürlich in noch viel stärke
rem Maße so. Sie sind sehr, sehr verunsichert, oder, sagen wir es deutlicher, sie verstehen einfach nicht, dass wir in den Kommunen und in den Ländern wie im Bund um einzelne Investitionen ringen, über all die Sparmaßnahmen sprechen, und die öffentliche Hand gleichzeitig an anderer Stelle geradezu unvorstellbare Milliardenbeträge binnen kürzester Frist, in einer Woche von der Einbringung bis zur Beratung in den parlamentarischen Gremien, zur Verfügung stellt. Es ist eine sehr gemeinsame Verantwortung, wie doch vieles in dieser Frage gemeinsam gesehen wird, von uns mit Aufklärungsarbeit dafür zu sorgen,Verständnis dafür zu wecken, was hier eigentlich geschieht und warum wir uns mitten in einer weltweiten Krise zu einer solchen Entscheidung gezwungen gesehen haben.
Ich glaube,deshalb ist es wichtig,dass wir sehr deutlich sagen: Ja, wir Deutsche profitieren in einer besonderen Weise von diesem Euro. Unsere Bilanz ist, wie ich finde, eine wichtige und faszinierende, wenn man sich überlegt, was wir im eigenen Land mit dem verdienen, was wir uns gegenseitig verkaufen und was wir an Einkommen dazubekommen, indem wir den Menschen außerhalb unserer Grenzen etwas verkaufen.
Wir haben einen Außenhandelsüberschuss – wir verkaufen also mehr Waren, als wir von anderen Leuten auf der Welt kaufen – in einer Größenordnung von 134 Milliarden c. Einmal abgesehen davon, dass das viel Geld ist, ist mir eine andere Summe sehr viel wichtiger. Schauen wir uns die 16 Euroländer insgesamt an und schauen, welchen Außenhandelsüberschuss sie zusammen genommen haben, weil sie mehr verkaufen, als sie hereinnehmen, oder ob sie eine nicht gedeckte Handelsbilanz haben, weil sie mehr einkaufen müssen,als sie Waren haben,die sie selbst verkaufen können. Der Saldo bzw. der Außenhandelsüberschuss aller Länder der EU-Zone beträgt gerade einmal 22 Milliarden c.
Das bedeutet im Klartext: Mit den Leistungen, die wir außerhalb unserer Grenzen verkaufen, verdienen wir das Sechsfache von dem, was die ganze EU-Zone zusammen verdient. Am Ende ist das, was man in andere Teile der Welt, wo auch immer hin, verkaufen kann, was der Überschuss zu dem ist,was man kauft,Einkommen,Wohlstand. Deshalb muss man gelegentlich vielleicht verstehen, warum viele andere Länder in der Eurozone von uns erwarten, dass wir alle Lasten tragen: weil wir die größten Profiteure sind.Wir tragen auch einen großen Teil der Lasten. Wenn wir diese Lasten tragen, müssen wir unseren Bürgern auch gelegentlich sagen: Wir sind die größten Profiteure.
Man muss überlegen, was wäre, wenn wir den Euro nicht hätten. Tatsache ist, dass 40 % aller unserer Exporte z. B. aus Hessen in die Eurozone gehen.70 % aller Exporte gehen in die Staaten Europas. Nur die letzten 30 % gehen nach China, Indien, Amerika und sonst wohin. Wir leben von unseren Nachbarn. Die bezahlen einen Teil unseres Wohlstands. Deshalb ist dieses Land Bundesrepublik Deutschland das ungeeignetste Land, darüber zu diskutieren, als Erstes die Solidarität der Länder Europas zu verlassen.
Das trifft auch uns Hessen. Wir haben im letzten Jahr für 43 Milliarden c Waren ins Ausland verkauft – wir hier in Hessen: 43 Milliarden c.Wir müssen auch sehen:Wir sind abhängig von dem, was die anderen Länder machen. Das
waren 16 % weniger als ein Jahr zuvor. Das heißt, die aktuelle Krise, all ihre Schwierigkeiten, ist bei uns angekommen. Wir haben sie, Gott sei Dank, in manchen Dingen kompensieren können. Wir haben möglicherweise vieles davon mit klugen unternehmerischen Entscheidungen retten können. Aber es ist ein Problem für uns, wenn es den anderen Ländern nicht gut geht.
Nicht zuletzt sollten wir sehen,dass der Euro mit der Zentralbank in Frankfurt inzwischen eine Währung ist,die auf der Welt geachtet wird. Ein Drittel aller Währungsreserven der Welt wird inzwischen in Euro gehalten. Ich will auch sagen: Die Währung ist auch deshalb in unserem gemeinsamen Interesse, weil kalkulierbare Währungsrelationen, im Verhältnis zu der Tatsache, wie viele Auf- und Abwertungen wir in den Jahren vor 1990 erlebt haben, durchaus etwas sind, was die Wirtschaft zu schätzen weiß.
Aber es bleibt dabei: Wir haben ein großes Interesse daran, und der Paradigmenwechsel ist eine große Herausforderung. Es stellt sich nämlich nicht mehr nur die Frage, was wir mit unserer Volkswirtschaft machen, sondern auch, wie stark wir helfen, und damit, wie abhängig wir von dem sind, was für uns übrig bleibt, wie oft wir helfen müssen, also welche Erwartungen wir daran stellen müssen, was andere tun, die natürlich auch Erwartungen an uns haben. Die Einschränkung der Souveränität, die die Folge der Entscheidungen dieser Tage ist, trifft alle, auch Deutschland – und seine Mitverantwortung, die wir dabei haben.
Deshalb müssen wir über diese neue Ordnung der Souveränität an allen Stellen reden. Es gab Stabilitätskriterien. Ohne den Streit zu groß zu machen,sagen darf man es wenigstens: Diese Stabilitätskriterien, die Theo Waigel, Helmut Kohl und andere in der Kontinuität von Helmut Schmidt einmal erfunden haben, sind von den Deutschen Anfang dieses Jahrzehnts aufgeweicht worden, als eine Regierung unter dem Vorgänger von Angela Merkel dafür gesorgt hat, dass die harten Kriterien von der EUKommission nicht mehr angewandt werden konnten. Das macht uns in der Argumentation, jetzt die Aufseher von anderen sein zu wollen, das Leben nun wahrlich nicht einfacher. Es berechtigt uns nicht mehr dazu.
Aber wir müssen das jetzt ändern.Deshalb,wenn die Hessische Landesregierung dem Vorschlag der Bundesregierung im Bundesrat zustimmt, dann geschieht das, wie Kollege Jörg-Uwe Hahn und ich bereits in der Bundesratsitzung zu den Griechenlandhilfen gesagt haben, in der sehr klaren Erwartung, die zwei unterschiedliche Felder betrifft. Zum einen betrifft es das Feld der Regulierung von internationalen Märkten um Krisen dieser Art. Ohne die Bankenkrise gäbe es die Finanzierungskrise der Länder im Augenblick nicht in dieser Schärfe. Zum anderen betrifft es auch die Frage,wie wir mit unseren eigenen Volkswirtschaften und den Verschuldensregeln und Ähnlichem umgehen.
Der Ruf nach Regulierung, der immer lauter wird, ist berechtigt. Die Ungeduld der Menschen, dass das auf der internationalen Ebene über so lange Zeit irgendwie nicht vernünftig auf die Reihe zu bringen ist, ist ebenfalls berechtigt. Deshalb ist es an dieser Stelle nach meiner Überzeugung notwendig, dass gehandelt wird und dass es, so wie es die Europäische Kommission heute Nacht verabredet hat, im Zweifel dann auch Regelungen gibt, die nicht die ganze Welt betreffen, sondern zunächst einmal die europäischen Staaten zusammenführen.
Man muss auch sehr offen sagen – jenseits aller Volkswirtschaft –: Eine Demokratie verkraftet es nicht, dass diejenigen, die die offensichtlichen Verursacher einer Krise waren, die offensichtlich nur mit massiven Anstrengungen der Steuerzahler überlebt haben, am Ende diejenigen sind, die völlig unbeschadet dieser Ereignisse die Gewinne in der alten Form wieder generieren und an ihre Eigentümer ausschütten, wie das vor der Rettung war. Da muss es irgendeine Form von Veränderung und Regelung geben.
Diese Regeln haben zwei wesentliche Elemente. Das eine ist Transparenz.Viele der Probleme werden gar nicht entstehen, wenn man das in Wahrheit auf dem offenen Markt austragen muss.Wenn man sieht, wie viele Finanztransaktionen von Billionen es im Bereich der Derivate gibt, die nicht an geregelten Börsen stattfinden, so wie wir das von Aktien erwarten, dann ist das für die Weltwirtschaft eine unkalkulierbare Größenordnung. Dann müssen wir erwarten, dass das an die Börsen kommt, so wie es an der Stelle beschlossen worden ist, und das müssen wir am Ende auch durchsetzen. Wir brauchen verbesserte Kompetenzen von Eurostat, damit das, was in Griechenland passiert ist, nicht mehr passiert – auch wenn sie uns mit vielen Zahlen und bürokratischen Nachfragen quälen werden, die an dieser Stelle alle Beteiligten betreffen.
Wir brauchen eine Regelung für die Erhöhung des Eigenkapitals der Banken. Wir brauchen die Einrichtung eines Bankenrettungsfonds, aus dem weitere Mittel für eine Krise zur Verfügung gestellt werden können, und wir brauchen die Schaffung einer europäischen Ratingagentur,damit diese auf beiden Seiten des Kontinents,der Kulturen, die dahintergestanden haben, verlässliche Grundlage der Diskussionen ist.
Ich denke,man kann von den Regierungen erwarten,dass, wenn es Versicherungen für den Ausfall von Krediten gibt, man solche Versicherungen nur abschließen kann, wenn man auch einen Kredit hat, und dass nicht die Versicherung eines Kredites, den man gar nicht hat, zum Gegenstand einer Spekulation werden kann. Das geht bei der Feuerversicherung des Hauses nicht, denn sonst würden sich auf einmal alle Nachbarn freuen, wenn es endlich brennt; und das geht letzten Endes auch nicht bei der Versicherung von Krediten. Dieses Paket mag unvollständig sein. Es ist aber ein Paket von Regulierungen, das wir brauchen.
Die Hoffnung ist, dass dies die G 20 machen, damit es auf der ganzen Welt gleich ist.Wenn das nicht geht,dann muss es Europa machen.Ich sage aber auch sehr deutlich:Wenn es Europa nicht macht, werden wir Deutsche nicht ganz tatenlos sein können. Der Druck muss auch ein Stück von unten kommen.
Denn es wird so bleiben, wie es ist: Demokratisch wird man nicht legitimieren können, dass wir für all das geradestehen und der Gesetzgeber am Ende so tut,als hätte er damit nichts zu tun. Das verkraften die Menschen nicht, und das verkraften sie an dieser Stelle zu Recht nicht.
Es gibt dann auch den zweiten Teil, nämlich die Frage, wie man das finanziert, sei es über die Bankenabgabe oder über andere Instrumente, die gefunden werden. Bei die
sen sagen wir Hessen natürlich auch: Wir wollen Instrumente, die im Wettbewerb so sind, dass sie nicht alle begünstigen außer Frankfurt, den einzigen Finanzplatz, den Deutschland hat. Das heißt, an der Stelle müssen wir miteinander schon europäische Regelungen finden. Da muss man nicht immer intergalaktisch und weltweit denken;wir müssen aber europäische Regeln haben.Wir wollen keine neuen Verschiebungen des Wettbewerbs zwischen London, Paris und Frankfurt, sondern wir wollen das auf europäischer Basis gemeinsam finden. Dafür liegen die Vorschläge auf dem Tisch.
Da muss ein Hessischer Landtag auch nicht einen Vorschlag nehmen und alle anderen für falsch halten, aber es muss so geregelt werden, dass dafür ein angemessener Beitrag geleistet wird. Die Regulierung ist der eine Teil.
Zugleich gibt es den zweiten Teil. Dieser zweite Teil ist das, was wir selbst in unserem eigenen Land und in den Volkswirtschaften der übrigen Länder machen müssen. Wir müssen Wert darauf legen, dass Stabilität in Zukunft ein entscheidendes Kriterium der Politik ist und Haushaltsentscheidungen unter dem Gesichtspunkt der ausgeglichenen Haushalte getroffen werden. Dazu können wir alle etwas beitragen, und Deutschland wird darin nur glaubwürdig sein, wenn wir auf der einen Seite klare Stabilitätskriterien fordern, wenn wir ein frühes Eingreifen der EU ermöglichen und wenn wir das alles vor dem Hintergrund tun, dass wir es selbst auch machen.
Deshalb denke ich, wir haben in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts dafür in Deutschland durchaus Schritte getan. Es ist nicht so, dass wir ganz am Anfang sind. Reformen wie die Agenda 2010, die Rente mit 67 und die sogenannten Hartz-IV-Gesetze sind alles Elemente, die jeweils ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass die Bundesrepublik Deutschland heute sehr viel günstiger dasteht als andere Länder; und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land haben eine gewaltige Anstrengung unter der Führung der Gewerkschaften unternommen.
Denn wenn man sieht, dass in Griechenland die Lohnkosten z. B. von 2000 bis 2008 um 35 %, in Deutschland aber nur um 1 % angestiegen sind, dann ist das ein Grund dafür, warum die Bürger in Deutschland fragen, warum sie jetzt die zusätzlich aufgelaufenen Schulden von Griechenland bezahlen müssen, obwohl sie mit Gewerkschaften und Arbeitgebern für ihre Wettbewerbsfähigkeit einen eigenständigen Beitrag geleistet haben, mit niedrigeren Kosten, um international wettbewerbsfähig zu sein. Damit haben wir recht, und wir müssen das weiterhin so machen.Wir müssen aber auch erwarten können,dass sich andere Staaten diesem Standard anpassen. Das heißt, wir müssen einen Weg gehen, auf dem wir an dieser Stelle durchaus eine Entwicklung haben.
Meine Damen und Herren, wir müssen dann eben auch sehen, dass wir mit 1,7 Billionen c eine gigantisch hohe Staatsverschuldung haben. Wir haben mit noch einmal rund 3 Billionen c eine Staatsverschuldung, die in Wahrheit höher ist, aufgrund der Pensionen und der Leistungen, die letztlich auch Eigentumscharakter haben.Wir sehen, dass der Anteil der Staatsverschuldung am Bruttoinlandsprodukt in Deutschland von 73 % im Jahre 2009 auf 79 % im Jahre 2011 und auf prognostizierte 82 % im Jahre 2013 steigt,obwohl wir in Europa miteinander eine Quote von maximal 60 % verabredet haben. Deshalb müssen
wir, wenn wir diesen Gedanken der Solidität auf europäischer Ebene zur Geltung bringen wollen, uns auch im eigenen Land darüber Gedanken machen. Das ist die eine Debatte.
Mit dem einen oder anderen, der an dieser Debatte teilnimmt, habe ich vorher schon einmal gesprochen und habe angekündigt bekommen,dass bei aller Lust,über die europäischen Fragen zu debattieren, die Innenpolitik nie ausbleibt. Deshalb will ich als vorletzte Bemerkung nur ganz weniges zu der aktuellen Debatte,auch zur Frage des Sparens sagen. Das ist eine Diskussion, die wir lange vor uns herschieben. Ich nehme jedenfalls für mich in Anspruch, dass das „wir“ auch mich einschließt. Ich habe keine Lust, auch nicht in meiner eigenen Partei, eine Debatte über Details zu führen, wer frühzeitig etwas gesagt oder nicht gesagt hat, denn es ist wieder die alte Diskussion. Es wird wieder so sein, dass eine Opposition im Hessischen Landtag sagt:Aber warum habt ihr nicht vor sechs Monaten, und warum habt ihr nicht vor drei Monaten …? – Das ist Ihr gutes Recht. Nur lassen Sie, wenn Sie das gemacht haben,noch drei Minuten lang Zeit,um gemeinsam darüber zu reden, was wir dann machen.
Ich schneide diese Debatte nicht ab. Ich räume Ihnen ein, dass auch ich in den letzten Jahren gelegentlich bei dem, was wir auf der nationalen Ebene und hier gemacht haben, die Hoffnung hatte, dass die wirtschaftliche Entwicklung anders kommen wird.Wenn man schon einmal bei einem Defizite von nur 10 Milliarden c im Bundeshaushalt war und jetzt pro Jahr 10 Milliarden c einsparen muss, weiß man, dass diese Hürde nicht unüberwindlich ist.Wir waren bei einer Sanierung innerhalb von vier Jahren bei einem ausgeglichenen gesamtstaatlichen Budget. Insofern konnte man durchaus davon ausgehen, dass bestimmte Entwicklungen anders verlaufen würden.
Das ist aber geschenkt.Wenn Sie sagen, das haben andere besser gewusst, dann ist das alles in Ordnung. Sagen Sie, Sie hätten bestimmte Maßnahmen nicht gemacht, ist das in Ordnung. Trotzdem: Am Ende bleibt die Debatte, ob wir es irgendwann schaffen, von dieser Diskussion wegzukommen: Weil ihr einmal etwas gemacht habt, reden wir jetzt nicht mit,um da herauszukommen.– Das ist eine Debatte, die unter uns im Parlament gilt, die für mich in meiner eigenen Partei gilt und die es an unterschiedlichen Stellen gibt.Wir haben es nur nie geschafft,aus diesem Ritual herauszukommen.
Zu diesem Ritual gehört ein zweiter Teil, nämlich der grundsätzliche Konsens, dass dies alles richtig ist, mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass der jeweils Betroffene für seinen Fachbereich nun explizit der Meinung ist, dass es beim besten Willen nicht gehe.Wenn wir nicht von beiden Ritualen ein Stück weit wegkommen – das geht nur mit ein bisschen Ramponierung dessen, der etwas vorträgt, das nehme ich auch hin, ich glaube nur, dass Sie in diesen Tagen ein Stück Mitverantwortung dafür haben,es zu machen –, kommen wir nicht an den Kern der Sache: dass wir nämlich deutlich weniger ausgeben müssen oder dass sich andere Parteien dafür entscheiden, dem Bürger durch Steuererhöhungen deutlich mehr an Freiheitsraum abzunehmen. Man kann das mit beiden Varianten machen, nur muss man sich da entscheiden.
Das ist eine völlig legitime Entscheidung. Die Entscheidung dieser Landesregierung und meine persönliche ist es, dass es ein zusätzlicher Verlust von Freiheit und damit ein zusätzlicher Verlust von Chancen für das Wachstum in
diesem Lande wäre, wenn wir glauben, wir könnten es auf dem Rücken der Bürger austragen,indem wir dauernd die Steuern und Abgaben erhöhen. Das ist nicht unser Weg.
Wer da ein anderes Konzept hat, muss den Weg dieses anderen Konzepts gehen.
Aber eines ist auch wahr: Das Parlament hat Gott sei Dank eine Schuldenbremse beschlossen.Ich gebe zu:Darüber bin ich wirklich heilfroh. Ich glaube, wir bekämen sie heute angesichts der erforderlichen Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat nicht mehr hin. Wir haben sie aber, und keiner traut sich Gott sei Dank, sie anzugreifen.
Deshalb haben wir – jedenfalls aus meiner Sicht – nur dann einen Handlungsspielraum, wenn wir uns ernsthaft mit unseren Ausgaben beschäftigen. Dabei ist es allerdings notwendig, dass wir in großer Sachlichkeit über alle Themen reden und nicht jedes Ressort sofort sagt:Bei mir geht es nicht.
Wenn Sie sich die Presseerklärungen des heutigen Tages anschauen – Sie brauchen nicht die letzten zwei Tage zu nehmen, es reicht heute –, dann lesen Sie, dass sich die Krankenversicherungen zum Thema Gesundheit äußern, dass der Bundesverkehrsminister selbstverständlich etwas zur Verkehrsinfrastruktur sagt – da ist er,soweit es um Lobbyismus geht,mit uns gar nicht unterschiedlicher Meinung –, dass der Nächste etwas zur Arbeitslosenversicherung aus der Sicht der Gewerkschaften sagt und dass sich jetzt alle selbstverständlich zum Thema Bildung äußern, weil ich mich dazu geäußert habe. Wir haben relativ schnell 90 % des Haushaltes zusammen, von dem die jeweils verantwortlichen Teile der Politik erklärt haben, dass es grober Unfug sei, wenn man das zur Disposition stelle. Das Einzige, was stimmt, ist, dass das grober Unfug ist. Auf diese Art und Weise kommen wir nämlich zu nichts.
Weil der Vorwurf kommen wird, will ich, Herr Präsident, in einer ganz kurzen Überschreitung der Redezeit sagen: Mit dieser Landesregierung und mir als Person gibt es keine Diskussion über den extrem hohen Stellenwert von Bildung.
Wir haben in einem von der Vorgängerregierung sorgfältig ausgebeinten Haushalt für die hessischen Universitäten gerade noch 950 Millionen c vorgefunden.Heute sind wir bei 1,4 Milliarden c.Wir haben damals Gesamtausgaben für die Schulen in Höhe von 1,9 Milliarden c vorgefunden. Heute sind wir bei 3,2 Milliarden c. Um es andersherum zu sagen – da beginnt die Diskussion, die wir führen müssen –:Wir hatten an unseren Universitäten im Wintersemester 2005 76.800 Studenten. Wir hatten im Wintersemester 2009 an den gleichen Universitäten 75.500 Studenten. Die Zahlen sind also in etwa gleich; es sind 1.000 Studenten weniger, aber das ist zwischen Winter- und Sommersemester nicht die entscheidende Frage. Wenn wir uns anschauen, wie viele Menschen in diesen Bereichen arbeiten,haben wir zugleich die Feststellung zu treffen, dass die Universitäten bei gleicher Zahl von Studenten mit den Haushalten dieses Landes in den Jahren von 2005 bis 2009 2.000 zusätzliche Personalstellen aufgebaut haben. Das kritisiere ich nicht, sondern stelle es nur fest.
Ich habe aber,wenn man in einer solchen Größenordnung denkt, auch festzustellen, dass es den Universitäten in diesen Jahren möglich war, 550 Millionen c an Rücklagen aufzunehmen – davon 211 Millionen c ohne jede Vorbindung für irgendein Projekt, sondern für Krisenzeiten. Wenn man sieht, was wir zwischen 2005 und 2009 in diesem Bereich getan haben, wenn man bedenkt, dass die Universitäten eine Chance hatten, gewisse Sicherheiten aufzubauen, dann darf der Satz, dass eine Reduzierung der Ausgaben um 2,2 % im kommenden Jahr möglich sein muss, weil wir in einer Krise sind, aus meiner Sicht nicht tabu sein. Das ist die Diskussion, die wir in diesen Tagen führen.
Diese Diskussion dreht sich doch nicht um eine schwierige Zahl. Es geht in der Debatte nur um die Vergangenheit. Niemand will die Grundstrukturen verändern. Wir werden weitere Lehrerinnen und Lehrer einstellen, wie wir es in der Koalitionsvereinbarung verabredet haben. Wir werden die Projekte durchführen, über die wir gesprochen haben. Das ist doch gar nicht Gegenstand der Diskussion. Wenn ich aber jetzt für die Landesregierung mit der Bundesregierung über einen Bildungspakt verhandle und nicht nur die Bildungspolitiker, sondern auch die für den Haushalt Verantwortlichen frage: „Können wir am 10. Juni wirklich unterschreiben, dass für jedes Jahr, das auf 2015 folgt, die strukturellen Ausgaben des Bundeslandes Hessen um 385 Millionen c erhöht werden?“ – das bedeutet nämlich das 13-Milliarden-c-Paket auf Hessen übersetzt –, kann das heute und hier irgendjemand einfach so entscheiden?
Ich nehme als Beispiel die Stadt Wiesbaden. Wir in Hessen haben bei der U-3-Betreuung eine führende Rolle eingenommen. Wir stehen unter den westdeutschen Flächenländern in der Geschwindigkeit der Einführung der Betreuungsplätze zusammen mit Rheinland-Pfalz ziemlich einsam an der Spitze. Wir brauchen uns da nichts nachsagen zu lassen. Nehmen wir an, dass wir die 35-%Quote erreicht haben – was noch ein Stück Arbeit ist –, nehmen wir an, es ist der 2. Januar 2013, und nehmen wir an, dass 60 % der Eltern in Wiesbaden – wie einige aufgrund der Umfragen vermuten – an diesem Tag einen Betreuungsplatz für ihre Kinder haben wollen: Glaubt allen Ernstes irgendjemand, dass die Stadt Wiesbaden das ökonomisch aushält,und ist es klug,darüber am 3.Januar eine Betroffenheitsdebatte im Parlament zu führen, oder ist es vernünftig, jetzt darüber zu reden, wie wir die nächsten Jahre so organisieren, dass wir nicht in Richtung Griechenland gehen, dass wir nicht in eine Situation kommen, in der wir den Menschen etwas Falsches vormachen, dass wir den Mut haben, ein Stück Grundlage zu schaffen, auf der wir die Finanzverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland und unseres eigenen Bundeslandes in Ordnung bringen können?
Das ist ein Teil des Beitrags, den wir leisten müssen. Um den mühen wir uns in dieser Regierung. Sie sehen, es ist kein Vergnügen, was Kollege Jörg-Uwe Hahn im Bereich der Justiz, was Doris Henzler im Kultusbereich und was die anderen Ministerinnen und Minister in ihren jeweiligen Aufgabenbereichen in den nächsten Wochen an Diskussionen zu führen haben.
Insofern bedanke ich mich sehr bei der Wissenschaftsministerin, dass sie, gemeinsam mit dem Finanzminister, einen neuen Hochschulpakt verhandeln konnte. Der steckt
voller Schwierigkeiten; das war keine angenehme Aufgabe. Er ist aber die Voraussetzung dafür, dass wir in Europa eine Chance haben, die Dinge in Zukunft so zu machen, dass nicht andere für uns bestimmen, und Voraussetzung dafür, dass wir in Europa Ansprüche an andere stellen können, um zu ermöglichen, guten Gewissens eine Währungsgemeinschaft unabhängiger Staates mit eigener Verantwortung für unsere Bürger zu organisieren. Wir machen das letzten Endes im Rahmen unserer Hausaufgaben und unserer internationalen Aufgaben nicht deshalb, weil wir ein großes ökonomisches Gesamtkonzept verwirklichen wollen, sondern wir machen das auch deshalb – daran sollten wir immer denken –, weil wir als ein Kontinent gesehen und in einer globalisierten Welt ernst genommen und respektiert werden wollen, weil wir ein Kontinent bleiben wollen, auf dem die Länder nicht gegeneinander kämpfen und wieder Emotionen gegeneinander schüren – wie man es zwischen Deutschland und Griechenland manchmal aufblitzen sah, nur weil es da Schwierigkeiten gibt. Wer nicht will, dass so etwas entsteht, der muss ein gemeinsames Europa wollen.
Ein gemeinsames Europa zu schaffen war eine der ersten Reaktionen der Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Konzentrationslagern kamen. Ein gemeinsames Europa gibt es nur, wenn es eine einheitliche Währung gibt, mit der man nicht Armeen bezahlen kann, die gegeneinander aufmarschieren. Das ist ein Teil der historischen Dimension dessen, was wir hier tun. Es geht nicht um die Frage, wer morgen früh drei Produkte mehr oder weniger verkauft, sondern es ist die Frage, in welchem Kontinent unsere Kinder leben sollen. Das ist eine Frage von Verhandlungen, von Verträgen und von Überzeugungen. Es ist aber auch die Frage, in welchem Zustand wir unser eigenes Land in dieses Europa führen. Beides muss man zusammen sehen. Beides, die Regulierung von Finanzmärkten und das Bemühen, die eigenen Dinge in Ordnung zu bringen, sind Voraussetzungen dafür, dass man diesen Weg gehen kann. Wir wollen ihn gehen, und wir werden uns deshalb im Bundesrat so verhalten, wie ich es Ihnen dargelegt habe.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist das selbstverständlichste parlamentarische Recht, Untersuchungsausschüsse einzurichten, und es ist eine Selbstverständlichkeit, dass die Landesregierung das ihr Gebührende dabei tun wird.
Ich habe mich hier zu Wort gemeldet, weil ich nach den Debatten der vergangenen Woche und nach den Vorträgen, die damit hier verbunden sind, finde, dass das Parlament zu Beginn einer solchen Untersuchung den Anspruch hat, dass es jedenfalls eine Einschätzung und eine Bewertung des Sachverhalts gibt, die nicht alles unkommentiert im Raum stehen lässt, wie das von Ihnen in der letzten Zeit und insbesondere in einem bestimmten Medium vorgetragen worden ist. Deshalb will ich sehr klar sagen:Nach allem,was ich sehe – meine Erregung ist beim Lesen von manchen Akten und Unterlagen ein bisschen gestiegen, was hier alles unterschlagen wird –, gibt es keinen Skandal. Sie haben das Recht auf einen Untersuchungsausschuss. Das dürfen Sie jederzeit. Das ist ein
Minderheitenrecht.Aber daraus zu schließen, es sei etwas Falsches in diesem Land passiert, ist nach meiner festen Überzeugung falsch. Das muss man an der Stelle auch sagen.
Ich will Ihnen einräumen, dass es keine einfache Situation in einer Behörde ist, wenn es Schwierigkeiten bei der Zusammenführung von Mitarbeitern, der Reorganisation und der Motivation gibt. Ich sage Ihnen aber auch einmal ganz offen – auch das müssen die Beteiligten sehen –: Mir scheint es, dass Sie da einige Mitarbeiter haben, die bei aller Motivation und Leidenschaft, die man für seinen Beruf mitbringt, irgendwann die Bodenhaftung verloren haben und einer normalen Loyalität als Beamter nicht mehr fähig sein wollten oder nicht mehr fähig sein konnten. Nicht alles, was zur Illoyalität von Beamten und zum Nichtbefolgen von Anweisungen führt, ist ein gerechter Kampf gegen das System, sondern manches auch schlicht die nicht ordnungsgemäße Abarbeitung der Aufgaben,die man hat.
Es gibt in der Frage nicht nur eine Dimension. Was mich besonders fasziniert – das wissen Sie –: Durch intensivste parlamentarische Beratung gibt es alle relevanten Informationen über diesen Fall. Es gibt eigentlich kaum einen Fall – ich bin ein paar Jahre dabei –, in dem alles so auf dem Tisch lag wie hier und man es dann bewerten konnte. Mann kann es immer unterschiedlich bewerten. Aber zu behaupten, man wisse etwas nicht, ist höchst ungewöhnlich. Es gibt aus meiner Sicht – das müssen Sie sich schon gefallen lassen – eine Opposition, die nach einigen Wochen die Souveränität verloren hat, einen Sachverhalt so zu beurteilen, wie sie ihn früher gesehen hat, nur weil ein Presseorgan Ihnen jeden Tag einen Artikel geschrieben hat.Das ist auch eine der Tatsachen,warum wir das haben.
In der Kürze der Zeit – denn ich will die Redezeiten des Parlaments nicht verlängern – einige wenige Feststellungen. Die erste Feststellung ist: Wir haben mehrere Komplexe, über die Sie diskutieren.
Der erste Komplex ist die Veränderung von Dienstanweisungen bei der Behandlung von Steuervergehen. Über diese Frage hat es hier einen langen Untersuchungsausschuss gegeben. Dieser Untersuchungsausschuss hat alle Sachverhalte ausführlich betrachtet. In diesem Untersuchungsausschuss ist deutlich geworden, dass es eine sachgerechte, auch von anderen Bundesländern in vergleichbarer Weise durchgeführte Verwaltungsanordnung war. Aber – nur das sage ich heute –: Es war so, dass dieser Untersuchungsausschuss, der das Ziel hatte, diesen Finanzminister anzugreifen, am Ende so wenig von seinen Ermittlungsergebnissen beeindruckt war, dass er es nicht einmal mehr für nötig gehalten oder nicht mehr den Mut hatte, den Finanzminister überhaupt als Zeugen zu laden. Das ist ein Hinweis darauf:In diesem ersten Komplex gibt es nichts zu ermitteln.Aber in diesem ersten Komplex gibt es auch nichts vorzuwerfen. Sonst wäre die Debatte anders gelaufen.
Dann gibt es einen zweiten Komplex: die Umorganisation der hessischen Finanzverwaltung, mit der Beamte in andere Abteilungen versetzt worden sind. Damit waren
nicht alle einverstanden – da sind Finanzämter aufgelöst worden, da sind Abteilungen aufgelöst worden, und da sind für ganz Hessen Zuständigkeiten neu geschnitten worden. Damit waren einige Mitarbeiter nicht einverstanden, was legitim ist.
Sie unterstellen aber, sie seien hinterrücks – entgegen ihren Rechte – irgendwohin versetzt worden. Ich sage Ihnen: Diese Mitarbeiter haben – jedenfalls einige von ihnen – gegen diese Versetzungen geklagt, und es ist vom Verwaltungsgericht beschieden worden, dass diese Versetzungen rechtsmäßig waren, und sie haben dagegen keine weiteren Rechtsmittel eingelegt. Es bleibt nun einmal dabei: Wenn die Verwaltung ihr Ermessen ausübt, Mitarbeiter einzusetzen, kann dies gerichtlich überprüft werden. Das gibt es in Deutschland Gott sei Dank. Herr van Ooyen, Sie mit Ihren unverschämten Sprüchen über diesen Staat, das gibt es in all den Staaten, die Sie immer zum Vergleich heranziehen wollen, um uns zu beleidigen, eben nicht. Das sind Staaten, mit denen Sie früher sehr gute Kontakte gehabt haben und niemand anders hier.
Ich will in diesem Zusammenhang auch sagen: Es ist nicht nur gerichtlich überprüft worden, es gibt da nicht nur einen Anspruch – auch der staatlichen Institutionen –, dass Mitarbeiter dem folgen, sondern– das sage ich an die Adresse der Sozialdemokraten gerichtet – Sie haben sich doch auch deshalb so lange zurückgehalten, weil Sie genau wussten, dass dies kein Vorgang auf der politischen Ebene ist, sondern dass es eine Frage ist, die Beamte zu verantworten und zu entscheiden haben, in allen Hierarchiestufen. Sie wissen ganz genau, dass der heutige Präsident der Oberfinanzdirektion, der zuvor der Personalund Zentralabteilungsleiter des hessischen Finanzministers war, keiner ist, der dieses Amt aufgrund einer politischen Entscheidung übernommen hat, sondern dass er unter Regierungen, die von diesen beiden Seiten geführt worden sind, das Vertrauen für das gesamte Personal der hessischen Finanzverwaltung übertragen bekommen hat. Dem haben Sie durchaus auch lange einigermaßen schweigend zugeschaut.Nur,als Sie die Zeitungen gelesen haben, meinten Sie irgendwann, es sei so schön, auf Herrn Weimar herumzutrampeln, sodass Sie all Ihre eigenen Erfahrungen und Kenntnisse von Loyalität und Beamtentreue vergessen haben; und diese Leute ziehen Sie nun mit durch den Dreck, nur damit dazu ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wird.Das ist nicht in Ordnung,meine Damen und Herren.
Dann kommt der dritte Komplex: die Dienstunfähigkeit.
Auch in diesem Zusammenhang muss man sagen, sonst kann man die Entscheidungen gar nicht verstehen:
Wir haben vier Mitarbeiter, die ich jetzt nicht namentlich benenne, obwohl dies auch überall geschieht. Wir haben eine Mitarbeiterin/einen Mitarbeiter A, die/der vor der Ruhestandsversetzung vom Juli 2006 bis zum Ruhestandsversetzungsbescheid am 23.03.2009 dienstunfähig erkrankt war.
Die Mitarbeiterin/der Mitarbeiter B war im Jahre 2004 an 47 Tagen erkrankt, seit dem 17.01.2005 bis zur Ruhestandsversetzung durch den Bescheid vom 29.01.2007 ununterbrochen.
Im Falle des weiteren Mitarbeiters geht es im Jahr 2004 um 61 Tage, vom 17.01.2005 – das ist dasselbe Datum wie zuvor genannt – ununterbrochen bis zur Ruhestandsversetzung ebenfalls mit Bescheid vom 29.01.2007.
Die vierte Mitarbeiterin/der vierte Mitarbeiter ist in diesem Zusammenhang nach einer Krankheit vom 16.08.2004 bis zum Bescheid vom 19.12.2006 in den Ruhestand versetzt worden.
Wer bei diesen Vorwürfen in das Gesetz schaut, weiß, dass eine Ruhestandsversetzung allein mit dem Zeitablauf möglich gewesen wäre, und zwar ohne weitere Prüfung. § 51 des Gesetzes sagt nämlich: Wenn es mehr als sechs Monate lang dauerhaft ist und ich nicht erwarten kann, dass er in den nächsten drei Monaten zurückkommt, was man nach 24 Monaten erwarten darf, dann ist eine Ruhestandsversetzung möglich,und nur im Zweifel sind Untersuchungen vorzunehmen. Diese Behörde hat dies nicht gemacht, sondern sie hat – –
Herr Kollege Schmitt,passen Sie einmal auf.– Diese Behörde hat von Anfang an erklärt, dass sie das in eine amtsärztliche Untersuchung führt. Diese amtsärztliche Untersuchung ist durchgeführt worden. Wir haben die Berufsentscheidung, und wir wissen, dass die Begründung, die der Arzt gegeben hat, nach den berufsständischen Regeln nicht ausreicht. Wir haben keine Entscheidung – auch wenn das immer unterschlagen wird –, dass diese Entscheidung falsch war. Das bleibt völlig offen.
Wir haben aber eines:
Herr Abg. Görig, wir haben die Entscheidung, die dort nach dem Verfahren getroffen wurde, natürlich zuerst den Mitarbeitern vorgelegt – die müssen nämlich angehört werden –, und die hätten dieser Entscheidung widersprechen können.
Wir haben die Verfügung anschließend zugestellt, und die Mitarbeiter hätten dagegen Klage erheben können. Eines steht fest: Jedenfalls diese Mitarbeiter sind im Erheben von Dienstaufsichtsbeschwerden und Klagenv erfahren. Sie haben das an anderer Stelle auch gemacht.Wenn sie es an dieser Stelle nicht gemacht haben,
muss doch wenigstens der Hinweis erlaubt sein, dass die lange Krankheit offensichtlich auch die Mitarbeiter zur damaligen Erkenntnis gebracht hat, dass sie in dieser Weise nicht weiterhin im öffentlichen Dienst beschäftigt werden sollten. Das heißt:Wir haben korrekte Anweisungen an Mitarbeiter gerichtet, die nicht alle befolgen wollten.Wir haben eine Umorganisation gehabt, aufgrund derer in vielen Finanzämtern Mitarbeiter an andere Stand
orte und in andere Bereiche versetzt worden sind. Es gibt niemanden, der das Privileg hat, immer Steuerfahnder zu sein und sich nicht auch um Körperschaft- oder Einkommensteuer kümmern zu müssen.
Wir haben nach jahrelanger Krankheit ein pflichtgemäßes Ruhestandsversetzungsverfahren, bei dem diese Mitarbeiter keine der Möglichkeiten genutzt haben, zu sagen: Wir wollen weiter arbeiten.
Das ist die Bilanz, mit der man zunächst einmal herangehen muss. Diese kann man dann durch die Tatsache ergänzen, dass der Finanzminister – nach der Diskussion und nach der Entscheidung des Gerichts in der Frage der berufsständischen Ordnung – die Entscheidung getroffen hat, diesen Mitarbeitern anzubieten, nach einer erneuten Untersuchung – das ist nun mal die Voraussetzung, um wieder in den Beamtendienst zurückzukommen – möglicherweise in einem anderen Bundesland, wenn sie das wünschen, ein Privileg, das wir noch nie einem Mitarbeiter eingeräumt haben, mit einem neutralen Ombudsmann zurückzukehren, damit sozusagen mögliche Vorwürfe beachtet werden können, weil wir die öffentliche Diskussion repräsentieren. Das haben wir auch noch nie an irgendeiner anderen Stelle gemacht. Unter all diesen Bedingungen haben diese Mitarbeiter aber erklärt: Wenn wir als Staat nicht garantierten, dass sie genau denselben Job machen, den sie aus ihrer Sicht vorher so besonders gut gemacht haben, dass sie glauben, im Gegensatz zu allen anderen Beamten dieses Landes einen Anspruch auf genau diesen Arbeitsplatz zu haben, kämen sie erst gar nicht zur Untersuchung, um wieder eingestellt zu werden. Das ist bis zum heutigen Tag die Situation.
Jetzt hat Herr Kollege Kaufmann noch dafür gesorgt, ärgerlicherweise, wie ich sage, dass die angedrohte Schadensersatzklage – ich habe mir dies angesichts der Tatsache,dass sie gegen die Ruhestandsversetzung nicht einmal Einspruch eingelegt haben, mit großem Interesse angeschaut, damit wir in der Sache endlich einmal ein Urteil gehabt hätten – offensichtlich auch nicht gemacht wird, weil es Ihnen nicht gepasst hat, dass das Urteil möglicherweise schon während des Untersuchungsausschusses gekommen wäre.
Die langjährige Vorsitzende des Gesamtpersonalrats bei der Oberfinanzdirektion, Frau Kastell-Monecke – sie war dort während der gesamten Situation, immerhin von 1986 bis zum Jahre 2005,Vorsitzende des Gesamtpersonalrats –, hat dazu einen offenen Brief geschrieben.
Das ist schon einmal gut, wenn Sie den kennen, aber ich möchte, dass er im Protokoll des Hessischen Landtags ist. Deshalb lese ich ihn jetzt vor, und zwar in einem durchaus längeren Teil.
Der eigentliche Sachverhalt ist
so schreibt sie –
leicht erzählt. Beamte werden rechtmäßig umgesetzt und sind damit nicht einverstanden. Da sie keine Möglichkeit sehen, sich hiergegen mit juristischen Mitteln erfolgreich zu wehren, melden sie sich krank und gehen vielleicht über Jahre bei vol
ler Bezahlung spazieren. Die Verwaltung schickt sie – wie vorgesehen – zum Versorgungsamt, und sie werden von dort auf Basis ihrer eigenen Krankmeldungen für dienstunfähig befunden. Die entsprechenden Bescheide lassen sie allesamt bestandskräftig werden. Kaum in Pension, beginnen sie einen Feldzug gegen ihren Dienstherrn. Sie versuchen ihrer Pensionierung, die sie billigend in Kauf genommen haben, eine politische Dimension zu geben. Die Amtsverfügung (des Vorstehers!), die im Amt für Streit und mancherlei Querelen gesorgt hatte,sollte nun angeblich dazu dienen,die Reichen und Mitglieder der CDU zu schonen.
Die bis dahin völlig unauffälligen vier Durchschnittsbeamten stilisieren sich jetzt selbst zu „Spitzenfahndern“ hoch, die man von den großen Bankenfällen abgezogen hat.Was für eine Geschichte.
Jetzt haben wir eine richtig böse Geschichte, die kein anständiger Mensch mehr tolerieren kann.Die durch Zitate hergestellte bewusste perfide Bezugnahme auf die Vergangenheit ist eine verleumderische Hetze übelster Art, die alle Mitarbeiter der hessischen Finanzämter diffamiert und der gesamten Finanzverwaltung ihre demokratische Legitimation zu entziehen versucht.
Die Mitarbeiter der Finanzämter
ich zitiere noch –
sind keine willenlosen Duckmäuser in einem totalitären System, die rechtswidrige Anweisungen ausführen oder Menschen geplant zerstören.
Meine Damen und Herren, dies ist auch die Auffassung der Hessischen Landesregierung. Meine Auffassung ist, dass dieser Finanzminister es nicht verdient hat, in einer solchen Weise von Ihnen durch den Schmutz gezogen zu werden – wegen billiger, kurzfristiger Erfolge. Deshalb sehe ich dem Ausschuss gelassen entgegen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Herr Abg. Schäfer-Gümbel in der Suche nach Motiven vermutet, es sei darum gegangen, ein Thema in die prominente öffentliche Wahrnehmung zu bringen, dann will ich mich zunächst dafür bedanken, dass Sie dieses Thema zum Setzpunkt am Mittwochmorgen gemacht haben.
Ich bin für die Mitarbeit der Opposition gelegentlich dankbar.
Herr Kollege Rudolph, ich glaube, dass Sie recht hatten, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen – jenseits der Polemik,die damit verbunden ist und die auch Sie hier betreiben. Wenn man die Debatte in den letzten zehn Tagen verfolgt hat, sieht man, dass wir allen Anlass haben, sehr ruhig und nüchtern darüber zu diskutieren, wie die Arbeitsmarktpolitik in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt aussieht. Da gibt es eine ganze Menge, worauf wir stolz sein sollten – ausgenommen die Linkspartei –, aber es gibt eben auch Dinge, die nach wie vor kritisch sind und die man hinterfragen muss.
Deshalb führen wir eine öffentliche Debatte über das,was sich hinter Hartz IV an neu strukturierter Arbeitslosenund Sozialhilfe in Deutschland verbirgt. Das wird von Ihnen und vor allem von der Linkspartei oft als eine „Absenkung des Sozialstandards“ diffamiert. Dabei ist aufgrund der geltenden Gesetze mehr Geld in die Unterstützung von Menschen geflossen, die arbeitslos – auch langfristig arbeitslos – sind, als es jemals in der Geschichte unseres Landes der Fall war. Das ist eben ein Teil des politischen Bestands, wo wir aufpassen müssen, dass wir uns nicht ständig in eine Position reden, in der alle glauben,
hier werde per Gesetz ein sozialer Notstand herbeigeführt – obwohl erwiesen ist, dass der Steuerzahler, der jeden Cent dieser Unterstützung bezahlen muss, mehr in diese Form der Hilfe investiert, als er bei einer anderen Gesetzeslage jemals investiert hat.
Wenn das aber so ist, dann haben wir die Verpflichtung, über den Anlass zur Hilfe zu sprechen. Dann besteht gleichzeitig die Verpflichtung, darüber zu sprechen, ob es in ausreichendem und notwendigem Umfang gelingt, das zu erreichen, was wir als Ziel haben. Da wird es nicht nur eine Antwort geben – auch wenn es bequemer ist, aus einem Interview nur einen Teil zu zitieren, auch wenn Journalisten wie die der „Wirtschaftswoche“ das Interview für zu wenig spektakulär hielten und deshalb eine Überschrift gewählt haben, die ich so nie formuliert habe und die ich auch nicht freigeben würde.
Die Fragestellung, die dahinter steht, ob es denn so ist, dass alles Geld dort ankommt und ob die Effekte so sind, wie wir das haben wollen, kann man doch nicht zur Seite räumen. Man muss doch zur Kenntnis nehmen, dass wir mit unserer Gesetzgebung in den letzten Jahren außerordentlich beachtliche Erfolge im Bereich kurzfristiger Arbeitslosigkeit erzielt haben. Die Bundesagentur ist in diesen Fragen inzwischen sehr gut. Das war sie nicht immer. Das kann man durchaus zur Kenntnis nehmen. Man kann auch sagen,in den letzten vier Jahren – das war unter RotGrün nicht immer so, das lassen wir aber als Anfangsschwierigkeiten so stehen – waren viele der neuen Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und nicht Teilzeit- oder Minijobs, wie es in den Jahren 2003, 2004 und 2005 der Fall war.Aber wir arbeiten jetzt daran, dass es so wird.
Gleichzeitig sehen wir, dass es bei den Langzeitarbeitslosen keine vergleichbare Entwicklung gibt. Also muss uns gemeinschaftlich – auf beiden Seiten – die Frage umtreiben:Was kann da sein?
Ich habe gesagt – und bleibe dabei –, dass es unter den Langzeitarbeitslosen ersichtlich verschiedene Gruppen gibt. Das sind – wenn man die Statistik insgesamt zugrunde legt – rund 4,9 Millionen Menschen.Wenn man bei denen wiederum darauf schaut, wer sich in einer Beschäftigungsmaßnahme befindet und wer Aufstocker ist – dazu sage ich gleich noch etwas –, wer also nicht Vollzeit arbeitslos ist, stellt man fest: Wir reden noch über etwas mehr als 2 Millionen Menschen – vielleicht 2,3 Millionen –, die sehr unterschiedliche Schicksale und Karrieren haben, Menschen, die in der Tat zum Teil daran verzweifelt sind, dass sie kein Arbeitsangebot bekommen.
Bei einer nennenswerten Gruppe davon handelt es sich um junge Frauen, die alleinerziehend sind. Über diese Frauen habe ich in dem Interview gesagt – das haben Sie selbstverständlich nicht zitiert; das würde Ihr Redemanuskript zerstören –, dass die Hilfe, die wir ihnen angedeihen lassen, aus meiner Sicht ungenügend ist.
Herr Bocklet, ich muss zugeben, ich kann mich mit Ihnen in dieser Sache besser auseinandersetzen als mit Herrn Schäfer-Gümbel; denn Sie haben etwas dazu gesagt.Wir sind nicht in allem einer Meinung;aber es ist eine Position, über die sich streiten lässt.
Ich sage Ihnen nur: Wenn Sie daraus zitieren, sagen Sie bitte auch, dass Hessen in den letzten vier Jahren das Bundesland unter den westlichen Flächenländern – mit anderen kann man das nicht vergleichen – mit dem größten Anstieg bei den Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren war.
Ja, wir tun gemeinsam mit den Kommunen etwas dafür, um das zu entwickeln. Das passt.
Ich füge nur eines hinzu – darüber müssen wir in der Sache diskutieren; die Debatte kennt hier jeder seit den Jahren 2001/2002 –: Ich akzeptiere auf Dauer nicht, dass die Auskunft der Arbeitsvermittlung, es gebe kein Betreuungsangebot in einer kommunalen Krippe,nicht zur Folge hat, dass man für das Kind der betreffenden Frau ein individuelles Betreuungsangebot organisiert, damit sie arbeiten kann.Das gilt sogar für den Fall,dass die Kosten ihr Arbeitseinkommen übersteigen; denn das bedeutet, dass sie die nächsten ein oder zwei Jahre im Arbeitsmarkt integriert bleibt.Wenn man dagegen sagt: „Wir warten darauf, dass es ein Angebot in einer Krabbelstube gibt“, führt das möglicherweise dazu, dass sie lebenslang nicht mehr in den Arbeitsmarkt hineinkommt.
Es ist preiswerter, viel Geld zu bezahlen, um zu helfen. Aber die bürokratischen Regeln der Bundesagentur erlauben das nicht, und der Bund zahlt unseren Kommunen nicht das notwendige Geld, wenn sie freihändig Integrationsmaßnahmen entwickeln. Darüber muss man reden und streiten. Das ist einer der Punkte, und ich will, dass wir in den Gesetzgebungsverfahren, die zurzeit laufen, auch darüber reden.
Herr Schäfer-Gümbel, da Sie das gefordert haben, sage ich noch einmal ganz klar:Wir, die Landesregierung, prüfen im Augeblick sehr genau, ob es, bei zwei Bescheiden und gespaltenen Behörden, überhaupt eine theoretisch Möglichkeit gibt, diese Aufgabe zu erfüllen, gerade wenn es um Menschen in einer Situation geht, in der das Arbeitsentgelt einerseits und das Betreuungsangebot andererseits eine Rolle spielen. Ich verhehle Ihnen nicht, ich bin nach der Vorlage dieses Gesetzes und nach allem anderen, was ich bisher gesehen habe, außerordentlich skeptisch.
Jörg-Uwe Hahn hat im Bundesrat bereits darüber gesprochen.Vielleicht war mancher ein bisschen erstaunt, als wir beide gesagt haben, wir glauben nicht, dass die Arbeitsvermittlung ohne einen einheitlichen Bescheid eine vernünftige Zukunft hat. Darüber brauchen wir gar nicht zu streiten. Das betrifft z. B. solche Fragestellungen.
Aber wenn man das sagt, hat man auch das Recht und die Pflicht, über den anderen Teil zu reden. Es gibt nämlich beide Seiten. Leider Gottes gibt es im Rahmen der Gesetzgebung auch eine Debatte darüber, welche Anreize funktionieren bzw. wo sie funktionieren und wo nicht.
Es ist ein Teil der Wahrheit, dass sich jeder Mensch, der Arbeit sucht – Sie,ich,wer auch immer –,in Bezug auf den Arbeitseinsatz und das, was er dafür zurückbekommt, überlegt, ob die Relation von Arbeit und Entgelt angemessen ist. Das heißt, jede Entscheidung der Bundesagentur und jede Entscheidung des Gesetzgebers, ob es nun um Zuverdienstmöglichkeiten, Anrechnungsquoten
oder die Höhe des Arbeitsentgelts geht, haben am Ende einen Einfluss auf die Beschäftigungsquote.
Das Menschenbild, das wir hatten, war vielleicht zu positiv. Es war zu optimistisch, anzunehmen, dass die Menschen das System nur in Anspruch nehmen, wenn sie es wirklich brauchen. – Das ist kein hetzerischer Satz irgendeines CDU-Politikers, sondern die Analyse von Peter Struck im Hinblick auf die Frage, was wir mit dem Gesetz machen.
Genau um diese Frage geht es. Wer mit Fallmanagern spricht, weiß doch, wie unterschiedlich die Fragen sind. Wenn ich mich in einer bestimmten südhessischen Großstadt umschaue – so viele gibt es da nicht –, stelle ich fest, dass es dort eine geringere Sanktionsquote gibt als woanders. Die haben dort z. B. entschieden, dass es kein sanktionswürdiger Tatbestand ist, Ein-Euro-Jobs nicht anzunehmen. Das deckt sich nicht unbedingt mit dem, was im Gesetz steht. Aber man kann in einem statistischen Vergleich mit dem Nachbarkreis nachweisen, dass dies unmittelbare Folgen dafür hat, wie das System funktioniert.
Wiesbaden, unsere Landeshauptstadt, hat eine Sanktionsquote von 4,5 %. Sie weist auch andere Zahlen auf, was die Beschäftigungsmöglichkeiten betrifft. Damit erzielt sie bessere Effekte bei der Eingliederung von Langzeitarbeitslosen als andere Städte. Die Stadt Wiesbaden hatte als einzige den Mut, sich zur Optionskommune zu erklären und diese Rechte selbst wahrzunehmen.
Aber jetzt kann man doch nicht sagen: „Das interessiert mich nicht“, sondern man muss sich Folgendes vor Augen halten.Wenn es denn so ist, dass die Verpflichtung zur Arbeit Gegenstand der Hartz-IV-Gesetze ist, was folgt daraus? Dieser ganze Wirbel ist mit dem Begriff „künstliche Aufregung“ kaum mehr zu beschreiben. Ja, der Grundsatz, dass der, der vom Staat eine Leistung erhält, verpflichtet werden kann, eine Gegenleistung zu erbringen, ist Gegenstand des von Ihnen mit beschlossenen Gesetzes. Die Frage ist:Wer entzieht sich dem ohne angemessenen Grund,und wie lange schaut man zu,dass sich jemand dem entzieht?
Wissen Sie, an dieser Stelle wird es wieder sehr praktisch. Herr Bocklet, ich lasse mich darauf ein, hier darüber zu diskutieren. Ich persönlich glaube – auch dafür ist die Stadt, in der wir uns gerade befinden, ein ganz gutes Beispiel –, dass die gemeinnützige Beschäftigung ein Instrument ist, mit dem man darauf hinweisen kann, dass es die Verwaltung nicht toleriert, dass in Zeiten des Übergangs, aus welchen Gründen auch immer, eine totale Beschäftigungslosigkeit mit der Folge der Entrhythmisierung und allen anderen Folgen, über die wir in jedem der Berichte lesen, eintritt. Das ist aus meiner Sicht legitim.
Man stellt sich die Frage: Ist sie dazu in der Lage? Dafür braucht man nicht jahrelang Jobs aufzubauen. Deshalb haben wir in Hessen gemeinsam mit den niederländischen Experten und unseren Optionskommunen das Konzept der Werkakademie übernommen. Das funktioniert gerade andersherum.
Wir sprechen nicht über Jahre.Wenn eine solche Situation eintritt, wollen wir acht Wochen lang täglich, kontinuierlich Präsenz, Arbeit und Diskussion sehen. Dabei geht es nicht um irgendeine Beschäftigung, sondern darum, zu trainieren, wie man einen Job bekommt, und darum, dass ein PC aufgestellt wird, dass eben ein solches Training an
geboten wird und dass andere Möglichkeiten gewählt werden können. In diesem Konzept heißt es noch nicht einmal, der Betreffende muss von morgens bis abends arbeiten. Er oder sie muss jeden Tag vier Stunden anwesend sein, und er oder sie kann selbst auswählen, zu welcher Zeit das stattfinden soll.
Darum geht es bei dem Konzept der Werkakademie, das wir jetzt im Main-Taunus-Kreis, im Kreis Bergstraße, in Marburg, im Rheingau-Taunus-Kreis, in Offenbach, im Landkreis Hersfeld-Rotenburg, im Vogelsbergkreis, im Odenwaldkreis und in Fulda ausprobiert haben. Das heißt, wir wissen inzwischen einiges. Wir wissen, dass wir an zwei Elementen arbeiten müssen. Das eine Element ist: Wir haben eine Integrationsquote – wie es auf Neudeutsch heißt; das ist die Rückführung in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis – von fast 50 %. Das ist die positive Seite.
Wir haben aber auch 10 bis 15 % – das ist zwischen den Landkreisen unterschiedlich –, die schon, nachdem sie den Hinweis erhalten haben, sie müssten zwei Monate lang täglich für vier Stunden kommen, lieber nicht daran teilnehmen. Sie melden sich krank, ziehen den Antrag zurück oder gehen sonst irgendwie in Deckung. Das ist ein Punkt, mit dem man sich ebenso sehr beschäftigen muss, wie man sich über die fast 50-prozentige Erfolgsquote freuen darf. Nur wenn man beides macht, kommt man zu einem vernünftigen Ergebnis und setzt eine Entwicklung in Gang.
Ich bedanke mich für den Hinweis. Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung machen. – Die Debatte über den Zusammenhang zwischen Mindestlohnaufstockern und Arbeitsanreizen hat teilweise skurrile Züge.
Sehr verehrte Frau Schott, Sie haben hier darüber gesprochen, wie Sie Arbeitsverhältnisse aufgespalten haben – völlig ordnungsgemäß, möglicherweise gesetzlich; darum geht es mir gar nicht –, statt ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitverhältnis zu schaffen, was Sie als Abgeordnete, wie ich Ihnen sagen kann, hätten machen dürfen.
Damit erreicht man Ende,dass von den 1,3 Millionen Aufstockern nur 300.000 volle sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse haben, während 1 Million genau mit solchen Arbeitsverhältnisstrukturen auskommen, weil sie die Anrechnungsquote ausnutzen, aber in dem System statistisch dann nur 3 oder 4 c Durchschnittslohn bekommen.