Franz Schindler
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Last Statements
Sehr geehrte Frau Präsiden tin, meine Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass Einverständnis damit besteht, dass ich nach zehn Minuten hier nicht weggehe, sondern gleich den weiteren Bericht anschließe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, als wir im Frühjahr des letzten Jahres an kündigten und dann im Juli beschlossen haben, im Bayerischen Landtag einen eigenen Untersuchungs ausschuss zum Thema NSU-Morde einzusetzen, ist gelegentlich gefragt worden, was das denn soll, da es doch im Bundestag und in Thüringen und Sachsen bereits Untersuchungsausschüsse gebe und im Übri gen die mutmaßlichen Täter nicht aus Bayern stamm ten; zwar seien fünf der zehn Morde in Bayern verübt worden, doch habe man alles zur Aufklärung Mögli che getan, und es handle sich um ein Problem Thürin gens und der dortigen Sicherheitsbehörden, nicht aber um ein Problem Bayerns. Diese Frage höre ich seit Längerem nicht mehr, weil nicht nur durch die Ar beit unseres Untersuchungsausschusses, sondern auch durch die Erkenntnisse, die in Thüringen und in Berlin gewonnen worden sind, deutlich geworden ist, dass es eben auch ein bayerisches Problem war.
Wir haben im abgelaufenen Jahr Hunderte von Akten und Dateien gelesen, 55 Zeugen in öffentlichen und nichtöffentlichen, zum Teil sogar in geheimen Sitzun gen befragt, Sachverständige angehört, Gespräche mit Angehörigen der Opfer und Vertretern des Gene ralbundesanwalts sowie den Mitgliedern der BundLänder-Kommission "Rechtsextremismus" geführt und versucht, Antworten auf die fast 400 Einzelfragen des Untersuchungsauftrags zu erhalten.
Das Besondere daran war, dass wir nicht alleine tätig waren, sondern die anderen Untersuchungsausschüs se, eine Vielzahl von Journalisten und schließlich auch der Generalbundesanwalt und das Oberlandes gericht München parallel den gleichen Fragen nach gegangen sind. Fast jeden Tag sind neue Informatio nen hinzugekommen.
Die Erwartungen waren zum Teil hoch; wir konnten sie nicht vollständig erfüllen. Es war uns nicht mög lich, die Rolle jedes einzelnen Rechtsextremisten in den letzten fast 20 Jahren in Bayern nachzuzeichnen. Wir haben auch nicht alle V-Leute identifizieren kön nen, was einige erwartet haben. Auch manche Erwar tungen von Angehörigen der Opfer konnten wir nicht erfüllen, weil die Sichtweisen, ob sich die ermittelnden Polizeibeamten im Umgang mit den Opfern korrekt verhalten haben oder nicht, sehr weit auseinanderge gangen sind und eine Aufklärung nur möglich gewe sen wäre, wenn wir alle Angehörigen als Zeugen ver nommen hätten.
Problematisch und schwer handhabbar war, dass eine Vielzahl von Akten als VS-vertraulich oder VSgeheim eingestuft war und zum Teil noch ist. Wenn als geheim eingestufte Akten zusätzlich auch noch geschwärzt werden, wie es bei Akten des Polizeiprä sidiums München im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Döner-Standes der Fall war, in denen nicht nur die Namen einzelner Personen, sondern ganze Pas sagen geschwärzt worden sind, dann stellt sich schon die Grundsatzfrage, ob die Exekutive, in diesem Fall das Innenministerium, Abgeordneten des Bayerischen Landtags Informationen zur Untersuchung und Beur teilung des Untersuchungsgegenstandes vorenthalten darf.
Ich glaube, das darf es nicht, meine Damen und Her ren. Ich kann mir die Vorgehensweise des Ministeri ums nur so erklären, dass den Abgeordneten grund sätzlich misstraut wird und dass es sich selbst etwas überschätzt.
Auf diese Akten ist es bei der Beurteilung des Sach verhalts nicht entscheidend angekommen. Ich hoffe, dass die Grundsatzfrage unabhängig von dem kon kreten Vorgang dennoch baldmöglichst geklärt wird.
Meine Damen und Herren, angesichts der Komplexi tät der Aufgabenstellung haben wir nur ein paar Mo saiksteinchen zum Gesamtbild beitragen können. Wir wollen nicht für uns beanspruchen, auf alle Fragen unumstößliche, endgültige Antworten geben zu kön nen. So musste zum Beispiel aus Zeitgründen offen bleiben, was es mit der Aussage eines Zeugen auf sich hat, dass die BAO Bosporus bereits im Jahr 2007 und nicht erst im November 2011 Kenntnis von der Existenz des NSU hatte, und ob der Brandanschlag von 1999 in Nürnberg dem NSU zuzurechnen ist.
Auch wenn der vorliegende, noch nicht korrigierte Be richt als Schlussbericht bezeichnet wird, kann es sich
nur um einen Zwischenbericht handeln. Der Komplex wird erst durch die Zusammenschau aller Abschluss berichte und nach Abschluss des Strafverfahrens vor dem OLG München als aufgeklärt bezeichnet werden können. Es kann sein – ich habe das schon mehrfach gesagt –, dass sich wegen neuer Erkenntnisse die Notwendigkeit ergibt, in der neuen Periode des Land tags einen weiteren Untersuchungsausschuss einzu setzen.
Meine Damen und Herren, unsere Aufgabe war es vor allem, uns ein Bild über die rechtsextremistischen Strukturen und Aktivitäten in Bayern seit dem Jahr 1994 und die Einschätzung der Gefahren des Rechtsextremismus zu verschaffen und zu klären, aus welchen Gründen es bayerischen Sicherheitsbehör den nicht gelungen ist, die mutmaßlichen Täter zu er mitteln. Natürlich sind wir uns dessen bewusst, dass es leicht ist, die Vorgänge ab dem willkürlich gegriffe nen Jahr 1994 im Nachhinein und mit dem Kenntnis stand von heute zu beurteilen. Die Schwierigkeit be stand darin, zu untersuchen, welcher Kenntnisstand damals aus welchen Gründen vorhanden war und ob auf der Grundlage des damaligen Kenntnisstandes Fehler gemacht und falsche Schlüsse gezogen wor den sind, die zu dem Misserfolg geführt haben.
Bei aller Kritik an Fehleinschätzungen des Verfas sungsschutzes – ich werde dazu später noch etwas sagen – und falschen Weichenstellungen bei der Poli zei und auch der Staatsanwaltschaft von Anfang an wäre es unangemessen, den einzelnen Beamten, von denen viele sehr engagiert gearbeitet haben, persönli che Vorwürfe zu machen. Wichtiger war es, die struk turellen Ursachen für Fehlentscheidungen und letzt lich das Versagen zu identifizieren und daraus Konsequenzen zu ziehen. Darum haben wir uns be müht.
Ich möchte an dieser Stelle allen, die in diesem Jahr mitgeholfen haben, dem Untersuchungsauftrag ge recht zu werden, herzlich danken. Mein Dank gilt ins besondere den Mitarbeiterinnen des Justiziariats, den Mitarbeitern der Fraktionen, den Vertretern der Staatsregierung in den Sitzungen, der Präsidentin für ihre Fürsorge, wenn es wieder einmal eine Sondersit zung gab, die bis in die Nacht hinein gedauert hat, sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ste nografischen Dienstes, die wir nicht nur einmal bis zur Kapazitätsgrenze beansprucht haben, sowie selbst verständlich auch den sonstigen Helfern, insbesonde re auch den Offizianten. Selbstverständlich danke ich auch den Vertretern von Presse, Funk und Fernse hen, die auch langwierige Sitzungen geduldig verfolgt, während der vielen nichtöffentlichen Sitzungen vor
der Türe ausgeharrt und regelmäßig ausführlich und fair über die Sitzungen des Ausschusses berichtet haben.
Als Vorsitzender möchte ich mich an dieser Stelle auch ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen für die überwiegend konstruktive und trotz der Unterschiede in der politischen Bewertung vertrauensvolle Zusammenarbeit bedanken. Der Be deutung des Themas ist es angemessen, meine ich, dass auf parteipolitische Spielchen weitgehend ver zichtet worden ist, dass der Sachverhalt und ein gro ßer Teil der Bewertungen von allen Mitgliedern des Untersuchungsausschusses getragen werden und dass darüber hinausgehende Wertungen und Forde rungen nach Konsequenzen in den Abschlussbericht integriert worden sind und nicht nur, wie es bisher als Zeichen der Abgrenzung und Ausgrenzung üblich war, als Annex in einem Minderheitenvotum angefügt worden sind.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass wir die Ar beit des Strafsenats des OLG München durch unse ren Untersuchungsausschuss zumindest nicht er schwert haben und es gelingt, die für die zehn Morde Verantwortlichen letztlich zu verurteilen.
Nun mache ich einige Anmerkungen zu den aus mei ner Sicht wichtigsten Fragen und Erkenntnissen des Untersuchungsausschusses. Wenn etwas sicher ist, meine Damen und Herren, dann das: die NSU-Morde sind gerade nicht wie ein Schicksal über uns herein gebrochen, weil niemand ahnen konnte, dass es Rechtsterrorismus in Deutschland und in Bayern gab. Man hätte es nicht nur ahnen, sondern ich meine, man hätte es sogar wissen können. Ich sage sogar: Man hätte wissen müssen, dass die rechtsextremisti sche Szene in den Jahren nach der Wiedervereini gung größer und vielfältiger geworden ist, sich radika lisiert hat und die Bereitschaft zur Gewaltanwendung auch in Bayern zugenommen hat. Die mehrfach in den offiziellen Verfassungsschutzberichten enthaltene Einschätzung, dass es keine Anhaltspunkte für Rechtsterrorismus gebe, war und ist falsch. Man muss kein Verfassungsschützer und Mitarbeiter des Staatsschutzes gewesen sein, um zu wissen, dass der Oktoberfest-Anschlag im Jahr 1980, der Mord an Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin, der Brand anschlag 1988 in Schwandorf und viele andere Vor kommnisse nicht jeweils das Werk verirrter und iso lierter Einzeltäter waren, sondern das Werk kaltblütiger Rechtsextremisten mit vielfältigen Bezie hungen zur rechtsextremistischen Szene. Rechtsext remismus ist kein neues Phänomen in Bayern. Spä
testens seit dem Jahr 1980 ist das in Bayern Realität gewesen.
Es scheint aber geradezu eine Phobie gegen die Vor stellung gegeben zu haben, es könne Rechtsextre mismus geben. Es stellt sich die Frage, warum immer sehr schnell die Rede von verirrten Einzeltätern war und bis heute ist. Einige Antworten auf diese Frage haben wir erhalten und zur Kenntnis nehmen müssen. Beim Verfassungsschutz waren und sind bestimmte Erscheinungen in der rechtsextremistischen Szene, zum Beispiel das Anwachsen der Skinhead-Szene und der Organisation "Blood and Honour" mit dem Konzept des führerlosen Widerstandes, zum Teil nicht bekannt und generell unterschätzt worden, obwohl es verschiedene Publikationen dazu gegeben hat.
Meine Damen und Herren, man mag es kaum glau ben, weil sich die Mitarbeiter des Verfassungsschut zes und der Staatsschutzabteilungen der Polizei re gelmäßig zum Informationsaustausch getroffen haben, sie sich untereinander fast alle gekannt haben und fast alle per du waren, dass sich der Leiter der BAO Bosporus, nachdem in der zweiten sogenannten operativen Fallanalyse die Hypothese von einem möglichen ausländerfeindlichen Motiv aufgestellt wor den ist, dennoch nur und ausschließlich – wie er ge sagt hat – mittels der Verfassungsschutzberichte über den Rechtsextremismus in Bayern informiert hat und sonst keinerlei Informationen hatte. Wenn dann auch noch von vielen Mitarbeitern der Polizei fast schon stereotyp öfter darauf hingewiesen worden ist, dass man deshalb die Täter nicht habe fassen können, weil es keine Bekennerschreiben gegeben habe, beweist dies, dass es an grundlegenden Kenntnissen über die rechtsextremistische Szene gefehlt hat. Im Übrigen: Wenn man Bekennerschreiben gefordert hat, dann, mit Verlaub, hätte man keine BAO Bosporus mit 150 Mann Besetzung gebraucht. Dann hätte man ja ge wusst, wer es ist.
Ich komme noch einmal zurück zum Verfassungs schutz. Nach der Durchsicht einer Vielzahl von Akten und der Befragung vieler Zeugen aus dem Landesamt kann man nicht behaupten, dass der Verfassungs schutz in dem Untersuchungszeitraum grundsätzlich auf dem rechten Auge blind war. So einfach waren und sind die Verhältnisse nicht. Vielmehr verhielt es sich so, dass zwar vieles, ich meine sogar viel zu vie les, beobachtet und registriert worden ist, aber hie raus sind nicht die richtigen Schlüsse gezogen wor den, und insbesondere ist die Gefährlichkeit der rechtsextremistischen Szene grob fahrlässig unter
schätzt worden. Über die Gründe hierfür kann man philosophieren. Den Aussagen, insbesondere denjeni gen der damaligen Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz, kann aber entnommen werden, dass Rechtsextremismus eben als ein Beobachtungs objekt neben anderen gesehen worden ist, dass man immer darauf bedacht war, Links- und Rechtsextre mismus möglichst gleichzubehandeln, weil ja beides angeblich gleich schlimm sei, die gleichen Ursachen habe und sich nicht in der Mitte der demokratischen Gesellschaft wiederfinde, und dass sie der Meinung waren, ihre bayerischen Rechtsextremisten schon zu kennen und im Griff zu haben. Welch ein Irrtum, meine Damen und Herren!
Insbesondere waren die Kenntnisse über die Zusam menarbeit zwischen Rechtsextremisten in Nordbayern und Thüringen äußerst lückenhaft. Man hat nicht er kannt, was unter der Oberfläche geschehen ist, ob wohl der Verfassungsschutz auch über Informations quellen verfügt hat, die den politisch normal Interessierten und der Presse nicht zugänglich waren, nämlich über Informanten und V-Leute aus der Szene.
Im Untersuchungszeitraum waren in Nordbayern immer etwa 20 V-Leute des Bayerischen Landesam tes für Verfassungsschutz als sogenannte Quellen im Einsatz. Dazu kamen noch weitere V-Leute anderer Inlandsgeheimdienste. Sie sind von Beamten des Landesamtes für Verfassungsschutz zunächst ausge wählt, belehrt, überprüft und dann geführt worden. So geschah dies jedenfalls laut den Vorschriften. Wer aber wen geführt hat, ist nicht immer eindeutig klar geworden. Im Gegenteil hat sich häufig der Eindruck ergeben, dass die V-Leute ihre V-Mann-Führer durch aus im Ungewissen gelassen haben darüber, was sie an Erkenntnissen gewonnen haben.
Nach Angaben von Zeugen aus dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz hat keiner der VLeute von der Existenz des NSU und der Mordan schläge gewusst, diese unterstützt oder das Landes amt darüber informiert. Tatsache ist aber, dass mindestens eine Quelle des Landesamtes vor dem Untertauchen des NSU-Trios im Jahr 1998 dieses zu mindest aus der Szene gekannt hat und dass bei einer weiteren Quelle Indizien dafür vorliegen, die auf eine Bekanntschaft hinweisen. Tatsache ist auch, dass es, jedenfalls zwischen einem V-Mann des Bay erischen Landesamtes und einem V-Mann des thürin gischen Verfassungsschutzes, der Verbindungen zum Umfeld des NSU bis hin zu einigen der jetzt vor dem Oberlandesgericht München Angeklagten hatte, beste Beziehungen gegeben hat. Der thüringische V-Mann behauptet sogar, der bayerische V-Mann habe in Oberfranken die gleiche Rolle eingenommen wie er
selbst in Thüringen und dass der bayerische V-Mann für ihn sogar so etwas wie ein Vorgesetzter in der rechten Szene war. Tatsache ist weiter, dass dieser V-Mann zunächst kein Angehöriger der rechtsextre mistischen Szene in Bayern war, sondern vom Bayeri schen Landesamt für Verfassungsschutz zielgerichtet dort erst implantiert worden ist und den speziellen Auftrag erhalten hat, einen Einwählknoten zu dem so genannten Thule-Netzwerk zu installieren. Im Übrigen ist ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung später nach Rücksprache mit dem Bayerischen Lan desamt für Verfassungsschutz mit dem Hinweis auf seine V-Mann-Eigenschaft eingestellt worden. Tatsa che ist außerdem, dass dieser V-Mann die rechtsext remistische Szene in Oberfranken nicht nur beobach tet und bei den Aktionen anderer mitgemacht hat, sondern entgegen den Vorschriften selbst eine maß gebliche, ja sehr wahrscheinlich sogar eine bestim mende Rolle eingenommen und Aktionen organisiert hat, die es ohne ihn nicht gegeben hätte. Er ist also dafür bezahlt worden, über Vorgänge zu berichten, die es nicht gegeben hätte, wenn er nicht als V-Mann vom Landesamt eingesetzt worden wäre.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei diesem Befund, der keineswegs einmalig sein dürfte, sondern eine im Umgang mit V-Leuten offensichtlich jahrelang gängige Praxis widerspiegelt, die im Übrigen auch dazu beigetragen hat, dass das erste NPD-Verbots verfahren gescheitert ist, drängt sich die Frage auf, ob weiterhin V-Leute eingesetzt werden dürfen sollen oder nicht.
Ich meine, dass erschreckend deutlich geworden ist, dass V-Leute mehr schaden als nützen, weswegen künftig auf sie verzichtet werden sollte.
Ebenso verstörend sind die Erkenntnisse, die über die Rolle des Verfassungsschutzes bei der Zusammenar beit mit der BAO Bosporus gewonnen werden konn ten. Das Verhalten des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, trotz Kenntnis der konkreten Um stände, trotz Kenntnis der Tatsache, dass die BAO Bosporus dabei war, zu fünf Mordanschlägen in Bay ern zu ermitteln und sie aufzuklären, und trotz Kennt nis des Inhalts der sogenannten zweiten operativen Fallanalyse monatelang keinerlei Daten und Informa tionen an die BAO Bosporus zu liefern, kann, mit Ver laub, nur als Arbeitsverweigerung bezeichnet werden. Die Erklärungsversuche hierfür konnten nicht über zeugen. Insbesondere standen weder das Trennungs gebot noch Datenschutzvorschriften der Übermittlung
der angeforderten Informationen und personenbezo gener Daten an die BAO Bosporus entgegen. Dass schließlich ein Kompromiss des Inhalts gefunden wurde, lediglich aktenkundige Rechtsextremisten aus eng eingegrenzten Postleitzahlenbereichen in Nürn berg zu übermitteln, stellte sich im Nachhinein als einer der größeren Fehler bei der Ermittlungsarbeit dar.
Wenn es aufseiten des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz aber keine Arbeitsverweigerung gab, sondern den Versuch, eigene Informationen für sich zu behalten und nicht an die Ermittlungsbehör den weiterzugeben, wäre es noch viel schlimmer. In der Tat noch schlimmer und offensichtlich Teil der Ideologie im Landesamt und im Innenministerium ist die Aussage des langjährigen Abteilungsleiters, dass sich der Anstieg rechtsextremistischer Gewalttaten immer synchron zu dem Anstieg der Asylbewerber zahlen entwickelt habe und dass politische Entschei dungen wie zum Beispiel der sogenannte Asylkom promiss extremistische Tendenzen im Lande entweder fördern oder konterkarieren können - eine interessante Aussage, die tief blicken lässt. Schuld an der Zunahme des Rechtsextremismus’ soll also die Politik sein, die jahrelang nichts gegen die Zunahme der Asylbewerberzahlen unternommen hat. Meine Damen und Herren, warum nur dort, wo es fast keine Asylbewerber gegeben hat? Warum ausgerechnet zu einer Zeit, als die Zahl der Asylbewerber längst wie der zurückgegangen ist? Gerade dort und zu der Zeit hat es Anschläge auf Menschen mit Migrationshinter grund gegeben.
Selbstverständlich kann niemand behaupten, dass die Täter früher entdeckt worden wären, wenn das Lan desamt früher mehr Daten zur Verfügung gestellt hätte. Die Wahrscheinlichkeit dafür wäre aber gestie gen.
Am Rande möchte ich noch erwähnen, dass Anfragen der BAO Bosporus beim Landesamt für Verfassungs schutz über eventuelle Kenntnisse des Verfassungs schutzes über Beziehungen der Opfer zur organisier ten Kriminalität immer schnell, prompt und ohne irgendwelche Bedenken beantwortet worden sind. Ganz anders war es bei Fragen nach Rechtsextremis ten, die ein mögliches Motiv gehabt haben können, Ausländer umzubringen. Meine Damen und Herren, das ist uns schon aufgefallen. Dass sich die BAO Bosporus mit keinem Wort bei vorgesetzten Dienst stellen über die zögerliche Bearbeitung der Anfrage durch das Landesamt beschwert hat, ist zumindest ein Indiz dafür, dass die Leitung der BAO Bosporus offensichtlich selbst keinen gesteigerten Wert auf die Überprüfung der Hypothese der zweiten operativen Fallanalyse, gelegt hat.
Einige Anmerkungen zur Ermittlungsarbeit der Polizei: Es war richtig und es ist nicht zu kritisieren, dass nach den ersten Mordanschlägen in Ermangelung objekti ver Spuren von dem Täter oder den Tätern allen denkbaren Hinweisen nachgegangen wurde und auch das familiäre Umfeld der Opfer ausgeleuchtet worden ist. Dass auch noch nach dem fünften Mordanschlag in Bayern, wiederum begangen an einem Ausländer, wiederum begangen im gleichen Modus Operandi, wiederum begangen mit der gleichen Tatwaffe, immer noch krampfhaft nach Verbindungen der Opfer unter einander und zur organisierten Kriminalität gesucht und das familiäre Umfeld in einer Art und Weise aus geleuchtet worden ist, dass es von den Angehörigen schon als Belästigung empfunden werden musste, wie es einige Zeugen ausgeführt haben, ist schon er staunlich gerade zu einer Zeit, wo man eins und eins nur noch hätte zusammenzählen müssen, wie es eini ge Zeugen aus der BAO Bosporus selbst ausgeführt haben.
Die Tatsache, dass zwar allen noch so vagen und zum Teil abstrusen Hinweisen auf Verbindungen der Opfer zur organisierten Kriminalität mit einem seit den Zeiten der RAF-Morde nicht mehr gekannten Perso nal- und Sachaufwand nachgegangen worden ist und dass die Hinweise und Vermutungen über politische ausländerfeindliche Motive des Täters oder der Täter aber jahrelang mit dem Argument abgetan worden sind, es gebe dafür keine Beweise – die gab es für die andere These auch nicht –, hat Anlass zu vielen Nachfragen gegeben. Die Antworten waren erschre ckend. Man wollte es schlicht nicht wissen und wahr haben. Tatsache ist, dass es für beide als denkbar erachtete Motive – Rachemorde im Bereich der orga nisierten Kriminalität beziehungsweise Ausländer feindlichkeit – jeweils nur vage Hinweise, aber keine Spuren gegeben hat.
Eine der wichtigsten Fragen war deshalb, weshalb in Richtung organisierter Kriminalität ein immenser Auf wand und in Richtung ausländerfeindliches Motiv ein viel geringerer Aufwand betrieben worden ist. Das galt sogar dann noch, als nach jahrelangen ergebnislosen Ermittlungen, der sogenannten zweiten operativen Fallanalyse erstmals sogenannte missionsgeleitete ausländerfeindliche Täter ins Spiel gebracht worden sind. Das wollten viele nicht wahrhaben, weder bei der BAO Bosporus noch beim Bundeskriminalamt. Das Bundeskriminalamt hat sich sogar die Mühe ge macht, die Hypothesen der zweiten Fallanalyse im Einzelnen zu zerpflücken, anstatt nach dieser zweiten Fallanalyse das Schwergewicht der Ermittlungen end lich auf Personen mit einem möglichen ausländer feindlichen Motiv, auf Personen mit hoher Schießfer tigkeit und auf Personen zu legen, die schon einmal als Radfahrer in der Nähe vom Tatort beobachtet wor
den sind. Das hat man nicht gemacht. Stattdessen ist eine weitere Fallanalyse in Auftrag gegeben worden, die alles infrage gestellt und relativiert hat, und zwar mit durchaus eigenartigen Argumenten.
In der nunmehr schon dritten operativen Fallanalyse mit einer, wie sie es bezeichnet haben, Gesamtanaly se der bundesweiten Serie von Tötungsdelikten an Kleingewerbetreibenden mit Migrationshintergrund vom Januar 2007, nachdem bereits neun Morde ver übt worden sind und mehrfach zwei männliche Perso nen auf Fahrrädern in der Nähe von Tatorten beo bachtet worden sind, heißt es wörtlich:
Somit ist davon auszugehen, dass den Täter die Fähigkeit und die Bereitschaft charakterisiert, die Tötung einer Reihe von menschlichen Individuen im Rahmen eines kühlen Abwägungsprozesses in seinen Gedanken vorwegzunehmen. Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturraum mit einem hohen Tabu be legt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems außerhalb des hiesi gen Normen- und Wertesystems verortet ist.
Was heißt denn das? Meine Damen und Herren, die Antwort kennen Sie selbst. In der dritten operativen Fallanalyse heißt es weiter, "dass ein Einzeltäter oder Täter-Duo auszuschließen ist, die ohne konkreten Bezug zu den Opfern diese erschießen, bloß weil diese einem bestimmten zum Beispiel ethnischen Kol lektiv zugeordnet werden, weil alle Opfer weitere Ge meinsamkeiten aufweisen, nämlich eine undurchsich tige Lebensführung". Das war nicht nur objektiv falsch und eine Beleidigung der Opfer sowie ihrer Angehöri gen, sondern zeigt auch, wes Geistes Kind die Ver fasser dieser sogenannten Fallanalyse waren.
Mehr als Unverständnis musste auch hervorrufen, dass vielfachen Hinweisen, ja sogar Zeugenaussagen darüber, dass an Tatorten, wie bereits gesagt, Män ner mit Fahrrädern beobachtet worden sind, auch dann noch keine Bedeutung beigemessen worden ist, als im Jahre 2004 bei einem Anschlag in Köln zwei Männer mit Fahrrädern gefilmt worden sind und eine Zeugin aus Nürnberg, nachdem ihr dieser Film vorge führt worden ist, angegeben hat, dass einer von den beiden Radfahrern mit einem der beiden Radfahrer identisch ist, die sie selbst in Nürnberg bei dem Mord anschlag auf den Herrn Yasar gesehen hat. Dass sich ihre Aussage nicht wortgetreu im polizeilichen Ver nehmungsprotokoll wiederfindet und es trotz dieser und weiterer Zeugenaussagen über Radfahrer und trotz des Umstands, dass auch in Köln die Opfer Aus länder waren, es nicht für nötig erachtet wurde, eine
vergleichende Fallanalyse vorzunehmen, muss im Nachhinein als weiterer entscheidender Fehler der Er mittlungsarbeit bezeichnet werden.
Ein weiterer entscheidender Fehler der Ermittlungsar beit war, dass der zuständige Staatsanwalt keinen Kontakt zur Staatsanwaltschaft in Köln aufgenommen hat, weil man wegen der verschiedenen Modi Operan di – einerseits Hinrichtungen, andererseits Bomben anschlag – nicht Äpfel mit Birnen vergleichen wollte. Dass die Polizei in ihrer Not mit Billigung der Staats anwaltschaft und mit richterlichen Beschlüssen zur Er hebung und Auswertung von Millionen von Daten und zu sonstigen fragwürdigen Ermittlungsmethoden ge griffen hat, nämlich dem Einsatz von verdeckten Er mittlern unter der Legende von Journalisten und Pri vatdetektiven, um eine ohnehin nicht vorhandene behauptete Mauer des Schweigens bei den Angehöri gen aufzubrechen, und auch noch Dönerbuden betrie ben hat, kann nur am Rande erwähnt werden, zumal all diese Maßnahmen keinerlei verwertbare Erkennt nisse gebracht haben.
Einige Sätze müssen aber auch noch zu dem lang wierigen Zuständigkeitsstreit innerhalb der Polizei ge sagt werden. Nachdem schon neun Mordanschläge verübt worden waren, waren neben der BAO Bospo rus in Bayern und dem Bundeskriminalamt – dort al lerdings nur in Sachen Ceska-Spur – weitere Sonder kommissionen in Hamburg, Rostock, Dortmund, Kassel und Köln mit den Ermittlungen befasst. Das war also zu einem Zeitpunkt, als jederzeit wieder ein Mordanschlag hätte verübt werden können. Zur glei chen Zeit waren sechs verschiedene Staatsanwalt schaften mit der Sachleitung der Ermittlungen befasst, nicht aber der Generalbundesanwalt. Bei aller Liebe zum föderalen Staatsaufbau und allem Verständnis für die Bewahrung aller Kompetenzen der Länder und bei aller Wertschätzung für die Arbeit der bayerischen Polizei muss es doch als gravierender Fehler gewer tet werden, dass es keine zentralen Ermittlungsbehör den gegeben hat, dass auf der Ebene der Staatsan waltschaft kein Sammelverfahren eingeleitet und die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts zu schnell verneint worden ist. Ich müsste noch Ausführungen zur sogenannten Medienstrategie machen, die darauf abgezielt hat, das mögliche ausländerfeindliche Motiv der Täter möglichst im Unklaren zu lassen und die Öf fentlichkeit nicht damit zu behelligen. Aus zeitlichen Gründen kann ich das nicht tun.
Anführen möchte ich jedoch: Uns ist aufgefallen, dass sich die Staatsanwaltschaft mit der Rolle begnügt hat, polizeiliche Entscheidungen abzusegnen und nachzu vollziehen, dass nicht nur die taktischen, sondern auch die strategischen Entscheidungen der Ermitt lungsarbeit von der Polizei getroffen worden sind und
nicht von der Staatsanwaltschaft und dass die Staats anwaltschaften – aus welchen Gründen auch immer – keine Sachleitungsbefugnis für sich in Anspruch ge nommen haben; vielleicht wollten sie sie auch nicht.
Nach einem Jahr müssen wir feststellen, dass es bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft auch – neben dem Landesamt für Verfassungsschutz – Fehlein schätzungen und Fehlentscheidungen gegeben hat. Es kommt dann gelegentlich der Hinweis darauf, dass auch die gesamte Öffentlichkeit und die neunmalkluge Presse bis zum November 2011 keine Ahnung von der Existenz des NSU hatten und von Döner-Morden gesprochen worden ist. Das ist wohl richtig, kann aber keine Rechtfertigung dafür sein, dass Hundertschaf ten von professionellen Ermittlern – nicht nur interes sierten Beobachtern – zu keinem Ergebnis gelangt sind.
Natürlich ist einzuräumen, dass überall Fehler passie ren können. Die Häufung von Fehlern ist aber augen scheinlich und spricht dafür, dass nicht nur einzelne Beamte irgendetwas falsch gemacht haben, sondern dass die Strukturen nicht stimmen. Die Verantwortung hierfür trägt natürlich die politische Spitze der Sicher heitsbehörden. Wer denn sonst? Die politische Spitze ist der Innenminister. Wer denn sonst? Es reicht auch nicht, Bedauern zum Ausdruck zu bringen, und es hilft überhaupt nichts, dass er als einer der wenigen von Anfang an ein ausländerfeindliches Motiv in Betracht gezogen hat, sich aber mit dürren Antworten seines Hauses hat abspeisen lassen.
Noch einige Sätze zu den aus meiner Sicht erforderli chen Konsequenzen: Eigentlich müssten als Konse quenz der vielen Fehler, die zusammengefasst zum Versagen auch bayerischer Sicherheitsbehörden ge führt haben, Rücktritte der politisch Verantwortlichen gefordert werden. Der damals verantwortliche Innen minister kann aber nicht mehr zum Rücktritt aufgefor dert werden, weil er nicht mehr im Amt ist. Sein Nach folger war noch nicht im Amt, als die Weichen falsch gestellt worden sind. Ebenso verhält es sich bei den Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz. Der Einzige, dessen Rücktritt noch hätte gefordert werden können, ist der Landespolizeipräsident, der al lerdings vor vier Wochen in Pension gegangen ist.
Ich sage das nicht, um die Forderung nach Rücktritten als lächerlich abzutun. Im Gegenteil: Andere haben schon wegen viel geringerer Vorwürfe Verantwortung übernommen und die Konsequenzen gezogen.
In Bayern meint man, das damit abtun zu können, dass man auf Fehler irgendwelcher nachgeordneter Mitarbeiter verweist.
Neben all den vielen Einzelvorschlägen im Schlussbe richt ist es aus meiner Sicht wichtig, die strukturellen Ursachen des Versagens zu erkennen und zu behe ben. Es wird anerkannt, dass bereits einzelne Konse quenzen gezogen worden sind und zum Beispiel wie der eine eigene Abteilung für Verfassungsschutz im Staatsministerium des Innern eingerichtet worden ist – auch wenn der Abteilungsleiter mittlerweile nicht mehr im Amt ist.
Auch die vielen Empfehlungen der Bund-Länder-Kom mission Rechtsextremismus zur Präzisierung einzel ner Vorschriften über die Zusammenarbeit der Sicher heitsbehörden untereinander und zur Auswahl und Führung von V-Leuten sind überwiegend vernünftig und sollten, soweit es in der Landeskompetenz steht, auch umgesetzt werden.
Diese Vorschläge gehen aber nicht weit genug, und einige Vorschläge gehen sogar in die falsche Rich tung. Das gilt insbesondere für die Vorschläge des Bundesinnenministers und des Bundesamtes für Ver fassungsschutz. Es geht nicht darum, die Deiche höher zu bauen – wie es einmal bezeichnet worden ist – und den Inlandsgeheimdienst zur Belohnung für sein Versagen zu stärken. Darum geht es nicht. Im Gegenteil: Es geht darum, die Kontrolle über den In landsgeheimdienst effektiv zu verstärken.
Unseres Erachtens muss der Verfassungsschutz neu aufgestellt, und seine Aufgaben als Inlandsgeheim dienst – man sollte ihn auch als solchen bezeichnen; die Bezeichnung "Verfassungsschutz" ist historisch bedingt und falsch – sollten auf die Beobachtung des gewaltbereiten und rassistisch motivierten Extremis mus konzentriert und beschränkt werden. Er muss so umgebaut werden, dass er unsere freiheitlich demo kratische Verfassung und von rassistischer Gefahr bedrohte Menschen in unserem Lande tatsächlich und besser schützen kann. Die Beobachtung der or ganisierten Kriminalität ist ebenso wenig eine Kern kompetenz des Landesamtes wie die Beobachtung der Cyber-Kriminalität und hat dort nichts verloren. Zur Erfüllung der verbleibenden Aufgaben muss sich das Landesamt künftig sowohl in der Zivilgesellschaft als auch in der Wissenschaft durchaus vorhandenen Sachverstandes bedienen, anstatt diesen – wie in der Vergangenheit – zu beobachten und zu stigmatisie ren.
Auf den Einsatz von V-Leuten sollte aus den genann ten Gründen grundsätzlich verzichtet werden. Die Al ternative ist nicht, wegzuschauen, nicht mehr hinzu schauen – wie gelegentlich unterstellt wird – und in
Kauf zu nehmen, dass bestimmte Dinge passieren, die wir alle miteinander nicht wollen. Die Alternative ist vielmehr, Beamte als verdeckte Ermittler in dem beschränkten Beobachtungsfeld einzusetzen. Diese Vorschläge werden gelegentlich als oppositioneller Reflex abgetan, sind aber schon aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit staatlichen Handelns geboten und richtig. Der Polizei geht es in erster Linie darum, die Sensibilität bei Ermittlungen zu Straftaten gegen Men schen mit Migrationshintergrund zu erhöhen und die Kenntnisse über den Rechtsextremismus und seine Erscheinungsformen deutlich zu erhöhen. Wenn es nicht anders geht, müssen entsprechende Vorschrif ten geschaffen werden.
Wir erwarten auch, dass die Staatsregierung den An gehörigen der Opfer alle Hilfestellungen zuteil werden lässt, derer sie bedürfen, weil sie Angehörige verloren haben und in dem Prozess als Nebenkläger auftreten.
Der Kampf gegen Rechtsextremismus wird nur erfolg reich sein können, wenn er auch in der Zivilgesell schaft geführt wird. Es geht also um die Stärkung des Engagements in den Schulen, den Vereinen und den vielen Initiativen, die oft noch argwöhnisch von der Polizei und vom Verfassungsschutz beobachtet wer den.
Historisch bedingt haben wir in Deutschland – gerade auch in Bayern – eine besondere Verantwortung dafür, gegen Rechtsextremismus in allen seinen Er scheinungsformen vorzugehen. Es darf auch keine Option sein, die rechtsextremistischen Aktivitäten und Forderungen dadurch leerlaufen lassen zu wollen, dass sie vom demokratischen Spektrum selbst über nommen und salonfähig gemacht werden.
Schließlich hoffe ich, dass als eine der Lehren aus den NSU-Morden alles getan wird – an unterschiedli chen Stellen, vom Verfassungsschutz, besser gesagt Inlandsgeheimdienst, über die Polizei bis zur Staats anwaltschaft und der Justiz –, damit es nie wieder An lass gibt, daran zu zweifeln, dass bei Ermittlungen wegen Morden an Menschen mit Migrationshinter grund oder bei Ermittlungen wegen sonstiger Gewalt taten an Menschen mit Migrationshintergrund andere Maßstäbe angelegt werden als bei Ermittlungen bei Straftaten, bei denen die Opfer Deutsche sind. Ich hoffe, dass unser Untersuchungsausschuss dazu einen kleinen Beitrag leisten konnte.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die persönliche Anmerkung des früheren Ministerpräsidenten und Innenministers gibt Anlass, kurz dazu Stellung zu nehmen:
Es wird anerkannt, dass Sie ganz offensichtlich der Einzige waren, der dieses Bauchgefühl hatte. Es ist schade, dass viele andere Innenminister – eigentlich alle anderen Innenminister – die Möglichkeit eines ausländerfeindlichen Hintergrunds der Mordanschläge vorschnell ausgeschlossen haben. Das wird aus drücklich anerkannt.
Anerkannt wird auch, dass Sie sich bemüht haben, Klarheit zu erlangen und immer wieder nachgefragt haben; das ergibt sich aus den Akten. Anerkannt wird auch, dass Sie sich auch in der Frage der Zuständig keit bemüht haben, gegenüber dem BKA Klarheit her beizuführen, und dass letztlich auch die größte je aus gesetzte Belohnung organisiert worden ist. Das wird anerkannt und ist von allen auch so gesehen worden.
Dennoch, Herr Dr. Beckstein, hat all das nicht zum Er folg geführt. Ist es dann nicht legitim, die Frage zu stellen, wer hierfür die politische Verantwortung trägt? Das wird nicht der Hausmeister des Innenministe riums sein. Wenn jemand Verantwortung trägt, dann natürlich die politische Spitze des Hauses. Wer denn sonst? Dabei bleibt es auch.
Wir müssen nicht auf Überlegungen zurückgreifen, was geschehen wäre, wenn es damals eine Vorrats datenspeicherung gegeben hätte. Eine solche hat es damals in keinem europäischen Land gegeben. Wenn es sie jetzt geben würde, würde das auch nichts mehr helfen. Es hilft auch nichts, darauf hinzuweisen, was gewesen wäre, wenn es eine Kronzeugenregelung gegeben hätte. Das hilft uns überhaupt nichts. Mehr Sinn gibt es, darüber nachzudenken, was geschehen wäre, wenn unsere Behörden fitter gewesen wären, als sie es waren, und sie mehr unternommen hätten, um die Spur, die Sie als Bauchgefühl schon hatten, angemessen zu verfolgen. Das andere muss Speku lation bleiben. Ich wollte das gesagt haben, um die Verhältnisse zurechtzurücken.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In Ergänzung dessen, was Frau Kollegin Stahl bereits gesagt hat, folgen nur wenige Anmerkungen seitens der SPD-Fraktion.
Aber zunächst zu Ihnen, Frau Guttenberger: Das Problem ist nicht der Gewerkschaftssekretär, der sich weigert, durch die Instanzen zu prozessieren. Das Problem sind Versammlungsbehörden und Richter – nicht alle, sondern einzelne –, denen man heutzutage offensichtlich klarmachen muss, welch hohen Rang in
unserer Verfassung die Tarifautonomie und das Recht auf Arbeitskampf haben; sie wissen es anscheinend nicht mehr.
Das war vor zehn oder gar vor zwanzig Jahren überhaupt kein Thema. Wenn sich Streikende vom Betriebsgelände auf die Straße begaben, selbst dann, wenn sie ein Transparent in der Hand hielten, kam nicht sofort die Polizei oder jemand vom Landratsamt mit der Aufforderung, eine Versammlung anzumelden. Das war vor zehn oder zwanzig Jahren überhaupt kein Thema.
Mittlerweile argumentieren einige Versammlungsbehörden: Wenn das Betriebsgelände verlassen und das Transparent in Richtung Öffentlichkeit gehalten wird, wenn also beim Arbeitskampf oder bei Tarifauseinandersetzungen nicht mehr nur der Tarifpartner, sondern auch die Öffentlichkeit beeinflusst werden soll, dann sei das etwas anderes als eine Auseinandersetzung im Rahmen von Tarifkämpfen. Es handele sich um eine Versammlung, die angemeldet werden müsse. Das ist doch das eigentliche Problem und nicht der Gewerkschaftssekretär, der vielleicht etwas falsch gemacht hat. Aber das nur am Rande.
Da uns das Bayerische Versammlungsgesetz schon lange intensiv beschäftigt, möchte ich noch einmal an Folgendes erinnern:
Erstens. Die Durchführung bzw. Abhaltung einer Versammlung bedarf nach dem Grundgesetz und im Speziellen nach unserer Bayerischen Verfassung keiner Erlaubnis irgendeiner Behörde, auch nicht eines Polizeiführers.
Zweitens. Es gibt Anzeigepflichten, die nach unserer Einschätzung, teilweise auch nach der des Verfassungsgerichts, überzogen sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn es nicht darum geht, Massenveranstaltungen mit Zigtausenden Teilnehmern zu organisieren, sondern kleinere Zusammenkünfte. Bei letzteren sind die bisherigen Anzeigepflichten, wie wir meinen, übertrieben.
Drittens. Das Bayerische Versammlungsgesetz aus dem Jahr 2008 war der Versuch, die Versammlungsfreiheit in unserem Land zu beschränken. Das ist Gott sei Dank durch das Bundesverfassungsgericht korrigiert worden. Aufgrund der Beschwerde eines großen Bündnisses, zu dem damals auch die FDP gehört hat, ist eine Einstweilige Anordnung ergangen. Das Gesetz ist Gott sei Dank durch die neue Koalition, die es
dann in diesem Hause gegeben hat, korrigiert worden und zwar mit unserer Unterstützung. Daran darf ich erinnern.
Dennoch sind immer noch viele Kritikpunkte bei diesem Gesetz offen. Es riecht nämlich immer noch in weiten Passagen nicht wie ein Gesetz, das dazu gemacht worden ist, die Ausübung der Versammlungsfreiheit zu gewährleisten, sondern es riecht immer noch in weiten Passagen nach Polizeirecht. Das ist das Problem.
Man merkt das insbesondere, wenn es um Videobeobachtung geht, aber auch bei den Anzeigepflichten und anderem.
Viertens. Unabhängig von den genannten Problemen, die wir neuerdings haben, erfährt die Versammlungsfreiheit auch Einschränkungen, weil bislang öffentliche Räume durch Rechtsformänderungen immer mehr plötzlich in privates Eigentum überführt werden. Wir haben das Problem bei Flughäfen, aber mittlerweile auch bei Bahnhöfen und anderen bisher der öffentlichen Kommunikation dienenden Flächen. Daher ist es auch angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geboten, im Gesetz eine Klarstellung dergestalt vorzunehmen, dass es auf bisher der Kommunikation dienenden öffentlichen Flächen, die jetzt in privater Rechtsform geführt werden, künftig zulässig sein soll, Versammlungen durchzuführen.
Die fünfte Bemerkung, meine Damen und Herren. Als das Versammlungsgesetz von der damaligen CSU-Alleinregierung eingebracht wurde, ist behauptet worden, man wolle und müsse das auch deshalb tun, um damit eine bessere Handhabe im Kampf gegen Aufzüge von Rechtsextremisten, Neonazis und was auch immer zu haben. So ist argumentiert worden. Wenn man sich die bisherige Praxis anschaut, stellt man fest, dass dieses Ziel auf der Basis des Bayerischen Versammlungsgesetzes mitnichten erreicht werden konnte. Wenn es überhaupt möglich war, Aufzüge von Rechtsextremisten zu verbieten oder aufzulösen, dann nur auf der Basis von § 130 Absatz 4 des Strafgesetzbuches, also der Änderungen im Volksverhetzungsparagrafen, die im Jahr 2004 oder 2005 noch zu Zeiten der rot-grünen Koalition vereinbart worden sind. Das haben wir immer behauptet; Sie haben es immer bestritten. Ich behaupte, es war eine Lebenslüge für die Rechtfertigung des Bayerischen Versammlungsgesetzes. Unabhängig davon haben wir es hier mit einem Versuch zu tun, es weiter zu verbessern in dem Sinne, dass Versammlungsfreiheit gewährleistet und nicht eingeschränkt wird. Deswegen bitte ich um Zustimmung.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir müssen nun offensichtlich so lange reden, bis 125 Kollegen im Saal sind. - Lieber Herr Kollege König, ich weiß nicht, wohin Sie wollten, als Sie auf der Ostmarkstraße vom Norden nach Süden gefahren sind. Jedenfalls können Sie nicht an Ihrem Ziel angekommen sein, da die Ostmarkstraße von Westen nach Osten führt. Wenn Sie wirklich nach Süden gewollt hätten, hätten Sie auf der B 15 fahren müssen.
So viel zur Orientierung der CSU.
Im Übrigen bitte ich Sie alle, die Sprachregelung etwas zu vereinheitlichen. Bisher lautete die Sprachregelung der CSU, dass der Herr Ministerpräsident Seehofer seine Vorschläge zur Änderung der Verfassung im Februar 2011 beim Aschermittwoch der CSU gerade nicht als Ministerpräsident, sondern als CSUVorsitzender gemacht hat. Heute wird uns nun gesagt, dass der Ministerpräsident in bierseliger Laune am Aschermittwoch Vorschläge zur Modernisierung der Verfassung gemacht habe. Es war der CSU-Vorsitzende!
So sind wir doch auf die entsprechenden Vorhalte hin belehrt worden. War es nun der CSU-Vorsitzende, oder war es der Ministerpräsident?
Wenn es der Ministerpräsident gewesen sein sollte, dann war es jedenfalls stillos, so zwischen Bierdunst und Fischsemmeln eine Verfassungsänderung anzukündigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch fast 70 Jahre nach dem Inkrafttreten der Bayerischen Verfassung von 1946, in denen sich unser Land, Europa und die ganze Welt in einer Weise verändert haben, wie es sich die Väter und die wenigen Mütter unserer Verfassung nicht haben vorstellen können, besteht – Gott sei Dank! – weiterhin keine Notwendigkeit für eine Totalrevision der Verfassung. Denn das, was 1946 angesichts des Trümmerfeldes in die Bayerische Verfassung geschrieben worden ist, ist auch nach dem Inkrafttreten und den vielen zwischenzeitlichen Änderungen des Grundgesetzes und trotz der Überlagerung durch Kompetenzen des Bundes und der Europäischen Ebene immer noch modern und zeitgemäß und genauso identitätsstiftend für unser Land wie der Watzmann oder der Chiemsee; denn die Bayerische Verfassung ist viel mehr als nur eine Geschäftsordnung des Staates, ein Instrument of Government. Sie war immer viel mehr, nämlich eine Werteordnung, die in den fast 70 Jahren nicht an Aktualität und Strahlkraft verloren hat und mit ihrer fast schon poetischen Sprache ein freiheitliches Gemeinwesen beschreibt, das zu bewahren und behutsam fortzuentwickeln gerade in Zeiten der europäischen Integration, der Globalisierung und der zunehmenden Ökonomisierung vieler Lebensbereiche und auch der Nivellierung der Unterschiede vieler Kulturen weiterhin eine lohnende Aufgabe ist.
Für uns Sozialdemokraten ist die Bayerische Verfassung – ich sage das ganz bewusst – fast heilig, auch deshalb, weil sie nicht von der CSU stammt, sondern von einem Sozialdemokraten konzipiert worden ist.
Die Bayerische Verfassung von 1946 ist aber kein Denkmal, und sie ist auch kein Weltkulturerbe, das unverändert zu den Akten genommen werden könnte. Vielmehr ist es von Zeit zu Zeit geboten, behutsame Änderungen vorzunehmen, ohne den freiheitlichen Kern der Verfassung anzutasten.
Den hohen Hürden für die Änderung der Verfassung ist es zu verdanken, dass die Bayerische Verfassung seit 1946 nur wenige Male und dann auch jeweils aus guten Gründen geändert worden ist. In dieser Tradition steht auch der jetzige interfraktionelle Gesetzent
wurf. Meine Damen und Herren, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Es war nicht gut, dass der Ministerpräsident in seiner Eigenschaft als CSU-Vorsitzender im Jahre 2011 ausgerechnet beim politischen Aschermittwoch zwischen Bier und Fischsemmeln – so ist es kommentiert worden – eine Änderung der Verfassung angekündigt hat,
wobei es ihm im Wesentlichen nicht um die Punkte eins, zwei, drei gegangen ist, sondern lediglich um die Schaffung einer Integrationspflicht für Migranten, um Stimmungen und Emotionen zu bedienen.
Es war und ist nicht gut. Eine Verfassungsänderung kündigt man nicht im Bierzelt an, Herr Kollege, sondern ist über Jahrzehnte hinweg immer in ernsthaften Gesprächen zwischen den Fraktionen diskutiert worden.
Das kann nie und nimmer im Bierzelt geschehen.
Diesen Stilbruch muss sich der Herr Ministerpräsident zurechnen lassen.
Ich muss dazu nichts weiter ausführen, möchte aber doch noch kurz zitieren, was Ernest Lang im Bayerischen Rundfunk dazu gesagt hat.
Wer wie Seehofer aus heiterem Himmel vor 3.000 bierseligen Anhängern Vorschläge zur Verfassungsänderung in die Welt setzt, der hat entweder noch nicht gemerkt, dass die CSU selbst in ihren besten Zeiten nie allein eine Verfassungsänderung hätte durchsetzen können.
- Es wird nicht besser, Herr Minister, wenn 7.000 dabei sind. Die Behauptung, dass es 7.000 waren, ist falsch. Es waren nie mehr als 3.000, auch im letzten Jahr nicht.
Es kommt ihnen offensichtlich auf den kurzfristigen politischen Knalleffekt an. Das war es im Grunde genommen. Das Anliegen, die Integration von Ausländern als politische Aufgabe in der Verfassung zu verankern, löste sich auf wie der Bierdunst am Ende des Politischen Aschermittwochs. Auch in der Bayerischen Staatskanzlei hat danach die Fastenzeit begonnen und Seehofer steht wieder einmal vor einem Scherbenhaufen. Seehofer hat sich selbst beschädigt und er hat der Bayerischen Verfassung einen Bärendienst erwiesen.
So Ernest Lang am 12. März 2011 im Bayerischen Rundfunk.
Meine Damen und Herren, der jetzige Vorschlag zur Änderung der Verfassung ist das Ergebnis ernsthafter Gespräche zwischen fast allen Fraktionen des Hohen Hauses und natürlich ein Kompromiss, so wie es auch in der Vergangenheit immer der Fall war. Natürlich ist jedem klar, dass Verfassungsbestimmungen die aktuelle Tagespolitik nicht ersetzen können und dass die einzelnen Bestimmungen erst lebendig werden, wenn sie in Tagespolitik umgesetzt werden. Dennoch ist es gut und richtig, dass künftig in der Verfassung die Förderung und Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Bayern verankert sind. Ich freue mich auch deshalb, weil wir das seit vielen Jahren immer wieder gefordert haben und ich mich noch gut daran erinnern kann, wie vor etwa einem Jahr Kollege Dr. Rabenstein, als er diesen Vorschlag eingebracht hat, niedergebügelt wurde. Ich freue mich, dass die Erkenntnis nun gewachsen ist.
Es ist auch gut, dass die Förderung des ehrenamtlichen Einsatzes für das Gemeinwohl durch Staat und Gemeinden künftig in der Verfassung steht - gerade angesichts der Hochwasserkatastrophe ist das ein ganz wichtiges Symbol -, und es ist auch gut, dass der Landtag im Zusammenhang mit Fragen der europäischen Integration mehr Rechte bekommt. Deswegen auch unsererseits herzlichen Dank, Herr Vizepräsident Bocklet, für Ihr Engagement in dieser Sache.
Es ist auch gut, dass sich der Staat verpflichtet, die Gemeinden angemessen mit Finanzen auszustatten, was immer das im Einzelfall bedeutet.
Was die Aufnahme einer Schuldenbremse in die Verfassung betrifft, gibt es bekanntermaßen durchaus un
terschiedliche Meinungen, ob die vorgeschlagene Änderung des Artikels 82 der Bayerischen Verfassung angesichts der bereits vorhandenen Regelungen im Grundgesetz wirklich sein muss. Und es gibt die Befürchtung, dass sich die Schuldenbremse im Krisenfall zulasten der Gemeinden oder der Sozial- und Bildungspolitik auswirken könnte, wenn nicht gleichzeitig auch die Sicherung der Einnahmenseite festgeschrieben wird. Sie wissen, dass das unser Anliegen war. Wir haben uns da leider nicht durchsetzen können. Dennoch trägt auch meine Fraktion diesen Kompromiss mit. Freilich wird die Umsetzung im Zusammenhang mit einem Ausführungsgesetz zur Bayerischen Haushaltsordnung noch viele Streitfragen aufwerfen.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten stimmen den vorgeschlagenen Verfassungsänderungen zu und werden auch den Bürgerinnen und Bürgern empfehlen, am 15. September zusammen mit der Landtags- und Bezirkstagswahl die Vorschläge anzunehmen. Wir sind der Überzeugung, dass die Bayerische Verfassung durch diese Änderungen nichts von ihrem freiheitlichen Charakter verliert und dass die Väter und wenigen Mütter der Verfassung die jetzt vorgeschlagenen Änderungen bereits vor fast 70 Jahren in die Verfassung geschrieben hätten, wenn die Problemlagen damals schon bekannt gewesen wären. Wir sind sicher, Wilhelm Hoegner würde die Verfassungsänderungen jetzt mittragen, er hätte sie möglicherweise sogar selbst, vielleicht sogar noch ein bisschen schöner, formuliert. Wir stimmen also zu und empfehlen auch die Annahme.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Dr. Weiß, es ist in der Tat so, dass wir zum fünften, zum sechsten oder sogar zum siebten Mal heute über dieses Thema diskutieren. Zur Haltung der SPD möchte ich nur klarstellen: Wir haben in früheren Legislaturperioden immer wieder selbst eigene Initiativen eingebracht, die allesamt abgelehnt worden sind, und haben dann in den Jahren 2009/2010 bei dem interfraktionellen Gesetzentwurf von vier Fraktionen mitgemacht – trotz einzelner Bedenken. Das haben die GRÜNEN zu meinem Bedauern damals nicht gemacht.
Wir waren dabei, weil wir der Meinung waren – und es im Übrigen auch noch sind –, dass es damals – im Jahr 2010 – höchste Zeit war, das bayerische Kontrollgremium-Gesetz auf den Standard der Bundesregelung zu bringen, was damals ja auch gelungen ist. Das war ein großer, ein wichtiger Schritt nach vorn.
Richtig ist aber auch, dass nicht alle Vorstellungen umgesetzt werden konnten, weil es eben ein Kompromiss war. Deshalb ist es legitim, dass die GRÜNEN jetzt mit diesem weitergehenden Gesetzentwurf kommen.
Erstens. Es geht bei diesem Gesetzentwurf um mehr Rechte für das Parlament und einzelne Abgeordnete in diesem Gremium. Schon deshalb ist es ein guter Vorschlag. Jeder Vorschlag, der beinhaltet, dass das Parlament und seine Mitglieder mehr Möglichkeiten zur Kontrolle der Staatsregierung bekommen, ist ein guter Vorschlag. Darüber braucht man doch gar nicht lange zu diskutieren. Man braucht einen erheblichen argumentativen Aufwand, wenn man das Gegenteil will.
Zweitens. Wer diesen Antrag jetzt einbringt, bringt damit nicht zum Ausdruck, dass er die bisherige Regelung für gescheitert hält. Das will ich mir gar nicht anmaßen. Es ist noch viel zu früh, um beurteilen zu können, ob sich das, was im Jahr 2010 beschlossen worden ist, bewährt hat oder nicht. Insbesondere als Außenstehender, der ich ja bin, weil ich nur ab und zu einmal als Vertreter eine halbe Stunde dabei bin, kann ich nicht beurteilen, ob das Gesetz aus dem Jahr 2010 die Erwartungen erfüllt oder nicht.
Was ich aber schon beurteilen kann, meine Damen und Herren, ist das grundsätzliche Problem, das wir auch nach dem Gesetz von 2010 nach wie vor noch haben. Das betrifft auch den Bundestag und die anderen Bundesländer: Wir haben es hier zu tun mit dem Versuch einer parlamentarischen Kontrolle eines von insgesamt 18 Inlandsgeheimdiensten – eines von insgesamt 18 Inlandsgeheimdiensten! –, der von Gesetzes wegen mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeiten darf und dessen Kontrolle in einem geheim tagenden Gremium stattfindet, sodass sich die Grundsatzfrage stellt: Wie viele Geheimnisse darf die Exekutive – vertreten durch die Staatsregierung, Landesamt für den Verfassungsschutz – vor dem Souverän – vertreten durch die Volksvertretung, nämlich den Landtag –, also wie viele Geheimnisse darf der Staat vor seiner Volksvertretung haben?
Diese Grundsatzfrage stellt sich doch immer. Sie ist schon häufig Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen gewesen, sodass man sagen kann, dass jedes Geheimnis, das der Staat vor seinem Souverän haben will, einer Begründung bedarf und dass die grundsätzlichen Informationsansprüche und Informationsrechte des Souveräns, der Volksvertretung, auch des einzelnen Abgeordneten dann, wenn sie nicht gewährt werden sollen, jeweils einer guten Begründung bedürfen.
Ich will hier nicht falsch verstanden werden: Natürlich gibt es trotz aller Forderungen nach Herstellung möglichst totaler Transparenz in allen Lebens- und Politikbereichen auch eine Pflicht zur Wahrung von Geheimnissen. Der Informationsanspruch des Parlaments und seiner einzelnen Abgeordneten kann aber nur beschränkt werden, soweit der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung betroffen ist, also nicht schon dann, wenn eine Mehrheit einfach nicht wissen will, was im Hintergrund ist.
Es stellt sich also die grundsätzliche Frage, ob alle Beratungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums geheim sein müssen und ob die Mitglieder des PKG grundsätzlich zur Geheimhaltung verpflichtet werden können. Ich bin der Meinung, dass das in dieser Pauschalität nicht geht, weil eben nicht alle Angelegenhei
ten, die im PKG beraten werden, so brisant sind, dass der Bestand des Staates gefährdet wäre, wenn sie denn öffentlich bekannt würden. Im Gegenteil: Das Parlament und auch die Öffentlichkeit haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, was ganz konkret und im Einzelfall, im Landesamt für Verfassungsschutz, zum Beispiel bei der Wohnraumüberwachung gemacht wird und was nicht. Es geht also um grundsätzliche Fragen der Kontrolle des Verfassungsschutzes.
Meine Damen und Herren, der heutige Gesetzentwurf der GRÜNEN leistet einen kleinen Beitrag zur Verbesserung der Kontrolle. In der Ersten Lesung vor über einem Jahr am 23. Mai 2012 habe ich es als problematisch bezeichnet – Sie haben das im Innenausschuss zitiert –, dass der Vorschlag der GRÜNEN beinhaltet, dass die einzelnen Mitglieder des Gremiums im Prinzip die gleichen Rechte erhalten sollen wie das Gremium insgesamt.
Ich bleibe dabei: Es ist schon ein verfassungsrechtliches Problem, weil das Grundgesetz davon spricht, dass die Kontrolle durch ein Gremium ausgeübt wird. Ob es dann wirklich das Gremium in seiner Gänze meint, also alle Mitglieder des Gremiums – hier in unserem Fall sieben –, oder ob das auch bedeuten kann, dass das einzelne Mitglied des Gremiums berechtigt ist, diese Kontrolle auszuüben, bleibt offen. Wie gesagt, ich halte diese Frage nach wie vor für problematisch. Aber weil unser PKG mit seinen sieben Leuten so klein ist, geht es, wenn Individualrechte geschaffen werden sollen, wie es die GRÜNEN jetzt vorschlagen, letztlich auch um Minderheitenrechte. Nicht nur die GRÜNEN haben dort nur ein Mitglied, sondern auch andere Fraktionen haben nur ein Mitglied in diesem Gremium, sodass die Bedenken, die ich nach wie vor zugegebenermaßen habe, jedenfalls nicht so schwerwiegend sind, dass ich empfehlen würde, den jetzigen Gesetzentwurf abzulehnen.
Meine Damen und Herren, zum Zeitpunkt der Ersten Lesung gab es noch keinen Untersuchungsausschuss NSU. Wir haben damals erst angekündigt, dass wir einen beantragen wollen. Mittlerweile haben wir einen Untersuchungsausschuss NSU, der schon fast ein ganzes Jahr tagt. Er hat bisher 27 Sitzungen durchgeführt, eine Vielzahl von Zeugen, auch aus dem Bereich des Verfassungsschutzes und der Polizei, vernommen. Ohne voreilig sein zu wollen – das bleibt dem Abschlussbericht vorbehalten –, möchte ich dennoch feststellen, dass, wenn man sich die Arbeitsweise einzelner Bereiche des Landesamtes für Verfassungsschutz genau betrachtet, man leider sagen muss: Man blickt teilweise in Abgründe, die ich mir vorher nicht habe vorstellen können. Das mag Ausdruck meiner Naivität sein, aber es ist nach meinem Eindruck leider so. Und weil das so ist, meine Damen
und Herren, muss man den Gesetzentwurf in diesem Zusammenhang sehen.
Ich behaupte ausdrücklich nicht, dass die Mordanschläge des NSU, die Raubüberfälle und was es sonst noch gegeben hat, verhindert hätten werden können, wenn es damals schon das Parlamentarische-Kontrollgremium-Gesetz mit Stand von 2010 und sogar mit der jetzigen Änderung der GRÜNEN gegeben hätte. Das behaupte ich ausdrücklich nicht. Es wäre verwegen, diesen Zusammenhang herzustellen.
Dennoch kann es nicht schaden, diesem Gremium mehr Befugnisse zu geben. Ich kündige an, dass als Ergebnis unseres Untersuchungsausschusses, aber auch der Untersuchungsausschüsse im Bund und in den anderen Ländern noch viel weitreichendere Vorschläge gemacht werden müssen, und zwar nicht nur hinsichtlich der Tätigkeit und der Aufgabenbefugnisse der Verfassungsschutzbehörden, sondern auch hinsichtlich der parlamentarischen Kontrolle dieser Behörden. Das wird kommen, entweder noch in dieser Legislaturperiode oder zu Beginn der nächsten Legislaturperiode. Unabhängig davon wäre es vernünftig, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir erst vor wenigen Wochen über eine Regierungserklärung der Frau Staatsministerin diskutiert haben und mir nur 14 Minuten Redezeit übrig bleiben, muss ich mich auf einige wenige Ausführungen beschränken.
Ich möchte zunächst Kollegin Susann Biedefeld ganz herzlich dafür danken, dass sie unsere Anträge im Haushaltsausschuss vertreten und für die Belange der Justiz gekämpft hat.
Der Anteil der Justiz am Staatshaushalt, also alle Ausgaben für die Gerichte, die Staatsanwaltschaft, die Justizvollzugsanstalten und das Ministerium, beträgt gerade einmal 5 % der Gesamtausgaben. In absoluten Zahlen ist das gerade einmal ein Fünftel des Betrages, der für die Rettung der Landesbank zur Verfügung gestellt wurde. Gleichzeitig erwirtschaftet die Justiz mit einer Milliarde Euro Einnahmen bei 2 Milliarden Ausgaben den größten Kostenbeitrag aller Ressorts. Es ist bereits angesprochen worden, ich will es nur ganz kurz noch einmal streifen: Es ist einmal ausgerechnet worden, dass jeder Einwohner Bayerns pro Monat für die Justiz ungefähr den Gegenwert einer Pizza ausgibt. Meine Damen und Herren, Sie bekommen aber viel mehr dafür, nämlich eine alles in allem leistungsfähige Justiz, angefangen bei den Richtern über die Gerichtsvollzieher bis zu den Justizvollzugsbediensteten. Deshalb sage ich unsererseits herzlichen Dank an alle, die daran mitwirken, dass die bayerische Justiz seit vielen Jahren so gute Leistungen abliefert.
Meine Damen und Herren, es ist heute das erste Mal seit vielen Jahren, dass die Ministerin in der Haushaltsdebatte nicht um Verständnis dafür werben muss, dass sie weitere Kürzungen im Justizhaushalt leider nicht habe verhindern können. Ich erinnere an frühere Haushaltsdebatten, als bei der Justiz und beim Justizvollzug Stellen eingezogen wurden und durch die Verlängerung der Wochenarbeitszeit weggefallen sind. Ich erinnere auch daran, dass jahrelang mehr schlecht als recht lediglich der Mangel verwaltet worden ist und der unbestrittene Personalmangel fast schon schicksalergeben hingenommen wurde. Die Justiz und der Justizvollzug waren lange Zeit Stiefkinder dieser Staatsregierung, denen man zugemutet hat, immer am Anschlag zu arbeiten, und von denen gleichzeitig aber immer mehr Spitzenleistungen erwartet wurden. Ich darf an die vielen Hilferufe aus der
Justiz erinnern, die uns als Landtag erreicht haben. Ich erinnere auch daran, dass die Ministerin noch vor einem Jahr stolz darauf war, dass seit dem Jahr 2003 ganze 66 Stellen, also 8 Stellen pro Jahr, neu geschaffen wurden.
Nun endlich sollen die im Koalitionsvertrag versprochenen neuen Stellen geschaffen werden. Das ist gut so und im Übrigen eine späte Rechtfertigung der vielen Anträge der Opposition, die von der Mehrheit allesamt in Bausch und Bogen abgelehnt wurden.
Wenn man aber genau rechnet, meine Damen und Herren, dann stellt man fest, dass jetzt noch nicht einmal die früher wegen der Verlängerung der Wochenarbeitszeit und sonstiger Maßnahmen weggenommenen Stellen ausgeglichen werden. Deshalb ist es mehr als recht und billig, dass es nun neue Stellen gibt. Ob sie tatsächlich und wann sie kommen, wird man sehen.
Dennoch wird es keine spürbare Entlastung geben, jedenfalls nicht in allen Bereichen. Nach der Personalbedarfsberechnung fehlten im Jahr 2011 im richterlichen Dienst immerhin 280 Arbeitskraftanteile. Die Stellen, die Sie uns heute genannt haben, reichen nicht aus, um die Fehlstellen auszugleichen. Im staatsanwaltschaftlichen Dienst waren es immerhin 114 Arbeitskraftanteile, bei den Rechtspflegern rund 194, bei den Service-Kräften 116, bei den Bewährungshelfern 45 und im Justizvollzug unter Zugrundelegung des Bundesdurchschnitts immerhin 800 Stellen. Viel besser ist es auch heute nicht und wird es auch nicht werden.
Meine Damen und Herren, die Belastungssituation bei Richtern und Staatsanwälten an den verschiedenen Gerichten und Staatsanwaltschaften wird auch nach der Schaffung der angekündigten neuen Stellen angespannt bleiben. Richter und Staatsanwälte werden weiterhin über Gebühr belastet sein mit der Konsequenz, dass Verfahren länger dauern, als sie eigentlich dauern müssten, mit der weiteren Konsequenz, dass Beschlüsse zwar gefällt und Verfügungen erlassen werden, die Vorgänge aber liegen bleiben, wenn ein Mitarbeiter krank wird und keine Vertretung vorhanden ist.
Konsequenz der jahrelang andauernden Belastung ist nicht nur, dass Mitarbeiter ausgebrannt sind, sondern auch, dass die Neigung zunimmt, große Strafverfahren durch eine Absprache zu beenden. Das mag im Einzelfall vernünftig sein, ist aber dann unerträglich, wenn dadurch der Eindruck entsteht, dass mit den Großen und Reichen über das Strafmaß verhandelt
wird, während der kleine Mann auf die Schnelle mit Strafbefehlen abgespeist wird.
Es ist auch dann bedenklich, wenn der Anspruch auf der Strecke bleibt, im Strafprozess die Wahrheit zu erforschen.
Vor Kurzem hat die "Wirtschaftswoche" unter der Überschrift "Große Show, kleines Kaliber" berichtet, dass im Nachgang zur Finanzkrise eine Klagewelle auf die Justiz zurollt und die umfangreichen Zivil- und Strafverfahren nicht mehr zeitgerecht erledigt werden können. Ich verkenne nicht, dass sich insbesondere die Staatsanwaltschaft und die Justiz in München große Verdienste bei der Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen erworben haben, weiß aber auch, dass dort die Belastung so hoch ist, dass viele Täter bereits auf Verjährung hoffen können.
Es wird so bleiben, dass bayerische Bewährungshelfer mehr Probanden betreuen als in anderen Bundesländern; und es wird so bleiben, dass in den Justizvollzugsanstalten auf einen Bediensteten mehr Gefangene kommen als in den anderen Bundesländern. Das ist problematisch, weil unstrittig ist, dass die Zusammensetzung der Strafgefangenen immer schwieriger wird und weil in den neuen Strafvollzugsgesetzen ambitionierte Vorgaben für Therapien gesetzt wurden.
Es bleibt auch so, dass bei der Justiz Hunderte von Mitarbeitern oft mehrfach hintereinander oder immer wieder mit kurzen Unterbrechungen nur befristet beschäftigt werden. Die Justiz ist leider ein schlechter Arbeitgeber und duldet prekäre Beschäftigungsverhältnisse.
Das werden wir auch im Zusammenhang mit der Beschäftigung privater Sicherheitsdienste erleben.
Trotz aller Fortschritte, die ich durchaus anerkenne, ist der vorliegende Justizhaushalt kein ganz großer Wurf, sondern nur der Versuch, den durch die bekannten Kürzungsbeschlüsse in den letzten Jahren entstandenen Schaden zu beheben, mehr aber auch nicht.
Leider habe ich nicht mehr genügend Redezeit, um auf rechtspolitische Fragen einzugehen, deswegen sage ich nur ein, zwei Sätze dazu: Die Sicherungsverwahrung fällt uns auf die Füße. Das jetzige Problem ist die Folge davon, dass sich auch in Bayern der Vollzug der Sicherungsverwahrung viel zu lange nicht vom Vollzug der Strafhaft unterschieden hat.
Mich ärgern besonders die von der schwarz-gelben Koalition in Berlin mit Unterstützung der hiesigen gleichfarbigen Koalition vorgenommenen Eingriffe in das soziale Mietrecht. Das Äquivalenzprinzip soll plötzlich nicht mehr gelten. Obwohl bei Umbau und Modernisierungsmaßnahmen lediglich ein Teil der geschuldeten Leistung durch die Vermieter erbracht wird, sollen die Mieter die volle Miete bezahlen. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, wie skrupellos die Interessen von Lobbyisten, in diesem Fall die der großen Immobilienspekulanten, bedient werden.
Meine Damen und Herren, ich kann nicht mehr zum Opferschutz und vielen anderen Dingen reden. Lassen Sie mich zum Schluss aber doch noch Folgendes sagen: Die bayerische Justiz ist bedauerlicherweise ins Gerede gekommen. Sie muss es aushalten, dass ihre Entscheidungen in der Öffentlichkeit erörtert und infrage gestellt werden. Wir haben keine Geheimjustiz, Verhandlungen finden öffentlich statt, und Urteile werden im Namen des Volkes und nicht im Namen der Staatsregierung gefällt und verkündet. Wenn man die Bürgerinnen und Bürger fragt, zu welchen Berufsgruppen sie Vertrauen haben und zu welchen nicht, dann rangieren Richter und Staatsanwälte ziemlich weit oben, Gebrauchtwagenhändler und Politiker ziemlich weit unten. Die nur dem Gesetz und dem Recht unterworfene Justiz genießt nicht nur bei unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern hohes Ansehen, sondern auch im Ausland und bei international tätigen Unternehmen. Sie ist ein nicht zu unterschätzender Standortfaktor. Die Justiz ist systemrelevant, mehr als manche Bank.
Die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Gerichte sind mehr als nur Ordnungsvorschriften oder Bestimmungen in irgendeiner Geschäftsordnung. Die richterliche Unabhängigkeit ist auch kein Standesprivileg von Halbgöttern in Schwarz oder Violett. Sie ist vielmehr eine zivilisatorische Errungenschaft, zu der wir bedauerlicherweise erst gezwungen werden mussten. Es ist deshalb aus meiner Sicht zumindest grob fahrlässig, an diesem Prinzip zu rütteln und zu verlangen, dass sich die Politik, ob in Gestalt des Landtags, der Justizministerin oder gar des Ministerpräsidenten, einmischt und Urteile korrigiert und aus eigener Machtvollkommenheit echte oder vermeintliche Justizopfer entlässt. Es war ein Sündenfall, dass der Ministerpräsident diesen Eindruck zumindest erweckt hat. Die bayerische Justiz pauschal in Bausch und Bogen zu kritisieren und ihr Wahnsinn zu attestieren kann sich nur leisten, wer selber im Besitz der göttlichen Gabe der Unfehlbarkeit ist. Das sind wir
nicht, auch nicht die Justiz. Deshalb gibt es den Instanzenzug und die Möglichkeit der Wiederaufnahme sowie der Anrufung der Verfassungsgerichtsbarkeit. Darüber waren wir uns über Jahrzehnte hinweg immer einig. Es wäre gut, wenn es so bliebe.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir befassen uns mit diesem Thema auf Wunsch der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, die einen Antrag der SPDFraktion
hochgezogen hat. Wir hätten darauf verzichtet, weil der Bundesrat erst vor wenigen Wochen, am 12. Oktober, eine entsprechende Entschließung gefasst hat und es auf die CSU/FDP-Staatsregierung in Bayern offensichtlich so sehr gar nicht mehr ankommt.
Insofern hat sich der Antrag - teilweise zumindest - erledigt.
Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag wollten wir erreichen, dass sich die Staatsregierung auf Bundesebene für Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung der nach 1945 in beiden deut
schen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten einsetzen soll.
Die Verfolgung Homosexueller hat in der Zeit des Nationalsozialismus sicherlich ihren Höhepunkt erreicht. Mit Gesetz vom August 1935 wurde der Anwendungsbereich des § 175 des Reichsstrafgesetzbuches ausgeweitet und der Strafrahmen ganz erheblich verschärft. Zur Begründung hieß es damals, dass der "neue Staat, der ein an Zahl und Kraft starkes, sittlich gesundes Volk" erstrebe, "allem widernatürlichen geschlechtlichen Treiben mit Nachdruck begegnen" müsse. Die Ausbreitung der "Seuche" Homosexualität sollte verhindert werden.
Die Folge war, dass zwischen 1935 und 1945 Zigtausend Männer nach den §§ 175 und 175 a Nummer 4 des Reichsstrafgesetzbuches verurteilt worden sind. Tausende sind wegen ihrer Homosexualität in KZs verschleppt worden; die Mehrzahl von ihnen ist ermordet worden. Mit Gesetz vom Juli 2002 hat der Bundestag pauschal all diejenigen Urteile aufgehoben, die unter nationalsozialistischer Herrschaft nach den §§ 175 und 175a ergangen sind.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben eigentlich ein anderes Problem, dass nämlich die genannten Vorschriften in der Bundesrepublik bis ins Jahr 1969 weiter gegolten haben. In der BRD galt die verschärfte Gesetzgebung bis zur großen Strafrechtsreform weiter. Bis zur endgültigen Abschaffung des § 175 des Strafgesetzbuches erst im Mai 1994 bestanden unterschiedliche strafrechtliche Schutzaltersgrenzen für homo- und heterosexuelle Handlungen. In der BRD sind bis zur Strafrechtsreform angeblich circa 50.000 Männer wegen ihrer Homosexualität verurteilt worden.
Und nun haben wir das Problem, dass diejenigen, die im Nationalsozialismus nach den damaligen Vorschriften des Reichsstrafgesetzbuches verurteilt worden sind, rehabilitiert worden sind und unter Umständen ein Recht auf materielle Entschädigung durch die Bundesrepublik als Nachfolgestaat haben und dass diejenigen, die später in der BRD oder in den Anfangsjahren auch in der DDR wegen der identisch gefassten Strafrechtsbestimmungen verurteilt worden sind, bis heute nicht rehabilitiert worden sind und keine Haftentschädigung geltend machen können.
Mit dem vorliegenden Antrag hat die SPD-Landtagsfraktion deshalb die Initiative des Landes Berlin aufgegriffen, um endlich Maßnahmen zur Rehabilitierung des betroffenen Personenkreises zu prüfen.
Der Bundesrat hat, wie bereits eingangs gesagt, nun am 12. Oktober unter der Präsidentschaft des Bayerischen Ministerpräsidenten ohne Aussprache eine
entsprechende Entschließung gefasst, die wörtlich wie folgt lautet:
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung für die nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten vorzuschlagen.
Die Staatsregierung hat, wie ich gehört habe, im Bundesrat dagegen gestimmt, sodass man doch die Frage stellen muss: Warum hat sie denn dagegen gestimmt, dass die Bundesregierung aufgefordert wird, Maßnahmen vorzuschlagen? Das gibt doch nur dann Sinn, wenn man nicht will, dass entsprechende Maßnahmen ergriffen werden,
weil einem das Ergebnis nicht passt, weil man also auch das Problem der unterschiedlichen Behandlung der verschiedenen Personenkreise von 1933 bis 1945 und von 1945 bis 1969 offensichtlich nicht als Problem anerkennen will.
Ich kenne die Argumentation, dass man Urteile, die in der Bundesrepublik Deutschland gefällt worden sind, in einem Rechtsstaat unter der Geltung der Gewaltenteilung, nicht so mir nichts, dir nichts aufheben kann. Das weiß ich wohl.
Das ist auch in dem Antrag des Landes Berlin und in der Begründung der Entschließung des Bundesrates beschrieben worden. Aber darum geht es nicht! Das ist nicht Inhalt und Forderung der Entschließung, sondern es geht nur darum, Maßnahmen vorzuschlagen, und wer dagegen ist, muss das gut begründen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir haben eine Premiere erlebt: die allererste Regierungserklärung der Frau Staatsministerin in neun Jahren! Die Tatsache, dass ausgerechnet heute und jetzt eine Regierungserklärung abgegeben worden ist, hat aber trotz der schönen Worte eigentlich nichts mit der bayerischen Justiz zu tun, sondern vielmehr mit der Justizministerin und damit, dass offensichtlich jeder Minister verdonnert worden ist, auf die Schnelle noch eine Regierungserklärung abzugeben, ob man sie nun braucht oder nicht.
Ja, so ist es doch! In der Sache selbst haben wir nicht viel Neues über die starke Justiz im starken Bayern erfahren, sondern wieder einmal erlebt, dass eine Justizministerin über weite Passagen wie eine Innenministerin geredet hat.
Wichtiger als das, was über eigentlich bundespolitisch zu regelnde Themen wie Cybercrime, Button-Lösung und Urheberrecht oder über die Paralleljustiz gesagt worden ist, für die es trotz aller Suche bisher keine Beweise gibt, ist fast das, was nicht gesagt worden ist.
Wenn man sich Ihre Rede, Frau Ministerin, noch einmal im Einzelnen vergegenwärtigt, stellt man fest, dass Sie fast kein Wort über die eigentlichen Probleme des Strafvollzugs verloren haben, dass Sie kein Wort über die Ausdünnung der Justiz in der Fläche verloren haben, dass Sie fast kein Wort - ausgenommen Ihre Bemerkungen am Schluss - über die Belastung der Richter und Staatsanwälte, Rechtspfleger, Bewährungshelfer und Vollzugsbediensteten verloren haben.
Weil es die erste Regierungserklärung in der mittlerweile schon neunjährigen Amtszeit der Frau Ministerin ist, muss und wird es erlaubt sein, neben den Tagesaktualitäten und allfälligen Lobhudeleien, die sein müssen - dafür habe ich Verständnis -, auch etwas grundsätzlicher auf das Thema "starke Justiz" einzugehen.
Meine Damen und Herren, ich muss mit einer Banalität beginnen, die offensichtlich nicht so geläufig ist: Die Justiz ist nicht irgendein Teil der staatlichen Verwaltung, sondern die Justiz ist die dritte Säule der staatlichen Gewalt.
Als eine der drei Staatsgewalten kann die Justiz grundsätzlich erwarten, von den beiden anderen Staatsgewalten nicht nur ihrer Bedeutung entsprechend behandelt, sondern auch respektiert zu werden.
Ich bedaure, diese Banalität hier betonen zu müssen. Doch gibt es leider viele Gründe, das zu tun. Ich muss daran erinnern, dass der frühere Ministerpräsident Dr. Stoiber im Herbst 2003 in seiner Regierungserklärung zur Verblüffung aller Beobachter unter der Überschrift "Verwaltung - Projekt 21" dekretiert hat, dass das Bayerische Oberste Landesgericht und die damals noch 33 Zweigstellen der Amtsgerichte abgeschafft werden, wohlgemerkt unter der Überschrift "Verwaltungsreform", nicht aber unter der Überschrift "Justizreform".
Die Frau Staatsministerin hat den Willen des damaligen Ministerpräsidenten gegen den Rat aller Fachleute und der glühendsten Anhänger der bayerischen Justiz vollstreckt und das Bayerische Oberste Landesgericht trotz seiner über 375-jährigen Tradition abgeschafft.
Es muss doch weh tun, sehr geehrte Frau Dr. Merk, jetzt in der Autobiografie des Ministerpräsidenten a. D. nachlesen zu müssen, dass es ein Fehler war, was Sie da vollstreckt haben.
Das ist in dieser Biografie so nachzulesen. Es würde mich im Übrigen auch nicht wundern, wenn der jetzige Ministerpräsident demnächst verkünden würde, dass es wahrscheinlich auch ein Fehler war, 32 Zweigstellen von Amtsgerichten zu schließen.
Wo immer man ihn treffen wird an den ehemaligen Standorten der Zweigstellen, wird er das, so nehme ich an, sagen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Versuch, zusätzlich zum Bayerischen Obersten und den amtsgerichtlichen Zweigstellen auch noch mehr als die Hälfte aller Insolvenzgerichte abzuschaffen, ist bereits im Ansatz gescheitert. Was also heißt hier "starke Justiz"? Ich stelle fest, dass die Justiz in Bayern während der Amtszeit der Frau Ministerin an Haupt und Gliedern amputiert worden ist.
Jedenfalls wird man die Abschaffung des Bayerischen Obersten und die Schließung fast aller Zweigstellen wohl nicht als Stärkung der Justiz in Bayern verkaufen können.
Ein Weiteres, meine Damen und Herren: Die Forderungen nach Selbstverwaltung der Justiz wollen nicht verstummen, im Gegenteil. Selbst eher konservative Vereinigungen wie der Bayerische Richterverein fordern eine weitgehende Selbstverwaltung, weil sie den Glauben daran verloren haben, von der Exekutive und der Legislative ihrem Stellenwert entsprechend respektiert, behandelt und ausgestattet zu werden. Natürlich weiß ich, dass alles relativ ist und dass die Personal- und Sachmittelausstattung in Bayern besser ist als in vielen anderen Bundesländern. Das weiß ich wohl. Das will ich auch gar nicht bestreiten. Aber
auch, wenn es besser ist als anderswo, ist es doch noch nicht gut. Die neuesten mir vorliegenden Erhebungen zum 31. März dieses Jahres zeigen, dass 174,10 Amtsrichter, 102,72 Richter an Landgerichten, 24,57 Richter an Oberlandesgerichten und 159,68 Staatsanwälte, insgesamt also 461,07 Richter und Staatsanwälte, in Bayern fehlen. Außerdem fehlen etwa 180 Rechtspfleger, mindestens 50 Bewährungshelfer und eine nicht genau bekannte Zahl von Mitarbeitern im mittleren Dienst.
Ich verkenne nicht und lobe ausdrücklich, dass in den letzten Jahren zusätzliche Stellen geschaffen worden sind. Es wird aber auch erlaubt sein, darauf hinzuweisen, dass die jetzige Koalition schön langsam und gemächlich - aber jedenfalls; das gebe ich zu - genau das umsetzt, was die Opposition in den letzten neun Jahren immer gefordert hat und was immer abgelehnt worden ist. Dennoch herzlichen Dank dafür.
Das gilt im Übrigen auch für die Justizwachtmeister. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wäre doch für die Opposition ein Leichtes gewesen, im Jahr 2009 und im Januar 2012 nach den tödlichen Schüssen am Landgericht in Landshut und später auch am Amtsgericht Dachau laut aufzuschreien und Vorwürfe zu erheben, dass das Problem der Sicherheit in Gerichtsgebäuden lange Zeit verkannt und nicht ernst genommen worden ist. Wir haben es nicht getan. Man wird aber auch daran erinnern dürfen, dass wir schon Jahre vorher gefordert hatten, Zugangsschleusen zu bauen, die Zugangskontrollen zu verstärken und die hierfür erforderlichen Justizwachtmeister auszubilden und einzustellen, und man wird auch daran erinnern dürfen, dass noch im Jahr 2009 entsprechende Anträge abgelehnt worden sind. Dennoch werden wir jetzt Ihrem Vorschlag, 140 neue Stellen zu schaffen, selbstverständlich zustimmen, auch wenn die Einsicht leider etwas spät kommt.
Aber das nur nebenbei, meine Damen und Herren.
Zurück zum Ruf nach der Selbstverwaltung der Justiz. Diese Forderung hat auch etwas damit zu tun, dass die Besetzung von Führungspositionen in der bayerischen Justiz nach wie vor nicht transparent ist. Nach wie vor macht eigentlich ein ganz kleiner Kreis unter sich aus, wer welche Positionen in der bayerischen Justiz einnehmen darf und soll. Ein bisschen Sand ins Getriebe ist allerdings dadurch gekommen, dass neuerdings auch die FDP Ansprüche auf höchste Positionen in der bayerischen Justiz erhebt und nach einigem Gewürge - ich erinnere an Bamberg und Nürnberg - auch bekommt. Die nicht nur von der Opposition
immer wieder erhobene Forderung, dass hohe und höchste Stellen transparent vergeben werden sollten, ist, aus welchen Gründen auch immer, stets abgelehnt worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei der ersten Regierungserklärung der Justizministerin nach neun Jahren Amtszeit muss auch an die vielen Pannen erinnert werden, die in diesen Jahren in der bayerischen Justiz durchaus auch vorgekommen sind von Nürnberg über Augsburg bis hin zu der Tatsache, dass nicht nur ein gefährlicher Straftäter in den letzten Jahren freigelassen werden musste, weil der zuständige Richter Fristen hatte verstreichen lassen. Ich mag mir das Geschrei gar nicht vorstellen, das Sie angestimmt hätten, wenn so etwas in einem Land passiert wäre, in dem ein SPD-Minister Verantwortung getragen hätte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, man müsste auch über die zunehmende Tendenz zur Auseinanderentwicklung in unserer Justiz reden, darüber, dass wir auf der einen Seite eine Fließbandjustiz haben im Bereich des Strafrechts mit Strafbefehlen und Anklagen - und auf der anderen Seite, jedenfalls bei großen Strafsachen, eine zunehmende Tendenz hin zum Abschluss der Verfahren durch sogenannte Deals. Man müsste auch darüber reden, wem eigentlich die Zunahme von Mediation und Güterichtern letztlich zugute kommt, wem sie dient, ob wirklich Krethi und Plethi diese neuen Instrumente in Anspruch nehmen können oder ob letztlich nur ein bestimmter Teil der Bevölkerung von diesen neuen Methoden profitieren kann. Man müsste auch an die Geiselnahme in der JVA Straubing und daran erinnern, dass sich ein veritabler Kammervorsitzender vor einem verurteilten Straftäter und ehemaligen CSU-Staatssekretär in aller Demut verneigt hat. Meine Damen und Herren, ich will es nicht vertiefen, weil ich weiß, dass Sie, Frau Ministerin, unmittelbar keine Verantwortung hierfür tragen. Aber diese Dinge sind jedenfalls auch in Ihrer Amtszeit geschehen.
Ich will aber noch über die Situation in den Justizvollzugsanstalten reden. Trotz zusätzlicher Stellen im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes fehlen immer noch mindestens 600 Bedienstete des allgemeinen Vollzugdienstes, obwohl nach allgemeiner Überzeugung die Zusammensetzung der Gefangenen immer problematischer wird und obwohl die Anforderungen an den Strafvollzug gewachsen sind. Ich erkenne ausdrücklich an, dass mit dem Bayerischen Strafvollzugsgesetz und dem Bayerischen Jugendstrafvollzugsgesetz ehrgeizige Ziele formuliert worden sind, insbesondere was die Schaffung von Therapieangeboten betrifft, und wir erkennen ausdrücklich auch an, dass sich die Vollzugs
bediensteten und Fachkräfte redlich bemühen. Dennoch: Das nach wie vor vorrangige Ziel der Resozialisierung wäre viel leichter zu erreichen, stünde genügend Personal zur Verfügung.
Meine Damen und Herren, dass wir heute auch noch über einen Gesetzentwurf der Staatsregierung zum Vollzug der Sicherungsverwahrung reden müssen, hat auch, aber nicht nur damit zu tun, dass auch in Bayern jahrzehntelang kaum ein Unterschied zwischen Strafvollzug und Sicherungsverwahrung gemacht worden ist. Gerade einmal fünf Artikel war Ihnen der Vollzug der Sicherungsverwahrung im Strafvollzugsgesetz von 2007 wert. Jetzt bekommen wir ein Gesetz mit über 100 Artikeln. Gerade weil es fast keinen Unterschied gemacht hat, ob jemand als Strafgefangener oder als Sicherungsverwahrter in seiner Zelle gesessen ist, ist es zu der jetzigen Problemlage gekommen. Der jetzt aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts entstandene Reformdruck wäre nicht entstanden, wenn das Rechtsinstitut der Sicherungsverwahrung vorsichtig und wirklich nur als "Ultissima Ratio" behandelt worden wäre und wenn es nicht wegen Ihres ständigen Drängens zunehmend ausgeweitet worden wäre.
Weil Sie in Ihrer Regierungserklärung auch von den Erfolgen der bayerischen Rechtspolitik gesprochen haben, sehr geehrte Frau Staatsministerin, ist festzuhalten, dass die Reform der Sicherungsverwahrung sicherlich nicht zu den Erfolgen der Staatsregierung, sondern eher zu ihren großen Niederlagen gezählt werden muss.
Beim Thema "starke Justiz" muss auch die Frage erlaubt sein, was eigentlich aus den vielen Ankündigungen von einer großen Justizreform geworden ist, außer dass ganze Heerscharen von Ministerialbeamten jahrelang in Arbeitskreisen und bei Fachkonferenzen zusammengesessen sind. Ein Systemwechsel bei den Gerichtsvollziehern ist angekündigt worden; nichts ist daraus geworden. Die Übertragung von Aufgaben der Nachlassgerichte auf Notare ist angekündigt worden, nichts ist daraus geworden. Die Straffung der Gerichtsorganisation ist angekündigt worden, nichts ist daraus geworden. Die Zusammenlegung von Fachgerichtsbarkeiten ist angekündigt worden; fast nichts ist daraus geworden; jetzt gibt es lediglich eine Länderöffnungsklausel. Eine einheitliche Verfahrensordnung ist angekündigt worden; nichts ist daraus geworden. Es gab fast nur Ankündigungen, im Speziellen auch im Bereich der Opferhilfe. Es wird doch niemand behaupten können, dass eine Stiftung "Op
ferhilfe" mit einem Kapital von 20.000 Euro tatsächlich die Opferhilfe in Bayern nennenswert voranbringt. Dieser Betrag ist so lächerlich, dass man sich fast schämen muss.
Wichtig ist mir aber auch noch, darauf hinzuweisen, dass die Bundesregierung mit Beteiligung der CSU und der FDP aktuell dabei ist, die nachträgliche Sicherungsverwahrung bzw. Unterbringung hoch gefährlicher psychisch gestörter Straftäter völlig abzuschaffen. Wenn es stimmt, was Sie uns früher immer entgegengehalten haben und was die Frau Staatsministerin gestern in der Pressemitteilung 262/12 verkündet hat, dass nämlich die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung bzw. Unterbringung unbedingt erforderlich ist, um die Menschen vor hoch gefährlichen Straftätern zu schützen, dann gefährdet diese Bundesregierung mit Beteiligung der CSU die innere Sicherheit in unserem Land und versagt beim Schutz der Bevölkerung vor hoch gefährlichen Straftätern;
wenn es stimmt. Wenn es nicht stimmt, dann waren Ihre bisherigen Anwürfe gegen uns und im Übrigen auch gegen die FDP falsch.
Wenn es stimmt, was Sie den Gegnern der Vorratsdatenspeicherung vorgeworfen haben, dass es nämlich ohne Vorratsdatenspeicherung nicht möglich ist, schwere und schwerste Verbrechen - genannt werden in diesem Zusammenhang immer Kinderpornographie und sexueller Missbrauch von Kindern - aufzuklären, dann stellt die Unfähigkeit der jetzigen Bundesregierung mit Beteiligung der CSU, eine neue Regelung der Vorratsdatenspeicherung zu verabschieden, ein Sicherheitsrisiko für dieses Land dar, das noch dazu wegen der Strafzahlungen an die EU teuer bezahlt werden muss;
wenn es stimmt, meine Damen und Herren. Wenn es nicht stimmt, dann haben Sie uns etwas Falsches erzählt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dort, wo sich die Staatsregierung auf rechtspolitischem Gebiet durchsetzen konnte, kann man dies nur bedauern. Ich meine die Anhebung der Höchststrafe im Jugendstrafrecht und die Einführung des sogenannten Warnschussarrests. Beides ist nicht geeignet, auch nur ein Problem zu lösen, aber sehr wohl dazu, Stimmungen zu erzeugen. Man müsste jetzt auch darüber reden, dass im Mietrecht Änderungen vorgenommen wer
den, die nicht im Interesse der Mieter sein können, sondern ihnen im Gegenteil schaden werden.
Die Justiz in Bayern ist nicht stark. Das haben Sie auch selbst gesagt. Man sollte sich darunter keinen Muskelprotz vorstellen. Sie ist aber auch nicht schwach. Vielmehr ist sie Gott sei Dank kompetent, hoch angesehen, meistens auch schnell. Die Justiz gewährt nicht nur Rechtsschutz, sorgt für die Verurteilung von Straftätern, schafft Rechtssicherheit und Rechtsfrieden und kümmert sich zusammen mit den Justizvollzugsanstalten um die Wiedereingliederung von Straftätern, sondern ist mittlerweile auch ein wichtiger Standortfaktor innerhalb Deutschlands, aber auch innerhalb Europas geworden. Das zeichnet die Justiz aus.
Viele Investoren fragen zum Beispiel: Wie funktioniert bei euch das Grundbuch? Kann man sich darauf verlassen, dass ein Kaufvertrag erfüllt wird und eine Forderung notfalls eingetrieben werden kann? - In Bayern ist das so. Dafür muss man der Justiz danken.
Die Justiz ist gut. Sie könnte aber noch besser sein, wenn die Staatsregierung sie nicht immer wieder genauso behandeln würde wie irgendeinen anderen, xbeliebigen Teil der Staatsverwaltung, sondern sie in ihrer Bedeutung als dritte Gewalt respektierte und entsprechend ausstattete. Dann würden die Rufe nach Selbstverwaltung wieder etwas leiser werden.
In diesem Sinne hoffe ich, dass es beim Doppelhaushalt gelingt, berechtigte Forderungen endlich zumindest teilweise umzusetzen, was man schon lange hätte machen können.