Protocol of the Session on May 27, 2009

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 22. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Diese wurde wie immer vorab erteilt.

Ich darf Sie bitten, eines ehemaligen Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 15. Mai verstarb der ehemalige Abgeordnete Adolf Beck im Alter von 71 Jahren. Er gehörte dem Bayerischen Landtag 33 Jahre lang an, und zwar von 1970 bis 2003. Er vertrat für die Fraktion der CSU den Stimmkreis Regensburg-Land. Im Landtag engagierte er sich in einer Vielzahl von Gremien. Besonders prägend war dabei sein Einsatz im Wirtschaftsausschuss, dessen Mitglied er 29 Jahre lang war. Dabei galt sein großes Interesse vor allem Fragen der Energieversorgung.

Adolf Becks politische Wurzeln lagen vor allem in der Kommunalpolitik. So gehörte er viele Jahre lang dem Kreistag des Landkreises Regensburg in herausgehobener Position an. Seine kirchliche Bindung kam unter anderem darin zum Ausdruck, dass er in der Diözese Regensburg 20 Jahre lang Vorsitzender des DJK war und nach seinem Ausscheiden zu dessen Ehrenvorsitzenden gewählt wurde.

Der Bayerische Landtag wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. - Ich danke Ihnen, dass Sie sich zu Ehren des Toten von Ihren Plätzen erhoben haben.

Nun, verehrte Kolleginnen und Kollegen, komme ich zum Erfreulichen; bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich im Namen des Hohen Hauses herzliche Geburtstagsglückwünsche aussprechen: Am 23. Mai konnte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CSU, Herr Kollege Thomas Kreuzer, einen runden Geburtstag feiern.

(Allgemeiner Beifall)

Lieber Herr Kollege, herzlichen Glückwunsch, alles Gute, Gesundheit und weiterhin gutes Gelingen in der großen parlamentarischen Verantwortung und darüber hinaus.

Einen Tag später feierte Herr Kollege Dr. Franz Rieger einen runden Geburtstag. Wir gratulieren ihm und schicken ihm Grüße nach Hause, vor allen Dingen auch Genesungswünsche. Wir hoffen und wünschen uns, dass er sehr bald wieder in unseren Reihen sein kann.

Herzlichen Glückwunsch nach Hause und gute Genesung für Herrn Kollegen Dr. Rieger.

(Allgemeiner Beifall)

Auch heute haben wir einen Geburtstag zu feiern: den von Frau Kollegin Tanja Schweiger. Herzlichen Glückwunsch zum heutigen Geburtstag und Gesundheit!

(Allgemeiner Beifall)

Frau Kollegin Schweiger, wenn wir noch vor Mitternacht mit dieser Sitzung fertig werden: Wir wären noch anzusprechen.

(Heiterkeit)

Aber bis dahin zunächst einmal gutes Schaffen. Alles Gute für Sie.

(Tanja Schweiger (FW): Sie haben gesagt, Sie geben eine Brotzeit aus!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN "Schullandschaft aus der Schieflage holen - Mit neuen Schulmodellen eine Perspektive für den ländlichen Raum ermöglichen"

Hierzu darf ich für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN Herrn Kollegen Gehring das Wort erteilen. 10 Minuten Redezeit sind für Sie beantragt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diese aktuelle Debatte nicht beantragt, weil jetzt die FDP am Koalitionswerk rüttelt. Noch wissen wir nicht so recht, ob das ein Beben oder vielleicht ein Zittern auslöst. Nein, wir haben diese aktuelle Debatte beantragt, weil die Erwartungen und die Hoffnungen in der Bildungspolitik groß sind und der Handlungsdruck immens ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es gab durchaus Erwartungen und Hoffnungen, dass sich nach der Landtagswahl etwas in Bayern ändert. Zum Beispiel gab es die Erwartung, dass die CSU aus ihrer Wahlniederlage etwas gelernt hat, die viel damit zu tun hat, dass die CSU zumindest in der Bildungspolitik nicht mehr nahe an den Menschen ist.

Es gab die Erwartung, dass ein neuer Minister mit neuen Akzenten und mehr Durchsetzungskraft als sein Vorgänger neue Dinge anstößt.

Erwartungen wurden auch vom Koalitionspartner FDP geschürt, der mit großen Ankündigungen in die Koalitionsverhandlungen ging, mit wenig herausgekommen ist, aber dann immer noch von Erfolgen gesprochen hat.

(Thomas Hacker (FDP): Wenig ist besser als nichts!)

Es gab vor allem große Erwartungen und Hoffnungen mit den sogenannten Kooperationsmodellen, Hoffnungen für die Erhaltung der Schulen im ländlichen Raum, die neue Modelle entwickelt haben, um ihren Schülerinnen und Schülern einen mittleren Abschluss zu ermöglichen.

Es gab also große Erwartungen und Hoffnungen - und dann kamen die Richtlinien des Kultusministeriums im KMS vom 13. März. Damit wurde deutlich: Diese Kooperationsmodelle helfen den Schulen im ländlichen Raum leider gar nichts.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN - Zuruf von den GRÜNEN: Schlimm!)

Die Kriterien sind so formuliert, dass vor allem die Hauptschulstandorte im ländlichen Raum, die neue Modelle entwickelt haben, davon eben nicht erfasst sind. Kriterien wie räumliche Nähe von Hauptschule und Realschule, mindestens Zweizügigkeit beider Schulen, keine Kooperation im Pflichtunterricht, also im Kerngeschäft von Schule, sondern nur im Rahmen von Förderstunden, in Wahlfächern und im Sport. Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, was ist gewonnen, wenn Hauptschüler und Realschüler miteinander Fußball spielen und dafür noch 15 Kilometer mit dem Bus fahren müssen? Ist das wirklich ein Gewinn für die Hauptschulen im ländlichen Raum? - Nein.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Diese Kriterien der Modelle führen im Gegenteil dazu, dass eher noch mehr Kinder von der Hauptschule auf die Realschule wechseln sollen.

Die wichtigste Botschaft dieser Kriterien des Ministeriums lautet: Die Eigenständigkeit der beiden Schularten muss erhalten bleiben. Es darf also keine Vermischung dieser beiden Schularten geben. Es gab einen Satz in diesen Richtlinien, den ich für ungeheuerlich halte: "Jede Schülerin und jeder Schüler muss auch im Rahmen der Kooperation wissen, welcher Schulart er/sie angehört." Was für ein Satz! Was für eine Botschaft an die Schülerinnen und Schüler: Bleib, was du bist. Das

Sein wird bestimmt durch die Schublade, in die man dich gesteckt hat. Du bist Hauptschüler, bleib Hauptschüler, du Realschüler.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Wir haben Reaktionen aus ganz Bayern, Enttäuschungen von Schulen, die sagen: Damit ist uns nicht geholfen. Wir bekommen Briefe aus Margetshöchheim, aus Thalmässing, aus Iphofen oder auch aus dem Oberallgäu. Alle diese Schulen sagen: Für uns bieten diese Kooperationsmodelle keine Lösung.

Es gibt einen Brief der Schulen aus dem Oberallgäu, die von allen Landtagsabgeordneten, auch vom Kollegen Kreuzer und vom Kollegen Rotter, unterschrieben wurden. Sie sagen: Diese Kooperationsmodelle helfen uns nicht weiter. Der Tenor ist: Wir brauchen einen mittleren Abschluss an den Hauptschulen im ländlichen Raum. Dieser mittlere Abschluss - da dürfen wir uns nichts vormachen - muss von den Eltern und den Arbeitgebern so anerkannt werden wie ein Realschulabschluss. Er muss faktisch ein Realschulabschluss im ländlichen Raum sein. Ohne das können wir, glaube ich, keinen Erfolg erzielen.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wenn jetzt Schulen einen Antrag auf Kooperationsmodelle stellen, dann sind das zum Teil ganz andere Schulen, Schulen in der Stadt, wo Hauptschule und Realschule dicht nebeneinander liegen, dann ist das kein Erfolg für diese Kooperationsmodelle, sondern ein Zeichen, wie groß der Veränderungsbedarf an den Schulen ist. Es ist ein Zeichen für die Not, in der sich die Schulen befinden, aus der heraus sie Veränderungen wollen.

Weitergehend fragen die Bürgermeister aus vielen ländlichen Gemeinden, auch wenn sie bisher keine Modellversuche beantragt haben: Wie ist die Zukunft meiner Hauptschule im ländlichen Raum angesichts der gegenwärtigen Übertrittsquote? Wie ist die Zukunft der Schule, die jetzt einzügig wird in der fünften oder der sechsten Klasse? Sie fragen: Ist es richtig, jetzt noch 1 Million Euro für energetische Sanierung in dieses Schulgebäude zu stecken, wenn die Schule in fünf oder zehn Jahren keine Schüler mehr hat?

Deswegen, meine Damen und Herren, müssen wir jetzt eine Antwort geben, denn die Entwicklungen sind dramatisch. Wir haben den demografischen Wandel im ländlichen Raum, der zu einem Rückgang der Schülerzahl führt, und wir haben die sich verändernden Übertrittsquoten. Wir haben in diesem Jahr 40 % Übertritt an die Gymnasien in Bayern. Wir haben stabile Übertrittszahlen bei den Realschulen. Wer jetzt sagt: Auch bei

den Hauptschulen bleibt es stabil, der hat die Grundrechenarten nicht verstanden.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Es ist doch logisch, dass es bei den Hauptschulen heruntergeht.

Beispiel Landkreis Lindau. Dort gibt es zwei Grundschulklassen, die komplett an Gymnasium und Realschule wechseln. Da bleibt keiner mehr für die Hauptschule übrig. Der Landkreis Lindau ist ländlicher Raum, das ist nicht Erlangen oder München-Mitte. Wir haben steigende Übertrittsquoten aufs Gymnasium in Würzburg-Land, wir haben sie im Landkreis Landshut, obwohl es dort noch kein Gymnasium gibt.

Wir müssen jetzt die Antwort darauf geben: Wie sieht die Schullandschaft in zehn Jahren aus? Diese Antwort muss in diesem Jahr noch gegeben werden. Darauf warten die Bürgermeister, die Lehrer, die Eltern und die Schüler vor Ort.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Es gibt zwei Szenarien. Denken wir uns einen Landkreis mit etwa 25 Schulstandorten. In zehn Jahren wird es dort noch fünf Schulstandorte geben: zwei Gymnasien, eine Realschule und zwei Hauptschulen. Auf diese Hauptschulen werden noch 30 % der Schüler gehen. Dann können sie diese Hauptschule wirklich in "Restschule" umbenennen.

Ein zweites Szenario wird nicht mehr 25 Schulstandorte haben. Das kann niemand versprechen. Es hat vielleicht noch 17 Schulstandorte, wo an Schulen im ganzen Landkreis mittlere Bildungsabschlüsse verteilt werden, Abschlüsse, die in die FOS/BOS und in die gymnasiale Oberstufe führen. Vor dieser Frage stehen wir. Wir müssen jetzt die Weichen stellen, wie die Schullandschaft in zehn Jahren aussehen soll.

Sehr geehrter Herr Spaenle, Sie machen die regionalen Bildungsdiskurse und werden eine Hauptschulinitiative in der Allianz-Arena durchführen. Das ist wunderbar. Dann wird es um die Vernetzung von Schulen gehen, um die Profile der Hauptschulen, um die Schwerpunkte, und es wird um den Schülertourismus gehen. Die Schüler werden am Montag von A nach B fahren, andere von B nach A und weitere von C nach D. Das wird die Schulbuskosten noch einmal steigern. Man wird sehr schnell darüber reden, wie groß die Hauptschulen sein müssen, damit sie erfolgreich sein können. Mit dieser Maßnahme ist das Hauptschulsterben programmiert.