Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 52. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, spreche ich zwei Geburtstagsglückwünsche aus. Am 4. Juli feierte Kollege Hans Herold einen halbrunden Geburtstag,
Ich wünsche den Geburtstagskindern im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und viel Erfolg für ihre parlamentarischen Aufgaben.
Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der Fraktion der Freien Wähler "Verkürzung von Wehr- und Zivildienst Auswirkungen auf das Sozialsystem"
In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält einer ihrer Redner bis zu zehn Minuten Redezeit. Dies wird auf die Anzahl der Redner der jeweiligen Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält auf Antrag einer Fraktion eines ihrer Mitglieder Gelegenheit, fünf Minuten ohne Anrechnung auf die Zahl der Redner dieser Fraktion zu sprechen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute das Thema "Auswirkungen des verkürzten Wehr- und Zivildienstes auf das Sozialsystem" auf der Tagesordnung. Das Thema hat sich von der Öffentlichkeit anscheinend unbemerkt im Hintergrund aufgebaut. Jetzt lesen wir in großen Lettern die Äußerungen der Sozialverbände: "Ratlosigkeit", "Planungssicherheit verloren gegangen", "Wir wissen nicht, wie es weitergeht".
Am 17. Juni, einem eigentlich historischen Tag, hat die schwarz-gelbe Bundesregierung den Wehrdienst in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von neun auf sechs Monate verkürzt. In früheren Jahren wäre man am 17. Juni auf andere Ideen gekommen, als den Wehrdienst zu verkürzen. Man hat dies von der Öffentlichkeit unbemerkt durchgezogen.
Aber jetzt stellen wir fest: Familienministerin Schröder will die Auswirkungen auf den Zivildienst prüfen lassen. Meine Damen und Herren, man beschließt erst etwas, und wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, beginnt man, sich mit den Auswirkungen zu beschäftigen. Normalerweise bemüht man sich, sich im Vorfeld darüber Klarheit zu verschaffen, worauf eine Maßnahme hinauslaufen könnte. Im Vorfeld muss man mit den Betroffenen sprechen.
Dazu gehört einmal die Bundeswehr. Vor wenigen Tagen hatten wir Gelegenheit, beim Reservistenverband in Ingolstadt das fünfzigjährige Bestehen zu feiern. Auch dort herrscht über alle Ränge hinweg Ratlosigkeit. Dort herrscht die Aussage vor: Sechs Monate Wehrpflicht sind nicht zielführend; diese Bundeswehr funktioniert nicht mehr; das ist der Einstieg in den Ausstieg aus der Wehrpflicht.
Das Ende ist vielleicht eine Berufsarmee. Aber auch diese ist nicht vordiskutiert, wird aber ganz gezielt angesteuert. Das wäre eine Bundeswehr in Form einer Berufsarmee, die am Ende mehr kosten wird und in deren Reihen man nicht mehr den breiten Querschnitt der Bevölkerung finden wird. Damit wird zumindest ein großes Risiko eingegangen, die Verortung in der Bevölkerung zu verlieren. Zudem besteht - ich hoffe, dieser Kelch wird an uns vorübergehen - zumindest die Gefahr, dass sich Schwarz-Gelb zum Totengräber der Wehrpflicht in Deutschland gemacht hat.
Das geschieht zu einem Zeitpunkt, zu dem wir auch vor internationalen Herausforderungen stehen und nicht wissen, wie es weitergeht. Aus der Bundeswehr kommt die klare Aussage: Diese Situation halten wir auf Dauer nicht aus; das ist mit uns nicht abgesprochen; das ist keine Perspektive.
Genauso hören wir auf der anderen Seite bei den Sozialverbänden: Bei uns besteht Ratlosigkeit; wir wissen nicht, was übermorgen kommt. Sollen wir überhaupt noch auf Zivildienstleistende setzen? Oder sollen wir auf mehr Hauptamtliche umschalten? Kommt vom Bund irgendeine Kompensation, um die zu erwartenden Kostensteigerungen aufzufangen?
In Bayern haben wir etwa 6.000 bis 10.000 Zivildienstleistende eingesetzt. Die Zahl variiert im Jahresablauf. Die Zivildienstleistenden sind in vielen Pflegeverbänden, beim Roten Kreuz, bei der Caritas, bei Paritätischen Wohlfahrtsverbänden und dergleichen mehr, eingesetzt. Diese Leute haben heute keine Zukunftssicherheit. Vor allem in den Führungsetagen wird überlegt, wie es weitergehen soll. Diese Frage muss von einer Regierung beantwortet werden. Man lässt sich momentan aber treiben. Man hat keine Pläne.
Die Auswirkung wird sein, dass gerade im Alten- und Pflegebereich viele Einsatzgebiete wegfallen, die momentan das Leben in solchen Einrichtungen menschlicher gemacht haben. Dabei denke ich an die persönliche Ansprache und die persönlichen Kontakte, die über das normale Anziehen und Füttern hinausgehen. Entschuldigen Sie diese Dramatik in meinen Aussagen. Durch das, was ich sagte, ist das Dasein für viele erst menschenwürdig geworden.
Dazu braucht es auch eine gewisse Dauer der Betreuung. Es darf nicht ein ständiges Wechseln der Bezugspersonen stattfinden. Ein Wechseln der Bezugspersonen ist gerade in diesem sensiblen Bereich, in dem es auch um Rücksichtnahme auf Schamgefühle und dergleichen geht, ein nicht zu unterschätzender Störfaktor. Wenn man die Zivildienstleistenden in solchen Bereichen in einem Rhythmus von wenigen Wochen auswechselt, weil deren Einsatzzeit so kurz ist, dann führt das am Ziel vorbei.
Reihum hören wir Kritiken. Es wird gesagt: Es lohnt sich gar nicht mehr, diese Leute auszubilden, gerade auch im Rettungsbereich, wo man sechs Wochen oder länger ausgebildet werden muss, um überhaupt vernünftig eingesetzt zu werden. Denn wenn solche Leute gerade ihre Ausbildung hinter sich haben, werden sie schon wieder entlassen.
Die Verkürzung des Wehr- und Zivildienstes ist in meinen Augen also nur eine Zwischenstufe bis zur völligen Abschaffung der Bundeswehr als Wehrpflichtarmee und zur Abschaffung des Zivildienstes.
Es mag Wirtschaftskreise geben, die uns vorrechnen wie sie uns ja alles vorgerechnet haben, wie sie uns die Investments in Amerika vorgerechnet haben -, wie gut es für die Volkswirtschaft ist, wenn wir diese Leute sofort in reguläre Arbeitsverhältnisse bringen, wenn wir sie vollumfänglich bezahlen, weil dann mit dem erwirtschafteten Bruttosozialprodukt der Sozialbereich finanzierbar wäre. Aber diese Rechnung ist eine Milchmädchenrechnung, weil viele Dienstleistungen dann gar nicht mehr abgewickelt werden. Das ist auch
deshalb eine Milchmädchenrechnung, weil die Kosten auf die Kommunen durchschlagen werden; denn die Kommunen als Träger vieler Sozialverbände werden gezwungen, diese Leistungsbereiche selber abzudecken. Wenn der Zivildienst wegfällt, fällt auch dieser Bereich weg. Die Kommunen müssen tiefer in die Tasche greifen, und parallel dazu sinkt die Betreuungsqualität.
Das ist auch deswegen keine vollständige Rechnung, weil man die sozialen Faktoren nicht schwarz auf weiß erfassen kann. Ich bin davon überzeugt, dass dieser gesellschaftliche Sektor völlig wegbrechen wird - und das in einer Zeit, in der die immer stärkere Individualisierung kritisiert wird, in der kritisiert wird, dass sich der Einzelne immer mehr zurückzieht und sich nicht mehr für die Gesellschaft verantwortlich fühlt. Man redet stattdessen dem Shareholder Value das Wort, die Oma soll ein anderer pflegen, und die Leute, die jetzt vielleicht einige Monate früher ins Arbeitsleben eintreten, werden später, wenn sie selber Senioren sind, feststellen, dass sie nur noch als Nummer und Kostenfaktor behandelt werden. Diese Leute werden dann keine Zuneigung mehr erfahren, weil die Bezugsperson fehlt.
Es ist gerade in dieser Zeit nötig, eine Verantwortungsgemeinschaft aufzubauen, statt die vorhandenen Elemente noch zu zerstören. Zu dieser Verantwortungsgemeinschaft gehört fast seit Beginn der Bundesrepublik der Wehrgedanke. Das bedeutet, dass junge Leute bereit sind, ihre Gesellschaftsordnung zu verteidigen. Es wird immer notwendiger, solche Menschen zu haben, weil die Zahl der internationalen Einsätze zunimmt. Die Berufsarmee rekrutiert sich erfahrungsgemäß aus den Wehrpflichtigen. Wenn die Wehrpflichtigen wegfallen, werden wir massive Probleme haben, die Verteidigungsfähigkeit überhaupt noch aufrechtzuerhalten.
Sozialkompetenz erwirbt man, wenn man nach einem zugegeben anstrengenden Schulleben, bevor man das Studium aufnimmt, ins Arbeitsleben eintritt oder in die große weite Welt hinausgeht, bereit ist, andere Bereiche kennenzulernen. Hinzu kommt, dass es die Großfamilie, in der die Oma noch zu Hause gepflegt wird, nicht mehr gibt und somit die jungen Menschen die Pflege nicht mehr kennen. Der Pflegebereich ist aber wichtig, und es ist auch wichtig, dass die Söhne und Töchter von Direktoren die sozialen Dienste kennenlernen und in Altersheimen arbeiten. Auch die Söhne und Töchter von Direktoren sollten im sozialen Bereich gearbeitet haben und einige wenige Monate ihres Lebens darauf verwenden, für die Gesellschaft zu arbeiten. Das wird ihr gesamtes Leben prägen.
Vor diesem Hintergrund ist ernsthaft zu überlegen, ob wir einfach so weitermachen, das Ende abwarten und im Herbst irgendeinen Beschluss fassen oder ob wir das ist längst überfällig - in eine gesamtgesellschaftliche Debatte darüber eintreten, was wir überhaupt wollen. Diese Debatte ist bisher nicht geführt worden, und ich befürchte, dass demnächst Entscheidungen fallen werden, ohne die Bundeswehr, die Sozialverbände oder die Öffentlichkeit befragt zu haben. Es ist ernsthaft darüber nachzudenken, ein verpflichtendes soziales Jahr für alle einzuführen, wobei sich der Einzelne überlegen kann, ob er seinen Dienst in der Bundeswehr oder im sozialen Bereich, zum Beispiel bei der Caritas oder beim Roten Kreuz, ableistet. Ob der Dienst zwölf Monate dauern oder ob es fachbezogene Abstufungen geben wird, wird zu klären sein. Diese Diskussion muss geführt werden. Wir, die Freien Wähler, wollen den Anstoß dazu geben. Wir wollen die Bayerische Staatsregierung dazu aufrufen, sich zu überlegen - lieber spät als nie -, welche Auswirkungen diese Politik auf die Sozialverbände in Bayern hat. In einem weiteren Schritt müssten die Überlegungen das ist eine zweite Baustelle - auf die Auswirkungen auf Bundesebene ausgedehnt werden. Frau Haderthauer, haben wir diesbezüglich Pläne oder nicht?
Sehr geehrtes Präsidium, Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Aiwanger, wir reden heute über die Verkürzung der Wehr- und Zivildienstzeit. Es scheint, als hätten Sie die Debatten der letzten Monate überhaupt nicht verfolgt, wenn Sie davon sprechen, in einer Nacht- und Nebel-Aktion sei die Wehr- und Zivildienstzeit verkürzt worden. Das ist völliger Quatsch.
Ich komme zum Thema: Sie tun so, als ob die Zivildienstleistenden - ich will deren Verdienst überhaupt nicht schmälern; denn auch ich habe Zivildienst geleistet und weiß daher, was das bedeutet - im Freistaat Bayern die gesamten sozialen Leistungen in den sozialen Einrichtungen erbringen würden. Sie tun so, als breche alles zusammen, wenn die Dienstzeit verkürzt würde. Das ist völliger Quatsch.
Sie wissen ganz genau, dass die hauptamtlichen Kräfte, die in unseren sozialen Einrichtungen tätig sind, die Hauptsäule sind und die Leistungen erbringen.
Ich will nicht bestreiten, dass wir über den Zivildienst oder den Ausbau des Freiwilligen Sozialen Jahres diskutieren müssen. Wir dürfen auch darüber nachdenken, ob es in der Zukunft vielleicht ein verpflichtendes Jahr geben sollte. Auf jeden Fall müssen wir darüber sprechen, wie wir junge Menschen für den Dienst am Nächsten in sozialen Einrichtungen begeistern können. Wir alle stimmen wahrscheinlich darin überein, dass es wichtig ist, dass junge Menschen einen Einblick in unsere sozialen Systeme bekommen und aus eigener Anschauung wissen, was hinter den Türen unserer Pflegeheime und Behinderteneinrichtungen geleistet wird. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir genügend Instrumente haben, um das Freiwillige Ökologische und Soziale Jahr fortzuentwickeln.
- Das ist ein kleines Element. Denken Sie doch etwas globaler. Sie schlagen immer nur ein politisches Jahr vor.
Warum schlagen Sie nicht eine Ausweitung auf den kulturellen Bereich vor? Sie schlagen immer nur ein Element vor.
Wir werden insgesamt das Freiwillige Ökologische Jahr weiterentwickeln. Sie können uns ruhig vertrauen.
Wir werden weit mehr als nur ein politisches Jahr bieten. Ich habe den Verdacht, dass die Freien Wähler mit ihrer Forderung nach einem politischen Jahr nur die Unterstützung der Öffentlichkeit suchen. So etwas machen wir nicht mit.