Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 59. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch zwei Geburtstagsglückwünsche aussprechen, allerdings, wie ich sehe, leider in Abwesenheit der Adressaten: Am 30. Oktober feierte Herr Kollege Reinhold Perlak einen halbrunden Geburtstag,
Ich wünsche den Betroffenen im Namen des ganzen Hauses und persönlich alles Gute und viel Erfolg für die parlamentarische Arbeit. Vielleicht können wir nachher bei Gelegenheit auf die jetzt ausgesprochenen Glückwünsche hinweisen.
Ministerbefragung gem. § 73 GeschO auf Vorschlag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN "Sicherung der finanziellen Handlungsfähigkeit der bayerischen Kommunen"
Zuständig für die Beantwortung der Fragen ist der Staatssekretär der Finanzen. Als erste Fragestellerin haben wir Frau Kollegin Christine Kamm auf der Rednerliste. - Herr Staatssekretär, bitte nehmen Sie am Pult Platz. - Frau Kamm, Sie haben das Wort. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, die Lage der Kommunen in Bayern ist hochgradig alarmierend. Der Rückgang bei den Steuereinnahmen der bayerischen Kommunen im Jahr 2009 betrug 1,2 Milliarden Euro. Auch im ersten Halbjahr dieses Jahres mussten die bayerischen Kommunen Einnahmerückgänge gegenüber 2009 realisieren, beispielsweise Einbrüche bei der Einkommensteuer um 7,6 % und bei der Gewerbesteuer um 2,8 %. Die Kreisumlage stieg in diesem Jahr in fast der Hälfte aller bayerischen Landkreise. Zudem droht im kommenden Jahr aufgrund des Defizits der Bezirke eine Bezirksumlagenerhöhung von 3 bis 5 Prozentpunkten. Herr Staatssekretär, was gedenken Sie zu tun, um die
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst, Frau Kollegin Kamm, vielen Dank an Ihre Fraktion und die Fraktionsspitze, dass Sie heute geneigt waren, mit dem Staatssekretär vorlieb zu nehmen, da der Minister wegen anderweitiger Verpflichtungen in Berlin weilt. Ich sage ein Dankeschön für dieses Entgegenkommen.
Im zweiten Punkt kann ich kein Dankeschön aussprechen. Der Titel dieser Ministerbefragung und das, was Sie eben ausgeführt haben, suggerieren, in den bayerischen Kommunen gingen derzeit flächendeckend die Lichter aus. Frau Kollegin Kamm, ich habe das Gefühl, Sie tun sich damit schwer, sich über die positiven Ergebnisse der November-Steuerschätzung zu freuen. Von den Steuermehreinnahmen profitieren wir alle, nicht nur der Freistaat Bayern, sondern Gott sei Dank, was den kommunalen Finanzausgleich und andere Dinge angeht, auch unsere Kommunen. Sie erwecken den Eindruck, als wäre die finanzielle Handlungsfähigkeit der bayerischen Kommunen flächendeckend nicht mehr gesichert. Das stimmt so nicht. Diesem Eindruck darf ich gleich zu Beginn entgegentreten.
Meine Damen und Herren, wir haben in Bayern in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch gegenüber den Kommunen eine andere Politik gemacht als die Regierungen in anderen Bundesländern. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten an einem konstant hohen kommunalen Finanzausgleich festgehalten. Frau Kollegin Kamm, wichtig ist auch: Wir haben während der Finanz- und Wirtschaftskrise richtig gehandelt. Bedenken Sie, dass wir in den Jahren 2009 und 2010, mitten in der Krise, den höchsten kommunalen Finanzausgleich in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bewerkstelligt haben, was die reinen Landesleistungen angeht.
Frau Kollegin, wenn Sie die Lage der bayerischen Kommunen ansprechen - ich weiß, dass Ihnen das nicht gefällt, aber man muss es immer wieder sagen -, muss ich Ihnen raten: Blicken Sie einmal nach Nordrhein-Westfalen, aber auch auf andere Bundesländer; blicken Sie in die Stadtstaaten; Sie werden dann merken, dass die Situation der bayerischen Kommunen nach wie vor sehr gut ist. Es gibt für mich einen interessanten Parameter, an dem man das ablesen kann: Die Investitionsquote der bayerischen Kommunen ist
bundesweit die höchste. Das gilt zwar nicht für alle Kommunen im Freistaat Bayern, aber im Durchschnitt haben wir in den kommunalen Haushalten hier in Bayern eine Investitionsquote von 25 %. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 16 %. Bei allem Respekt vor der Leistung unserer Kommunalpolitiker - viele dieser Kommunalpolitiker gehören meiner Partei an: Diese Investitionsquote wäre nicht möglich, wenn sich der Freistaat Bayern nicht zu seinen Kommunen bekennen würde.
Der zweite Parameter neben der hohen Investitionsquote ist die Verschuldung. Wenn Sie die Kreditmarktschulden betrachten, stellen Sie fest, dass die bayerischen Kommunen im Durchschnitt mit rund 1.100 Euro je Einwohner verschuldet sind. Wenn Sie das mit den anderen Bundesländern vergleichen, ist eines ganz interessant: In einigen Ländern lügt man sich in die Tasche, beispielsweise auch in Nordrhein-Westfalen, Frau Kollegin Kamm.
Zwischen den Kreditmarktschulden und den Kassenkrediten muss man nämlich unterscheiden. Zählt man die Kassenkredite und die Schulden der ausgelagerten Organisationseinheiten zu den Kreditmarktschulden dazu, liegen wir bei den bayerischen Kommunen mit am niedrigsten.
Zur Haushaltssituation: Die Haushaltsumfrage, die das Innenministerium jedes Jahr zur Jahresmitte bei den Kommunen durchführt, hat gezeigt, dass drei Viertel der bayerischen Kommunen bis zum Stichtag einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen konnten, der ohne Einschränkungen genehmigt werden konnte. Nur 2,5 % der zum Stichtag der Umfrage zur Jahresmitte zur Genehmigung vorgelegten Haushalte waren zu diesem Zeitpunkt wegen Problemen bei der Genehmigungsfähigkeit noch nicht genehmigt. Diese 2,5 % schmerzen auch mich; aber ich bitte, darüber nicht zu vergessen, dass drei Viertel der bayerischen Kommunen es schaffen, einen genehmigungsfähigen Haushalt aufzustellen.
Wir sollten uns darüber freuen, Frau Kollegin Kamm, dass wir wieder ein günstiges gesamtwirtschaftliches Umfeld haben. Das ist sicherlich nicht nur Verdienst der Politik, aber eben ein Stück weit auch Verdienst der Politik. Ich will zur Ehrenrettung der Politik - und da sollten wir uns in diesem Parlament, liebe Kolleginnen und Kollegen, gar nicht groß unterscheiden - mit einem Stück Selbstbewusstsein auch sagen, dass wir in den letzten zwei Jahren eine gute, vernünftige, krisengerechte Politik gemacht haben.
Was die Treffgenauigkeit angeht, Frau Kollegin Kamm: Überlegen Sie einmal, was wir am Jahresanfang noch für Zahlen hatten. Deshalb sage ich Ihnen auch ganz deutlich von diesem Redepult aus: Ich wünsche mir manchmal etwas mehr Vorsicht bei unseren Wirtschaftsweisen, bei unseren Forschungsinstituten und bei anderen Institutionen, deren Aussagen am Jahresanfang - man muss sich das einmal vorstellen - in einer Bandbreite, was das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr angeht, von 1,3 bis 1,6 % lagen. Die Gleichen sagen heute: 3,4, 3,5 bis 3,6 %. Darüber freue ich mich, aber Sie merken, wie schwierig es geworden ist, hier verlässliche Prognosen abzugeben.
Neben der finanziellen Situation, Frau Kollegin Kamm, dürfen Sie die Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht vergessen. Wir haben bei den Arbeitslosen in Deutschland erstmals seit dem Jahr 2008 die DreiMillionen-Marke wieder unterschritten. Das ist eine Zahl, meine Damen und Herren, wie wir sie lange Zeit nicht mehr hatten; nicht einmal während des Wiedervereinigungsbooms hatten wir diese positive Entwicklung auch auf dem Arbeitsmarkt, meine Damen und Herren.
Auch diese Tatsache entlastet die Kommunen ein Stück weit. Denn Menschen, die in Lohn und Brot sind, fallen nicht der Allgemeinheit zur Last, was Sozialleistungen und andere Dinge angeht, sondern können selber für ihr Auskommen sorgen.
Dritter Punkt. Etwas ganz Entscheidendes - Sie versuchen immer, das etwas kritisch darzustellen, Frau Kollegin Kamm - ist die Frage: Wie sieht es mit der Kommunalpolitik der Staatsregierung aus? Sie wollen immer den Eindruck erwecken, als ob das alles im Freistaat Bayern par ordre du mufti passieren würde. Dem ist nicht so, Frau Kollegin Kamm; ich kann Sie beruhigen.
Wir haben klare gesetzliche Grundlagen und Verfahrensregelungen dafür, wie wir mit den kommunalen Spitzenverbänden umgehen. Wir haben diese Verfahrensregeln vor ziemlich genau einem Jahr intensiv diskutiert und auch neue gesetzliche Grundlagen für ein sauberes Verfahren verabschiedet.
Zu diesen Verfahrensregeln gehört, meine Damen und Herren, erstens eine saubere, verlässliche und klar kalkulierbare Datenlage. Wir müssen wissen, worüber wir reden. Das Zweite: Danach finden Verhandlungen auf Augenhöhe mit den vier kommunalen Spitzenverbänden statt.
Wenn Sie, Frau Kollegin Kamm, die Geschichte des kommunalen Finanzausgleichs betrachten, werden Sie immer wieder den einen oder anderen Spitzenvertreter finden, der sagt: Ja, hätte noch ein bisserl mehr sein können, meine Damen und Herren Abgeordneten oder liebe Staatsregierung! - Aber in toto ist es uns immer gelungen, zu einem fairen Ausgleich mit unseren Kommunen zu kommen. Pauschale Mehrforderungen, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden uns hier nicht weiterbringen.
Wir haben für den Doppelhaushalt 2011/2012 einen sehr strikten Sparkurs vor. Das bedeutet auch, dass wir in den Ressorts und auch im Personalbereich Einsparungen vornehmen müssen. Es bedeutet, dass wir das Thema Konsolidierung weiter ernst nehmen, und es bedeutet auch, dass wir nicht alles Wünschenswerte werden machen können.
Ich halte es auch für richtig, dass der Freistaat Bayern in wirtschaftlich schwierigen Zeiten am Ziel des ausgeglichenen Haushalts festhält. Wie soll denn das künftig gehen, wenn immer weniger Menschen immer mehr Lasten tragen müssen, was die Verschuldung, was Zinslasten und ähnliche Dinge angeht?
Deshalb kämpfen wir - auch das bitte ich anzuerkennen, Frau Kollegin Kamm - auch mit dem Bund um eine faire Lasten- und Aufgabenverteilung. Das sollte die Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen in diesem Hause durchaus einigen. Unser Staatsminister Fahrenschon hat sich ganz bewusst intensiv auch in die Gemeindefinanzkommission beim Bund eingebracht, weil dort wichtige Weichen für die dauerhafte Ausgestaltung der kommunalen Finanzausstattung gestellt werden.
Das heißt für uns auch in Abstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden ganz klar: Wir wollen eine kalkulierbare, verlässliche finanzielle Basis für unsere Kommunen. Dazu gehört für die Fraktion der CSU und für uns das Thema Gewerbesteuer. Hier treffe ich die klare Aussage: Wir wollen keine Abschaffung der Gewerbesteuer gegen den Willen der Kommunen.
Dazu eine persönliche, eigene Anmerkung: Meine Devise für diese Diskussion heißt immer: Das Bessere ist der Feind des Guten. Wenn uns allen miteinander etwas Besseres einfällt, dann müssten wir es machen. Aber uns allen miteinander ist noch nichts Besseres eingefallen, meine Damen und Herren, und deshalb wollen wir an dieser Gewerbesteuer festhalten.
Ich begrüße deshalb ausdrücklich die Zusage von Bundesfinanzminister Schäuble, die Gewerbesteuer nicht gegen den Willen der Kommunen abzuschaffen. Ich verrate Ihnen aber kein Geheimnis, wenn ich
sage: Die vom Bundesfinanzminister vorgeschlagenen Zuschlagsrechte zur Einkommensteuer sehen wir sehr skeptisch, meine Damen und Herren.
Auch sind die Signale aus dem anderen wichtigen Themenfeld der Gemeindefinanzkommission durchaus positiv: Ich meine die grundsätzliche Bereitschaft des Bundes, die Kommunen von Aufwendungen für soziale Leistungen zu entlasten. Ich sehe das als einen richtigen Schritt zu einem wirklichen Erfolg der Gemeindefinanzkommission. Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist meiner Meinung nach hierfür ein geeigneter Ansatz.
Deshalb, Frau Kollegin Kamm, abschließend zu Ihrer Frage: Ich habe Verständnis für manche Klage von der kommunalen Seite, und wir dürfen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nie vergessen: Der Freistaat Bayern ist groß und weit. Ich habe in dieser Zeit selbst in meiner eigenen Region, in meinem eigenen Stimmkreis erlebt, dass es trotz Finanz- und Wirtschaftskrise Kommunen gab, die vom Rückgang der Gewerbesteuer nicht stark betroffen waren. Aber es gab auch welche, bei denen sich die Volatilität sehr stark ausgewirkt hat.
es gilt doch ein ganz einfaches Prinzip: In guten Jahren hoher Gewerbesteuereinnahmen muss ich halt Rücklagen bilden. Ich kann doch nicht - Entschuldigung! - als Bürgermeister oder als Bürgermeisterin meine Ausgaben am höchsten Stand der Gewerbesteuer festmachen, sondern es gehört zu einer verantwortungsbewussten Kommunalpolitik, hier auch über einen längeren Zeitraum zu planen.
Deshalb, meine Damen und Herren, arbeiten wir auf der einen Seite daran, die kommunalen Einnahmen zu stabilisieren, und wir arbeiten auf der anderen Seite auch daran, die Kommunen dauerhaft von Aufgaben zu entlasten.
Insgesamt darf ich, Frau Kollegin Kamm, feststellen: Das, was Sie mit Ihrer eingangs gestellten Frage suggerieren, dass hier im Freistaat Bayern alle Kommunen flächendeckend Not leiden würden, trifft so nicht zu. Die Kommunen sind handlungsfähig, sie sind finanziell handlungsfähig, und sie können sich seitens der Staatsregierung auf einen fairen kommunalen Finanzausgleich verlassen.
Danke schön, Herr Staatssekretär. Jetzt hat Frau Kollegin Kamm - können wir uns wieder beruhigen? - das Recht zu noch einer Nachfrage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, ich bitte Sie, auf meine Frage zu antworten. Ich habe Sie gefragt: Was will die Staatsregierung tun, um der steigenden Zahl von Kommunen mit nicht ausgeglichenen Haushalten entgegenzuwirken? Was tut die Staatsregierung, um der zunehmenden Ungleichheit der Lebensverhältnisse in Bayern gerade im Hinblick auf die von Herrn Schäuble angedachten Steuerideen entgegenzuwirken?
Frau Kollegin, jetzt weiß ich nicht, haben Sie nicht zugehört? Ich habe vorhin gesagt: Drei Viertel der Kommunen haben bei der Abfrage des Innenministeriums zur Haushaltsumfrage nachweisen können, dass ihr Haushalt genehmigungsfähig war.