June Tomiak

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Last Statements

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Zunächst möchte ich anerkennend vermerken, dass die CDU, die sich zumindest in ihrer Regierungszeit nicht mal zu Schulsozialarbeitern an jeder Schule durchringen konnte, nun scheinbar wenigstens in Teilen anerkennt, wie wertvoll deren Arbeit ist.
Leider handelt es sich bei dem vorliegendem Antrag dennoch nur um stumpfen Populismus, der sich nicht dafür eignet, tatsächlich bestehende Probleme nachhaltig zu lösen. Die CDU fordert in der Quintessenz drei Antiterrorsozialarbeiterinnen und Antiterrorsozialarbeiter, die 24/7 erreichbar sein und in akuten Gefährdungslagen alarmiert werden sollen.
Dazu zwei Gedanken – erstens: Wissen Sie, was drei Stellen für 24 Stunden an 7 Tagen die Woche an 365 Tagen im Jahr bedeutet? – Das bedeutet keine ausreichende personelle Ausstattung. Überrascht bin ich von Ihren Planungsskills und konsequenter, politisch motivierter, Unterfinanzierung nicht, aber doch schockiert, dass ich mit null Punkten im Mathe-Abitur besser rechnen kann als Sie.
Zweitens: Wissen Sie, wer in akuten Bedrohungslagen zuständig ist? – Richtig, die Polizei! Gerade in akuten Gefährdungslagen hat die Berliner Polizei bewiesen, dass sie gute Arbeit leistet, und verdient hier unser Vertrauen.
Den Fall, den die Berliner CDU in der Begründung des Antrags nennt, ist ein Vorfall aus Spandau. Ein elfjähriger Junge ist zweimal in seiner Grundschule aufgefallen. Erstmalig als er im Kontext des Gedenkens an den in Frankreich ermordeten Lehrers äußerte, dass es in Ordnung sei, Menschen zu töten, die den Propheten beleidigten. – Schön, dass Sie mir wieder zu hören! – Zum Hintergrund sollte man wissen, dass die Gedenkveranstaltung mit einem Team bestehend aus einem Rabbiner und einem Imam des Meet2Respect-Projekts durchgeführt wurde. In diesem Kontext wurde auch gefragt, ob jemand denken würde, es sei gerechtfertigt, Menschen aus religiösen Gründen zu töten.
Schon vor der Äußerung des Jungen war die Schule darauf bedacht, das Gedenken mit den Schülern einzuordnen, die schlimme Tat kindgerecht aufzuarbeiten und pädagogisch zu begleiten. Nach der Äußerung des Jungen hat der anwesende Imam ein Gespräch mit dem Jungen geführt, ihm widersprochen und deutlich gemacht, dass es nicht in Ordnung sei, Menschen zu töten. Auch der Schulsozialarbeiter war zu diesem Zeitpunkt schon involviert, der Vorfall wurde ernst genommen.
Eine Woche später kam es zu einem zweiten Vorfall. Nachdem die Lehrerin des Schülers vor der Klasse auf die anstehenden Elterngespräche hingewiesen hatte und zudem sagte, dass es Konsequenzen hätte, wenn Eltern nicht kommen würden, äußerte sich der Junge, wenn das passieren würde, würde er mit seiner Lehrerin das machen, was der Junge in Paris mit dem Lehrer gemacht hat. – Ich glaube, wir sind uns alle im Saal einig, dass das keine angemessene Reaktion auf angekündigte Elterngespräche ist.
Wir müssen uns vor Augen führen, dass es hier um ein Kind geht: ein elfjähriges Kind, das wusste, dass die Tat, auf das es anspielte, alle Erwachsenden mit denen es interagiert hat, schockiert hat. Wir alle kennen den Fall und den Kontext nicht gut genug, um ein abschließendes Bild zu haben. Es scheint aber klar zu sein, dass der Junge auf die Ansage mit den Elterngespräch aus irgendwelchen Gründen so scharf er konnte reagierte – wahrscheinlich mit der schlimmsten ihm bekannte Drohung. Welche Dimension seine Aussage hatte, war dem elfjährigen Jungen vermutlich nicht bewusst. Wie auch? – Er ist elf. Kennen Sie Elfjährige? – Kinder können fies, mutwillig verletzend und destruktiv sein, oft auf Arten und Weisen, die sie selbst nicht vollständig durchblicken.
Um die Vorsitzende des Interessensverbandes der Berliner Schulleitungen zu zitieren: Da hat nicht ein Elfjähriger eine reflektierte Meinung vorgetragen, sondern nachgeplappert, was er gehört hat.
Der Junge hat mittlerweile eine schriftliche Entschuldigung geschrieben und seiner Lehrerin übergeben. Der
Schule geht es auch nicht darum, den Jungen zu kriminalisieren, sondern adäquat auf die Situation zu reagieren und das Problem aufzufangen. Sowohl eine Psychologin als auch ein Schulsozialarbeiter kümmern sich darum. Auch die operative Gruppe Jugendgewalt der Berliner Polizei war in der Schule, im Bildungsausschuss wurde das bereits erläutert.
Schule ist ein Raum, in dem gesellschaftliche Konflikte immer wieder ungefiltert auftauchen, aber auch ein Raum, in dem diese mit den Kindern besprochen und eingeordnet werden können. Schule und Bildung müssen dabei helfen, Kinder zu reflektierten, kritischen und resilienten Menschen zu erziehen. Die beste Waffe gegen Radikalisierung und Beeinflussung junger Menschen ist es, ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie selbstbewusst auf sich selbst vertrauen können und wissen, wo sie im Zweifel Hilfe bekommen können.
Deshalb ist es auch so wichtig, Lehrerinnen und Lehrer und auch Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter ausreichend zu finanzieren und ausreichend Kapazitäten zu schaffen.
Ich möchte keine Zwischenfragen. – Insbesondere die Erziehungsarbeit ist es, mit der wir Kinder und Jugendliche nachhaltig erreichen und stärken können. Ihre Notfallstelle klingt nach einer Einstellung, in der die Welt klar in Gut und Böse aufgeteilt ist. Das wird der Situation an Berliner Schulen aber schlicht nicht gerecht. Ich bin froh, dass wir uns in der Koalition früh darauf einigen konnten, uns dem Ziel zu verschreiben, unsere Schulen für die vielen schwierigen Situationen, die nun mal im Schulalltag auftauchen können, zu wappnen. Auch deshalb bauen wir die Schulsozialarbeit massiv aus, stärken weiter Projekte, die in die Schulen gehen, aber auch außerschulische Lernorte und Bildungsorte. Berlin hat hier einiges vorzuweisen, auch wenn wir uns sicher einig sind, dass es weiterhin viel zu tun gibt. Ich bin allen Lehrkräften, Pädagoginnen und Pädagogen, Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen an unseren Schulen und auch in der außerschulischen Betreuung dankbar für ihre wichtige und gewiss nicht einfache Arbeit. Der Einfluss, den sie auf die jungen Menschen in unserer Stadt haben, ist immens. Wir stehen an ihrer Seite und werden weiter dafür kämpfen, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Wie wird bei zukünftigen Einsatzplanungen im Kontext von Demos von Coronamaßnahmengegnern sichergestellt, dass Demonstrationen, die die Auflagen nicht erfüllen und deren Missach
tung sogar zum erklärten Ziel haben, tatsächlich zeitnah aufgelöst werden?
Vielen Dank! – Welche Erkenntnisse hat und wie bewertet der Senat die Vorkommnisse und Straftaten im Kontext der Coronamaßnahmengegner, die mittlerweile von Brandanschlägen bis zu Bedrohungen reichen? Plant der Senat ein Lagebild, bei dem alle Straftaten mit Bezug zur Coronamaßnahmengegnerschaft erfasst werden?
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute den 20. August 2020. Vor genau sechs Monaten und einem Tagen wurden beim rechtsextremen Anschlag in Hanau zehn Menschen getötet, viele weitere wurden verletzt. Vor sechs Tagen brannte die Berliner Kneipe „Morgen wird besser“ in Lichtenberg. Der jüdische Besitzer ist seit geraumer Zeit im Visier von Rechtsextremisten. Der rechtsextreme und antisemitische Anschlag in Halle, bei dem zwei Menschen getötet und viele weitere dem Tod nur knapp entkommen sind, ist nicht einmal ein Jahr her. Im letzten Jahr wurde der CDUPolitiker Walter Lübcke von bekannten Rechtsextremisten ermordet. Vor vier Jahren kam es in Lichtenberg zu einem rassistischen Übergriff in einer Edekafiliale, an dessen Folgen das Opfer starb. Im selben Jahr ereignete sich der rechtsradikale Anschlag in einem Einkaufszentrum in München, bei dem neun Menschen getötet wurden.
All das sind die bekanntesten Fälle rechtsextremer Gewalt und Morde der vergangenen vier Jahre. Es sind nicht alle, denen wir gedenken müssten. Wir sprechen hier alleine von den letzten vier Jahren. Nachdem der NSU im Jahr 2011 enttarnt wurde, wurde bekannt, wie der Staat sehenden Auges rechtsextreme Mörder walten ließ. Von Staatsversagen war die Rede, von Unvorstellbarkeit, von Aufarbeitung, von Konsequenzen und von einem Nie wieder. Wir als Gesellschaft, unsere Behörden und auch
(Karsten Woldeit)
wir als Politik tun uns immer noch und weiterhin schwer, tatsächlich vollumfänglich anzuerkennen, wie tiefgreifend die Konsequenzen aus dem NSU hätten sein müssen. Stattdessen wiederholen wir bei jedem neuen Anschlag, bei jedem neuen Mord eine Inszenierung: Bestürzung, Trauer, Wut, Unvermögen.
Was die verschiedenen Taten eint, ist, dass sie aus menschenverachtenden Motiven begangen werden. Ob Rassismus, Antisemitismus, Klassismus, Frauenverachtung oder Verschwörungsmythen letztlich der ausschlaggebende Punkt waren, ist dabei fast nicht entscheidend. Denn diese Ideologien spielen zusammen. Sie sind wie Bauklötze, die man beliebig ineinanderstecken und stapeln kann. Genau aus diesem Grund ist es so wichtig, die Problematik, die hinter jeder der Taten steckt, individuell zu analysieren, aber die Muster, die sich zeigen, auch als diese wahrzunehmen und anzuerkennen. Denn nur, wenn wir das Problem und seine Vielschichtigkeit als solche anerkennen, werden wir etwas dagegensetzen können.
Es ist beschämend und inakzeptabel, dass wir bisher weder gesellschaftliche noch politische Mehrheiten in ausreichende Veränderungen übersetzen konnten. Eine umfassende Aufarbeitung von rechtsextremen Strukturen, von historischen Kontinuitäten in Politik, Justiz und unseren Behörden hat nie stattgefunden. Doch diese Strukturen, diese Ideologien wirken bis heute. Gesellschaftlich hat sich Deutschland darauf geeinigt, dass es sich nicht schickt, dass zu thematisieren – das hat sich auch heute gezeigt –, obwohl es so bitter nötig ist.
Leidtragende sind diejenigen, die auch in der gesellschaftlichen Debatte oft zum Hassobjekt werden: Die Ausländer, die verdammten Feministinnen, die Schwulen, die Armen, die Kranken und Abhängigen. Auch wenn dieses Wir gegen Die aus der Mitte der Gesellschaft immer wieder befeuert wird: Es ist ein Trugschluss. Gemeint sind wir alle, jeder von uns hier im Saal ist gemeint, der sich gegen Menschenfeindlichkeit und Faschismus stellt, der für eine freie und offene Gesellschaft kämpft und nicht den Nazis nach dem Mund redet.
Gerade das zeigt auch die Anschlagsserie in Neukölln. Seit 2016 – eigentlich schon früher, das wurde ausgeführt – haben wir es mit einer Serie von Brandanschlägen, Übergriffen, Bedrohungen, Sachbeschädigungen und Diebstählen zu tun. Betroffen sind engagierte Bürgerinnen und Bürger, Bezirkspolitikerinnen und -politiker, Gewerbetreibende. Ermittlungserfolge, die zu einer Verurteilung der Täter führen würden, gibt es bisher nicht. Aber was es gibt sind Pannen: Ermittlungsfehler, Organisationschaos, Namensverwechslungen, Zuständigkeitsverwirrungen und letztlich viele Opfer, die sich alleine gelassen fühlen, und einen Bezirk, der von einem stetigen Vertrauensverlust in unsere Behörden geprägt ist.
Wie soll sich dieses Gefühl auch nicht einschleichen? Zuletzt wurde bekannt, dass eine Befangenheit der ermittelnden Staatsanwälte im Raum steht, dass die Hinweise dazu sowohl der Polizei als auch der Justiz bekannt waren, aber nicht gehandelt wurde. Ist es tatsächlich die fehlende Sensibilisierung, Ignoranz gegenüber den Opfern und Betroffenen? Allein die Tatsache, dass eine Befangenheit im Raum steht, hat eine enorme Sprengkraft und dass es jetzt quasi nebenbei herauskommt, dass es sich hierbei um gegebenenfalls bekannte Vorgänge handelt – es muss doch bei der Vorgeschichte der Serie klar sein, dass wir sicherstellen müssen, dass die zuständigen Stellen von Justiz und Polizei transparent gegenüber jedem Vorwurf erhaben sein können. Ich bin der Generalstaatsanwältin Koppers daher dankbar, dass sie genau dies erkannt und entsprechend konsequent gehandelt hat.
Doch auch die aktuellen neuen Erkenntnisse aus Neukölln sind nicht das Einzige, das uns umtreiben muss. Es gibt weiterhin den ungeklärten Mord an Burak Bektaş, der 2012 getötet wurde und dessen Mahnmal immer wieder geschändet wird. Der Mörder von Luke Holland, der 2015 getötet, wurde verurteilt, doch selbst ein Zimmer mit Nazidevotionalien reichte nicht aus, um gegebenenfalls einen rechtsextremen Hintergrund feststellen zu können.
Wir haben ein Problem bei der Polizei, dem Verfassungsschutz und der Justiz und das lässt sich eben nicht mit Einzelfällen abtun. Wir haben ein Problem, wenn Opfer rassistischer Gewalt abgeschoben werden und ihnen ihre Rechte somit versagt werden. Wir haben ein weiteres Problem, wenn es sich bei dem Täter um einen Polizisten handelt. Es gibt eines, womit bürgerliche Kommentatoren und auch einige, die hier im Haus gesprochen haben, eben recht haben: Ja, diese Fälle sorgen dafür, dass das Vertrauen in unsere Sicherheitsbehörden verlorengeht, aber wie plump und stumpf muss man sein, um zu denken, dass die Diskreditierung von Berichterstattung und legitimer Kritik das verlorene Vertrauen zurückgewinnen würde.
Vertrauen muss man sich erarbeiten. Das müssen auch unsere Sicherheitsbehörden und alle Innenpolitiker dieses Landes verstehen. Wer Opfer wird, wer immer wieder sekundäre Viktimisierung erlebt, wer Gewalt durch Institutionen, die einen schützen sollen, erfährt, der wird sich nicht damit zufrieden geben können, wenn das Problem einfach für beendet erklärt wird. Wie auch? Vielmehr müssen wir daran arbeiten, Vertrauen zu verdienen. Das geht nur mit brutaler Transparenz, Ehrlichkeit und aufrichtiger Bereitschaft, sich konstruktiv den eigenen Problemen zu stellen, um besser zu werden. Wir können hier so viel gewinnen, und doch entscheiden wir uns bisher
stets für den Weg des geringsten Widerstandes auf Kosten derer, die wir am meisten schützen müssten.
Wir können und müssen besser werden. Das geht mit konkreten Maßnahmen. Die aktuellen Fälle in Bezug auf die Staatsanwaltschaft müssen vollumfänglich aufgeklärt werden. Jeder noch so kleine Zweifel muss ausgeräumt werden. Wir müssen uns sicher sein können, dass die Staatsanwaltschaft hier keine Fehler gemacht hat. Und wenn doch, dann braucht es Konsequenzen und eine Sicherstellung, dass so etwas künftig nicht mehr vorkommen kann. Es braucht die weitere Aufarbeitung der bisher ungeklärten Fälle durch die BAO Fokus. Dass es weiterhin auch unaufgeklärte schwere Straftaten im Kontext Neukölln gibt, ist nicht akzeptabel. Klar, niemand kann vorgeben, Ermittlungserfolge zu erzielen, aber wir können nicht zufrieden sein und werden nicht nachgeben, bis die Täter gestellt und verurteilt sind.
Bezüge nach Hessen, die zuletzt bekannt geworden sind, müssen vollumfänglich aufgeklärt werden. Hier muss es Ermittlungen auch über Landesgrenzen hinweg geben. Wir freuen uns, dass zudem unser Vorschlag zur Einsetzung von Sonderermittlern endlich umgesetzt wird. Wichtig ist jetzt aber, dass wir die Rahmenbedingungen für die Untersuchungen so gestalten können, dass diese tatsächlich wirkungsmächtig werden. Wir brauchen zudem eine schnellere und gründlichere Auswertung beschlagnahmter Datenträger. Falls Ausstattung oder Expertise fehlen, müssen wir das wissen, um handeln zu können. Alle Personen, die ins Visier rechtsextremer Täter kommen, auf Feindeslisten geführt werden, müssen frühzeitig gewarnt und angemessen aufgeklärt werden.
Zusätzlich müssen wir auch strukturell besser werden. Dafür brauchen wir eine parlamentarische EnqueteKommission, die unter Einbeziehung von Betroffenen und Verbänden ausmachen kann, wo wir uns strukturell besser aufstellen müssen, wo Probleme liegen, und Vorschläge erarbeitet, wie diese abgestellt werden können.
Unser Ziel muss es sein, das Vertrauen der Betroffenen wiederzuerlangen. Das wird harte Arbeit, gerade für die Institutionen, Behörden und Politiker, die sich der Aufarbeitung bisher konsequent verweigert haben. Es wird nicht einfach, und es wird nicht schnell gehen, doch dieser Weg ist der einzig richtige. Lassen Sie ihn uns zusammen gehen! – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Wir beschäftigen uns heute mit einem Antrag der AfD, in dem ein Aussteigerprogramm für Linksextremisten gefordert wird. Dass wir wenige Stunden, nachdem Menschen durch einen Mann mit eindeutig rechtsextremen Ansichten ermordet wurden, über diesen Antrag sprechen, ist eine Verhöhnung von Opfern rechtsextremer Gewalt und Morde.
Die AfD wirft Nebelkerzen in Richtung Linksextremismus, um zu suggerieren, dass die Phänomene zwei Seiten einer Medaille sind. Dass wir diesen Antrag heute behandeln, beschämt mich. Unser Mitgefühl und unsere Trauer sind bei den Opfern und ihren Hinterbliebenen. Unsere Wut über das Versagen unserer Gesellschaft und Behörden, Menschen vor rechtsextremen Taten zu schützen, muss sich in Handlungen unsererseits übersetzen.
Wir dürfen nicht akzeptieren, dass die Angst, die Rechtsextremisten in Wort und Tat verbreiten, möglich und ungestraft bleibt. Dafür werden wir weiter kämpfen.
Jetzt müssen wir aber erst noch über diese Nebelkerzen der AfD sprechen. Einige werden sich erinnern, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz seit 2011 eine Aussteigerhotline für Linksextremisten betreibt. In der Presse wurde darüber berichtet, wie viele interessierte Bürgerinnen und Bürger dort angerufen haben. Mit Linksextremismus hatten sie allerdings nichts zu tun. Es hat sich gezeigt, dass es auf dieses Aussteigerangebot kaum Resonanz gab. Das Programm in NRW, auf das sich die AfD bezieht, steht auch breit in der Kritik – nicht nur, aber eben auch, weil die Ergebnisse im Bund so dünn und nichtig sind.
Inhaltlich-konzeptionell hat die AfD für ein Berliner Programm im Grunde keine Ideen. Es soll ein Programm geben; dort arbeiten dann alle zusammen, und dann werden die Linksextremisten zurück in die Gesellschaft geholt. Zu keinem Zeitpunkt wird sich die Arbeit gemacht, auf die strukturellen Gegebenheiten der Szenen einzugehen oder auch nur zu versuchen, irgendeine Art von Ana
lyse zu liefern, so verkehrt sie auch wäre. Es wird einzig und allein das Hufeisen geschwungen, dass es uns nur so um die Ohren fliegt. In der Begründung wird eine Kapitulation des Rechtsstaates postuliert. Was für ein Unfug!
Was für eine Relation hier aufgemacht wird, ist schon erstaunlich. Selbst wenn man alle Zahlen, die wir aus NRW und vom Bund kennen, euphorisch abfeiern würde, kommt nichts dabei herum. NRW selbst spricht im besten Falle von maximal 30 Personen, die sich im Programm befinden würden. Die klassische deutsche linke Szene, die die AfD ja treffen will, macht mutmaßlich maximal einen Bruchteil dieser so oder so schon kleinen Zahl aus.
Also selbst, wenn man die Idee eines solchen Programms gut findet, muss man sich fragen lassen, ob das wirklich eine sinnvolle Idee ist, wenn das die Ergebnisse sind. Ihr hochtrabend beschriebenes Staatsversagen soll mit einer Maßnahme bekämpft werden, die von den einen massiv in der Kritik steht, und selbst von den Verteidigern der Idee muss peinlich berührt eingestanden werden, dass quasi keine Ergebnisse geliefert werden können. Aber gut, dass wir auch über diesen Schaufensterantrag gesprochen haben!
Sie gaukeln sich und uns hier ordentlich etwas vor. Plakativ mag Ihre Idee auf den ersten Blick nach etwas klingen – nach was genau, scheint Ihnen selbst weder wichtig zu sein noch grundsätzlich eine Rolle zu spielen. Wenn man sich aber tatsächlich mit Ihren Vorschlägen beschäftigt, bleibt nichts als heiße Luft – heiße, gefährliche Luft, über die Sie und Ihre Wutbürger sich in Rage brüllen können, aber es langweilt mich, mit welcher plumpen und bewussten Effekthascherei Sie hier schon wieder Ihr Hufeisentheater aufführen.
In der rechten Szene werden Aussteiger als Verräter verfolgt. Sie und ihre Familien werden bedroht; ihnen wird Gewalt angetan. In vielen Fällen besteht Gefahr für Leib und Leben. Das liegt auch daran, dass in der rechtsextremen Ideologie, in dem Wahn, der die Taten nicht verharmlosen kann, ein klares Feindbild besteht, unter das sich im Zweifel jeder subsumieren lässt, der nicht an der Seite der Rechtsextremisten steht.
Um es flapsig zu sagen: Wenn in der von Ihnen gemeinten linken Szene jemand sagt: Hey Leute! Ich habe keinen Bock mehr, zum Plenum zu kommen –, dann beschränkt sich die Reaktion zumeist auf ein: Okay! – Und vielleicht noch auf ein mit Augenzwinkern nachgeschobenes: Aber Plenum ist wichtig für die Revolution! – In diesem Sinne: Schön, dass wir heute hier zusammensitzen! – Vielen Dank!
(Marcel Luthe)
Vielen Dank! – Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste!
Vielen Dank! – Wir sind heute in der zweiten Lesung unseres Koalitionsantrags zur Aberkennung der Ehrenbürgerwürde Hindenburgs.
Ich muss vor allem voranstellen, dass ich nach der Debatte sowohl hier im Plenum als auch im Kulturausschuss froh bin, dass wir mit diesem Vorgang zum Ende kommen.
Bezeichnend war, wie vehement die gesamte Opposition zu abstrusen, doch auch erwartbaren Argumentationen gelangte. Auf einige davon möchte ich eingehen, denn sie zeigen doch hervorragend, an welchem Punkt der geschichtlichen Aufarbeitung wir derzeit stehen und wie sehr das deutsche Verdrängen, das Umdeuten und Herunterspielen von Verantwortung auch heute noch prägend ist für unseren gesellschaftlichen Diskurs. Ein von allen erhobener Vorwurf: Geschichtsrevisionismus. Von einem „Ausradieren“ der Geschichte war die Rede, von der „Löschtaste“, die wir drücken wollen würden.
Wer der Opposition Glauben schenken mag, der erkennt überall eine linke Verschwörung von Geschichtsumdeutern, von Wahrheitsunterdrückern. Um die Vorreiter eben dieser Verschwörung zu nennen, seien Städte wie Dortmund, Leipzig, Münster, Stuttgart, Konstanz, München, Wuppertal, Karlsruhe und Köln aufzuzählen. Einige Aberkennungen fanden direkt nach Kriegsende statt, einige in den Achtzigerjahren, in den Neunzigerjahren des letzten und in den Zehnerjahren dieses Jahrhunderts. Wer sich also mit den Fakten beschäftigt, der erkennt, dass der Debatte eine lange Kontinuität innewohnt, und eine
ähnliche Einschätzung, wie wir sie als Koalition getroffen haben, in vielen Fällen trägt.
Aber was ist es, was angeblich umgeschrieben, umgedeutet werden soll? – Insbesondere die CDU tat sich im Laufe der Debatte damit hervor, die angeblichen Leistungen und Verdienste Hindenburgs als sogenanntem Held von Tannenberg zu betonen. So sagte Herr Juhnke wörtlich: „Er hat damals im Ersten Weltkrieg sein Land verteidigt“
und erklärte eine Popularität Hindenburgs mit seinen „militärischen Erfolgen“. Klar, der Erste Weltkrieg, der große Verteidigungskrieg, in dem die Deutschen in reiner Notwehr nach Frankreich und Russland marschierten
in dem Hindenburg, selbstlos wie er war, sich in die Wirren des Krieges stürzte.
Mit Ihrer Erzählung haben Sie den Nagel so richtig auf den Kopf getroffen:
Krieg begonnen, Krieg erklärt bekommen, Krieg verloren, Krieg gewonnen. Es ist ja alles Jacke wie Hose. So ist es eben, Geschichte ist eben vor allem auch, wie sie geschrieben wird.
Umso wichtiger, dass wir lange währendes Unrecht endlich beenden und uns zu einer schonungslosen Analyse bekennen, denn nur so wird ernsthafte Aufarbeitung und Erinnerung möglich.
Auch die FDP hat in der Debatte glänzen können. Nachdem Herr Kluckert erst nicht umhin kam, auf mein Alter zu referenzieren, ein klassischer Move, um junge Frauen zu diskreditieren,
bitter, dass Sie so etwas nötig haben – zeigt sich aber auch hier rechts –, hat er sich in bezeichnender Weise zu folgendem Zitat hinreißen lassen: Unser Vorhaben sei ein „Schlag ins Gesicht derjenigen, die sich damals intensiv damit auseinandergesetzt haben“. Dass die FDP mahnt, dass wir uns an die Einschätzung derjenigen halten sollten, die sich mit der Einordnung von ebensolchen Fragen auseinandergesetzt haben, ist, gelinde gesagt, mutig.
So meint der Kollege sicher auch seine Parteikollegen, die 1949 „Schlussstrich drunter“ „Schluss mit Entnazifizierung“ plakatierten.
Auch dabei lässt sich sagen: Das war damals „Scheiße“ und Ihre Argumentation, die hier ja eine Kontinuität darstellt, ist auch heute kein Maßstab für Aufarbeitungs- und Erinnerungskultur in diesem Hause.
Ich habe es bereits in meiner ersten Rede zum Thema gesagt: Hindenburg die Ehrenbürgerwürde zu entziehen, ist lange überfällig – wie so vieles an Aufarbeitungsarbeit, die Deutschland, Berlin und wir alle zu leisten haben. Das zeigt auch die Debatte in diesem Haus. Die krude Auslegung und Verdrehung der deutschen Geschichte ist etwas, was tief in unserer Gesellschaft verankert ist. Es gibt den Demospruch „Oma, Opa und HansPeter, keine Opfer, sondern Täter!“. Er trifft einen Aspekt der deutschen Nachkriegsgeschichte ganz gut: Niemand will Täter gewesen sein.
Niemand will etwas mitbekommen haben. Gerade in der Aufarbeitung der Nazizeit ist es skurril, wie lange sich der Mythos der guten, unschuldigen Deutschen schon trägt.
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Georg Pazderski (AfD): Am besten, Sie machen erst mal ein Geschichtsstudium! Das wäre ja mal was!]
Strukturell wurde nach Kriegsende vieles einfach nicht umfassend aufgearbeitet, bewusst ignoriert und unter den Teppich gekehrt. Aber auch heute ist es erstaunlich, wie sehr sich die deutsche Gesellschaft gegen die schonungslose Wahrheit wehrt, dass die Naziverbrechen so öffentlich, so sichtbar waren und gesellschaftlich getragen wurden. Auch in diesem Kontext muss man Ihre verkrampften Versuche werten, den deutschen Faschismus, den es laut Ihnen ja nicht gab, als Sozialismus zu branden. Das Wort steckt ja drin. Sie können sich gern einmal mit Faschismustheorien beschäftigen. Ich habe auch tatsächlich hier im Haus schon 2017 eine Veranstaltung zu dem Thema abgehalten. Einen Audiomitschnitt, den Sie nachhören können, finden Sie im Netz.
Um schlussendlich aber auf Hindenburg zurückzukommen: Herr Juhnke von der CDU hat im Ausschuss gesagt und das eben auch noch mal im Plenum wiederholt, wir würden versuchen, Hindenburg „als Verursacher aller Gräueltaten des 20. Jahrhunderts zu inszenieren.“
Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was tatsächlich Debatte war, beweist aber auch nur, dass Sie sich die
Debatte unerhört einfach gemacht haben. Hindenburgs Rolle bei der Machtergreifung der Faschisten ist nur ein Aspekt einer durchaus umfangreich problematischen Person. Auch Hindenburg als monarchistischen Kriegstreiber, seine Rolle im Ersten Weltkrieg und bei der Verbreitung der antisemitischen Dolchstoßlegende
haben wir zur Kenntnis genommen. Seine antidemokratische Haltung und Parlamentsverachtung ist uns ein Begriff. Ich denke, wir sind einer umfassenden Berücksichtigung all dieser Aspekte durchaus nachgekommen und tragen diesen auch mit der gleich folgenden Abstimmung Rechnung. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Man kann sich die Gespenster, die in einer Stadt wohnen, nicht aussuchen. Man kann aber entscheiden, welche man ehrt und welche nicht. Geschichte ist eben auch vor allem, wie sie geschrieben wird.
Ich freue mich, dass wir heute als Koalition den Antrag zur Streichung Hindenburgs aus der Ehrenbürgerliste von Berlin einbringen. Hindenburg ist nicht schlicht problematisch, weil er Hitler ins Amt gebracht hat. Hindenburg war lange vor seiner Rolle bei der Machtergreifung eine mehr als problematische Persönlichkeit. Hindenburg führte im Ersten Weltkrieg die Oberste Heeresleitung, und er hätte den Ersten Weltkrieg gerne verlängert. Noch mehr Menschen hätten den makaber sogenannten Ehrentod auf dem Schlachtfeld finden sollen. Aber dazu sollte es nicht kommen. Der Krieg war verloren, auch wenn es viele nicht wahrhaben wollten.
Nach dem Ende des Krieges wurde Hindenburg im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Kriegsgeschehnissen befragt. Er konstruierte damals gemeinsam und gezielt mit den weiteren Mitgliedern der Obersten Heeresleitung die auch heute noch weit verbreitete antisemitistische Verschwörungstheorie, die Dolchstoßlegende, wonach das deutsche Heer – und ich zitiere – „im Felde unbesiegt“ geblieben wäre. Hindenburg war also einer der ersten Deutschen, die so gerne betonen, welche Kriege sie eigentlich gewonnen hätten. Um aus einem Stück des „Neo Magazin Royale“ die Deutschen zu zitieren, mit Ihrer Erlaubnis: Wir haben zwei Weltkriege angefangen und hätten beide fast gewonnen.
Nach seiner Zeit als Militär zog es ihn in die Politik. Hindenburg war Vertreter des antirepublikanischen Reichsblocks und trat für diesen als Reichspräsident an. In dieser Funktion hebelte er immer wieder das Parlament aus. Dass er ausgesprochener Monarchist war und das Parlament verachtete, mag in diesem Zuge nicht überraschen. Hindenburgs Wiederwahl verdankt er allen mehr oder weniger demokratischen Parteien, die einen Monarchisten stützten, um damit Hitler zu verhindern – keine Pointe.
Ich möchte hier heute keine Geschichtsstunde halten. Die Machtergreifung Hitlers und die Folgen eben jener sind jedem von Ihnen geläufig oder können nachgelesen werden. Hindenburg wusste zu jedem Zeitpunkt, was er tut. Er wurde nicht trotz des Grauens und des Todes, das er als Militär und Politiker zu verantworten hatte, zum Ehrenbürger unserer Stadt, sondern gerade deswegen. Die NSDAP sah den Großteil seiner Rolle und seines Verdienstes in der Möglichmachung ihres Handelns. Der Faschismus wurde möglich gemacht von Hindenburg, von Appeasement-Politik, von allen, die zuschauten, die wegschauten, die später behaupteten, man hätte nichts gehört, nichts gesehen und keiner hätte je etwas geahnt. Hindenburg steht sowohl für sich allein als auch exemplarisch für Deutschland vor, während und nach dem Erstarken der NSDAP.
Hindenburg war ein monarchistischer Kriegstreiber. Er verkörperte die Boshaftigkeit, die gefühlte Überlegenheit der Deutschen, die sich gerade nach dem Ersten Weltkrieg Bahn brach. Er hatte weder konkret noch ideologisch ein Problem damit, sich zum Steigbügelhalter der Faschisten zu machen. Wer wissen will, wohin radikaler Nationalismus und Antiparlamentarismus führen, kann es an Hindenburg beispielhaft sehen.
Wir stehen heute wie an jedem Tag vor der Frage, wie wir mit diesen Geschichten, mit unserer Geschichte umgehen. Geschichten wie die von Hindenburg gibt es viele, denn Hindenburg war mit seiner Ideologie keine Ausnahme. Doch die Schuldzuweisung der Machtergreifung der Faschisten an Hindenburg ist in sich wieder eine Schuldabwehr, eine Verschleierung der schlimmen Wahrheiten: Nicht Hindenburg allein hat durch die Ernennung Hitlers den Faschismus in Deutschland möglich gemacht. Es waren viele, viele, die den deutschen Faschismus möglich machten, und viele, die ihn über Jahre hinweg trugen. Hindenburg die Ehrenbürgerwürde zu entziehen, ist lange überfällig, wie so vieles an Aufarbeitungsarbeit, die Deutschland, Berlin und wir alle zu leisten haben. Aber jeder Schritt zur Entmystifizierung des Grauens und dem, wie es möglich gemacht wurde, jedes Eingeständnis historischer Fehler und Schuld ist einer auf dem richtigen Weg.
Dazu gehört es auch, anzuerkennen dass es Berlin seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht geschafft hat, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen und sich von Hindenburg zu distanzieren. Die Grünen haben 2002 einen Antrag eingebracht, mit dem 70 Jahre nach Eintragung Hindenburg aus der Liste der Ehrenbürger gestrichen werden sollte. Es gab damals keine Mehrheit. Nun sind wieder 17 Jahre vergangen. Das ist nichts, worauf wir stolz sein könnten, aber es ist gut und richtig, endlich Tatsachen zu schaffen und ein lange währendes Unrecht zu beenden. – Vielen Dank!
(Martin Trefzer)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Am 6. April 2017, auf den Tag genau vor nunmehr zwei Jahren und zwei Monaten, haben wir uns hier das erste Mal mit diesem Jugendfördergesetz beschäftigt. Wir haben damals den Senat beauftragt, einen Entwurf für das Jugendfördergesetz vorzulegen, und damit ein Vorhaben auf den Weg gebracht, das eines der zentralen im Bereich der Jugendpolitik in dieser Legislatur ist. Heute liegt das fertige Gesetz vor. Es ist viel Zeit vergangen und vor allem viel Arbeit in dieses Vorhaben geflossen. Wir haben dieses Gesetz gemeinsam mit Trägern und jugendpolitischen Akteuren und den Jugendlichen dieser Stadt selbst erarbeitet, sie beteiligt und versucht, einen Weg zu gehen, in dem alle Stimmen aus dem Kinder- und Jugendbereich gehört werden und diesen Prozess mitgestalten können. Dafür haben wir etwas länger gebraucht als geplant, aber ich würde keinesfalls sagen, dass das ein Manko war, sondern ganz im Gegenteil: Ich finde, es beweist umso mehr, dass wir es ernst meinen damit, dass dieser Prozess hin zu einer besseren Situation für die gesamte vielfältige Jugendarbeit in Berlin ein gemeinsamer sein muss.
Der Wunsch nach diesem Gesetz ist nicht neu. Die Historie haben wir bereits ausführlich in der ersten Lesung des Gesetzes erörtert. Die Kinder- und Jugendarbeit in Berlin steht seit Langem schlecht da. Sie hat in den letzten Jahrzehnten eine Verschlechterung erfahren, die nicht nur finanziell, sondern auch strukturell bedingt war. Statt dem steigenden Bedarf gerecht zu werden, wurden die Vielfalt und der Umfang in der Kinder- und Jugendarbeit immer weiter ausgedünnt. Die Zeit können wir auch mit diesem Gesetz nicht zurückdrehen, aber gegensteuern können wir, und genau dafür schaffen wir jetzt starke Instrumente.
In meiner ersten Rede zum Thema habe ich erörtert, was wir mit diesem Gesetz schaffen müssen, wo die Knackpunkte liegen.
Ich möchte keine Zwischenfragen. Danke! – Das waren zum einen die qualitativen und quantitativen Standards, die wir jetzt festschreiben. Das waren die verbindlichen Förderpläne, die wir jetzt auf Landes- und Bezirksebene einführen. Das war die verbindliche Beteiligung der Kinder und Jugendlichen in dieser Stadt, mit der wir im Entstehungsprozess dieses Gesetzes begonnen haben und die weitergeführt wird. Das war die gesicherte Finanzierung, die eines der härtesten Bretter war, das wir zu bohren hatten. Und das waren die flächendeckenden Angebote, die zukünftig den tatsächlichen Bedarfen in den Bezirken entsprechen werden.
Mit den im Fachausschuss vorgenommenen Änderungen konkretisieren wir auch noch mal unsere Vorhaben und
unterstreichen die bisherige Zielsetzung. So wird nun in § 6 Abs. 9 in den Grundsätzen der Jugendarbeit das Thema Inklusion noch mal explizit erwähnt. Klar, Inklusion ist Querschnittsaufgabe, aber es bleibt so lange wichtig, sie zu betonen, bis es nicht mehr nötig ist, sie explizit zu benennen.
Ein weiteres wichtiges Thema, dem wir auch bei diesem Gesetz Rechnung tragen müssen, ist die Flächenproblematik. Nicht nur bereits bestehende Projekte und Angebote stehen durch die angespannte Situation auf dem Berliner Immobilienmarkt immens unter Druck. Es ist fast unmöglich, für neue Angebote geeignete Räume zu finden, in denen Jugendarbeit stattfinden kann. Um dieser Problematik zu begegnen, werden wir unter § 46 nun Instrumente der Stadtentwicklung berücksichtigen. Das soll dazu führen, dass Jugendarbeit ein fester Bestandteil der Stadtentwicklungspolitik wird. Räume und Flächen für Jugendarbeit in all ihrer Vielfalt sollen in Zukunft schon beim Bau neuer Quartiere eingeplant und bestehende Angebote berücksichtigt werden. Diese Änderung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Lösen wird es die Problematik dennoch nicht. An dieser Stelle wird es auf lange Sicht weitere Maßnahmen brauchen.
Es geht jetzt darum, die Instrumente, die wir heute hier beschließen werden, anzuwenden und die neu geschaffenen Spielräume auszunutzen. Die Bezirke sind nun aufgefordert, die neuen Produkte zu buchen, neue Angebote zu schaffen und die bestehenden auszubauen. Die Jugendhilfeausschüsse müssen in den Bezirken auf die Umsetzung achten und die Entwicklung gerade auch unter Berücksichtigung der bezirklichen Besonderheiten im Blick behalten. Wir werden diesen Prozess begleiten, aber wichtig ist auch: Mit dem heute hier zu beschließenden Gesetz wird zwar ein Prozess abgeschlossen, und das freut uns sehr, aber dieses Ende ist explizit auch ein Anfang. Wir werden das Jugendfördergesetz auch in Zukunft weiterentwickeln und uns sehr genau ansehen, ob die Instrumente ausreichend sind, wir nachsteuern müssen oder etwas gänzlich anders machen müssen, als wir es bisher angedacht haben. Die Bereitschaft zur stetigen Weiterentwicklung, die wir heute signalisieren möchten, ist auch eine Art Kulturwandel, den wir beginnen, und ich wünsche mir, dass dieser nachhaltig ist.
Und weil wir uns als Koalition nicht nur den Jugendbereich, sondern auch die Familienarbeit vorgenommen haben und diese nur mit der Förderung von Kindern und Jugendlichen in Berlin Hand in Hand gehen kann, freue ich mich auf unser nächstes großes Projekt, das wir jetzt auf den Weg bringen werden: das Familienfördergesetz. Aber um erst mal eine Sache abzuschließen: Mit diesem Jugendförder- und Beteiligungsgesetz wird Berlin bundesweit eine Vorbildfunktion einnehmen.
Ich möchte mit etwas enden, was ich in der Sitzung am 6. April 2017 gesagt habe: Wie wir heute mit der jungen Generation umgehen, welche Zukunftsperspektiven wir ihr geben, wird maßgeblich beeinflussen, wie diese die Welt und unsere Stadt künftig gestalten wird. Und damit wird dieses Gesetz Berlin gestalten. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Es ging jetzt viel um einen SPD-Beschluss, und es ging sehr viel um die Bundeswehr im Allgemeinen. Das ist aber nicht das, worüber wir heute reden. Wir reden über den AfDAntrag, der den Abschluss einer Kooperationsvereinbarung zwischen der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie und der Bundeswehr fordert – nach Vorbild einer Regelung aus Baden-Württemberg von 2009. Diesen Antrag haben wir hier bereits ausführlich diskutiert. Wir hatten ihn am 28. Juni 2018 im Plenum; am 12. April dieses Jahres hatten wir ihn im Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie. Ich habe bereits in meiner ersten Rede zur Thematik ausführlich dargelegt, dass die Kooperation des Landes Baden-Württemberg, auf die sich die AfD bezieht, vom Land selbst überarbeitet wurde, weil dem Beutelsbacher Konsens nicht ausreichend Rechnung getragen wurde. Das verschweigt die AfD, aber das passt ja auch ins Bild, denn das, was die AfD möchte, ist gerade keine ausgewogene Debatte.
Es ist schon jetzt möglich, die Bundeswehr in Berliner Schulen einzuladen. Allerdings muss dabei gewährleistet werden, dass die Inhalte kontrovers dargestellt werden, dass sie sich an der Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler orientieren und es keine Indoktrination gibt. Unter diesen Bedingungen gibt es auch Besuche der Bundeswehr an Berliner Schulen. Nicht viele, das stimmt. Das lässt sich aber wohl vor allem auf das fehlende Bedürfnis zurückführen, der Bundeswehr im Schulrahmen eine Bühne zu geben. Dass die AfD sich schwer damit tut, diesen Fakt zu akzeptieren, kann ich mir vorstellen. Das ändert aber nichts daran, dass wir diesen Antrag ablehnen werden. – Vielen Dank!
Jetzt kommen wir mal wieder zu den Tatsachen zurück. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir diskutieren heute in erster Lesung den Entwurf eines Jugendfördergesetzes, ein Gesetz, das wir uns im Koalitionsvertrag zur Aufgabe gemacht haben und das wir mit Fug und Recht als eines der größten Vorhaben dieser Legislaturperiode im Bereich der Jugendpolitik bezeichnen können.
Bei der Umsetzung der Vorgaben des § 11 des Achten Sozialgesetzbuches und mit diesem Gesetz wird Berlin bundesweit eine Vorbildfunktion einnehmen. Das zeigt sich bereits im Entstehungsprozess dieses Gesetzes. Wir haben rund 10 000 Kinder und Jugendliche zu ihren Wünschen und Ideen für ein Jugendfördergesetz befragt, sodass ihre Anliegen angemessen berücksichtigt werden konnten. Wir haben zudem die verbindliche Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Entstehung von künftigen Jugendförderplänen geregelt, sodass sichergestellt ist, dass diese Form der Partizipation nicht einmalig war, sondern die Regel wird.
Wir haben uns als Koalition für diese Form der Partizipation – und um dieses Gesetz zu erarbeiten – zwei Jahre Zeit genommen. Das ist ganz schön lang, gerade auch für beteiligte Kinder und Jugendliche. Aber ernst gemeinte Partizipation, die nicht nur draufsteht, sondern auch drinsteckt, braucht ihre Zeit. Ich bin froh, dass wir uns diese Zeit genommen haben, denn das Ergebnis lässt sich sehen.
Auch inhaltlich wird sich eine Menge tun. Wir haben die Bedenken der Träger ernst genommen und werden verbindliche Standards sowohl in Bezug auf Qualität als auch auf den Umfang der Angebote festlegen und so für
(Thorsten Weiß)
mehr Planungssicherheit sorgen. Wir werden wieder flächendeckende Angebote in allen Bezirken schaffen, die sich an den tatsächlichen Bedarfen orientieren. Es wird verbindliche Förderpläne geben, die den durch das Land Berlin und die Bezirke vorzuhaltenden Umfang an die Jugendarbeit festlegen und ein Leistungsversprechen darstellen. Dadurch soll wieder eine vielfältige Angebotslandschaft in allen Bezirken sichergestellt werden. So werden wir dafür sorgen, dass von den fünf festgelegten Angebotsformen der Jugendarbeit alle angemessen in allen Bezirken vorgehalten werden müssen und garantieren so ein flächendeckendes Angebot.
Zudem etablieren wir die Unterstützung der Beteiligung von jungen Menschen als neue, eigenständige Angebotsform. Für uns ist klar: Beteiligung von jungen Menschen ist ein zentrales Merkmal von Jugendarbeit, und in Zukunft wird es in allen Bezirken und landesweit eine Unterstützungsstruktur für die Beteiligung junger Menschen geben.
Um zu garantieren, dass es wieder mehr und ausreichend Jugendarbeit gibt, werden wir die bisherige 10-ProzentRegel verlassen. Die Regelung wurde in der Vergangenheit nie ausreichend umgesetzt, sodass es um die Jugendarbeit in vielen Bezirken schlecht bestellt war, und orientierte sich außerdem nicht am tatsächlichen Bedarf. Die Ausgaben für die Jugendarbeit gingen immer mehr zurück, was sich besonders bei der personellen Ausstattung der bezirklichen Jugendarbeit gezeigt und zu einer Reduzierung von Angeboten geführt hat. Die bisherige Regelung hat sich für die Sicherung und Steuerung von Jugendarbeit in Berlin nicht als geeignet erwiesen.
Wichtig ist, die finanzielle Ausstattung stattdessen am immer mehr wachsenden einwohnerbezogenen Bedarf, also dem tatsächlichen Bedarf, zu orientieren; das werden wir in Zukunft mit dem Fachstandard „Umfang“ sicherstellen. Durch die gesetzliche Verpflichtung der Bezirke, den im Fachstandard „Umfang“ festgestellten Bedarf einzuhalten, stellen wir sicher, dass die zugewiesenen Finanzmittel für die Jugendarbeit auch für die Umsetzung von Angeboten der Jugendarbeit verwendet werden. Und anhand dieser festgestellten Bedarfe werden wir die Jugendarbeit in Berlin gesichert, geregelt und vor allem auch besser finanzieren können. Denn während sich die Vielfalt der Lebenswelten in dieser Stadt weiterentwickelte und wir darauf mit vielfältigeren Angeboten der Jugendarbeit hätten reagieren müssen, sorgten die Sparjahre für eine Ausdünnung der Angebote.
Wir stoppen endlich die zunehmende Abwärtsspirale bei Vielfalt und Umfang von Jugendarbeit in Berlin. Wir sorgen für mehr Förderung und mehr Jugendarbeit an mehr Orten in Berlin. Das ist dringend notwendig. In einer wachsenden Stadt mit immer mehr Kindern und Jugendlichen benötigen wir mehr Jugendarbeit und vor
allem auch schlicht mehr Orte für Kinder und Jugendliche.
Mit der Einführung von Jugendförderplänen auf Landesund Bezirksebene schaffen wir strategische Steuerungselemente, die die bezirklichen und landesweite Planung miteinander verzahnen. Bestand und Bedarf für die Angebotsformen der Jugendarbeit werden nachgewiesen und abgeglichen. Bei Bedarf werden Maßnahmen abgeleitet, und es wird die Einhaltung der Fachstandards der Jugendarbeit sowohl in Bezug auf Qualität als auch Umfang dokumentiert.
Wenn das Jugendfördergesetz beschlossen ist, ist damit die Arbeit aber noch nicht getan. Die Jugendhilfeausschüsse müssen nun in den Bezirken auf die Umsetzung achten. Sie müssen für ihren Bezirk darauf achten, dass die angebotenen Produkte abgerufen werden und die Umsetzung nach den Vorgaben des Gesetzes fordern. Das Jugendfördergesetz werden wir zudem auch in Zukunft noch weiterentwickeln, gerade damit Jugendarbeit in Berlin für möglichst viele Personengruppen inklusiv und auch in der Lage ist, auf Bedürfnisse und Lebenssituationen spezifischer Personengruppen einzugehen: Was können wir tun, um die queere Jugendarbeit in Berlin weiter zu stärken? Welche speziellen Räume und Angebote brauchen vor allem auch junge Mädchen und junge Frauen? Welche Anforderungen an Jugendarbeit gibt es in einer migrantisch geprägten Gesellschaft? Und wie sorgen wir dafür, dass Jugendarbeit für junge Menschen mit Behinderungen möglichst zugänglich ist?
Das Wie ist die eine Sache; genauso wichtig ist aber das Wo. Wir müssen sicherstellen, dass in einer wachsenden Stadt genügend Flächen für die Jugendarbeit zur Verfügung stehen, und zwar in allen Teilen der Stadt. Für die Jugendarbeit in Berlin ist die Flächen- und Raumkonkurrenz ein großes Problem. Viele Träger klagen darüber, dass es ihnen zunehmend schwerfällt, passende Räumlichkeiten zu finden. Zum einen wird Jugendarbeit in der Planung der sozialen Infrastruktur häufig nachrangig behandelt, zum anderen stehen Angebote der Jugendarbeit mit Gewerbemietverträgen vor dem Problem, Mietsteigerungen nicht mehr finanzieren zu können. Eine Möglichkeit, dieses Problem zu lösen, wäre eine Fonds, auf den die Bezirke zurückgreifen können, um Flächen zu erwerben oder im Rahmen der Berliner Schulbauoffensive unter dem Stichwort sozialräumliche Öffnung Einrichtungen und Kooperationen mit Schulen zu schaffen und zu verwirklichen.
So oder so müssen wir die immer höheren Gewerbemieten für die Angebote der Jugendarbeit endlich bei Mittelzuweisungen berücksichtigen.
Abschließend sei noch gesagt, dass für uns im Anschluss an das Jugendfördergesetz als Nächstes das Familienfördergesetz ansteht. Mit dem Jugendfördergesetz setzen wir die Ansprüche aus dem Achten Sozialgesetzbuch, § 11, um. Wir wollen aber auch die Ansprüche aus dem Achten Sozialgesetzbuch, § 16, die Familienförderung, mit qualitativen und quantitativen Standards sichern und dafür sorgen, dass Familienarbeit und Förderung von Kindern und Jugendlichen in Berlin Hand in Hand gehen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit dem vorgelegten Gesetzentwurf die Vielfalt der Jugendarbeit wiederhergestellt wird. Wir schaffen Nachvollziehbarkeit und Transparenz, bezogen auf die Umsetzung landesweit gültiger Standards, und es wird eine gesamtstädtische Steuerung ermöglicht sowie die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sichergestellt und gefördert. Damit haben wir wirksame Instrumente zur Planung und Steuerung der Jugendarbeit vorgelegt, und ich freue mich sehr auf die gemeinsame Beratung im Ausschuss. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Seit einigen Monaten streiken Schülerinnen und Schüler in ganz Deutschland, nehmen ihre Zukunft in die eigenen Hände und engagieren sich außerhalb der Schule demokratisch. Sie haben sich einer weltweiten Bewegung von Schülerinnen und Schülern angeschlossen, die nicht mehr zusehen wollen, wie Erwachsene unsere Zukunft sehenden Auges gegen die Wand fahren. Dass sich Schülerinnen und Schüler zusammenschließen, organisieren und gemeinsam für ihre Anliegen eintreten, ist etwas, worüber wir uns in einer Demokratie nur freuen können. Doch statt einer inhaltlichen Diskussion über die Anliegen der Proteste der Schülerinnen und Schüler wird mit dem Verweis auf die Abwesenheit vom Schulunterricht versucht, das Engagement und die Anliegen der Schülerinnen und Schüler zu diskreditieren, eine Debatte, die an Überheblichkeit kaum zu übertreffen ist.
So diskutieren wir heute auf Antrag der AfD darüber, in den Ausführungsvorschriften über Beurlaubung und Befreiung vom Unterricht, kurz AV Schulbesuchspflicht, Punkt 1 darum zu ergänzen, dass Ansuchen um Freistellung vom Unterricht für politische Demonstrationen abzulehnen seien. Wenn die rechtliche Frage im Übrigen so eindeutig ist, wie sie von vielen in der AfD, CDU und FDP immer wieder öffentlich dargestellt wird, muss man sich natürlich schon fragen, wieso es dann überhaupt nötig sein soll, diese Ergänzung in die Ausführungsvorschriften hineinzuschreiben.
Viel wichtiger als dieser kleingeistige Vorschlag zur Änderung einer Verwaltungsvorschrift ist, diesen Einsatz der Schülerinnen und Schüler als Chance zu sehen, um Demokratie in der Schule positiv praktisch zu begleiten und zu erkennen, dass hier gerade eine Generation heranwächst, die in der Lage ist, für ihre Anliegen einzutre
ten, und die bereit ist, sich für diesen Planeten und unsere Gesellschaft einzusetzen.
Diesen starken Stimmen der Generation müssen wir zuhören, statt zu versuchen, sie mit Repression zu überziehen.
Dieses Vorgehen wäre nicht nur falsch, es wäre auch vollkommen sinnlos, weil diese Schülerinnen und Schüler verstanden haben, dass sie das Recht haben, sich auch andere Möglichkeiten und Beteiligungsformen zu suchen als die, die ihnen von den Erwachsenen zugestanden werden, die die Zukunft ihres Planeten herunterwirtschaften.
Ich bin es leid, es immer wieder zu predigen, aber ich stehe hier jedes Mal als jüngstes Mitglied dieses Hauses vor Ihnen. Ich habe dieselben Erfahrungen gemacht, wie viele junge Menschen sie gerade machen. Engagement wird entweder gehasst und man bekommt extra noch eins reingedrückt oder aber man wird tot gelobt, von oben herab, von den Erwachsenen, die sehr wohl wissen, dass sie immer noch die Regeln machen und keine ernsthafte Sorge haben, dass ein paar Schülerinnen und Schüler tatsächlich etwas ändern können. Diese Frustration und das Bewusstsein, dass tatsächlich kaum junge Menschen an den politischen Entscheidungsprozessen beteiligt sind, die unsere Zukunft gestalten, waren Gründe für mich, mich für meine Kandidatur zu entscheiden. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als zu sagen: Ja, verdammt! – Die jungen Leute fehlen, und sie fehlen auch in diesem Haus.
Aber um zum Antrag zurückzukommen: Die AfD schreibt in ihrer Antragsbegründung – ich darf zitieren –:
Politisches Engagement rechtfertigt nicht das Fernbleiben vom Unterricht
Das ist nicht nur falsch, das Gegenteil ist der Fall. Schon jetzt sieht das Berliner Schulgesetz vor, Schülerinnen und Schüler beispielsweise für Schülervertretungsarbeit freizustellen sind.
Schülerinnen und Schüler haben nämlich nicht nur Pflichten, sie haben auch Rechte. Die AfD wünscht sich außerdem eine regelmäßige Teilnahme am Unterricht. Ich würde sagen, jede Woche von Montag bis Donnerstag ist sehr regelmäßig.
(Paul Fresdorf)
Ja, ist gut jetzt! – Als Nächstes zitiert die AfD einen Beschluss der Kultusministerkonferenz von 1973, ernsthaft, das ist fast 50 Jahre her, die ostdeutschen Bundesländer waren noch lange nicht Teil der KMK, und viele Eltern der heutigen Schülerinnen und Schüler waren noch nicht geboren. Weiter argumentiert die AfD, auch im Rahmen des Unterrichts bestünde die Möglichkeit, sich mit aktuellen politischen Themen auseinanderzusetzen. Da hat sie völlig recht. Gut, dass wir mittlerweile Unterricht nicht mehr nur mit verstaubten Büchern denken, sondern gerade auch wollen, dass Lernen außerhalb der Schule stattfinden kann, wenn es sich anbietet. Ich kann dazu nur sagen: Liebe Klassen! Liebe Politikkurse! Auf zur nächsten Demo! Guckt euch unsere Demokratie in Action an!
Für mich und meine Fraktion ist klar, dass dieser Antrag in die völlig falsche Richtung geht und abzulehnen ist. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Wir beschäftigen uns heute mit einem AfD-Antrag, der die Nutzung einer Broschüre verbieten möchte, die Erzieherinnen und Erziehern sowie Eltern wichtige Anleitungen zum Umgang mit diskriminierenden Handlungen im Kitaalltag und mit rechtsradikalen Eltern gibt. Es gibt in Deutschland viele Kinder, die mit den völkischen Ansichten ihrer Eltern groß werden. Das Deutsche Kinderhilfswerk hat 2018 in der Studie „Herausforderungen von Kindertageseinrichtungen in einer vielfältigen Gesellschaft“ herausgefunden, dass die Mehrheit der Kitaleitungen Erfahrungen mit Rechtspopulismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Kontext ihrer Arbeit gemacht haben, insbesondere in Zusammenarbeit mit den Eltern und den Familien der Kinder. Das macht sich auch im Kitaalltag bemerkbar, beispielsweise in diskriminierenden Äußerungen und Handlungen von Kitakindern gegenüber anderen.
Wenn ein Kind im Morgenkreis einem anderen nicht die Hand geben will und auf Nachfrage sagt: Ich mag keine Juden –, wenn Kinder oder deren Eltern sich abfällig darüber äußern, wenn ein Kind von zwei Müttern oder Vätern großgezogen wird, wenn Kinder in der Kita anfangen, Hakenkreuze und Runen zu malen und auf Nachfrage sagen, dass es das zu Hause gebe und Mama sage, das sei etwas Gutes, wenn Kinder sich weigern, mit Kindern zu spielen, die eine dunklere Hautfarbe haben, wenn Kinder gerne Krieg spielen und sich aggressiv und gewalttätig gegenüber anderen verhalten, dann sind das alles besorgniserregende Zeichen dafür, dass sie Ideologie und Verhalten wiedergeben, welches sie von ihren Eltern und ihrem Umfeld erlernt haben.
Häufig sind es andere Eltern, die die rechte Gesinnung anderer Eltern bemerken und sich damit an die Kitaleitung wenden. Die Frage, wie mit diesen Eltern und ihren Kindern umgegangen werden sollte und wie Lösungen gefunden werden können, die allen Kindern gerecht werden, ist alles andere als einfach.
Unsere demokratischen Grundwerte bilden den Grundstein der Erziehung in unseren Kindertagesstätten. In der Kita bedeutet das konkret, dass alle Kinder sich sicher fühlen können und ihren Platz in der Gruppe haben.
Nein, danke! – Kinder, die Diskriminierung erfahren, müssen unterstützt werden, damit der Besuch der Kita nicht mit Ängsten verbunden wird und Diskriminierungserfahrungen nicht normalisiert werden. Und es bedeutet auch, dass Kindern, die zu Hause einer rechten Erziehung ausgesetzt sind, geholfen wird. Sie dürfen nicht ausgeschlossen werden, und es müssen ihnen Angebote gemacht werden, fernab der völkischen, antisemitischen und vielfaltsfeindlichen Weltbilder ihrer Eltern. Wir stehen in der Pflicht, die UN-Kinderrechtskonvention umzusetzen, durch die Kindern ein Recht auf gewaltfreie Erziehung im Sinne der Gleichberechtigung garantiert wird.
Ein Ergebnis der Studie des Deutschen Kinderhilfswerks ist jedoch, dass seitens der pädagogischen Fachkräfte oftmals starke Irritationen und Ratlosigkeit im Umgang mit rassistischen, antisemitischen und vielfaltsfeindlichen Äußerungen und Handlungen herrschen. Fachkräfte in den Kitas und Träger haben Unterstützung verdient, wenn sie mit solchen Situationen konfrontiert werden.
(Paul Fresdorf)
Dazu werden Handreichungen und Fortbildungen benötigt, die den pädagogischen Fachkräften das nötige Fachwissen und die Werkzeuge bieten. Die Broschüre „Ene, mene, muh – und raus bist du!“ der Amadeu-AntonioStiftung setzt genau hier an. Sie gibt Lösungsvorschläge und Handlungsempfehlungen für die pädagogische Praxis. Sie gibt Impulse, die das Kindeswohl im Blick haben und eignet sich hervorragend als Handreichung für pädagogische Fachkräfte, die sich dem Umgang mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im pädagogischen frühkindlichen Alltag widmen möchten.
Nein, vielen Dank! – Nicht umsonst wird genau auf diesen Mehrwert dieser Handreichung von verschiedenen fachlichen Akteuren hingewiesen, u. a. vom Deutschen Kinderhilfswerk, Verdi, der GEW, dem Verband Katholischer Tageseinrichtungen und dem Bundesverband der Evangelischen Kindertageseinrichtungen. Sie alle betonen, dass die Broschüre aus fachlicher Sicht nicht zu beanstanden ist, sondern im Gegenteil den Erziehern bei schwierigen Fragen ihres Arbeitsalltags hilft. Denjenigen, die diese pädagogisch wertvolle Broschüre diffamieren, geht es offensichtlich nicht um fachliche Auseinandersetzung. Wir sehen hier den Versuch, die Axt an den demokratischen Bildungsauftrag unserer Kitas zu legen und die Rechte der Kinder zu beschneiden. Die Kritik an dieser Handreichung ist der Aufhänger, um gegen den gesetzlichen Auftrag Stimmung zu machen, dass Kitas die familiäre Erziehung und Bildung unterstützen und ergänzen. Dieser Auftrag ist in den Landesgesetzen, den Bildungsplänen und im VIII. Sozialgesetzbuch fest verankert, und dabei wird es auch bleiben.
Kinder aus rechtsradikalen, völkischen und vielfaltsfeindlichen Familien benötigen besondere Unterstützung dabei, die Grundlagen unseres demokratischen Miteinanders zu erlernen und zu verinnerlichen.
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Georg Pazderski (AfD): Indoktrination schon im Kindergarten! Linkes Gedankengut verbreiten!]
Die Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung leistet dazu einen wertvollen Beitrag, und auch ich möchte mich im Namen meiner Fraktion sehr herzlich bei ihr bedanken.
Auch wenn der Antrag noch in den Ausschuss kommt und wir das dort besprechen, können wir schon jetzt sa
gen, dass der Antrag abzulehnen ist. Wir freuen uns auch nicht auf die Debatte. Das wird wahrscheinlich auch wieder schrecklich.
Vielen Dank!
Das war wieder so ein Durcheinanderquatsch. Ich weiß gar nicht richtig, was ich sagen soll.
Ist ja gut! – Sie haben mir etwas unterstellt, das ich so wörtlich nicht gesagt habe. Aber es ist okay. Es ist nebensächlich, und darum geht es auch nicht.
Sind Sie fertig?
Wenn Sie möchten, können Sie die Rede ja noch einmal lesen. Es wird ja alles veröffentlicht. Vielleicht erschließt sich dann, was ich meine. Ich stehe zu dem, was ich gesagt habe. Wir stehen dafür, dass wir allen Kindern die Möglichkeit geben, in einer demokratischen Gesellschaft aufzuwachsen. Da bekommen sie Unterstützung, auch wenn sie die in ihrem Elternhaus nicht erfahren. Dafür stehen wir. Das habe ich gesagt. Das ist kein Skandal. Das steht in allen unseren Gesetzen. Der Rest erübrigt sich. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Die AfD-Fraktion fordert den Abschluss einer Kooperationsvereinbarung zwischen der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie und der Bundeswehr nach Vorbild der Regelung aus Baden-Württemberg von 2009. Was bedeutet dieser Antrag? – Aus der Begründung erfährt man, dass die AfD Schülern umfängliche sicherheitspolitische Bildung ermöglichen möchte. Als einzige Maßnahme fordert sie dafür, Jugendoffiziere der Bundeswehr sollen Lehrkräfte bei der Informationsvermittlung in der Schule unterstützen und außerdem bei der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften einbezogen werden. Außerdem ist die AfD besorgt, denn seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 sei die Notwendigkeit gestiegen, der Entfremdung der jungen Generation gegenüber Sicherheitspolitik und der Bundeswehr entgegenzuwirken. Die junge Generation entfremdet sich von Krieg und Militär und das ist, verdammt noch mal, gut so. An Krieg dürfen wir uns niemals gewöhnen. Und entfremdet zu sein von einer Institution, die auf Hierarchien basiert und von Gräueln lebt, ist eine positive Entwicklung.
Ich gestatte keine Zwischenfragen. – Im Antrag nimmt die AfD Bezug auf die Kooperationsvereinbarung zwischen dem Kultusministerium Baden-Württemberg und der Bundeswehr von 2009. Dazu ist zu erwähnen, dass die Vereinbarung schon 2014 überarbeitet und durch eine neue Version ersetzt, in der stärker herausgestellt wurde, dass der Einsatz von Jugendoffizieren der Bundeswehr an Schulen ausgewogen angelegt sein muss. Dass das offenbar notwendig gewesen ist, spricht Bände und zeigt auch, dass die 2009er Version der Kooperationsvereinbarung, die die AfD fordert, nicht mit den Grundsätzen von politischer Bildung in Deutschland vereinbar ist.
Formal ist es Jugendoffizieren verboten, an Schulen zu werben. Hellmut Königshaus, der bis 2015 Wehrbeauftragter des Bundestags war, antwortete auf die Frage, ob die Grenze zwischen Informieren und Werben nicht fließend sei, dass die Grenze nicht klar und je nach Standort jedenfalls zu definieren sei.
Die Bundeswehr hat einen klaren Auftrag. Jugendoffiziere vertreten die Bundeswehr, und auch ihre Interessen, zu denen auch die Nachwuchsgewinnung zählt. Die Bundeswehr kann nicht als neutrale Institution betrachtet werden.
Die AfD tut mit der Begründung Ihres Antrags so, als wäre die Bundeswehr – und somit militärische Einsätze – das mindestens Wichtigste und suggeriert, fast der einzige Aspekt von Sicherheitspolitik. Das ist fatal und zeigt beispielhaft, welches Ziel die AfD verfolgt: die Verkürzung und die Vereinfachung von Sicherheitspolitik zugunsten eines starken, unhinterfragten Militärs.
Sicherheitspolitik und Außenpolitik sind sehr viel diverser als die Bundeswehr. Zu ihr gehören unter anderem auch Diplomatie, humanitäre Hilfe und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Hier hat Deutschland auch noch Nachholbedarf. Es ist sehr viel nachhaltiger, in kluge Außenpolitik zu investieren, statt einfach das Militär aufzurüsten.
Hier könnte sich Deutschland ein Beispiel an Schweden und Kanada nehmen,
die eine feministische Außenpolitik verfolgen. Damit kann man sich auch ausgezeichnet im Unterricht beschäftigen, ganz ohne Bundeswehr.
Hier ist auch der Knackpunkt der ganzen Geschichte. Natürlich möchten wir, dass Schülerinnen und Schüler auch etwas über Sicherheitspolitik lernen. Wenn hierfür schulexterne Personen eingeladen werden, muss aber der Beutelsbacher Konsens umgesetzt werden. Das bedeutet, dass die Inhalte kontrovers dargestellt werden müssen, sich an der Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler orientieren und das Verbot der Indoktrination eingehalten werden muss. Das kann nicht gewährleistet werden, wenn ausschließlich die Bundeswehr hierfür zu Rate gezogen wird.
Der Deutsche Bundesjugendring fordert schon seit 2012 diejenigen Bundesländer auf, die einen Kooperationsvertrag mit der Bundeswehr haben, diesen aufzukündigen. Auch der Landesschülerausschuss Berlin hat sich schon zur Thematik positioniert. Ich möchte zitieren:
Der Landesschülerausschuss Berlin lehnt jegliche Form von Werbung, zum Beispiel in Form von Vorträgen, der Bundeswehr an Schulen ab.
Der Landesschülerausschuss positioniert sich auch zur Verpflichtung Minderjähriger und fordert die sofortige gesetzliche Unterbindung dieser Praxis.
Die Berliner Schülerinnen und Schüler sind hier sehr deutlich. Sie sehen einen Konflikt zwischen einer gewünschten Unterrichtung im Themenfeld und Informationen von Angehörigen einer Institution, die hier eigene Absichten hat, vorrangig auch die Gewinnung junger Rekruten.
Auch der Koalitionsvertrag ist klar: Der Beutelsbacher Konsens ist einzuhalten, wenn sich eine Schule dafür entscheidet, die Bundeswehr einzuladen.
Ich bin keine Pazifistin, aber ich will Frieden. Und den erreicht man nicht, indem man Minderjährige zur Bundeswehr holt und so tut als wäre Krieg ein Alltagsgeschäft. Diese gefährliche Tendenz der öffentlichen Kommunikation ist aber durchaus gegeben, wenn man sich die Imagekampagnen der Bundeswehr ansieht. Zumindest in unseren Berliner Schulen darf es dafür keinen Raum geben. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über den überfraktionellen Antrag „Gegen jeden Antisemitismus! – Jüdisches Leben in Berlin schützen“. Das Thema war in der letzten Zeit immer wieder in der öffentlichen Debatte präsent. Im letzten Jahr hat der Vorfall an der Friedenauer Schule die Stadt beschäftigt, vor einigen Wochen gab es eine breite Debatte, weil ein Mann in Prenzlauer Berg als Jude beschimpft und mit einem Gürtel geschlagen worden ist. Das waren zwei der prominentesten Beispiele von antisemitischen Übergriffen, die wir in der letzten Zeit in Berlin zu verzeichnen hatten. Doch sie bilden leider nur die traurige Speerspitze der Statistik. Nach Gründen für die Notwendigkeit dieses Antrags muss man also nicht lange suchen.
Nein, danke! Ich möchte keine Zwischenfragen beantworten. – Antisemitismus darf in Berlin keinen Platz haben. Doch von dieser Realität sind wir noch weit entfernt. Gerade deswegen arbeiten wir hart daran, Antisemitismus in all seinen Formen zu bekämpfen. Dazu gehört es auch, Probleme klar zu benennen und Forderungen und Maßnahmen zu formulieren. Das tun wir mit diesem Antrag.
Antisemitisches Gedankengut durchzieht unsere Gesellschaft in vielen Bereichen. Es ist nichts, das erst durch Mitbürger mit Migrationsgeschichte nach Berlin gebracht wurde. Die Debatte darauf zu reduzieren, wird dem Ausmaß des Problems nicht gerecht und ignoriert vollständig die Komplexität der Thematik. Antisemitismus können wir nur nachhaltig bekämpfen, wenn wir differenzieren. Antisemitismus bekämpft man nicht mit Rassismus. Wir stellen uns ausdrücklich gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Antisemitismus hat besonders die Geschichte Europas ständig begleitet: von der antiken Judenfeindschaft im Römischen Reich über den Antijudaismus im Mittelalter, den Antisemitismus Luthers, die Berliner Bewegung, die im Kaiserreich ein Sammelbecken für diverse Antisemiten war, bis hin zur Shoah mit der Ermordung von 6 Millionen Jüdinnen und Juden.
Einer der wichtigsten Aspekte dieses Antrags ist, dass er Antisemitismus in seinen verschiedensten Formen erkennt und verurteilt, ausdrücklich auch den sekundären und israelbezogenen Antisemitismus. Doch bei der Ver
urteilung des Problems allein kann es natürlich nicht bleiben. Wir wollen, dass sich ganz konkret die Situation in Berlin verändert. Wir wollen, dass Jüdinnen und Juden sich in unserer Stadt frei und sicher fühlen können, und zwar überall. Das gilt auch für Israelis.
Deshalb beauftragen wir mit diesem Auftrag den Senat, bis Ende Februar 2019 ein Konzept zur Weiterentwicklung der Antisemitismusprävention in Berlin zu erarbeiten. Dazu gehört, dass das Landesprogramm „Demokratie. Vielfalt. Respekt. Gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“ weiterentwickelt und die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Trägern verstetigt wird, dass die Arbeitsdefinition Antisemitismus in der von der Bundesregierung empfohlenen Form auch in Berlin Anwendung finden soll, dass das Präventionskonzept auch die Aus- und Fortbildung von Justiz und Polizei umfasst und dass ein Konzept für koordiniertes Handeln zwischen Schule, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Politik erarbeitet wird, um antisemitischer Alltagsdiskriminierung insbesondere in den Bereichen Jugend- und Sozialarbeit und Schule zu begegnen. Wir möchten, dass Justiz und Polizei gemeinsam daran arbeiten, Instrumente weiterzuentwickeln, die das Anzeige- und Meldeverhalten von von antisemitischer Gewalt und Diskriminierung Betroffenen verbessert. Die Diskrepanz zwischen den Zahlen der Berliner Polizei und den Zahlen der zivilgesellschaftlichen Träger, wie RIAS, ist weiterhin bedrückend groß.
Dass dieser Antrag nicht nur von der Koalition, sondern gemeinsam mit allen demokratischen Fraktionen dieses Hauses
und in Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Trägern entstanden ist, freut mich und macht mich stolz. Dieser Antrag hat Symbolkraft, und die braucht er auch, denn der Kampf gegen Antisemitismus ist auch immer eine Haltungsfrage. Ich freue mich sehr, dass wir mit diesem Antrag klare Haltung zeigen und als Berliner Abgeordnetenhaus unmissverständlich sagen: Gegen jeden Antisemitismus! – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Mehr Spaß für alle“, heißt der Antrag der AfD. Das finde ich prinzipiell erst mal gut. Aber die Welt ein Stückchen hedonistischer machen zu wollen, hätte ich von der AfD erst mal nicht erwartet.
Aber Spaß beiseite! Worum geht es denn eigentlich? – In Berlin gibt es seit vielen Jahren den Ferienpass. Seit 2007 heißt er Super-Ferien-Pass. Bei über 400 Partnern in Berlin gibt es ermäßigte oder kostenlose Angebote, um die Schulferien abwechslungsreich gestalten zu können. Schwimmen im Seebad Friedrichshagen, Film gucken im Freiluftkino Rehberge, Parkeisenbahn fahren in der Wuhlheide, Tristan besuchen im Naturkundemuseum, töpfern im Museumsdorf Düppel, zocken im Computerspielemuseum, rodeln, Lasertec oder Minigolf spielen, im Hochseilgarten durch die Baumkronen klettern – die Angebote sind vielfältig, und allein beim Lesen des Pro
gramms bekommt man nicht nur unfassbare Lust auf Sommer, sondern merkt schon jetzt, dass sechs Wochen Sommerferien eigentlich zu kurz für die ganzen Sachen sind.
Und nicht nur in Berlin gibt es tolle Angebote, man kann auch hinaus nach Brandenburg fahren, zum Beispiel zu einer Lamawanderung oder die Wölfe in der Schorfheide besuchen. Bei der Recherche zum Super-Ferien-Pass wurde ich an die ganzen Angebote erinnert, die ich auch selbst als Kind wahrnehmen konnte. Ich finde es super, dass wir dieses Angebot zur Verfügung stellen, und freue mich sehr, dass wir das auch weiterhin tun.
Es wurde schon gesagt, dass der Super-Ferien-Pass für 9 Euro zu erwerben ist. Wer das Geld vom Jobcenter bezieht, kann ihn sich erstatten lassen. Man kann ihn in Rewe-Märkten, in vielen Bezirks- und Bürgerämtern und auch in Bibliotheken erwerben. Es wird Infomaterial an Schulen versandt, und auch im „Berliner Fenster“ wird der Super-Ferien-Pass beworben. Wenn man nach dem Super-Ferien-Pass im Netz sucht, kommt man auf die Seite vom Jugendkulturservice, kann ganz einfach unter „Verkaufsstellen“ seinen eigenen Bezirk suchen und dann die Verkaufsstellen in seinem Bezirk anwählen. Die Website ist übersichtlich gestaltet und sehr verständlich. Das ist etwas, was ich mir für ein Angebot wünsche, das besonders Kinder und Jugendliche nutzen.
Jetzt habe ich sehr viel über den Ferien-Pass allgemein geredet,
es geht hier ja aber um den Antrag. Die AfD fordert Verkaufsstellen an jeder Schule. Das Ziel, mehr Kindern und Jugendlichen durch den Super-Ferien-Pass Teilhabe zu ermöglichen, teilen wir. Den konkreten Vorschlag der AfD unterstützen wir aber nicht. Warum? – Die AfD ist der Meinung, man könne mit wenig Aufwand eine von ihr geforderte Zahlstelle einfach in Schülercafés oder ans Sekretariat angliedern. So einfach ist das aber nicht. Auch die Sekretariate haben nicht wenig zu tun. Der Verkauf allein ist es ja nicht.
Nein! – Hinzu kommen die nötige Koordination mit den Schulen, Abrechnungen, die Logistik – die Pässe müssen gelagert und dorthin bewegt werden. Es sind viele Sachen, die sich dem noch anschließen und die zeigen, dass es nicht so einfach ist, wie man sich das vielleicht zunächst gedacht hat. Dass die Pässe bei Rewe erworben
(Thomas Seerig)
werden können, spart dem Land Berlin all das; das ist sehr gut.
Aber tatsächlich gibt es Verbesserungsbedarf. Der SuperFerien-Pass erreicht längst nicht alle Berliner Schülerinnen und Schüler, und das ist schade. Im Vorfeld meiner Rede habe ich mich mit den Landesschüler/-innenAusschuss getroffen und mich zu dieser Problematik ausgetauscht. Bei Themen, die die Schülerinnen und Schüler betreffen, finde ich es wichtig, sie einfach mal selbst zu fragen. Wir waren uns einig, dass das Problem nicht zu sein scheint, den Pass zu erwerben, sondern vielmehr erst einmal davon zu erfahren, dass es das Angebot gibt. Wir müssen uns also verstärkt ansehen, wie wir besonders diejenigen erreichen, die solche Angebote bisher noch nicht genutzt haben. Mich freut, dass wir als Koalition diese Problematik schon erkannt haben und Mittel für eine bezirksübergreifende Koordination zur Verfügung gestellt haben, um insbesondere diese Kinder besser und nachhaltiger erreichen zu können.
Kommen wir zum Fazit. Der Ferien-Pass ist eine gute Sache, da sind wir uns alle einig. Der Antrag der AfD hilft bei den benannten Problemen aber leider nicht weiter. Das soll uns nicht weiter stören; Rot-Rot-Grün regelt das und hat das Problem auf dem Schirm. Wir werden das im Ausschuss besprechen. – Vielen Dank, und jetzt: Viel Spaß beim Feierabend nachher!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Worum geht es in dem Antrag konkret? – Die AfD-Fraktion fordert, der Senat solle die Aktivitäten des Islamischen Jugendzentrums – IJB – auf deren Verfassungskonformität hin prüfen. Sie fordert, dass Unterrichtsinhalte offengelegt werden, die Finanzierung der Einrichtung durchleuchtet wird und dass organisatorische
(Hakan Taş)
Verflechtungen, also auch personeller Natur, offengelegt werden.
Nun stellt sich die Frage, wie der Senat das machen soll. Wie in der Antwort auf die Frage des Kollegen Weiß bereits mitgeteilt worden ist, können bestimmte Überprüfungsvorgänge nicht wahrgenommen werden, da die Einrichtung nicht öffentlich gefördert ist und es sich um eine privatrechtliche Vereinigung handelt, sofern ein Vereinsstatus vorliegt. Ist das nicht der Fall, ist noch weniger Einblick möglich. Das ist die geltende Rechtslage. Dabei mahnen Sie doch immer die Verfassungskonformität an. Das ist schon spannend. Das Jugendzentrum dazu zu zwingen, nichtveröffentlichungspflichtige Angaben zu veröffentlichen, würde einen Präzedenzfall schaffen, nachdem jedweder Zusammenschluss dem Staat alle internen Vorgänge offenlegen müsste. Das wäre ein Schritt auf dem Weg zu einem Überwaschungsstaat, den Sie vielleicht begrüßen würden, liebe Kollegen von der AfD, den wir und die Gesellschaft jedoch aus Gründen ablehnen.
Eine andere Möglichkeit ist in begründeten Ausnahmefällen eine Überwachung von Institutionen und Einzelpersonen durch das Landesamt für Verfassungsschutz. Auch hier verweise ich gerne wieder auf Ihre eigene Anfrage. In der Antwort verweist der Senat auf Erkenntnisse zum IJB, die im Verfassungsschutzbericht nachzulesen sind. Wir nehmen islamistische Tendenzen nicht auf die leichte Schulter, auch dann nicht, wenn sie sich, wie im Wirkungsbereich der Muslimbruderschaft in Deutschland, zunächst durch gewaltfremde und vornehmlich theologisch legalistische Methoden äußern. Jedoch lässt sich feststellen, dass sich die Forderung nach einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz erübrigt, denn dies passiert offenbar bereits.
Weiter in Ihrem Begründungstext: Die damalige Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung produzierte eine Handreichung zum Thema „Islam und Schule“. Darauf haben Sie eben schon Bezug genommen. Zum Entstehungsprozess dieser Broschüre und der Einbeziehung des Imams Ferid Heider schreibt der Senat in der Antwort auf Ihre Anfrage – ich zitiere –:
In dieser Materialsammlung
gemeint ist die Recherche zur Broschüre –
gibt es ein Interview mit Ferid Heider, der darüber hinaus aber an keiner Stelle in die Produktion der Materialsammlung oder der Broschüre eingebunden oder daran beteiligt war. Das Interview ist in der veröffentlichten Broschüre nicht enthalten, Wortbausteine von Herrn Heider o. Ä. sind in der veröffentlichten Kurzfassung nicht erschienen.
Daraus wird in Ihrem Antrag:
Heider beteiligte sich auch an der Erarbeitung der 2010 erschienenen Handreichung „Islam und Schule“ des Senats, die Berliner Lehrer für den Umgang mit muslimischen Schülern fortbilden soll.
Wen wollen Sie hier eigentlich für dumm verkaufen? Ihre Aussage ist besonders boshaft in Anbetracht der Tatsache, dass Sie es ja besser wissen, weil Sie den Sachstand erfragt haben.
Auch wenn das eine bestimmte Fraktion im Haus nicht wahrhaben möchte, ist der Islam ein Teil von Berlin. Muslimische Kinder feiern Weihnachten. Atheistische oder christliche Kinder feiern zusammen Zuckerfest. Kinder machen vor, was die Politik in den vergangenen Jahrzehnten trefflich verfehlte.
Mit nichtdeutschen Namen ist es immer noch ungleich schwerer, einen Job zu finden. Es ist schwerer, eine Wohnung zu bekommen. Und auch die Bildungschancen sind ungerecht verteilt. Wenn sich Menschen ausgegrenzt fühlen, suchen sie oft Nähe zu jenen Menschen, die Ihnen aufgeschlossen gegenübertreten. Radikale Hassprediger und auch Rechtsextreme nutzen das für sich.
Um negativen Entwicklungen vorzubeugen, kann und muss politischen entgegengewirkt werden. Wir müssen sinnvolle Ausstiegsoptionen bieten, Alternativen zur Radikalisierung. Wir müssen den in Deutschland lebenden Muslimen anders begegnen als ein Horst, der Regierungsbank und Kneipe verwechselt hat. Stattdessen müssen wir als Gesellschaft zeigen, dass Muslime in unserem Rechtsstaat gleichberechtigte und gleichwertige Menschen sind. Politik muss die Differenzierung zwischen Religion und fundamentalistischer Ideologie endlich gewissenhaft durchführen. Wir müssen zwischen Islam und Islamismus genauso unterscheiden wie zwischen Christentum und christlichem Fundamentalismus. Wenn Menschen aufgrund ihres Glaubens nicht vorverurteilt würden, wäre viel gewonnen. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Noch einmal eine Klarstellung am Anfang: Natürlich lehnen wir Gewalt in jeder Form ab. Ihre Unterstellungen, liebe AfD, sind völliger Humbug, und das wissen Sie auch.
Aber zum Thema: Wir beschäftigen uns heute mit einem Antrag der AfD, bei dem es darum geht, Sozialprojekten die Gelder zu kürzen, weil die AfD der Meinung ist, dass das Land Berlin mit der Förderung besagter Projekte
sogenannten Linksextremismus finanziell unterstützen würde.
Bei dieser These muss ich gefühlt noch einmal ganz am Anfang anfangen, also: Politische Parteien haben zunächst alle einen gemeinsamen Anspruch, für die Bevölkerung das bestmögliche Leben zu ermöglichen. Niemand will den eigenen Wählerinnen und Wählern etwas Böses. Durch nahezu alle politischen Strömungen – die Bestrebungen totalitärer Diktaturen einmal ausgenommen – zieht sich ein Grundkonsens. In der Gesellschaft sollte gelten: Alle nehmen Rücksicht aufeinander, und es geht darum, dass jeder und jede sich im Rahmen seiner oder ihrer Möglichkeiten selbst verwirklichen kann. Gleiche Chancen für alle, größtmögliche Freiheit für jeden einzelnen. Diese Aussage deckt sich mit dem grünen Selbstverständnis von Politik. Sie deckt sich mit dem linken Selbstverständnis von Politik. Sie spiegelt grundkonservative Werte wider, und sie ist der Grundsatz liberaler Politik, denn es geht um die größtmögliche individuelle Freiheit aller.
Von Freiheit kann aber keine Rede sein, wenn Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religionszugehörigkeit, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder anderen individuellen Merkmalen diskriminiert werden. Diese Arten der Diskriminierung, seien es Homophobie, Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Antiziganismus oder sonstige gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, beschneiden die Freiheit, die Rechte und die Würde der Betroffenen. Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. In der Theorie mag das stimmen, die Realität sieht leider oft anders aus.
Frauen verdienen durchschnittlich etwa 21 Prozent weniger als ihre männlichen Counterparts bei selber Qualifikation.
Menschen mit Nachnamen, die nicht typisch deutsch klingen, bekommen schwerer einen Ausbildungsplatz oder eine Wohnung. Menschen mit körperlichen Einschränkungen haben oft nicht die Möglichkeit, sich frei durch die Stadt zu bewegen, können nicht jedes Verkehrsmittel benutzen, denn nicht alle sind barrierefrei. Eine der grundlegenden Aufgaben des gesellschaftlichen Zusammenlebens muss es sein, Diskriminierungen zu beenden und der Theorie der Gleichstellung auch praktisch näherzukommen.
Politik ist Gestaltung. Wir gestalten in diesem Haus einen nicht unerheblichen Teil der Lebensrealität der Berlinerinnen und Berliner, die uns gewählt haben, um eben dies zu tun. Besondere Maßgabe muss aber immer sein, auch ein Auge auf die Teile der Gesellschaft zu haben, die benachteiligt werden. – Ich möchte keine Zwischenfragen, vielen Dank! – Zur politischen Gestaltung gehört auch, dass wir Gelder verteilen. Wenn wir diesen