Protocol of the Session on March 25, 2015

(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: Politi- sche Bildung bei der AfD...)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Ich schließe damit den dritten Teil.

Ich rufe auf den vierten Teil

(Ministerin Dr. Klaubert)

d) Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Demokratie ohne Bürger – Einzelfall oder Normalzustand? Leere Wahlzettel bei der Gemeinderatswahl der Gemeinde Drogen im Altenburger Land“ Unterrichtung durch den Präsidenten des Landtags - Drucksache 6/406

Das Wort erteile ich der Abgeordneten Frau Dorothea Marx.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Demokratie ohne Bürger – ist das ein Einzelfall oder soll das künftig zum Normalzustand werden? Leere Wahlzettel gab es bei der Gemeinderatswahl in der kleinen Gemeinde Drogen im Altenburger Land. Diese Nachricht machte Schlagzeilen – erste Thüringer Bürgermeisterin ohne Kandidatur. Bei der kürzlich stattgefundenen Bürgermeisterwahl in der Gemeinde Drogen hatten sich wie zuvor schon bei der Gemeinderatswahl keine Kandidatin und kein Kandidat gefunden. Wie bei der Bürgermeisterwahl wurde deshalb auch gemeinsam mit der Wahl zum Gemeinderat diese Wahl als sogenannte Mehrheitswahl durchgeführt, das heißt, die Bürgerinnen und Bürger können dann einfach irgendeinen Namen auf den Stimmzettel aufschreiben. Zuerst die gute Nachricht für das Örtchen Drogen: Es hat sich dann doch eine Bürgermeisterin gefunden. Mit 34 von 55 abgegebenen Stimmen wurde Carmen Meister zur neuen Bürgermeisterin gewählt und hat das ihr so angetragene Amt dann auch angenommen. Von dieser Stelle aus wünschen wir Frau Meister herzlich Glück für ihre Amtsausführung. Wir danken Ihnen auch, dass Sie sich so für das Gemeinwohl in Ihrem Ort in die Pflicht haben nehmen lassen, obwohl Sie gar nicht kandidieren wollten.

Das Beispiel der Gemeinde Drogen steht aber leider stellvertretend für eine Reihe von Problemen, die wir anpacken müssen, wollen wir auch in Zukunft eine funktionierende Demokratie in Thüringen leben.

Bevor wir auf einen Punkt kommen, den ich etwas weiter ausführen möchte, gestatten Sie mir, einige Handlungsfelder aufzuführen. Wir müssen die Bürgerbeteiligung groß und größer schreiben, wir brauchen noch mehr Angebote an die Bürgerinnen und Bürger im Freistaat, sich politisch einzubringen.

(Beifall DIE LINKE)

Wir müssen politische Bildung verbessern, nicht nur in der Schule. Unsere Demokratie funktioniert nur, wenn sich genügend Menschen für sie begeistern,

denn Begeisterung ist Voraussetzung dafür, dass man sich engagiert, gerade im Ehrenamt. Dafür muss aber auch die Demokratie wertgeschätzt werden. Hierzu können wir in diesem Haus durch unser Tun und Lassen – ich füge noch hinzu –, auch durch unseren Ton, denke ich, einen wichtigen Beitrag leisten.

(Beifall SPD)

Das Ehrenamt muss gestärkt werden, das Ehrenamt im Allgemeinen und das kommunalpolitische Ehrenamt im Besonderen, die müssen attraktiver werden. In Zeiten knapper Kassen und den daraus oft resultierenden schwierigen kommunalpolitischen Entscheidungen ist das ein schwer umzusetzender Wunsch. Trotzdem muss auch hier mehr getan werden, um engagierte Menschen für die Kommunalpolitik zu begeistern.

Das Beispiel der kleinen Gemeinde Drogen zeigt aber auch die Folge ausbleibender Strukturentscheidungen in der regierenden CDU-Zeit im letzten Jahrzehnt. Ist es wirklich verantwortungsvoll, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir Kleinstgemeinden mit 130 oder noch weniger Einwohnern weiter als politisch eigenständige Gemeinden bestehen lassen wollen? Erst kürzlich hat der Thüringer Rechnungshof in seinem Kommunalbericht darauf hingewiesen, dass die Kleinteiligkeit bei den Städten und Gemeinden dazu führt – Kleinstteiligkeit muss man es in Thüringen ja schon nennen –, dass keine fachliche Spezialisierung in den Verwaltungen stattfinden kann. Fehlentscheidungen, beispielsweise bei Ausschreibungen von Aufträgen, können in einer immer komplexer werdenden auch kommunalen Welt die Folge sein.

Deswegen wird das ohnehin knappe Geld nach den Erkenntnissen des Rechnungshofs dann nicht einmal überall effizient genutzt. Dass sich immer weniger Menschen in der Kommunalpolitik im Ehrenamt engagieren wollen, ist kein jetzt plötzlich auftretender Trend, das hat sich schon länger abgezeichnet. Wenn man aber eine solche Entwicklung hat und nicht umkehren kann, auch dann muss man reagieren und Strukturen schaffen, die attraktiv sind.

Viele Orte haben sich schon freiwillig zu diesem Schritt bewegt, aber nicht überall reift diese Erkenntnis freiwillig. Hier müssen wir irgendwann als Gesetzgeber notfalls nachhelfen, damit stabile und sinnvolle Gemeindestrukturen entstehen. Das ist noch kein Garant dafür, dass sich Menschen auch dafür engagieren, aber die Chancen dafür steigen natürlich erheblich, wenn ich es nicht nur mit so wenigen Einwohnerinnen und Einwohnern zu tun habe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Örtchen Drogen ist Gott sei Dank nicht überall, aber die eingangs geschilderte Situation sollte uns auch aus dem Blickwinkel der Bereitschaft der Bürgerinnen

(Präsident Carius)

und Bürger, sich für kommunale Belange zu engagieren, dazu motivieren, die bestehenden Gemeindestrukturen endlich unter die Lupe zu nehmen und unsere Demokratie insgesamt lebendiger und attraktiver zu gestalten. Vielen Dank.

(Beifall SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Marx. Es hat das Wort der Abgeordnete Dirk Adams für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einen herzlichen Glückwunsch an Carmen Meister und einen herzlichen Dank für das Engagement dieser Frau, in einem kleinen Ort hier ein Stück weit unser Gemeinwesen fortzuentwickeln, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei der Bürgermeister-, jetzt kann man sagen, bei der Bürgermeisterinnenwahl im Altenburger Land ist damit ein Phänomen zutage getreten, das wir vielerorts schon beobachten können: Die Bereitschaft, sich politisch zu engagieren, ist gering. Der Thüringen-Monitor in diesem Jahr lässt uns erneut die anekdotische Evidenz verlassen und liefert hierzu auch einige Zahlen. Nur 8 Prozent der Befragten haben schon einmal für ein Amt oder ein Mandat kandidiert. Nur 7 Prozent der Befragten berichten, dass Sie sich schon einmal für eine politische Partei engagiert haben. Etwas mehr – 11 Prozent – der Befragten sagen, dass sie schon einmal in einer Bürgerinitiative mitgearbeitet haben. Nur 20 Prozent der Befragten haben überhaupt schon einmal Kontakt zu einer Politikerin oder zu einem Politiker aufgenommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Zahlen kennen wir seit vielen Jahren und besonders in kleinen Ortschaften, meine sehr verehrten Damen und Herren, wirkt dann dieser prozentuale Ansatz um einiges stärker. Gestern Abend – und das hat mir Mut gemacht – gab es hier in diesem Haus eine Veranstaltung mit Lothar de Maizière. Obwohl er einen sehr zügigen Vortrag gehalten hat, sind mir daraus einige Punkte im Ohr geblieben. Er hat ganz klar gesagt: Teilhabe, das ist nicht das, wo jeder etwas bekommt, sondern Teilhabe bedeutet, dass jeder etwas geben muss. Und er hat sich ganz energisch dafür eingesetzt, dass wir erkennen, dass Meinungsbildung Streit und Standpunkt erfordert und eben nicht Meinungsforschung, die einen dazu führt oder auch gar dazu verführen kann, die Meinung der Mehrheit zu vertreten. Diskussion führt zu Demokratie und dafür müssen wir werben, mei

ne sehr verehrten Damen und Herren. Das ist unser Anliegen, den Menschen zu sagen, es macht Spaß, sich auch im Streit für seine Gemeinde einzusetzen, es macht Spaß, sich für das Gemeinwohl einzusetzen, und es liegt auch an uns, das vorzuleben. Dabei stelle ich allen, die hier im Raum sind, und den vielen Frauen und Männern, die im Land irgendwo in der Kommunalpolitik insbesondere tätig sind, was etwas Schönes ist, die Frage: Geben wir damit wirklich immer ein leuchtendes Beispiel allein bei der Frage, wie wir politisches Arbeiten im Ehrenamt und Familie verbinden können? Viele Menschen erleben uns, erleben unsere Kollegen als diejenigen, die jeden zweiten Abend unterwegs sind. Da Verfahren zu schaffen, in denen wir sagen, das muss auch klappen, Beruf, Familie und Ehrenamt müssen wir zusammenbekommen können und auch darum können wir kämpfen. Ich würde mich freuen, wenn wir hier im Thüringer Landtag dazu Wege aufzeigen, wie das möglich sein kann, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Frau Marx möchte ich mich bei vielen ihrer Bemerkungen anschließen. Vielen Dank dafür. Ich glaube, dass der kleine Ort Drogen uns einiges gelehrt hat: Wenn die Not am größten ist, finden die Menschen vor Ort eine Lösung. Deshalb hat man dort heute eine Bürgermeisterin. Die Frage ist, ob es überall gelingt. Die Frage, liebe Frau Tasch, ist, ob es nicht auch gelingen würde, wenn der Ort ein wenig größer wäre, ob es dann nicht mehr Menschen gäbe, die sagen, okay, wir bilden eine kritische Masse zu dritt, in jedem Ort einer, zu dritt schaffen wir das, wieder einen Gemeinderat zu beleben und die Menschen dafür zu begeistern, was wir hier tun können. Das wünsche ich einer jeden Region, einem jeden kleinen Ort hier in Thüringen. Vielen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der AfD hat Abgeordneter Gentele das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Besucher! Demokratie ohne Bürger – wie geht das? In der kleinen Gemeinde Drogen mit circa 150 Einwohnern ist die Politikverdrossenheit so groß, dass sich kein Kandidat für das Amt des ehrenamtlichen Bürgermeisters fand. Was sind die Ursachen? Denken die Bürger, man könne selbst vor Ort, vor der Haustür nichts mehr bestimmen oder verändern? Ob man diesen Fall jetzt als politisches Stimmungsbild deuten kann, bezweifle ich, obwohl ich es schon für sehr bedenklich halte, dass sich bei circa 150 Bürgern keiner in der Verantwortung sah, sich als Kandidat aufstellen zu lassen. Zum Glück fand sich eine mutige Frau. In

(Abg. Marx)

der Pflicht sehe ich alle Abgeordneten aller Fraktionen hier im Landtag, dies zu verändern.

Sehr verehrte Damen und Herren Abgeordnete, wir müssen intensiv am Bürger und an der Basis arbeiten, um die Menschen politisch mitzunehmen.

(Beifall AfD)

Die Politikverdrossenheit muss wieder aus den Köpfen hinaus. Vielleicht sollten wir jedem Einzelnen neu erklären, was Demokratie bedeutet. Demokratie heißt direkte Volksherrschaft. Vergessen wir das bitte nicht.

(Beifall AfD)

Wir als Alternative für Deutschland wollen dem Bürger, egal in welcher Struktur, wieder ein Stück Demokratie zurückgeben. Jeder Bürger muss schon vor Ort mehr einbezogen werden, jeder ist wichtig, denn jeder von uns ist ein Teil im Getriebe. Jeder von uns macht unsere Gemeinden, Städte, Kreise und unser Land aus.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, um auf die Gemeinde Drogen zurückzukommen, noch folgende Anmerkung: Ich gehe hier von einem Einzelfall aus, der der Größe der Gemeinde geschuldet ist. Vielleicht wäre hier ein freiwilliger Zusammenschluss mit einer umliegenden Gemeinde ratsam. Aber um kommunale Politik wieder zum Spaß hervorzuheben und interessierte Bürger dazu zu bewegen, müssen wir sie fördern und fordern. Fangen wir heute einfach damit an, wir alle. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Für die Fraktion Die Linke hat der Abgeordnete Kuschel das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist immer nicht einfach, aus so einem speziellen Einzelfall allgemeine Dinge abzuleiten.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Aber Sie können das!)

Natürlich kann ich das, Frau Tasch. Sie haben lange gebraucht, um meine Fähigkeiten zu erkennen, aber auch Sie haben das mitbekommen. Herzlichen Glückwunsch!

Also, dieses Beispiel zeigt, wie viele Baustellen uns die CDU hinterlassen hat. Ich will das mal der Reihe nach etwas durchgehen, auch, wie gesagt, unter der Maßgabe, dass es manchmal schwierig ist, vom Einzelfall dann auf das gesamte Land zu schließen. Da wäre zunächst die Frage: Warum hat sich denn niemand dort zur Wahl gestellt?

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Wissen Sie das? Haben Sie die Leute gefragt?)

Genau, wir haben die Leute gefragt und die Kollegin, die jetzt dort als Bürgermeisterin gewählt wurde, die hat gesagt, das Verfahren zur Aufstellung der Kandidatur ist einfach zu kompliziert. Da hört jetzt der Innenminister ganz genau zu, denn wir haben bestimmte Dinge vor. Drogen ist eine Mitgliedsgemeinde einer Verwaltungsgemeinschaft. Wenn sie als Einzelbewerberin antritt, muss sie fünfmal so viele Unterschriften sammeln, wie Gemeinderäte gewählt werden. Das heißt 30 plus 10 weitere Unterstützerunterschriften, das sind 40! Das sind fast 40 Prozent der Wahlberechtigten. Es waren nur 55 Leute überhaupt zur Wahl. Das heißt, die hätte vorher sozusagen alle die Unterschriften von den Leuten, die zur Wahl gegangen wären, sammeln müssen und da hat sie entschieden, die Arbeit wollte sie sich einfach nicht machen und deshalb hat sie auf das Verfahren der Mehrheitswahl abgestellt. Das heißt, wir müssen bei diesen Kleingemeinden tatsächlich überlegen, ob wir das Verfahren dort nicht vereinfachen. Beim Gemeinderat ist es noch komplizierter. Die Unterstützer beim Gemeinderat hätten mehrere Kilometer während der Öffnungszeit in die Verwaltungsgemeinschaft fahren müssen, in die Verwaltung, weil beim Gemeinderat die Unterschriften nicht wie beim Bürgermeister in der Straßensammlung gesammelt werden dürfen, sondern dort müssen die zusätzlichen Unterstützerunterschriften im Amt abgegeben werden. Viermal so viele wie Gemeinderäte, also 24 Bürgerinnen und Bürger aus Drogen hätten in die Verwaltungsgemeinschaft fahren müssen, um dort die Unterstützerunterschriften für die Gemeinderäte, also für die Kandidaten abzugeben. Da haben viele entschieden, das ist logistisch gar nicht machbar. Auch deshalb haben wir als Gesetzgeber, die CDU maßgebend, selbst dafür gesorgt, dass wir in solchen Kleingemeinden schon anhand dieses Verfahrens Probleme bekommen. Im Übrigen ist Drogen kein Einzelfall. 2012 fanden in insgesamt 255 Gemeinden Mehrheitswahlen statt. Das waren 30,4 Prozent, das heißt, in fast jeder dritten Gemeinde gab es nur einen oder gar keinen Wahlvorschlag. Es ist also ein flächendeckendes Problem. Wir als Linke hatten schon mehrfach darauf hingewiesen, dass wir große Probleme mit dieser Option der Mehrheitswahl haben.

(Zwischenruf Abg. Brandner, AfD: Einen Wahlvorschlag machen Sie aber nicht?)

Aber auch ein Wahlvorschlag ist natürlich kompliziert, weil Demokratie auch von Auswahl lebt. Bei den Bürgermeisterwahlen, bei den letzten, gab es in insgesamt zwölf Gemeinden leere Stimmzettel. Das heißt, es ist offenbar kein Einzelfall und ist zum Teil begründet im Wahlrecht. Aber es gibt auch andere Gründe. Die Gemeinde Drogen will schon seit längerer Zeit in die Stadt Schmölln eingemeindet

(Abg. Gentele)

werden und scheitert an der Zustimmung nach dem Grundsatz der doppelten Mehrheit der Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Altenburger Land. Doppelte Mehrheit heißt, mindestens die Hälfte der Mitgliedsgemeinden muss zustimmen und die müssen mindestens die Hälfte der Bevölkerung dort repräsentieren. Das heißt, auch dort hat eindeutig die CDU versagt, indem sie ausschließlich auf Freiwilligkeit gesetzt hat. Wir müssen das jetzt korrigieren, denn es kann nicht sein, dass eine Verwaltungsgemeinschaft den freien Willen einer Mitgliedsgemeinde derart blockieren kann. Das ist aus unserer Sicht ein unzulässiger Vorgang.