Protocol of the Session on August 29, 2018

Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete, Frau Kruppa, der Integrationsbeauftragten des Freistaats Thüringen stehen Vorschläge, Aufforderungen und Belehrungen schlicht nicht zu. Ich habe das in einem Schreiben an die Bürgermeister und Landräte des Freistaats deutlich zum Ausdruck gebracht. Im Übrigen ist auch aufschlussreich, wie Abgeordnete der Linken und der Grünen mit dem Fall umgehen. Eine stand ja gerade hier vorne am Rednerpult. Die Kolleginnen Berninger und Rothe-Beinlich sprangen der Integrationsbeauftragen – wen wundert es – mit Schaum vor dem Mund reflexartig bei.

(Beifall AfD)

Die beiden gaben kund – bitte hören Sie jetzt genau zu –, sich nicht damit abfinden zu wollen, dass sich Thüringer Bürgermeister für nicht zuständig erklärten. Sieht man einmal von der Arroganz ab, die in solchen Stellungnahmen mitschwingt, so ist es auch hier bezeichnend, dass das Recht unter Verweis auf eine angeblich höhere Moral einfach beiseite gewischt wird. So ersetzt man die Ordnung des Rechtsstaats durch erpresserische Gesinnung.

(Beifall AfD)

Wer also wissen will, wer die Totengräber des Rechtsstaats sind, der braucht sich nur solche Äußerungen zu vergegenwärtigen.

Meine Damen und Herren, das Amt des Integrationsbeauftragten kostet den Thüringer Steuerzahler Hunderttausende.

(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie kosten auch ganz schön viel!)

Ein Wahlversprechen kann ich hier zum Abschluss meiner Rede schon in den öffentlichen Raum stellen: Wenn wir, die AfD, in Thüringen die Regierungsverantwortung übernehmen, dann wird diese Stelle ersatzlos gestrichen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

(Unruhe DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat Abgeordnete Rothe-Beinlich, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, zu dem Herren, der eben hier gesprochen hat,

(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Der hat einen Namen!)

der übrigens auch für den 1. September gemeinsam mit Pegida nach Chemnitz aufruft, wo wir gerade erleben, wie Menschen Menschen jagen, will ich hier nichts weiter sagen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, seine Gesinnung ist hinlänglich bekannt und auch hier heute noch einmal deutlich geworden. Zivilisationsbruch beschreibt es ganz gut, wenn ich Sie, Herr Höcke, so sehe.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber kommen wir zu dieser Aktuellen Stunde, die ich nutzen möchte, um zunächst einmal Menschen zu danken. Einer davon ist Claus-Peter Reisch; er war heute hier zu Gast im Thüringer Landtag. Er ist der Kapitän der „Lifeline“ und einer derjenigen, der ehrenamtlich Menschen rettet. Ich habe Hochachtung vor diesen Menschen – es sind fast alles Ehrenamtliche –, die auch im Moment auf Schiffen unterwegs sind im Mittelmeer, nicht weil sie dort Urlaub machen, sondern weil sie die Bilder nicht mehr ertragen von den vielen Tausend Menschen, die immer und immer wieder im Mittelmeer sterben,

(Abg. Höcke)

weil ihnen niemand hilft. Und dann kommt eine Beauftragte für Integration und Migration, die übrigens unabhängig ist, so war auch die Idee, glaube ich jedenfalls, als sie mal eingesetzt wurde

(Zwischenruf Abg. Herrgott, CDU: Das glau- ben Sie ja selber nicht!)

das glaube ich sehr wohl; das mag bei Ihnen anders gewesen sein, so ist es –, und macht genau das, was ihre Aufgabenbeschreibung ist, nämlich sich für Integration und Migration zu verwenden, und schreibt einen Brief an Kommunen – ich bin auch Stadträtin und ich hoffe, dass wir es auch im Erfurter Stadtrat beraten werden, wie wir uns dazu verhalten –, an Kommunen, die sich teilweise ja auch schon entschieden haben – Jena beispielsweise hat es getan und auch der Oberbürgermeister der Stadt Mühlhausen hat sich sehr klar dazu positioniert –, Menschen zu helfen, die aus Seenot gerettet werden. Das jetzt als „dreist und perfide“, als „ominösen Brief“ und als „moralische Erpressung“ zu bezeichnen, zeigt, glaube ich, vielmehr das Dilemma, in dem wir uns befinden. Denn ich sage es ganz deutlich, es ist eine relativ einfache Entscheidung: Es geht darum, dass weniger Helfer tagtäglich mehr Tote im Mittelmeer bedeuten. Es geht darum, zu retten statt zu reden. Wir alle wissen, dass ein Menschenleben unbezahlbar ist. Deshalb wenden wir uns doch einfach mal ein paar Fakten zu.

Die Situation im Mittelmeer wird immer dramatischer. In einem aktuellen Aufruf zur Stärkung der Seenotrettung vom 6. Juli stellte die UNHCR klar, dass trotz sinkender Ankünfte die Todesrate täglich steigt. Allein zwischen Januar und August starben im Mittelmeer 1.540 Menschen, das ist der Stand vom 29. August. Zwischen 2014 und 2018 gelten bislang 17.000 Menschen als tot oder vermisst. Italien sabotiert die Rettung von Flüchtlingen durch die EU-Schiffe der Mission „Sophia“ seit Monaten ganz massiv. Die von Italien geführte Leitstelle für die Seenotrettung im Mittelmeer setzt die Kriegsschiffe der EU-Mitgliedstaaten schlicht nicht mehr für Rettungsmissionen ein, obwohl Herr Herrgott ja am Anfang sagte, dass selbstverständlich gelte, dass Menschen aus Seenot gerettet werden müssten. Circa 110.000 Menschen schafften es nach Angaben des UNHCR in diesem Jahr über das Mittelmeer nach Europa. Die meisten fuhren über die zentrale Route von Libyen nach Italien. Zwei Drittel der Geflüchteten nutzten Schlauchboote; den Experten zufolge ist keines dieser Gummiboote in der Lage, das Festland zu erreichen. Die Schlepper zwingen 120, manchmal sind es auch 150 und noch mehr, Menschen auf die Schlauchboote, viel zu viel Last für die billig zusammengeklebten Gummihüllen. Diese Menschen sind faktisch schon in Seenot, wenn sie den Strand verlassen, sagen ehrenamtliche Retter. Europäische Behörden bestätigen die Einschätzung. Mit den geringen Vorrä

ten und ihrem Grad an Überladung sind die Flüchtlingsboote tatsächlich bereits in dem Moment ein Seenotfall, wenn sie ablegen. Das stellte auch schon der italienische Konteradmiral Enrico Credendino im Januar 2016 fest.

Jetzt gibt es einen Aufruf, dass auch wir uns beteiligen, indem wir Gerettete aufnehmen. Dass die AfD wieder von Millionen schwadroniert, die angeblich hierherkommen, widerspricht jeglicher Faktenlage. Das wissen wir auch. Es geht darum, ob ich Menschen im wahrsten Sinne des Wortes ertrinken lasse, ob ich dann die Boote, die sie retten, in Häfen anlegen lasse und ob ich mich dafür starkmache, dass diese Menschen auch in unterschiedlichen Ländern und Kommunen aufgenommen werden. Genau dafür – so verstehe ich den Brief – wirbt die Beauftragte für Integration und Migration. Genau das ist – aus meiner Sicht jedenfalls – auch ihr Job und dafür gilt es zu danken, genauso allen, die sich an „Seebrücke“-Aktionen bundesweit beteiligt haben, die sich landauf, landab dafür starkmachen, dass es niemals Realität werden darf, Menschen einfach im wahrsten Sinne des Wortes ersaufen zu lassen. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner erhält Abgeordneter Hartung, Fraktion der SPD, das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, als ich das Thema der Aktuellen Stunde gelesen habe, habe ich es noch mal gelesen und noch mal und konnte eigentlich nur mit dem Kopf schütteln. Zum einen wird da von politischer Instrumentalisierung geredet. Der erste offene Brief dieser Art geht von drei Kommunen aus. Ich gehe davon aus, dass die nicht von der CDU-Regierung in NordrheinWestfalen genötigt worden sind. Die sagen, wir nehmen Leute auf, wir wollen nicht, dass diese Menschen ertrinken. Da ist auch ein CDU-Bürgermeister dabei. Der hat das rechtlich offensichtlich anders gewürdigt, als Sie es heute getan haben, Herr Herrgott.

Ich persönlich will das rechtlich gar nicht entscheiden. Ich halte mich an das Thema Ihrer Aktuellen Stunde. Da schreiben Sie, hier wurde moralischer Druck aufgebaut. Aus meiner Sicht gibt es genau zwei Möglichkeiten. Entweder ich lese diesen Brief und es sind handfeste Gründe, die mich davon abhalten, den zu unterschreiben. Das können meine rechtlichen Bedenken sein, das können meine Überzeugungen sein, das kann auch die Überzeugung sein, meine Kommune ist überfordert. Dann unterschreibe ich den Brief nicht. Dann stehe ich

(Abg. Rothe-Beinlich)

auch nicht in einem moralischen Dilemma. Wenn ich Gründe habe, brauche ich einen solchen Brief nicht zu unterschreiben. Habe ich keine handfesten Gründe, sehr geehrter Herr Herrgott, dann bin ich tatsächlich in einem moralischen Dilemma, dann muss ich nämlich entscheiden, unterschreibe ich das oder nicht. Aber das moralische Dilemma ist doch nicht durch den Brief von Frau Kruppa ausgelöst. Bei aller Wertschätzung für Ihre Arbeit glaube ich nicht, dass so ein Brief, so ein Stück Papier mehr Druck entfaltet, als die Bilder der ertrunkenen Menschen, der ertrunkenen Kinder, die wir jeden Tag abends im Fernsehen sehen.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, da kommt doch der moralische Druck her. Die Frage, ob ich mich diesem Druck stelle, das kann ich jedem kommunalen Vertreter abverlangen. Er kann das ausblenden, dann geht das in den Reißwolf, er kann es mit Nein beantworten – ich habe es gesagt –, aus welchen Gründen auch immer. Da wird hier keiner an den Pranger gestellt. Aber ich glaube, wir sind alle menschliche Wesen und wir sollten zumindest Mitgefühl empfinden, wenn Menschen ertrinken, wenn Kinder ertrinken. Die Bilder von an den Strand gespülten kleinen Kindern, die ertrunken sind, gehen seit Jahren durch die Nachrichten. Ich glaube, es ist nicht zu viel verlangt, dass sich Menschen einfach mal damit auseinandersetzen, unabhängig davon, ob sie Bürgermeister sind, ob sie Abgeordnete sind oder Minister oder Beauftragte. Ich glaube, jeder Mensch sollte sich damit auseinandersetzen.

Ich sehe keinerlei moralische Nötigung durch den Brief. Die moralische Nötigung entsteht durch die Situation. Wenn man dieser Situation tatenlos zuschauen kann, dann muss man sich natürlich fragen, wie weit ist es her mit der Moral. Aber diese Frage stelle ich an dieser Stelle gar nicht, denn – wie gesagt – es kann gute Gründe geben. Und diese guten Gründe muss jeder Mensch für sich selber abwägen. Das ist sein gutes Recht.

Warum stellen Sie eine solche Aktuelle Stunde hier zur Diskussion? Ich glaube nicht, dass Sie tatsächlich glauben, dass Frau Kruppa mit ihrem Brief solche Wirkmacht entfaltet, dass sich Oberbürgermeister und Bürgermeister wirklich genötigt fühlen. Das glaube ich nicht, dass Sie das ernsthaft denken. Ich glaube, Sie wollen hier ein Zeichen setzen. Sie wollen ein Zeichen setzen für all die, die sich am Stammtisch zusammensetzen und viele Reden mit „man wird doch wohl noch sagen dürfen“ beginnen. Für all die wollen Sie ein Zeichen setzen, die Sie zurückgewinnen wollen von einer anderen Partei, die gerade gewählt wird und en vogue zu sein scheint. Sie wollen sicher nicht die Leute, die dort Hetzjagden veranstalten, ansprechen. Das würde ich Ihnen niemals unterstellen. Das möchte ich

nicht, so möchte ich mich auch nicht verstanden wissen. Sie schielen aber sehr wohl auf die, die still am Rand stehen, vielleicht im Geiste applaudieren, vielleicht selber applaudieren, die wollen Sie zurückgewinnen. Sie wollen denen zeigen: Wir sind auch für Law and Order, auch wir halten Flüchtlinge fern. Deswegen haben wir so eine Aktuelle Stunde und genau deswegen haben Sie auch die Ankerzentren wieder angesprochen. Sie wollen so tun, als wären Sie hier die „AfD light“. Das wollen wir nicht hinnehmen. Ich persönlich unterstütze jeden Bürgermeister, der seine Haltung hier zeigt, und habe Verständnis für jeden Bürgermeister, der sie nicht zeigt, der nicht unterschreibt. Das kann ich verstehen. Es gibt mittlerweile ein Klima, dass Leute, die sich für Flüchtlinge einsetzen, angefeindet werden. Denen muss man Unterstützung geben und nicht so tun, als wären die, die einen Brief empfangen, jetzt genötigt, den unbedingt zu unterschreiben. Das sind sie nicht, jedenfalls nicht durch den Brief. Wenn sie genötigt sind, dann sind sie es durch die Realität, durch die ertrinkenden Menschen, durch die sterbenden Kinder. Das ist eine Nötigung. Der muss sich jeder stellen auf seine Art und Weise, und das ist jedem selbst überlassen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU hat sich Abgeordneter Herrgott noch mal zu Wort gemeldet. Sie haben 40 Sekunden.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lieber Herr Hartung, wir waren schon immer für Recht und Gesetz. Das müssen wir auch nicht gesondert betonen, das war schon immer so und das bleibt auch so. Aber weil vorhin noch mal die Unabhängigkeit der Migrationsbeauftragten insbesondere ins Feld geführt wurde, will ich mal von der Rechtsanwaltskanzlei Hiemann von der Homepage zwei Sätze zitieren, die für die Unabhängigkeit stehen. Unter der Rechtsanwältin Mirjam Kruppa steht: „1999 wurde Frau Kruppa durch die Rechtsanwaltskammer Thüringen die Fachanwaltswürde für Verwaltungsrecht verliehen. Sie ist Mitglied der [Thüringer Härtefallkommission]. Ab 01.05.2015 ist [sie] als Landesbeauftragte für Integration, Migration für Flüchtlinge des Freistaats Thüringen tätig. Sie bleibt unserer Kanzlei jedoch auch weiterhin verbunden.“ Wenn man die Anzahl der Fälle, die diese Kanzlei gerade im Flüchtlingsund Migrationsrecht behandelt, sieht, mache ich hinter die Unabhängigkeit der Migrationsbeauftragten an der Stelle doch ein sehr großes Fragezeichen. Vielen Dank.

(Abg. Dr. Hartung)

(Beifall CDU)

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist um. Als nächste Rednerin hat Abgeordnete Berninger das Wort. Sie haben noch 20 Sekunden.

Sehr geehrter Herr Herrgott, das Niveau kann immer noch tiefer sinken. Das war gerade ein ganz deutlicher Beleg dafür.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: So eine Un- verschämtheit!)

Die Unabhängigkeit der Flüchtlingsbeauftragten bleibt, auch wenn sie weiterhin ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin nachgeht.

(Zwischenruf Abg. Herrgott, CDU: Und die Kanzlei explizit dafür wirbt!)

Jetzt hat sich Abgeordneter Hartung noch mal zu Wort gemeldet. Sie haben 30 Sekunden.

Eine Unabhängigkeit zu negieren, weil die Beauftragte die Interessen derer, für die sie beauftragt wird, wahrnimmt, finde ich ein bisschen merkwürdig, nur deswegen, weil sie vielleicht eine Haltung vertritt, die auch Parteien hier im Parlament vertreten. Das berührt doch nicht die Unabhängigkeit. Die Unabhängigkeit ergibt sich daraus, dass wir ihr keine Weisungen geben können. Das heißt Unabhängigkeit. Niemand ist ihr letztlich weisungsberechtigt. Ich glaube, nur die fehlende Unabhängigkeit zu postulieren, weil sie eine ähnliche Auffassung hat wie wir, das ist glaube ich ein bisschen sehr dünn.

Aus den Reihen der Abgeordneten liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Herr Minister Lauinger, Sie haben das Wort für die Landesregierung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, liebe Gäste, auf Antrag der Fraktion der CDU befassen wir uns in der heutigen Aktuellen Stunde mit dem Thema „Moralischer Druck auf Thüringer Bürgermeisterinnen und Bürgermeister durch die Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge“.