Protocol of the Session on December 19, 2018

(Beifall - Unruhe)

Frau Frederking, Herr Siegmund hat sich zu Wort gemeldet. - Herr Siegmund, Sie haben das Wort.

Liebe Kollegin Frederking, ich habe eine Frage zu den Ausführungen, die wir beide gerade eben im Dialog hatten und worauf Sie mich persönlich angesprochen haben. Sie haben in Ihrer Rede ganz klar gesagt - das kann man später auch zitieren -, dass Sie einen verbindlichen Mindeststandard für ganz Europa oder für die EU einführen wollen, beispielsweise bei der Altersvorsorge.

Erste Frage. Wie hoch soll dieser Standard sein? Ist es denn nicht ein Widerspruch, wenn Sie danach sagen: Na ja, es soll nur generell Mindeststandards geben, aber die soll jedes Land für sich selbst aussuchen? Was machen Sie denn, wenn Rumänien oder Bulgarien entscheiden, dass sie als Standard 1 € festlegen, und dann sagen, sie haben einen Standard? Was machen Sie denn dann? - Das ist die erste Frage.

Die zweite Frage ist: Welcher Standard soll bei der Altersversorgung in Europa herrschen?

Der Mindeststandard ist die Verbindlichkeit. Und jetzt nenne ich wieder ein Beispiel: Überhaupt einen Mindestlohn zu haben, das ist der Standard. Die Länder müssen einen Mindestlohn einführen. Bleiben wir einmal bei diesem Beispiel. Jetzt fragen Sie nach der Höhe. Der Mindestlohn muss selbstverständlich so bemessen sein, dass davon auch ein angemessenes Leben geführt werden kann. Das ist in diesen 20 Grundsätzen ausgeführt; die sagen das auch schon aus.

Die Höhe ist dann natürlich auch von den entsprechenden Lebenshaltungskosten in dem jeweiligen Mitgliedstaat abhängig. Ich überspitze jetzt einmal: Wenn es einen Mitgliedstaat geben sollte - wovon ich jetzt nicht ausgehe -, bei dem man von einem Mindestlohn von 1 € leben könnte, dann wäre das ein ausreichender Mindestlohn.

Danke schön.

Frau Frederking, Herr Borgwardt hat sich noch zu Wort gemeldet.

Frau Frederking, Ihre letzten Ausführungen haben mich jetzt doch zu einer Nachfrage bewegt. Wenn Sie das sagen, dass das dann immer ein Äquivalent sein muss zu den jeweiligen Bedingungen, die man in dem Land hat, dann würden Sie also unseren Antrag unterstützen, dass wir das Kindergeld für die Kinder, die in Rumänien leben, dann nicht nach unserem Standard bemessen? Denn das ist ja so viel, wie dort ein Chefarzt verdient.

(Beifall bei der CDU)

Würden Sie mir darin recht geben? So, wie Ihre Argumentation war, müsste das dann auch stringent für die Sozialleistungen, zum Beispiel für das transferierte Kindergeld, gelten.

(Unruhe)

Na ja, wir haben bei Ihrem Beispiel, das Sie gerade bemühen, zwei Aspekte, zum einen den Aspekt des Kindergeldes, das an die berufstätigen Eltern gekoppelt ist, und zum anderen die Frage, in welchem Mitgliedstaat die Eltern arbeiten. Das sind zwei verschiedene Aspekte. Die muss man dann vernünftig miteinander in Verbindung bringen. Aber zurzeit ist die Rechtsprechung auch so, dass das Kindergeld in dem Land gezahlt wird, in dem die Eltern berufstätig sind.

Frau Frederking, ich mag Menschen, die versuchen, intelligent zu argumentieren. Ich komme noch einmal darauf zurück.

Die es versuchen?

(Zurufe von der AfD)

All das trifft für diejenigen zu, die bei uns arbeiten. Sie bekommen das Kindergeld für die Kinder, die in diesem Sozialsystem leben. Ihr Gedanke war vorhin - ich wiederhole das -: Man muss das ins Verhältnis setzen zu dem, was in dem entsprechenden Land als Sozialstandard gilt. Deswegen habe ich nachgefragt.

Wir reden nicht über den Sozialstandard in Deutschland, das ist klar. Es ist dabei unwichtig,

ob das Kindergeld dann ein Ausländer bekommt oder wer auch immer; das ist völlig unwichtig. Das ist Standard. Aber wenn Sie das Geld gar nicht für das Kind, das in dem Land lebt, ausreichen, sondern nach Rumänien transferieren, dann entspricht es dort dem Gehalt eines Chefarztes. So, wie Sie es gesagt haben, müsste das eigentlich so sein. Ansonsten, sehr geehrte Frau Frederking, ist Ihre Argumentation nicht schlüssig.

(André Poggenburg, AfD: Richtig!)

Frau Frederking, Sie haben noch einmal das Wort.

Herr Borgwardt, dann versuche ich es einmal mit einer anderen Schlüssigkeit. Ich weiß, dass auch Sie Kinder haben, die auch einmal etwas jünger waren. Jetzt versetzen Sie sich noch einmal in die Situation: Kurz nach dem Abitur - damals bekamen Sie für Ihre Kinder noch Kindergeld - haben sich Ihre Kinder entschlossen, ein Jahr im Ausland zu verbringen. Welches Kindergeld haben Sie dann für diese Kinder bekommen? Das deutsche Kindergeld oder das Kindergeld aus dem Land, in dem sich Ihre Kinder aufgehalten haben?

Sie haben natürlich das Kindergeld gemäß der Bemessungsgrundlage in Deutschland bekommen.

(Zurufe von der AfD)

Das Kindergeld bemisst sich zurzeit immer noch an den Grundlagen des Landes, in dem die Eltern arbeiten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich sehe keine weiteren Fragen. Dann danke ich Frau Frederking für die Ausführungen. - Für die SPD-Fraktion spricht der Abg. Herr Mormann. Herr Mormann, Sie haben das Wort.

Herr Vizepräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ohne Zweifel ist die Geschichte der Europäischen Union eine Erfolgsgeschichte. Aber das Erfolgsmodell Europa, dem es zu verdanken ist, dass wir seit mehr als 70 Jahren in Frieden leben, steht unter massivem Druck, und das von vielen Seiten.

(Zuruf von André Poggenburg, AfD)

Zum Brexit gibt es täglich neue Informationen. Nationalisten und Populisten diskreditieren Brüssel, wo sie nur können. Die Bereitschaft der Mitgliedstaaten, die Probleme von Flucht und Migra

tion gemeinsam und solidarisch zu lösen, ist, gelinde gesagt, nicht überall in Europa gleich ausgeprägt. Die Ungleichheit der Lebensverhältnisse in Europa ist nach wie vor in vielen Lebensbereichen enorm groß.

Die Europäische Union hat in den letzten Jahren, nicht zuletzt wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise, viel zur Rettung von Banken und zur Straffung von Ausgaben getan. Aber sie hat zu wenig getan, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und den sozialen Zusammenhalt in Europa zu stärken. Genau an dieser Stelle liegt die große Gefahr für die Zukunft Europas. Wenn es uns nicht gelingt, das soziale Europa zu stärken und die Ungleichheit der Lebensverhältnisse zu überwinden, dann droht die Idee eines geeinten Europas, das in Frieden und Wohlstand lebt, zu scheitern.

(Zustimmung bei der SPD - Zustimmung von Minister Marco Tullner)

Machen wir uns doch nichts vor. Das ist genau das, worauf die Rechtspopulisten und die Nationalisten warten und hoffen: das Scheitern der Idee des geeinten Europas. Wie sich die Rechtspopulisten die Zukunft Europas vorstellen? - Wir konnten, nein, wir mussten auch heute wieder erleben, wie die AfD und Meuthen ein Europa der Vaterländer anstreben.

(Beifall bei der AfD)

Sie wollen keine Demokratie in Europa und brauchen deshalb auch kein Europaparlament. - Wie armselig.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie verkennen jedoch, dass nur ein starkes und geeintes Europa der Garant für Frieden ist und die Antworten auf die Herausforderungen dieser Zeit geben kann. Der Rückfall ins Nationale kann jedenfalls nicht im Geringsten die richtigen Antworten geben.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Wir brauchen ein soziales Europa. Wir brauchen gemeinsame europäische Regeln gegen Lohn-, Sozial- und Steuerdumping. Wir brauchen europaweite soziale Mindeststandards. Wir brauchen ein stärkeres Eintreten gegen die Jugendarbeitslosigkeit und wir brauchen, um all das zu erreichen, vor allem zielgerichtete Investitionen statt Sparen.

Es ist deshalb gut und richtig, dass vor gut einem Jahr, am 17. November 2017, in Göteborg vom Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission die Europäische Säule sozialer Rechte proklamiert wurde. Diese 20 Rechte und Grundsätze sind eine klare Leitlinie für faire Arbeitsbedingungen, für einen starken Sozialschutz und für die Chancengleichheit bei der Bildung.

Es ist die Aufgabe der europäischen Politik und der Mitgliedstaaten, allein oder in gemeinsamer Kompetenz mit der EU diese sozialen Rechte mit Leben zu erfüllen. Auch wir Sozialdemokraten würden uns mehr Verbindlichkeit wünschen, um die soziale Dimension Europas zu stärken. Aber allein auf eine Änderung der EU-Verträge zu setzen, ist zurzeit nicht realistisch. Lassen Sie uns deshalb lieber gemeinsam überlegen, wie wir die Möglichkeiten, die uns diese sozialen Rechte bieten, besser nutzen können, um ein soziales Aktionsprogramm in der EU zu initiieren.

Die EU-Kommission hat im zurückliegenden Jahr bereits zahlreiche Initiativen zur Umsetzung der sozialen Rechte gestartet, einige davon werden noch mit den Mitgliedstaaten verhandelt. Das ist auch der Grund für unsere Aufforderung an die Landesregierung, über den Stand der Umsetzung, aber auch über weitere Vorschläge, die Europäische Säule sozialer Rechte mit Leben zu erfüllen, zu berichten.

Meine Damen und Herren! Zum Schluss meiner Rede seien mir noch zwei persönliche Bemerkungen erlaubt. Ich habe viele Freunde in Frankreich und ich bin seit der friedlichen Revolution bestimmt 30-mal in diesem Land gewesen. Die Gelbwesten haben die schwersten Ausschreitungen initiiert, die es seit vielen Jahren in Frankreich gegeben hat.

(Zuruf von der AfD)

133 zum Teil Schwerverletzte und mehr als 400 Verhaftungen usw. sind ein deutliches Zeichen dafür. Wer das Grabmal des unbekannten Soldaten im Arc de Triomphe schändet, der kann nicht meine uneingeschränkte Unterstützung erwarten. Wer so etwas tut, der ist und bleibt ein Chaot.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Ich bin sehr froh darüber, dass unsere Sozialministerin Petra Grimm-Benne zu diesem Thema gesprochen hat und wichtige Akzente gesetzt hat; denn das Thema ist bei uns Sozialdemokraten gut aufgehoben. - Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Mormann, Herr Poggenburg hat sich zu Wort gemeldet.