Protocol of the Session on February 28, 2014

(Herr Jantos, CDU, lacht)

Wie haben Sie das denn eingeführt? Sie haben es mit Wahlkampf begründet. Da darf ich doch einmal die Frage stellen: Wer macht denn hier gerade Wahlkampf?

(Beifall bei der SPD)

Wer macht hier gerade Wahlkampf? Sind das diejenigen, die sich vor Ort dafür einsetzen, dass sie mit ihren Argumenten durchkommen und gute Gründe haben und darüber reden? Oder machen Sie nicht auch ein Stück Wahlkampf, indem Sie das hier so auf die Tagesordnung setzen, als ob das ganze Land brennen würde und unsere Abgeordneten etwas Unanständiges tun würden, wenn sie sich für ihre Schulen vor Ort einsetzen?

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU)

Ist das nicht auch Wahlkampf, Herr Gallert? - Ich würde sagen, ja. Ich würde uns sehr deutlich darum bitten, dass wir im Anschluss vielleicht zu der wirklichen Diskussion zurückfinden und hier nicht den Kreistagswahlkampf oder den Kommunalkahlkampf über den Landtag abwickeln;

(Beifall bei der SPD - Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Leiser Beifall!)

denn das, meine Damen und Herren, haben insbesondere Sie heute hier auch getan. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Budde. - Ich habe zwei weitere Wortmeldungen von Fraktionsvorsitzenden. Zuerst spricht Frau Professor Dalbert. Dann hat sich erneut Herr Gallert gemeldet.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Ich hatte eine Fra- ge!)

- An Frau Budde, ach so. - Sie haben auch eine Frage? - Gut. Dann machen wir das unter der Rubrik Frage. Dann ist Frau Professor Dalbert als Erste dran.

Es reicht mir, wenn ich das als Frage stellen kann. Am Ende war ich ein bisschen verwundert, bei Frau Budde wie bei Herrn Güssau, weil man das immer alles ganz unterschiedlich sehen kann mit dem Wahlkampfgetöse. Es liegt auch in der Natur der Sache, dass man das unterschiedlich sieht.

Aber ich meine, dass es zwei Fraktionen im Hohen Hause gibt, die sich konsistent und persistent für eine andere Schulentwicklungsplanung eingesetzt haben und insofern mit einem ein wenig anderen Hintergrund in die heutige Debatte gehen. Das dürfte auch aus den Landtags- und Ausschussprotokollen nachvollziehbar sein.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Aber meine Frage. Ich habe mich am Anfang Ihrer Rede gemeldet, Frau Budde, denn da haben Sie das schöne Konstrukt des Augenmaßes aufgemacht. Das Augenmaß ist etwas, was wir alle hoch schätzen.

Dann habe ich mich gefragt: Was ist denn das Pendant zum Augenmaß, das wir nicht schätzen? - Da bin ich zu dem Ergebnis gekommen: Das könnte die Willkür sein. - Ich glaube, die Frage die wir uns stellen müssen, ist: Wo können wir Augenmaß, das wir wollen, von Willkür abgrenzen?

Da bin ich für mich zu der Antwort gekommen - die Frage an Sie wäre jetzt, ob das etwas ist, auf das wir uns einigen können -, dass Augenmaß voraussetzt, dass Entscheidungen, die nach Augenmaß getroffen werden,

(Herr Leimbach, CDU: Na ja!)

dennoch klare Kriterien haben, dass die Entscheidungen, die nach Augenmaß getroffen werden, transparent sind und dass Entscheidungen, die nach Augenmaß getroffen werden, bei vergleichbaren Fällen zu vergleichbaren Ergebnissen kommen.

Selbstverständlich.

Herzlichen Dank.

Herr Gallert, bitte.

Frau Budde, das, was ich kritisiert habe, war nicht, dass ein Minister bei seinen exekutiven Entscheidungen Augenmaß haben muss. Es wird tatsächlich immer Entscheidungsspielräume geben. Die lassen sich nicht immer hundertprozentig objektivieren. Das ist überhaupt nicht mein Problem.

Mein Problem, über das ich geredet habe, ist, dass hier mit Berufung auf den Minister - es kann ja sein, dass das alles gar nicht stimmt - in der Öffentlichkeit exekutive Entscheidungen verkündet worden sind, für die es noch gar keine Anträge gegeben hat.

Wenn es zum Beispiel eine Entscheidung im Ministerium darüber gegeben hat, dass die Schule Seehausen erhalten bleiben soll, dann hätte es ein Schriftstück aus dem Kultusministerium an diese Gemeinde geben müssen. Dann hätte sich Frau Schindler, wie es ihr Auftrag war, hervorragend dafür eingesetzt, und dann hätten wir diesen exekutiven Verwaltungsvorgang am Ende mit diesem Ergebnis erfahren.

Was nicht geht, ist - dabei bleibe ich -, dass jemand sich hinstellt und sagt: Ich habe das mit dem Kultusminister beredet, er hat mir zugesichert, dass diese Entscheidung so fallen wird. - Dazu sage ich: Da gibt es eine unzulässige Vermischung zwischen Exekutive und Legislative. Deswegen bleibe ich ausdrücklich bei meinem Urteil.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Da sind wir einfach unterschiedlicher Auffassung. Ich finde, dass eine frei gewählte Abgeordnete dieses Landtages durchaus über Gespräche mit dem Minister berichten und in dem entsprechenden Gremium dafür werben kann, dass der Antrag exekutiv gestellt wird und dass sie dann auch sagen kann, wie die Vorgespräche mit der Verwaltung oder mit dem Minister gelaufen sind. Und Sie, Herr Gallert, wollen mir nicht erzählen, dass Ihre Abgeordneten das nicht tun.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Scheurell, CDU: Genau!)

Nennen Sie mir mal ein Beispiel.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind sicherlich alle gemeinsam der Ansicht und Überzeugung, dass Bildung, Sicherheit und die Strukturen des Rechtsstaates so wichtig sind, dass wir jetzt die Aktuelle Debatte weit über die theoretisch zur Verfügung stehende Zeit hinaus führen konnten und mussten. Ich würde sie aber jetzt beenden wollen,

(Zustimmung von Frau Budde, SPD)

zumal es keine weiteren Wortmeldungen gibt. Beschlüsse werden nicht gefasst. Die Aktuelle Debatte ist damit abgeschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Erste Beratung

Beratungsstellen für Opfer sexualisierter Gewalt dauerhaft sichern

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 6/2803

Änderungsantrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/2848

Ich bitte Frau Lüddemann, den Antrag für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einzubringen. Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sexualisierte Gewalt hat viele Gesichter: Übergriffe mit Körperkontakt, Übergriffe ohne körperliche Berührung. Sie alle eint in nicht wiedergutzumachender Weise, dass es eine immense Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen ist, dass es immer ein Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht und auf die Würde eines Menschen ist.

Kaum etwas kann das Leben und die Entwicklung eines Menschen so schwer und so umfassend belasten wie sexualisierte Gewalt. Die körperlichen und insbesondere die psychischen Folgen begleiten die betroffenen Personen meist lebenslang und können sehr vielfältig sein: Angststörungen, Schlafstörungen, Depressionen, aggressives Verhalten gegen andere oder sich selbst - Selbstverletzungen -, Rückzug und Isolation, geringes Selbstwertgefühl, Kontakt- und Beziehungsstörungen, sexuelle Störungen, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Suizidgefährdung, um nur einige sehr typische Folgen zu nennen.

Die Opfer fühlen sich in vielen Fällen selbst schuldig. Sie fragen sich ihr Leben lang: Was habe ich falsch gemacht, dass es so weit kommen konnte? - Ohne professionelle Unterstützung können Sie diese Thematik nicht selber erkennen, nicht selber

aufarbeiten und schon gar nicht ein halbwegs normales Leben führen.

Das hat Anfang der 80er-Jahre - damals in BerlinWest - dazu geführt, dass sich eine Selbsthilfegruppe von Frauen, die selbst sexualisierte Gewalt in ihrer Kindheit/Jugend erfahren haben, gegründet hat, um ihre Erfahrungen, damit umgehen zu können, weiterzugeben. Der Name „Wildwasser“ steht hierbei auf der einen Seite für Gefahr; denn es ist eine immense Gefahr, die die Frauen - in der Regel sind es Frauen - überstanden haben, und auf der anderen Seite auch für Kraft, für Lebendigkeit, für Lebenskraft. Die braucht man in hohem Maße, um solche traumatisierenden Erlebnisse überstehen zu können.

In den Folgejahren entstanden ähnliche Beratungsstellen in der gesamten Bundesrepublik, nach der friedlichen Revolution auch auf dem Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt. Wir haben heute drei Wildwasser-Beratungsstellen in Magdeburg Halle und Dessau und die Missmut-Beratungsstelle in Stendal. Sie alle arbeiten parteilich im Sinne der Opfer, unterliegen der Schweigepflicht und gewähren einen Schutzraum absoluter Anonymität, damit sich die Opfer öffnen können und ihre traumatischen Erfahrungen aufarbeiten können.

Die Beratungsstellen bieten Hilfe bei der Suche nach dem richtigen Weg, mit dieser Erfahrung umzugehen, gegebenenfalls Hilfe bei der Beendigung des Gewaltverhältnisses, bei der Be- und Aufarbeitung und leisten vor allem intensive Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit. Es ist ein wichtiges Anliegen der Beratungsstellen, das Thema sexualisierter Gewalt öffentlich zu machen, ihre unterschiedlichen Erscheinungsformen deutlich zu machen und darauf hinzuwirken, dass sie immer weniger auftritt.

Sie werden, wenn Sie die Szene beobachten, gemerkt haben, dass es solche Öffentlichkeitsarbeit in den letzten Jahren immer weniger gab. Das liegt daran, wie mir eine Beraterin gesagt hat, dass sie nichts bewerben können, was sie am Ende nicht einlösen können. Denn wir haben immense Probleme hier im Land.

Lassen Sie mich aber noch kurz den Hintergrund beschreiben: Die BKA-Statistik aus dem Jahr 2012 sagt aus, dass es bundesweit 45 824 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gab, dass zumindest so viele erfasst worden sind. Denn man muss - das will ich auch noch ganz deutlich sagen - in diesem Feld immer im Hinterkopf haben, dass es eine immens hohe Dunkelziffer gibt, dass dieser Bereich sexualisierter Gewalt immer noch mit einem großen gesellschaftlichen Tabu belastet ist, sodass die Zahlen, die wir nachlesen können, nur die Spitze des Eisberges sind.

Um ein bisschen Licht in dieses Dunkelfeld zu bringen, hat das Bundesministerium für Familie,

Senioren, Frauen und Jugend im Jahr 2004 eine repräsentative Studie vorgelegt, aus der hervorgeht, dass 13 % der Frauen in der Bundesrepublik, also jede siebente Frau im Durchschnitt, nach dem 16. Lebensjahr in irgendeiner Weise strafrechtlich relevante Formen sexueller Gewalt erleben mussten. Etwa 40 % der Frauen und Mädchen haben körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt, und 58 % der Frauen geben an, dass sie sexuelle Belästigung ertragen mussten. - Wie gesagt, die Dunkelziffer ist um ein Wesentliches höher.