Protocol of the Session on February 28, 2014

Senioren, Frauen und Jugend im Jahr 2004 eine repräsentative Studie vorgelegt, aus der hervorgeht, dass 13 % der Frauen in der Bundesrepublik, also jede siebente Frau im Durchschnitt, nach dem 16. Lebensjahr in irgendeiner Weise strafrechtlich relevante Formen sexueller Gewalt erleben mussten. Etwa 40 % der Frauen und Mädchen haben körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt, und 58 % der Frauen geben an, dass sie sexuelle Belästigung ertragen mussten. - Wie gesagt, die Dunkelziffer ist um ein Wesentliches höher.

Was die Bearbeitung dieser Fälle bzw. erst einmal das Erkennen dieser Fälle so schwierig macht, ist, dass sexualisierte Gewalt zumeist im persönlichen Nahbereich, das heißt im Familien- oder Freundeskreis, im Jugendklub, in der Schule oder im Sportverein passiert.

Oft sind es einander sehr nahestehende Personen. Das Vertrauen ineinander ist hoch. Es wird immens erschüttert. Das macht es den Betroffenen so schwer, in ihrem weiteren Leben Vertrauen aufzubauen.

Insbesondere in der Familie ist es ein hochproblematisches Vorgehen. Das Potenzial an Verantwortungs-, Scham- und Schuldgefühlen ist hier besonders hoch.

Ich habe mir vor Kurzem aktuelle Berichte durchgelesen und kenne auch einige Betroffene aus meiner früheren beruflichen Tätigkeit beim Landesfrauenrat. Wenn erwachsene Menschen vor Ihnen sitzen, die durch körperliche Schäden, die sie erst im höheren Erwachsenenalter erleiden, im weiteren Therapieverlauf darauf kommen, dass die eigentliche Ursache eine sexualisierte Gewalt in der Kindheit ist, und Ihnen dann immer noch sagen: „Was habe ich denn falsch gemacht haben, dass es dazu gekommen ist? Meine Mutter hat doch nie etwas dazu gesagt“, dann ist das schon eine sehr bittere Erfahrung.

Ich glaube, das macht ansatzweise deutlich, warum diese Menschen allein nicht in der Lage sind, ihre Gewalterfahrungen zu bearbeiten. In diesem Fall ist Hilfe von außen nötig. Aber die Hilfe von außen, die über diese vier Beratungsstellen im Land theoretisch gegeben ist, ist nicht mehr - das habe ich schon angedeutet - in der notwendigen Art und Weise gewährleistet.

Ich will kurz auf die Geschichte eingehen. Bis zum Jahr 2004 gab es eine Richtlinie, über die die Beratungsstellen gefördert wurden. Darin sind verschiedene Standards festgeschrieben gewesen, unter anderem zwei Beratungsfachkräfte pro Beratungsstelle.

Das ist nicht viel, wenn man das ganze Flächenland bedenkt. Aber es ist ein solider Baustein gewesen. Ich sage „gewesen“, weil diese Richtlinie im Jahr 2004 de facto außer Kraft gesetzt wurde. Inhaltlich wird sich daran noch orientiert. Aber es

wurde auf Verträge umgestellt, was an sich nicht schlimm ist.

Schlimm ist aber, was damit einherging - die Kolleginnen und Kollegen, die schon länger in diesem Hohen Hause sind, werden sich daran erinnern -: Damals gab es drastische Kürzungen im sozialen Bereich. Auch die Mittel für die Beratungsstellen für Opfer sexualisierter Gewalt wurden um rund 20 % gekürzt.

Heute ist die Situation so - weil es weitere Kürzungen und Steigerungen gab, die im Sachkostenbereich und im Personalkostenbereich nicht nachvollzogen werden konnten -, dass die Beratungsstelle Wildwasser Magdeburg e. V. noch 55 000 € vom Land bekommt. Das heißt, damit könnten theoretisch noch 1,2 VBE, 1,2 Beratungsfachkräfte finanziert werden. Alles andere, was nötig ist, müssen die Beratungsstellen bzw. die Trägervereine selbst aufbringen.

Jeder weiß, wie die Situation in diesem Land ist: Bußgelder fließen immer weniger. Wenn es Spenden gibt, dann sind diese eher für einen Fußballverein als für Opfer sexualisierter Gewalt bestimmt. Andere Finanzquellen sind in der Regel nicht vorhanden.

Das führt dazu, dass Präventionsveranstaltungen in diesem Land praktisch nicht mehr stattfinden. Das führt dazu, dass nötige Weiterbildungen von Pädagoginnen und Pädagogen, von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und von Ärztinnen und Ärzten nicht stattfinden und die Öffentlichkeitsarbeit - ich hatte es vorhin schon erwähnt - nicht erfolgen kann, ja, nicht erfolgen darf. Es darf aber nicht sein, dass ein Opfer - vielleicht mittels eines Flyers oder einer Veranstaltung - darauf aufmerksam gemacht wird, dass es Hilfe benötigt, ihm dann aber die Hilfe verweigert werden muss.

Diese Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit ist außerordentlich wichtig; denn sie informiert nicht nur über das Thema, sie holt es nicht nur aus der dunklen Ecke heraus. Sie klärt die Opfer auch über ihre Rechte auf. In dieser Hinsicht hat sich, Gott sei Dank, in den letzten 20 Jahren einiges getan. Sie gibt ferner Hilfestellungen, indem sie über Handlungs- und Hilfemöglichkeiten aufklärt.

Wir haben einen steigenden Bedarf im Land. Das allein ist schon erschreckend, weil wir eine deutlich sinkende Bevölkerungszahl haben. Ich habe recherchieren können, dass im Jahr 2004 1 444 Fälle mit 4 352 Beratungen im Land zu Buche standen. Im Jahr 2009 waren es dann schon 5 619 Beratungen. Das liegt zum großen Teil daran, dass 40 % der Klientinnen sieben und mehr persönliche Beratungsgespräche bzw. Therapiegespräche benötigen.

Viele von ihnen könnten und müssten sicherlich in eine weitergehende Therapiemöglichkeit überwiesen werden. Aber es ist ja vielen von Ihnen be

kannt - das ist auch im Psychiatrieausschuss immer wieder angemahnt worden -: Wir haben eine immense Deckungslücke im Bereich der psychologischen und psychiatrischen Versorgung in diesem Land, insbesondere im ländlichen Raum. Es gibt also niemanden, an den sich die Frauen weitergehend wenden können. Auf einen ambulanten Therapieplatz muss man in der Regel länger als ein Jahr warten. Das ist unzumutbar, wenn eine solche akute Situation erkannt wird.

Deswegen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, möchten wir in aller gebotenen Sachlichkeit einen Bericht über den Sachstand, aus dem auch ersichtlich ist, wie wir zu dieser beklagenswerten Situation gekommen sind. Wir möchten diesen Bericht sehr schnell, noch im ersten Halbjahr, vor der sogenannten Sommerpause. Denn es ist dringend nötig, vor dem nächsten Haushalt nachzubessern.

Ich glaube, das ist - um auch das gern gebrauchte Argument aufzunehmen - mit Sicherheit keine Aufgabe, die man kommunalisieren kann. Die vier Beratungsstellen in unserem Land sind eindeutig überregionale Beratungsstellen.

Vor dem Hintergrund dessen, was wir bezüglich der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen diskutiert haben, welche Wege zumutbar sind, kann ich nur sagen: Wenn beispielsweise die Beratungsstelle in Dessau den Landkreis Wittenberg und den Landkreis Anhalt-Bitterfeld mit versorgen muss, dann ist dies, wenn man sich einmal die räumlichen Dimensionen klarmacht, nicht eine Angelegenheit, die man von regionalen oder persönlichen Spendengeldern abhängig machen sollte.

Ich bitte Sie ganz herzlich, unserem Antrag zuzustimmen und die Erkenntnisse daraus im Interesse der Opfer sexualisierter Gewalt in diesem Land in die Beratungen über den Doppelhaushalt 2015/ 2016 einfließen zu lassen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Lüddemann. - Für die Landesregierung hat Frau Ministerin Professor Dr. Kolb das Wort. Bitte schön, Frau Ministerin.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Opferschutz ist ein Thema, das uns in diesem Hohen Haus schon sehr oft beschäftigt hat. Ich bin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dankbar dafür, dass sie das Thema sexualisierte Gewalt an dieser Stelle heute noch einmal in den Fokus rückt.

Die angesprochenen vier Beratungsstellen in Halle, Magdeburg, Stendal und Dessau sind fester Bestandteil unserer Beratungs- und Unterstüt

zungsangebote im Netzwerk für ein Leben ohne Gewalt. Es ist aus meiner Sicht richtig und wichtig, an dieser Beratungslandschaft festzuhalten. Die Beratungsstellen bieten den Betroffenen Hilfe, Beratung und Unterstützung in einer traumatischen Situation. Sie sind die erste Anlaufstelle, um die Bewältigung des Erlebten in Angriff nehmen zu können.

Es ist völlig richtig: Das ist nicht nur ein politisches Anliegen. Es reicht nicht, nur zu erklären, wie wichtig uns das alles ist. Wir müssen es auch entsprechend fördern und untersetzen. Genau darum geht es.

Die Zahlen dazu, wie viele Personen diese Beratung in Anspruch nehmen, hat Frau Lüddemann hier soeben aufgeführt. Unter diesen Menschen sind nicht nur Betroffene. Es sind auch unterstützende Personen und Familienangehörige, die diese Beratung in Anspruch nehmen.

Vielleicht noch eine Zahl, um zu verdeutlichen, worum es hierbei geht. Ein Drittel derjenigen, die diese Beratung in Anspruch nehmen, sind Kinder und Jugendliche. Also wenn es um sexuelle Gewalt geht, sprechen wir auch in einem sehr hohen Maße über Gewalt an Kindern und Jugendlichen, über Missbräuche, die sich zum Teil über Jahre hinweg ereignet haben.

Wir haben engagierte und qualifizierte Kolleginnen und Kollegen, die nicht nur fachspezifische und stabilisierende Begleitung geben, sondern - auch das ist hier gesagt worden - in einem Netzwerk Kooperations-, Präventions- und Öffentlichkeitsarbeit leisten und in den letzten Jahren - darin stimme ich Ihnen voll zu - dazu beigetragen haben, dass das Thema sexuelle Gewalt ein Stück weit aus der Tabuzone, in der es lange Zeit war, herausgeholt wurde, die Öffentlichkeit sensibilisiert wurde, was sich eben auch daran zeigt, dass nach wie vor nicht nur die Anzahl derjenigen, die Beratung suchen, sondern auch die Anzahl derjenigen, die beispielsweise Zuflucht in den Frauenhäusern suchen, stabil ist und in einzelnen Bereichen sogar noch steigt.

Klar ist: Wir dürfen und wir wollen die Opfer von sexualisierter Gewalt nicht alleinlassen. Ich glaube, das Land dokumentiert das auch mit der Förderung, die seit Jahren stabil ist. In der Zeit, in der ich Verantwortung für diesen Bereich trage, hat es keine Kürzungen gegeben. Wir sind auch dabei, im Bereich der Beratungslandschaft Erhöhungen vorzunehmen, um zumindest die Tarifentwicklung, die für die Mitarbeiter im öffentlichen Bereich selbstverständlich ist, nachvollziehen zu können.

Wir haben das in diesem Jahr geschafft für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Frauenhäusern. Das Geld, das uns zur Verfügung stand, hat leider nicht ausgereicht, um alle zu bedenken. Aber wir verstehen es ausdrücklich als einen stu

fenweisen Prozess. Wir haben uns für den Doppelhaushalt fest vorgenommen, auch die Vergütung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den anderen Beratungsstellen - dazu zählen ausdrücklich auch die Mitarbeiterinnen in den vier Beratungsstellen gegen sexualisierte Gewalt - anzugleichen.

Was die Förderung ganz grundsätzlich betrifft, hatten wir überall die gleichen Probleme, Frau Lüddemann. Das betrifft jetzt nicht nur diese Beratungsstellen. Wir haben immer einen Finanzierungsmix. Das Land Sachsen-Anhalt stellt jährlich für diese vier Beratungsstellen Mittel in Höhe von knapp 205 000 € zur Verfügung. Dazu kommen jährliche kommunale Zuwendungen in Höhe von 137 000 €. Die Richtlinien sehen allerdings auch vor, dass die Träger einen Eigenanteil erbringen müssen.

Ich weiß, dass das zunehmend schwieriger wird, weil die Bußgelder nicht mehr in der Größenordnung zur Verfügung stehen, wie es noch vor ein paar Jahren der Fall war. Wir haben auch Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen geführt, um ihnen Hilfe und Unterstützung zu geben. Ich gestehe auch ein, es gibt einzelne Bereiche, die sind ganz gut, die kriegen das ganz gut hin. Wir haben deshalb angeregt, dass diejenigen, die Schwierigkeiten haben, sich mit denen zusammensetzen, bei denen es besser funktioniert.

Wir schauen uns die Entwicklung an, auch im Hinblick auf die Qualität. Das heißt, es gibt jährliche Berichte, die eine Evaluation, eine Auswertung vorsehen. Ich bin gern bereit, das im Ausschuss vorzulegen, dazu vorzutragen und auch die konkreten Probleme zu benennen, die Sie auch schon angeführt haben.

Beratung im ländlichen Bereich. Dort, wo weite Strecken zurückgelegt werden müssen, bedeutet das, dass man eigentlich mehr Manpower oder Frauenpower braucht, um das zu bewerkstelligen.

Auch die Frage, inwieweit spezialisierte Beratung im psychiatrischen bzw. im psychologischen Bereich zur Verfügung steht, macht mir Sorgen. Das ist etwas, was wir nicht in eigener Verantwortung regeln können, sondern was wir in Kooperation mit dem Sozialressort besprechen müssen. Darüber hinaus gibt es noch ein paar kleinere Dinge, über die wir im Ausschuss beraten können.

Vielleicht noch ganz kurz zum Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE. Diese bittet darum zu prüfen, inwieweit diese Beratungsstellen in ein zukünftiges Beratungsstellengesetz, das gerade in Vorbereitung ist, aufgenommen und in den Einzelplan 05 mit einbezogen werden können. Wir sind uns darüber einig, dass diese Beratungsstellen natürlich Bestandteil eines großen fachlichen Netzwerks sind und heute schon eine gute Kooperation

stattfindet. Wir wollen das in der Zukunft auch fördern.

Ich bin mir, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob dieses Beratungsstellengesetz der richtige Weg ist, um den Interventionsstellen und den Beratungsstellen gegen sexualisierte Gewalt zu helfen. Denn hierbei geht es gerade um diejenigen, die speziell kommunale Aufgaben wahrnehmen, während das Land quasi nur unterstützend tätig wird. Frau Lüddemann hat noch einmal bestätigt, dass sie hierin keine kommunale Aufgabe sieht.

Das heißt, wir müssen überlegen, wie wir insgesamt zunächst einmal eine gleiche Behandlung für alle Träger hinbekommen und eine Verstetigung der fachlichen Arbeit erreichen in dem Sinne, dass wir auch in Zukunft qualifiziertes Personal bekommen, damit diese wichtigen Aufgaben erledigt werden können. - Ganz herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und von Minister Herrn Bischoff)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Wir treten in die vereinbarte Fünfminutendebatte ein. Für die Fraktion der CDU spricht Frau Koch-Kupfer. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Über die Vielgestaltigkeit des Problems sexualisierter Gewalt wurde von meinen Vorrednerinnen hinreichend ausgeführt. Deshalb lassen Sie mich die traumatischen Erfahrungen, die Opfern durch sexualisierte Gewalt zugefügt werden, anhand eines Beispiels untersetzen.

Gestern in der Mittagspause kam es zu einem Gespräch mit einem sogenannten Opfer. Auslöser für dieses Gespräch war die freundliche Höflichkeit eines meiner Kollegen einer älteren Frau gegenüber, die mit einer Gehhilfe unterwegs war und Schwierigkeiten hatte, auf die Rolltreppe zu gelangen.

Er bot ihr seine Hilfe an. Sie war von dem freundlichen Angebot eines Mannes dermaßen irritiert, aber auch so beeindruckt, dass sie das Bedürfnis hatte, uns ihre Geschichte zu erzählen, die Geschichte einer Ehe, die sechs Jahre dauerte, über Gewalt, Gewalterfahrungen und darüber, dass sie sechs Jahre lang diese Gewalt ertragen hat. Aus dieser Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen.

Die Folge dieser Erfahrungen war, dass sie nie wieder - ich denke, 50 Jahre sind eine lange Zeit - eine Partnerschaft eingehen konnte. Ich glaube, dieses Beispiel zeigt, wie sehr sich solche Erfahrungen in das Gedächtnis von Opfern einbrennen. Ich habe mich gestern gefragt, welche Hilfe diese

Frau damals vor 50 Jahren hatte. Ich bin froh, dass wir heute in Sachsen-Anhalt spezialisierte professionelle Hilfe anbieten können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Opfern sexualisierter Gewalt wird in Sachsen-Anhalt solche Hilfe zuteil. Sie erhalten Beratung, Unterstützung und Vermittlung in speziellen Einrichtungen. Wir haben dazu vorhin schon Detailinformationen bekommen. Ja, es ist richtig; sie haben langjährige Erfahrungen. Diese Erfahrung soll sich natürlich auch weiterhin in der Qualität zeigen. Es geht wie immer um Geld und um Auskömmlichkeit.

Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Ansatz, den wir als Haushaltsgesetzgeber für das Haushaltsjahr 2014 beschlossen haben, ist seit 2010 nahezu unverändert. Die Ministerin hatte gesagt, es gab zum Glück keine Kürzungen.