Protocol of the Session on June 29, 2011

Ich fahre fort. Ich möchte den Bereich der Medizinforschung nennen. Die Nuklearmedizin ermöglicht noninvasive Eingriffe. Sie erspart unermessliches operatives Leid. Ich nenne Anwendungen in der Radiochemie, in der Kernchemie. Ich nenne die Materialforschung. Hier kommt Rossendorf ins Spiel. Rossendorf ist für uns als Helmholtz-Zentrum unverzichtbar und mittlerweile in Deutschland herausragend.

Meine Damen und Herren! Sie können diese drei kleinen Beispiele, die ich genannt habe und von denen ich noch mehr nennen könnte, doch nicht von der Grundlagenforschung abkoppeln. Das ist Ihr Ausgangspunkt und Ihr Denkfehler.

Meine Damen und Herren! Wir brauchen Leute wie Herrn Prof. Hurtado in Sachsen, und zwar unter zwei Aspekten, Herr Gerstenberg. Zum einen arbeitet Herr Hurtado an der Grundlagenforschung. Er arbeitet an der Verkürzung von Lagerzeiten und am besseren Umgang mit radioaktiven Abfällen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich hätte mir gewünscht, dass Ihre Zeit im Bund in der Verantwortung im Umweltministerium dazu genutzt worden wäre, solche Leute wie Herrn Hurtado dazu zu inspirieren, im Bereich der Grundlagenforschung an der Verkürzung von Lagerzeiten und am Umgang mit radioaktiven Abfällen zu arbeiten. Das haben Sie nicht getan. Sie stigmatisieren diese Leute.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Alexander Delle, NPD)

Ein zweiter Punkt gibt mir als Wissenschaftler sehr zu denken. In Ihrer Pressemitteilung sagen Sie noch, dass Sie die Freiheit der Forschung nicht infrage stellen. Dazu sage ich: Natürlich machen Sie das. Aber diesen Satz kann ich mir sparen, und zwar ganz einfach deshalb, weil Sie hier eben ganz selbstverständlich mit Blick auf Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz gesagt haben, dass das Grundgesetz hier die politische Bewertung vorgibt. Wissen Sie denn nicht – Sie müssen es wissen –, dass Grundrechte Abwehrrechte, Freiheitsrechte sind? Es geht um Wissenschaftsfreiheit. Ihr Verhalten führt zur Eingrenzung von Kompetenz und Wissenschaft.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren! Wir wollen und können dies nicht akzeptieren. Ich bin froh, dass wir solche Leute wie Herrn Hurtado in Sachsen haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das war für die einbringende Fraktion der CDU Herr Prof. Schneider. Als Nächstes könnte die FDP als miteinbringende Fraktion das Wort ergreifen. – Kein Redebedarf. Die Fraktion DIE LINKE? – Erneut spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Prof. Besier.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie uns doch festhalten, dass es in der Tat ein ethisches Problem gibt. Wir haben einen mutigen Schritt zum Ausstieg getan. Das ist nicht zum Wenigsten das Verdienst der GRÜNEN gewesen, wenn wir das in der Bundesperspektive betrachten. Wir hoffen, nicht zuletzt im eigenen Interesse, dass unser Beispiel Schule macht.

(Christian Piwarz, CDU: Wenn DIE LINKE im Bundestag sitzt!)

Aber lässt sich das mit einem forschungstechnologischen „Weiter so!“ und mit der Vorstellung verbinden, dass wir diese Technologie exportieren und gleichzeitig die Nachbarn davon überzeugen könnten, dass ein Ausstieg besser wäre? Darin liegt doch das Problem.

Selbstverständlich müssen wir Geld in den Rückbau der alten und in erneuerbare Energien investieren. Das geschieht ja auch. Deswegen frage ich mich, wieso dieser Streit hier so lebhaft ist.

Der Rektor der TU Dresden hat gerade einen Brief an die Professorinnen und Professoren geschrieben. Darin teilt er mit, er habe mit dem sächsischen Ministerpräsidenten und EU-Kommissar Oettinger über Eckpunkte einer nachhaltigen Energieversorgung für den Freistaat und die dafür notwendigen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten gesprochen. Er – Prof. Müller-Steinhagen also – werde das Energiethema ins Zukunftskonzept der TU Dresden aufnehmen. Sachsen will also zu einem alternativen Energieforschungszentrum werden – ganz im Sinne der GRÜNEN, kann man sagen – und hofft dafür auf Gelder aus der EU. Das meint er wohl mit dieser Anspielung, dass auch EU-Kommissar Oettinger bei dem Gespräch zugegen war. Auch vor diesem Hintergrund werden wir unser ethisches Problem noch einmal angehen müssen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die Fraktion DIE LINKE sprach Herr Prof. Besier. Gibt es weiteren Redebedarf bei der SPD? – Nein. Bei der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN? – Den sehe ich nicht. Bei der NPD? – Auch nicht.

Wir könnten in eine dritte Runde eintreten. Das Wort hätte erneut die einbringende Fraktion der CDU. Es spricht Frau Kollegin Fiedler.

Wie viel Redezeit habe ich noch?

Noch 23 Minuten.

So lange spreche ich nicht. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte in dieser Debatte nur noch ein paar Aspekte ansprechen.

Sachsen ist ein Forschungsland, und ich denke, wenn wir solche Diskussionen beginnen, Herr Dr. Gerstenberg, wie Sie es jetzt getan haben, dann öffnen wir eine Tür, die wir nicht öffnen wollen. Bei der Werbung um Forscher und Wissenschaftler befinden wir uns in einer weltweiten Konkurrenz. Um diese Forscher und Wissenschaftler für Sachsen zu gewinnen, muss man bestimmte Grundvoraussetzungen schaffen: Das ist das Vertrauen in ihre Arbeit, der verantwortungsbewusste Umgang mit den an sie gestellten Problemen, und das ist eine Verlässlichkeit in die Unterstützung und Finanzierung.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wenn man über Forschungsfreiheit spricht, ist die grundsätzliche Frage, ob man die Wissenschaftsfreiheit und die Entdeckungsfreude der Forscher und Wissenschaftler einengt. Aber diese Entdeckerfreude und dieser Reiz sind das, was unsere Gesellschaft voranbringen. Deshalb sind solche Diskussionen sehr schwierig zu führen.

Ich möchte noch etwas zum Ausstieg aus der Atomenergie und deren Konsequenzen auf die Kernforschung sagen und ein paar Aspekte nennen. Zum einen sind einige schon genannt worden, zum anderen möchte ich ergänzen. Wir brauchen dieses in den letzten Jahren erworbene Know-how weiterhin, um den Ausstieg zu begleiten. Wenn wir über Sachsen sprechen, dann sprechen wir über eine sächsische Forschungseinrichtung, die diesen Prozess begleiten wird. Rossendorf ist eine der größten Forschungseinrichtungen in Sachsen. Dort sind 750 Mitarbeiter beschäftigt. Die Einrichtung hat ein Budget von 70 Millionen Euro. Das alles infrage zu stellen möchte, glaube ich, niemand von uns.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir haben in Deutschland die Energiewende beschlossen. Das ist auch richtig so. Wir schalten die Atomkraftwerke ab. Nichtsdestotrotz gibt es weiterhin weltweit Atomkraftwerke. Für diese müssen Sicherheitsstandards definiert werden, an denen auch deutsche Experten beteiligt werden.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Nun haben Sie, Herr Dr. Gerstenberg, in der Debatte noch einmal klargestellt, dass es nicht um die medizinische Forschung gehe. Man muss aber auch sagen, dass eine Trennung nicht so einfach vorzunehmen ist. Prof. Schneider hatte es bereits angesprochen, dass es um

Grundlagenforschung geht und in der Medizin sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie mit radioaktiven Stoffen gearbeitet wird. Dafür brauchen wir die Experten. Ferner muss die Frage geklärt werden, wie man zum Beispiel mit daraus entstandenen Abfallprodukten umgeht.

Sie sagen, dass Sie das strikt trennen. Ich sage, dass das nicht so einfach geht. Ich kann mich daran erinnern, als in der Diagnostik das PET-CT eingesetzt wurde. Dafür kamen die Stoffe aus dem Forschungszentrum Rossendorf. Es ist ja nicht nur so, dass man die Stoffe herstellt, sondern es sind Transportwege zu bewältigen und auch über die Lagerung muss man nachdenken. Diese Aufgaben erledigen nicht nur Mediziner, sondern daran sind auch Wissenschaftler aus anderen Bereichen beteiligt. Dass Rossendorf diese Vernetzung ermöglicht, hat auch diese Forschung möglich gemacht. Eine strikte Trennung ist hier nicht möglich.

(Beifall des Abg. Prof. Günther Schneider, CDU)

Ich würde noch einmal dafür werben, das bei Ihren Überlegungen mit zu betrachten.

Ich möchte noch die Sanierung der „Altlasten-Urans“ ansprechen. Auch hierbei sind wir noch nicht am Ende der Forschung. Hierfür brauchen wir noch Lösungen. Auch darüber wird in diesem Bereich geforscht. Das ist weiterhin wichtig und sollte erhalten bleiben.

Zusammenfassend möchte ich sagen: Es ist richtig, dass die Welt nach Fukushima eine andere ist, aber gute Argumente müssen immer noch greifen, um auch die Freiheit der Wissenschaft zu schützen. Ich denke, wir sollten uns von den guten Argumenten leiten und keine ideologischen Schnellschüsse gelten lassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Für die einbringende Fraktion der CDU sprach Frau Kollegin Fiedler. Gibt es jetzt weiteren Redebedarf aus den Fraktionen in dieser Runde oder darüber hinaus? – Den kann ich nicht erkennen. Damit hat die Staatsregierung das Wort. Ich bitte Sie, Frau Staatsministerin von Schorlemer, das Wort zu ergreifen.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Deutschland ist gut beraten, wenn es auch künftig über umfassende Kompetenzen im Bereich der Kernenergietechnik und der nuklearen Sicherheitsforschung einschließlich der Endlagerforschung verfügt; nicht zuletzt um uns selbst zu schützen, müssen wir von denen, die weiterhin Kernkraftwerke betreiben, den bestmöglichen Sicherheitsstandard einfordern.

Mit dem Vom-Netz-Nehmen eines Kernkraftwerkes ist es nicht getan. Um die Stilllegung, den Rückbau und die Entsorgung sicherzustellen, bedarf es Wissen und erst

klassiger Fachleute. Wir brauchen die Forschung und die Lehre. Ohne hoch qualifiziertes Personal ist der Ausstieg aus der Kernenergie nicht verantwortbar.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Nicht zuletzt brauchen wir eine nukleare Sicherheitsforschung, die sich mit der Frage der Endlagerung befasst. Ich begrüße es, dass das Helmholtz-Zentrum Dresden– Rossendorf in die europäische Transmutationsforschung eingebunden ist, mit dem Ziel, die Halbwertzeiten zu verkürzen und auch somit den Raumbedarf für die Endlagerung zu verringern.

Meine Damen und Herren! Davon unabhängig möchte ich als Wissenschaftsministerin auf Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes hinweisen: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“. – Zu dieser grundrechtlich geschützten Wissenschaftsfreiheit gehört auch das Recht der Wissenschaftler, die Themen ihrer Forschungstätigkeit frei zu bestimmen, und diese Themenfindungsfreiheit wiederum unterliegt nur den Schranken, die sich aus den Grundrechten selbst ergeben. Auch die Instru

mente der Mittelvergabe müssen sich an den Vorgaben des Grundgesetzes messen lassen.

(Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

Das Bundesverfassungsgericht hat es einmal so formuliert – ich zitiere –: „Zugunsten der Wissenschaftsfreiheit ist stets der diesem Freiheitsrecht zugrunde liegende Gedanke mit zu berücksichtigen, dass gerade eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft im Ergebnis am besten dient.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. – Vielen Dank.