Dass die GRÜNEN sich damals in Sachen Abschaffung der Wehrpflicht an der SPD die Zähne ausgebissen haben, ist allseits bekannt. Aber warum leugnen, verleugnen oder negieren Sie jetzt das, was sich gesellschaftlich im Umbruch befindet? Fakt ist doch eines: Niemand hätte vor einem Jahr oder vor anderthalb Jahren gedacht, dass es die Wehrpflicht in dem Sinne in derart kurzer Zeit nicht mehr geben wird.
Vor einem Jahr habe ich mit FSJlern zusammengesessen und darüber philosophiert, dass nach meiner Meinung der beste Weg wäre, künftig irgendwann einen Bundesdienst, einen Freiwilligendienst zu haben, bei dem man sich entscheiden kann, ob man eine Art Zivildienst, FSJ und
FÖJ leistet oder ob man beispielsweise freiwillig bei der Bundeswehr dient. Ich hätte nie gedacht, dass es binnen eines Jahres dazu käme. Nutzen wir doch jetzt gemeinsam die Chance, ohne uns gegenseitig irgendwelche Dinge auf das Butterbrot zu schmieren!
Ich meine aber auch, das Ziel ist – das geht über die Parteigrenzen hinweg –, dass künftig Bundesfreiwilligendienst, FSJ und FÖJ irgendwann in einem Dienst verschmelzen. Aber Sie wissen ganz genau, warum das derzeit nicht möglich ist. Die Gelder, die der Bund dafür bereitstellt – ich habe vorhin gesagt, es sind mittlerweile 350 Millionen Euro, so viel wie noch nie –, müssten direkt an die Kommunen gezahlt werden. Da sind es genau Ihre Partei und die Partei von Herrn Pellmann, die diese Leistungen des Bundes überall in soziale Bereiche in den Kommunen stecken, ob das Sozialtickets oder sonst etwas sind, sodass diese Mittel am Ende bestimmt nicht im Bundesfreiwilligendienst landen.
Genau das ist der Grund, warum man das jetzt erst einmal über Dienstverhältnisse mit dem Bund machen will. In meinen Augen ist das auch erst einmal der richtige Weg.
Wir wollen diesen Weg konstruktiv begleiten, wir sehen einen Sinn darin. Ich fordere Sie auf, sich daran ebenso zu beteiligen.
Das war für die einbringende Fraktion der CDU Herr Kollege Schreiber. – Jetzt sehe ich zwei Meldungen zu Kurzinterventionen. Ich beginne mit Herrn Pellmann. Bitte, Herr Pellmann.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Schreiber – wunderbar, Sie hören zu, das unterscheidet Sie von manchem anderen Ihrer Kollegen –, ich will eindeutig klarstellen: Weder bin ich noch ist meine Fraktion noch meine Partei gegen freiwilliges Engagement. Wir befürworten es, wir tun alles, damit es sich in einer Zivilgesellschaft entwickeln kann. Aber – jetzt kommt es –, wogegen wir sind, ist, dass faktisch freiwilliges Engagement Lückenbüßer für andere durch professionelles Tun notwendige Entwicklung ist. Das ist das Problem.
Ich habe deshalb die Dinge vorhin so deutlich dargestellt, weil ich der Auffassung bin: Freiwilligendienste – oder wie immer Sie das bezeichnen mögen – können vornehmlich im Pflegebereich den Notstand, auf den wir hinsteuern, nicht lösen. Ohne eine ausreichende professionelle Infrastruktur wird auch kein Freiwilligendienst, welcher Art auch immer, sinnvoll sein. Das will ich deutlich
sagen. Hören Sie also bitte auf, uns zu unterstellen, dass wir etwa gegen freiwilliges oder bürgerschaftliches Engagement wären.
Fakt ist auch eines: Vielleicht beginnen wir irgendwann einmal, die Sache andersherum zu diskutieren, nämlich welche Chancen dieses freiwillige Engagement in den verschiedenen Bereichen nach wie vor gerade für die Jugendlichen, aber auch für die älteren Menschen mit sich bringt. Ich denke, wenn Sie das einmal so herum diskutieren, werden Sie am Ende zu einem völlig anderen Schluss kommen.
Es geht im Übrigen auch nirgendwo darum, dass man irgendwelche Hartz-IV-Empfänger oder sonst wen in diese Freiwilligendienste zwingt. Auch das hat der sozialpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag klar dargestellt. Es geht darum, dass diese Frauen und Männer dafür geeignet sein müssen. Das ist ganz klar. Niemand aus der Unionsfraktion hat irgendwo gesagt, dass man Hartz-IV-Empfänger in diese Bereiche, in diese Freiwilligkeit zwingen will. Man kann sie auch gar nicht zwingen.
Hören Sie also auf, die Debatte von hinten aufzuzäumen. Überlegen Sie vielmehr einfach einmal, welche Chancen diese Angelegenheit für unsere gesamte Gesellschaft hat.
Herr Schreiber, ich möchte gern noch einmal den Faden aufgreifen, den ich mit meiner Frage gelegt habe und wozu Sie mir zumindest ein Stück weit eine Antwort gegeben haben. Sie haben es sich aber sehr leicht gemacht, indem Sie einfach gesagt haben: Die Nachwuchssorgen stehen in einem ausschließlichen Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung. –
Wenn Ihre Antwort zutreffen sollte, würde das bedeuten, dass zum Beispiel in Westdeutschland dieses Problem nicht bestünde, weil die demografische Entwicklung dort nicht derart extrem ist wie beispielsweise hier in Sachsen. Aber bekanntermaßen sind die Probleme dort genauso vorhanden. Insofern würde ich schon meine These aufrechterhalten.
Ich will Ihnen noch ein anderes Beispiel geben. Ich habe mit sehr großem Interesse einen Artikel von Herrn Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière in der „Sächsischen Zeitung“ gelesen, worin er quasi beschreibt – daraus würde ich gern zitieren, weil das vielleicht doch einen gewissen Erkenntnisgewinn gibt –, wie er Freiwillige für die Bundeswehr motivieren will. Er schreibt: „Die Bundeswehr bietet attraktive Bedingungen und interessante Aufgaben. In welchem anderen Beruf ist es möglich, bereits in so jungen Jahren Verantwortung zu übernehmen und einen Dienst für unser Land zu leisten? Welcher Beruf bietet eine größere Vielseitigkeit? Wo sonst finden sich professionelle Aus- und Weiterbildung in Verbindung mit attraktiven Arbeitsbedingungen?“
Das ist im Grunde genommen eine Stellenbeschreibung, in der man sich interessant macht, in der man sicherlich eine Perspektive bieten, sich gut darstellen und verkaufen will. Aber es ist letztendlich nicht die Aufgabe, das Eintreten für den Gemeinsinn, mit dem man im Wesentlichen argumentiert, einmal abgesehen von der Floskel „Dienst für unser Land“, mit der heute wahrscheinlich viele leider nichts mehr anfangen können. Das Kernproblem ist, dass wir in unserem Land eben kein Wir, kein Gemeinschaftsgefühl mehr haben und damit auch keine Gemeinschaftsverantwortung. Das wollte ich noch einmal gesagt haben.
Herr Storr, ich denke, das Grundproblem liegt darin, dass wir eine unterschiedliche Definition von „unser Land“ haben. Das ist ein Grundproblem. Ich kenne genügend Leute, die unter anderem zur Bundeswehr – –
(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD – Zuruf von der CDU: Das würde helfen, Herr Gansel! – Holger Apfel, NPD: Sie rufen doch auch andauernd dazwischen!)
Ich kenne genügend Menschen, die sich freiwillig auch deshalb zum Bund melden – oder bisher zum Zivildienst und zukünftig wahrscheinlich auch zu den Freiwilligendiensten –, weil sie für sich etwas machen wollen. Aber ich sage Ihnen ganz deutlich: Mir ist jemand lieber, der
sich für ein freiwilliges Engagement auch deshalb meldet, weil er ein Wartesemester überbrücken muss und weil er vielleicht noch nicht weiß, ob er in einen Pflegeberuf will oder nicht, und sich erst einmal ausprobiert, als jemand, der in eine Lehre geht und diese nach fünf Monaten abbricht.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich, da tut der, der erst einmal für sich entschieden hat, ich gehe in den Bereich, mehr für unser Land als der, der letzten Endes nach fünf Monaten eine Lehre abbricht. Das müssen Sie anerkennen.
Fakt ist: Wenn Sie hier über Demografie reden, dann tun Sie mir doch den Gefallen und informieren sich erst einmal über das Thema. Dann kommen Sie nämlich irgendwann auf den Trichter, dass der Westen Deutschlands genau die gleichen demografischen Probleme haben wird bzw. schon hat wie der Osten Deutschlands bereits seit geraumer Zeit. Das sollten Sie vielleicht einmal nachlesen oder sich zumindest informieren, bevor Sie hier solch einen Senf von sich geben; Entschuldigung.
Als Nächste in unserer Rednerreihung spricht Frau Kollegin Schütz für die miteinbringende Fraktion der FDP.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an dieser Stelle einmal versuchen herauszustellen, was wir noch gar nicht beleuchtet haben: dass es ein ganz großes Verdienst ist, dass wir die Wehrpflicht aussetzen können aus sicherheitspolitischen, aus verteidigungspolitischen Argumenten
Die Sicherheitslage lässt es einfach zu, dass wir umschwenken können, dass wir sagen können: Wir gehen in eine Freiwilligenarmee. Europa ist so weit zusammengewachsen. Wir haben die Möglichkeit der Verständigung mit unseren Nachbarn auf dem kommunikativen Wege und müssen nicht zu anderen Mitteln greifen.
Dass dadurch natürlich eine Problematik aufgemacht wird, die wir selbst aufgebaut haben, deren Umsetzung wir uns jetzt stellen müssen, ist, glaube ich, allen klar. Was ich nicht für richtig halte, ist das, was Sie tun, Herr Pellmann: an dieser Stelle einen Notstand in der Pflege mit dem Wegfall des Zivildienstes zu verbinden. Nein, das ist verkehrt. Diesen Notstand in der Pflege hätten wir auch ohne den wegfallenden Zivildienst.
Es ist verkehrt, den jungen Menschen ein schlechtes Gewissen einreden zu wollen, nur weil sie diese Möglichkeit jetzt vielleicht nicht mehr nutzen.