Sind Sie auch mit mir der Auffassung, dass die Zeitarbeitsbranche auch ins Arbeitnehmerentsendegesetz gehört?
Herr Schimmer, Sie müssen schon wissen, was Sie dem Hohen Haus in Ihrem Antrag vorstellen. Ich darf für Sie zur Erinnerung die Überschrift Ihres Antrages formulieren: „EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit einseitig aufkündigen – sächsische Bauwirtschaft vor ruinöser Konkurrenz schützen“. Sächsische Bauwirtschaft, meine Damen und Herren! Zeitarbeit ist mit Sicherheit nicht im Bauhauptgewerbe und Baunebengewerbe übliche Praxis.
Reden wir jetzt über Zeitarbeit oder über die Bauwirtschaft? Ich bitte Sie, sich auf Ihren Antrag zu konzentrieren. Ich fahre fort.
Zweitens. Für die Ausübung zulassungspflichtiger handwerklicher Berufe aus der Anlage A zur Handwerkerordnung ist im Vorfeld des Einsatzes eine Ausnahmebewilligung zu beantragen. Die ausgeübte Tätigkeit ist durch eine EU-Bescheinigung aus dem Herkunftsland zu belegen.
Drittens. Unternehmen aus dem Bausektor müssen spätestens einen Tag vor Beginn der Baustelle Meldung bei der Oberfinanzdirektion Köln machen.
Viertens. Bei Bauarbeiten ist auch eine Meldung der entsandten Arbeitnehmer bei der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft in Wiesbaden verpflichtend. Sie können sichergehen, dass auch dieses Geld eingezogen wird. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie das monatlich funktioniert.
Fünftens. Die in Deutschland geltenden Vorschriften für Mindestlöhne, Mindestjahresurlaub, Höchstarbeitszeiten, Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz sind verpflichtend, meine Damen und Herren von der NPD-Fraktion. Die allgemeinen Tarifverträge mit den geregelten Mindestlöhnen – und da muss ich eine Einschränkung nennen; Sie wissen, dass ich nicht unbedingt ein Verfechter von Mindestlöhnen bin – sind genau an dieser Stelle von ihrer Wirkung her berechtigt
und gelten für die Branchen im Handwerk. Das ist also das Baugewerbe mit dem Dachdeckerhandwerk, dem Elektrohandwerk und dem Maler- und Lackierhandwerk. Im Gerüstbauhandwerk sowie dem Steinmetz- und Bildhauerhandwerk gelten die allgemein verbindlichen Tarifverträge ohne geregelte Mindestlöhne. Ich darf auch daran erinnern, dass das Thema Scheinselbstständigkeit bereits bei vielen deutschen Firmen unangenehm durch die Behörden verfolgt wird. Dies gilt nun auch für die neuen Regelungen ab Mai dieses Jahres. Natürlich wird es Kontrollen geben und geben müssen. Zollamt, Gewerbeämter und örtliche Behörden werden genau dies verfolgen, wie sie das bereits jetzt in ordentlicher Art und Weise tun.
Deshalb, meine Damen und Herren von der NPDFraktion, ist Ihr Antrag nicht zielführend und entbehrlich. Er verängstigt die Bürgerinnen und Bürger und entspricht nicht der Wahrheit. Wir werden diesen Antrag deshalb ablehnen.
Für die Fraktion DIE LINKE spricht der Abg. Kosel. Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, würde ich Sie bitten, Ihre Gespräche etwas zu dämpfen, damit der Redner laut und deutlich gehört wird.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Sprachstil des Antrages, dort insbesondere Punkt 1, und auch der Sprachstil des gehörten Redebeitrages der NPD-Fraktion machen es offenbar: Die NPD bewegt sich augenscheinlich noch im Modell der „Neuordnung Europas“ aus dem Jahr 1941.
Die Realität der EU des Jahres 2011 hat diese Partei eindeutig noch nicht begriffen, denn da gibt es kein „einseitiges Aufkündigen“ – auch nicht bezüglich der Arbeitnehmerfreizügigkeit, wie es jetzt die NPD erstrebt –, sondern es gibt partnerschaftliche Verträge mit gleichen Rechten und Pflichten für alle Mitgliedsstaaten.
Im Kern, meine Damen und Herren, fordert der NPDAntrag von der Regierung den Bruch aktuellen Vertrags- und Verfassungsrechts. Es befremdet mich persönlich schon sehr, dass ein solcher Antrag auf die Tagesordnung dieses Hohen Hauses gelangte.
Aber, meine Damen und Herren, auch bei der Antragsbegründung scheint die NPD-Fraktion Schwierigkeiten mit der Aktualität, aber auch mit der Realität zu haben. So bezieht sie sich in dieser Antragsbegründung auf eine Pressemitteilung des Zweckverbundes Ostdeutscher Bauverbände e. V. vom 18.01.2008. Die Pressemitteilung ist also über drei Jahre alt. Sie bezog sich auf die damalige Debatte zur Verlängerung der Übergangsfristen und hat zur aktuellen Situation keinen direkten Bezug. Der Zweckverbund Ostdeutscher Bauverbände e. V. vertritt seine damalige Auffassung heute so nicht mehr. Der Geschäftsführer Herr Schöne hat mir dieser Tage erst wieder bestätigt, dass es jetzt gilt, die Herausforderungen und Chancen der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu meistern.
Noch älter ist das Zitat aus dem Magazin „Der Selbstständige“. Es stammt aus der Mai-Ausgabe 2007. Augenscheinlich vereinsamt die NPD in ihrer Position zur Arbeitnehmerfreizügigkeit mittlerweile – trotz aktuell geäußerter Befürchtungen wie im Berliner „Tagesspiegel“ vom 3. Februar dieses Jahres – mehr und mehr. Nur konnte oder wollte sie diese Realität nicht wahrnehmen.
Die Antragsbegründung ist daher absolut unsolide. Allein diese Sachlage wäre Grund genug, den Antrag abzulehnen. Aber so einfach will ich es der NPD nicht machen.
Meine Damen und Herren, eine Annahme des NPDAntrages würde in der EU den Zustand manifestieren, dass es Arbeitnehmer erster und Arbeitnehmer zweiter Klasse gibt, nämlich solche, die EU-weit das Recht der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Anspruch nehmen können, und solche, die diese Möglichkeit nicht haben. Das wäre eine schreiende Ungerechtigkeit und ist mit uns nicht zu machen.
Aber vielleicht, meine Damen und Herren, hat die NPD dabei gar nicht bemerkt, dass dann auch die deutschen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu der schlechter gestellten Gruppe ohne volle Arbeitnehmerfreizügigkeit gehören würden. Denn einmal unterstellt, der Antrag würde realisiert, dann würden natürlich die anderen EUStaaten nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit die Arbeit
Schreien Sie ruhig weiter! – Nun mag es sein, dass dies Sie, meine Damen und Herren von der NPD hier im Hause, in Ihren warmen Abgeordnetenstühlen nicht stört, aber die circa 9 000 Bundesbürger, die bereits vor zwei Jahren allein in Polen und Tschechien beschäftigt waren, würde das ganz sicher beträchtlich stören, und deren Familien auch.
Wahrscheinlich, meine Damen und Herren, hat die NPD die antieuropäischen Scheuklappen bereits so tief ins Gesicht gezogen, dass sie solche realen Probleme gar nicht mehr wahrnimmt. Denn aus allem, was man von dieser Partei auch liest – Parteiprogramm, Aktionsprogramm oder das sogenannte Europaprogramm – spricht der Hass gegen die europäische Integration, die die NPD fürchtet wie der Teufel das Weihwasser.
Die Herauslösung der Bundesrepublik Deutschland aus der EU wird dort angestrebt. Zu diesem Zweck missbraucht die NPD alle sich auch nur ansatzweise anbietenden Themen von A wie Autoklau im Grenzgebiet bis Z wie Zentrum gegen Vertreibung oder eben wie heute die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit. Hauptsache, es lässt sich gegen die europäische Integration instrumentalisieren. Aber das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
Meine Damen und Herren, genau so klar gilt es auf den im Ergebnis antisozialen Charakter des heutigen NPDAntrages hinzuweisen. Würde dieser Antrag angenommen, käme es unter anderem an Sachsens Grenzen zur Abschottung von Arbeitsmärkten mit höheren Löhnen vor solchen mit niedrigen Löhnen. Zum Beispiel die tschechischen oder polnischen Arbeitnehmer dürften die „Niedriglohnreservate“ in ihren Heimatländern nicht verlassen, während die Arbeitgeber, das heißt die Unternehmer, zum Beispiel aus Sachsen, ihre Produktion dorthin verlagern oder zumindest damit drohen könnten, wodurch auch die Löhne in Sachsen unter Druck gerieten, was in der Vergangenheit auch geschehen ist.
Eine Situation hingegen, in der auch die Arbeitnehmer Freizügigkeit genießen und sich EU-weit den Arbeitgeber mit dem besten Lohnangebot auswählen können, führt dazu, dass auch die Löhne in bisherigen Niedriglohnregionen steigen. Exemplarisch wird dies auch an der Dynamik der Entwicklung des durchschnittlichen Monatslohnes und auch des gesetzlichen Mindestlohnes in Polen und Tschechien, insbesondere seit dem EU-Beitritt und seit der dort bestehenden und für viele westeuropäische Staaten geltenden Arbeitnehmerfreizügigkeit.
Der durchschnittliche Monatslohn in Tschechien hat sich in den letzten neun Jahren von 13 614 Kronen auf zurzeit 23 665 Kronen fast verdoppelt. Ähnlich verlief die Entwicklung in Polen, wo gegenwärtig die Gewerkschaft Solidarność eine Unterschriftenaktion für eine Gesetzes
initiative zur Erhöhung des gesetzlichen monatlichen Mindestlohnes um 353 Złoty – das sind circa 95 Euro – durchführt. Diese Dynamik wird sich mit voller Arbeitnehmerfreizügigkeit verstärken und auch die Lage der sächsischen Arbeitnehmer positiv beeinflussen.
Meine Damen und Herren, die NPD will jedoch mit dem vorliegenden Antrag gar keine Verbesserung bei der Ausgestaltung der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Rahmen der EU, sondern lediglich einen Pflock gegen das europäische Zusammenwachsen, gegen die EU setzen. Ein solcher Antrag ist auf jeden Fall abzulehnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir in der ersten Runde nicht vor. Ich habe noch eine Wortmeldung für die zweite Runde. Ich frage trotzdem die Staatsregierung, ob sie das Wort ergreifen möchte. – Das kann ich nicht erkennen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zumindest bei der Bundesagentur für Arbeit weiß man, dass der bei den Regierenden und ihrem Medienapparat ausgebrochene Jubel über sinkende Arbeitslosenzahlen schon bald in Katzenjammer umschlagen wird.
„Bei aller Freude über die aktuell gute Entwicklung – die Lage auf dem Arbeitsmarkt bleibt unsicher“, so FrankJürgen Weise in einem Interview mit „Spiegel-Online“ vom 20. Januar dieses Jahres. Weiter sagte Weise: „Wir beobachten, dass deutsche Zeitarbeitsunternehmen Niederlassungen in Polen oder in anderen Ländern gründen. Wir wissen nicht genau, wofür diese Niederlassungen sein sollen, aber theoretisch könnten diese Firmen ab Mai ihre Mitarbeiter beispielsweise zu polnischen Tarifbedingungen in Deutschland einsetzen. Es könnte durchaus zu einer Verzerrung auf dem Markt kommen, die man so nicht akzeptieren darf. Ein deutscher Unternehmer ohne polnische Niederlassung kann bei Löhnen von 3, 4 oder 5 Euro die Stunde nicht mithalten.“ So Herr Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit.
Es ist bezeichnend, dass ebendieser Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit die aus der Arbeitnehmerfreizügigkeit resultierenden Gefahren offen beim Namen nennt, während die Staatsregierung vor den dramatischen Auswirkungen auf den sächsischen Arbeitsmarkt die Augen verschließt, ja sogar permanent noch mehr ausländische Arbeitsplatzkonkurrenten und Lohndrücker ins Land holen will. Das ist nach Auffassung der NPD arbeitnehmerfeindlich, es ist arbeitslosenfeindlich, es ist volksfeindlich, aber leider das Regierungsprogramm bei Tillich und Co.
Von totaler Ignoranz gegenüber den Arbeitsmarktfolgen zeugte übrigens auch die Regierungserklärung von Wirt
schaftsminister Morlok, die der Landtag im Januar über sich ergehen lassen musste. Bekanntermaßen sind Herr Morlok, der Ministerpräsident und der Innenminister nicht nur glühende Befürworter der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union, sondern Propagandisten genereller Zuwanderungserleichterungen.
Ausgerechnet der Freistaat Sachsen will über eine Bundesratsinitiative nun für eine massive Ausweitung des Aufenthaltsrechts von Ausländern sorgen und damit eine neue Lohndrückerwelle über das Land schwappen lassen. Dieses Vorhaben ist nach unserer Auffassung allerdings eine grobe Verletzung des Amtseides, den die Minister des Kabinetts Tillich geleistet haben. Sie wollen einfach nicht zur Kenntnis nehmen, dass die offizielle sächsische Arbeitslosenquote im Januar deutlich auf 12,3% gestiegen ist und dass es in Sachsen laut „Sächsischer Zeitung“ 421 000 Arbeitssuchende gibt, wenn zu den frisierten Zahlen – wir sprachen vor einigen Stunden bereits darüber – die Ein-Euro-Jobber, Frührentner, Umschüler und ABM’ler und viele andere, die unterbeschäftigt sind, hinzugerechnet werden.
421 000 Sachsen sind arbeitssuchend, und die Staatsregierung will allen Ernstes unter dem Vorwand eines angeblichen Fachkräftemangels weitere Ausländer nach Sachsen lotsen. Das ist nach Auffassung der NPD sozialer Verrat am eigenen Volk.
Wenn man dann noch bedenkt, dass Polen mit einer offiziellen Arbeitslosenquote von mehr als 13 % zu den EU-Ländern mit der höchsten Arbeitslosigkeit gehört und in den meisten ostpolnischen Regionen sogar Arbeitslosenquoten von mehr als 20 % herrschen, dann ist glasklar, was auf den Freistaat Sachsen und seine Menschen nach dem 1. Mai dieses Jahres zukommt und wie verantwortungslos die “Grenzen-auf“-Politik der Staatsregierung ist.
Die Illusion, durch Arbeitnehmerfreizügigkeit Fachkräfte zu gewinnen, wird auch in Sachsen schon bald zerplatzen. Es lohnt sich ein Blick auf die britischen Statistiken nach der dortigen Einführung der Freizügigkeit. Wer ist zugewandert und in welchen Tätigkeitsbereichen werden diese Fremden in Großbritannien eingesetzt? Nun, 82 % der nach Großbritannien Zugewanderten arbeiten als Fabrik- und Lagerarbeiter, Verpacker und Beschäftigte im Transportwesen, und weitere 11 % der Osteuropäer verdingen sich auf der Insel als Servicekräfte für das Hotel- und Gaststättengewerbe. Statt der erhofften Fachkräfte kamen also Lohndrücker und Sozialfälle nach Großbritannien.