EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit einseitig aufkündigen – Sächsische Bauwirtschaft vor ruinöser Konkurrenz schützen
Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde: NPD, CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, GRÜNE, Staatsregierung, wenn gewünscht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist knapp sechs Jahre her, dass Oskar Lafontaine in Chemnitz auf einer Montagsdemonstration seine berühmte Rede hielt, in der er unmissverständlich vor der Zerstörung nationaler Arbeitsmärkte warnte. Lafontaine sagte damals – ich zitiere –: „Der Staat ist verpflichtet, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Er ist verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen.“
Diese Aussage aus Lafontaines legendärer Chemnitzer Rede ist bis heute uneingeschränkt richtig, auch wenn Lafontaine sich in den Folgejahren leider nie mehr zu einer so eindeutigen nationalen Aussage bekannte und die Linkspartei mit in den Chor der etablierten Parteien einstimmte, sich für die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit starkmachte und damit die Interessen der arbeitenden Menschen in Deutschland verriet.
Da wieder einmal weder die Gewerkschaften noch die deutsche Linke entschlossen genug Widerstand gegen die drohende EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit leisteten, markiert das Datum des 1. Mai 2011 wohl einen weiteren Meilenstein bei der Zerstörung der europäischen Nationalstaaten und des sozialen Friedens. Der deutsche Mit
telstand und die deutschen Arbeitnehmer werden in einen ruinösen Wettbewerb getrieben, bei dem der Anbieter gewinnt, der die geringsten Löhne zahlt und die schlechtesten Sozialstandards bietet; denn der 30. April 2011 wird der letzte Tag sein, an dem Beschränkungen zur sogenannten Arbeitnehmerfreizügigkeit für Staatsangehörige der sogenannten EU-8 existieren werden. Bei diesen EU-8 handelt es sich um jene acht mittel- und osteuropäischen Staaten, die am 1. Mai 2004 der Europäischen Union beigetreten sind: Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn.
Polnische Putzfrauen und Bauarbeiter oder litauische Autohändler – sie alle können ab Mai hier einfach ihren Geschäften nachgehen und werden damit eben auch Druck auf das deutsche Lohngefüge und den deutschen Arbeitsmarkt ausüben. Laut einer aktuellen Umfrage der polnischen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ warten bereits jetzt über eine halbe Million Polen in den Startlöchern, die beabsichtigen, ab dem 1. Mai gen Westen aufzubrechen und sich in der Bundesrepublik auf Arbeitssuche zu begeben. Hier werden sie ja ganz sicher von den Großkonzernen mit offenen Armen empfangen werden – darauf spekuliert vielleicht auch unser Wirtschaftsminister –, während der Mittelstand und die kleine und mittelständische Bauwirtschaft dem Termin mit größten Sorgen entgegensehen.
Dies wurde auch auf dem Parlamentarischen Abend deutlich, den der Zweckverbund Ostdeutscher Bauverbände am 27. Januar in Berlin gab und der sich schwerpunktmäßig der drohenden Arbeitnehmerfreizügigkeit widmete. Ich fand es schon etwas befremdlich, dass ich als einziger sächsischer Landtagsabgeordneter auf diesem
Parlamentarischen Abend des Zweckverbundes anwesend war, obwohl sicherlich der gesamte Wirtschaftsausschuss und der gesamte Haushalts- und Finanzausschuss zu diesem wichtigen Termin geladen waren und sich dort wirklich einmal hätte erkundigen können, welche Sorgen in der kleinen und mittelständischen Wirtschaft vor der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit existieren. Aber diese elementaren Fragen scheinen – –
Herr Schimmer, ich möchte keine Zwischenfrage stellen. Ich möchte nur feststellen, dass ich an diesem Abend – –
Die Sitzungsleitung habe ich hier. Sie können ablehnen oder nicht. Ich frage Sie noch einmal: Möchten Sie am Mikrofon 6 eine Zwischenfrage stellen?
Dann waren Sie vielleicht auch da. Ich hoffe aber, dass Sie die Ohren gespitzt und wirklich das gehört haben, was dort an Skepsis, an Kritik, an Angst vor der EUArbeitnehmerfreizügigkeit artikuliert wurde. Letzten Endes bringt es überhaupt nichts, wenn Sie nur körperlich anwesend sind, aber dann die Sorgen und Ängste dieser mitteldeutschen Bauunternehmer nicht hier ins Parlament tragen, sondern einfach nur betonköpfig auf dem falschen Kurs der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit weiterfahren.
Der mit rund 2 600 Mitgliedsbetrieben und circa 18 000 dort beschäftigten Arbeitnehmern größte ostdeutsche Bauverband befürchtet zu Recht, dass mit dem Abbau der letzten Zugangsbeschränkungen zum deutschen Arbeitsmarkt auch viele osteuropäische Unternehmen auf den Markt drängen, die aufgrund ihrer erheblich geringeren Steuer- und Abgabenlast konkurrenzlos günstig sind. Der so entstehende ruinöse Wettebewerb wird vor allem für kleinere Baubetriebe zu einem weiteren Preisdruck nach
unten und damit zu weiteren Unternehmensinsolvenzen und steigender Arbeitslosigkeit in der Baubranche führen.
Ein großes Frohlocken herrscht allerdings unter osteuropäischen Zeitarbeitsunternehmen, die wegen der kommenden Arbeitnehmerfreizügigkeit schon ihren Raps blühen sehen und in den Startlöchern stehen, um einen schwunghaften modernen Sklavenhandel zu organisieren. Wie das Fernsehmagazin „Report“ in seiner Sendung vom 30. November 2010 berichtete, sollen in Ostpolen Wanderarbeiter für den unfassbar niedrigen Stundenlohn von 2 Euro – das müsste jetzt eigentlich auch die Linkspartei interessieren – von Zeitarbeitsfirmen angeworben und dann in Deutschland zum Einsatz gebracht werden.
Der deutsche Zeitarbeitsunternehmer Norbert Fuhrmann, der solche Umtriebe, die man eigentlich nur als kriminell bezeichnen kann, nicht hinnehmen will und deshalb die Initiative „Qualitätssiegel Zeitarbeit“ gegründet hat, äußerte in einem Interview in der gleichen Sendung – ich zitiere –: „Wenn jetzt die Öffnung kommt ab dem 1. Mai 2011, dann haben wir es natürlich auch mit ganz niedrigen Tarifverträgen aus Polen, Tschechien, wo auch immer, zu tun. Hier wird ein möglicher Drehtüreffekt – deutsche Arbeitnehmer raus, polnische Arbeitnehmer rein – entstehen.“
Erstes Opfer des von der Brüsseler EU-Diktatur in Gang gesetzten Verdrängungswettbewerbs werden die sächsischen Leiharbeiter sein. Angesichts von Stundenlöhnen zwischen 1,80 und 5 Euro, die polnischen Leiharbeitern gezahlt werden, ist der Kampf um die Arbeit für die mehr als 40 000 sächsischen Leiharbeiter schon verloren. In ihrer endgültigen Konsequenz bedeutet die Umsetzung der EU-weiten Arbeitnehmerfreizügigkeit somit nicht nur eine Verschärfung der Konkurrenzsituation, sondern auch eine Dynamisierung der Billiglöhne nach ganz, ganz unten. Gerade die grenznahen Regionen Sachsens, in denen das Lohnniveau schon jetzt sehr, sehr tief liegt, wird es am härtesten treffen.
Selbst der in seiner Amtszeit nicht allzu glücklich agierende frühere Ministerpräsident Georg Milbradt hat in der Frage der Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit mehr Volksnähe gezeigt als die neoliberalen Vollstrecker der jetzigen schwarz-gelben Staatsregierung. In einem Interview mit der „Saarbrücker Zeitung“ vom August 2007 betonte Milbradt, dass die Freizügigkeit zuvor sozialpolitisch, beispielsweise durch Einführung eines Kombilohnsystems, abgesichert werden müsse. Zudem konnte sich Milbradt zu der klarsichtigen Analyse durchringen, dass eine einfache Öffnung der Grenzen nur hieße, der NPD neue Stimmen zuzuführen. Da uns das Wohl des deutschen Volkes am Herzen liegt, wollen wir Nationaldemokraten auf eine solche, vom früheren Ministerpräsidenten Milbradt skizzierte Wahlkampfhilfe gern verzichten.
Für uns von der NPD ist klar: Die Arbeitnehmerfreizügigkeit fügt den deutschen Arbeitnehmern schweren Schaden zu. Sie fügt der deutschen Bauwirtschaft und dem deutschen Mittelstand schweren Schaden zu. Sie fügt dem deutschen Arbeitsmarkt schweren Schaden zu. Sie nützt
allenfalls dem Großkapital und einigen absolut skrupellosen Zeitarbeitsfirmen, die einen modernen Sklavenhandel in Gang setzen wollen. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit schafft beste Rahmenbedingungen für Lohndrückerei und Dumpingwettbewerb. Mehr noch: Die Arbeitnehmerfreizügigkeit schafft entwurzelte Arbeitsnomaden und degradiert Menschen zu verschiebbarem Humankapital.
Dem rücksichtslosen Gewinnstreben einflussreicher Großkonzerne und moderner Sklavenhalter muss deshalb mit aller Entschiedenheit entgegengetreten werden. Um es klar zu sagen: Für uns von der NPD ist es nicht der ungarische oder polnische Arbeiter, der die Schuld an der verhängnisvollen Entwicklung trägt, sondern die nationsvergessene und neoliberale politische Klasse, die ihr Globalisierungsvorhaben auf dem Rücken der deutschen Beschäftigten durchpeitscht. Diesem volksfeindlichen Treiben kann man nur durch Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns und einer einseitigen Aufkündigung aller EU-Verträge zur Arbeitnehmerfreizügigkeit begegnen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, dass Sie, meine Damen und Herren von der NPD-Fraktion, keine Gelegenheit verpassen, sich in diesem Hohen Hause gegen den europäischen Gedanken zu wenden.
Sie nutzen jede Gelegenheit, diesen europäischen Gedanken mit Ängsten, Halbwahrheiten und Verdrehungen zu torpedieren. Ich darf Ihnen dazu einiges in Erinnerung rufen.
Mit dem Beitritt zur Europäischen Union gelten für alle Bürger der neuen Mitgliedsstaaten und aller EU-Staaten grundsätzlich das Gemeinschaftsrecht und die Personenfreizügigkeit. Die Niederlassungsfreiheit, die Dienstleistungsfreiheit, die Warenverkehrsfreiheit und die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs sind die vier Grundfreiheiten der Europäischen Union. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen ist eine der Grundfreiheiten des europäischen Vertrages zu den verfassungsrechtlichen Säulen des bestehenden Gemeinschaftsrechtes. Sie wollen mit all Ihren Anträgen genau diese von mir eben zitierten Freiheiten verhindern bzw. einschränken. Das ist Ihr Ansinnen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der NPD-Fraktion.
Nun haben wir in der gesamten Europäischen Union durchaus unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungen und Ausgangslagen festzustellen, die Übergangsregelungen notwendig machten und teilweise heute noch not
wendig erscheinen lassen. Mit dem 1. Mai 2011 kommt es auch in Deutschland zur Aufhebung der Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für mittel- und osteuropäische Länder. Sie aber vermitteln mit Ihrem Antrag den Bürgern, als würde ab Mai 2011 ein rechtsfreier Raum gelten.
Das ist mitnichten so. Ich darf Ihnen folgende Punkte, die auch nach dem 30.04.2011 gelten, in Erinnerung rufen.
Erstens. Die Einsätze auf Baustellen, die länger als 4 Wochen dauern bzw. regelmäßig ausgeübt werden, müssen dem örtlichen Gewerbeamt gemeldet werden.
Herr Heidan, würden Sie mir zustimmen, dass gerade im Bereich der Zeitarbeit eben nichts geregelt ist und dass es nach dem 1. Mai 2011 legal sein wird, dass Entsandte von osteuropäischen Zeitarbeitsfirmen zu deutlich niedrigeren Löhnen auf dem deutschen Arbeitsmarkt aktiv werden können als die deutschen Arbeitnehmer und dass deswegen sehr viele kleine deutsche Unternehmen und auch Bauarbeiter um ihre Existenz zittern?