Protocol of the Session on February 9, 2011

Tagesordnungspunkt 8

Regierungserklärung zum Thema: „Umzugskonzept statt sogenannter Staatsmodernisierung – Welche Evaluierungen, Annahmen und Erwartungen hat die Staatsregierung?“

Drucksache 5/4802, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Meine Damen und Herren! Die Fraktionen können wie folgt Stellung nehmen: GRÜNE, CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, NPD und die Staatsregierung, wenn sie das Wort hierzu wünscht. Wir beginnen mit der Aussprache. Zunächst spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abg. Jähnigen. Sie haben das Wort.

(Unruhe im Saal – Glocke des Präsidenten)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorhin zur Aktuellen Debatte hat Herr Staatsminister Dr. Martens die Einigkeit über die Ziele der Staatsreform so beschworen: Schlanker und bürgernäher soll der Staat werden – also: höchst beweglich. Gleichzeitig hat in den Reden der Fraktionen das Dreieck aus den Kollegen Flath, Rohwer und Zastrow geradezu beschwörend den notwendigen Anpassungsprozess an die zurückgehenden Einnahmen des Landes geschildert; und wenn man sich diese Ziele vor Augen führt, dann sind es durchaus widersprüchliche Ziele für die praktische Behördenarbeit, vor allem dann, wenn man sich nicht klar darüber ist, welche Mittel man zur Erreichung dieser Ziele anwenden will.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie sagen, die Verwaltung soll effizienter werden. Sie soll viel mehr EGovernment anwenden, sie soll aber gleichzeitig auch – völlig neu – an dezentralen Standorten konzentriert werden und kräftig umziehen. Da ist es schon überraschend, dass Sie ein dezentrales Standortkonzept an den Anfang dieses angeblich großen Wurfes der sogenannten Staatsmodernisierung stellen, wo es doch eigentlich erst am Schluss stehen könnte. Sie haben Ihr Ziel, in den Medien – vor allem regional – gelobt zu werden, sicherlich erreicht. Das Ziel, eine realitätstaugliche Analyse vorzulegen, haben Sie bis heute nicht erreicht.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Das hat er ja nicht gehabt!)

Wir haben das Ziel, denn wir wollen eine Staatsmodernisierung. – Ich habe nicht gesagt, dass es sein Ziel war, lieber Herr Kollege Dr. Hahn.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Ja, wir auch!)

Wir sind uns über die Grundlagen, mit denen Sie arbeiten, nach wie vor nicht im Klaren. Ich möchte das an einigen Beispielen schildern.

Erstens wird immer unterstellt, sinkende Einwohnerzahlen zögen auch sinkende Aufgaben nach sich.

(Staatsminister Dr. Jürgen Martens: Nein!)

Wie alle wissen – der Staatsminister ruft gerade „Nein“ –, gilt das nicht automatisch, Beispiel: steigende Anzahl von Gerichtsverfahren bei den Sozialgerichten. Zweites Beispiel: Ausweitung der Einkommensteuerpflicht auf Rentnerinnen und Rentner, steigende Verfahrenszahlen. Ein Trugschluss also, das automatisch anzunehmen.

Zweitens – sinkende Einwohnerzahlen als Kriterium für die Polizeiarbeit, Polizei in der Fläche. Uns fehlen nach wie vor die Kriterien, nach denen die Staatsregierung die Polizeiarbeit reformieren will. Die Interventionszeiten, die Grundlage des Konzeptes gewesen sind, kennt das Parlament überhaupt nicht. Auf Seite 11 werden sie erwähnt. Aber wir kennen sie nicht, auch auf Rückfrage werden sie nicht gesagt. Das angebliche Polizeimodernisierungskonzept ist lediglich ein Polizeiorganisationskonzept, und wenn man sich anschaut, wie seit der Polizeireform 2005 mit Polizeistandorten umgegangen wird, fühlt man sich wirklich sehr an die „Reise nach Jerusalem“ erinnert: Bei jeder Runde fällt einer weg, man läuft immer schneller und es gibt immer weniger Präsenz vor Ort.

Aber nein, die Regierungskoalition hat in der Aktuellen Debatte ihre Hoffnungen geschildert – besonders die Kollegen von der FDP –, dass dann, wenn es weniger Standorte gibt, die Polizisten weniger in Schreibstuben sitzen und viel mehr vor Ort sein werden. Da muss ich Sie ernüchtern: Auf Seite 20 des vorgelegten Polizeiorganisationskonzeptes lesen Sie, dass es im Jahr 2020 null Streifenbeamte mehr – also keine Steigerung – und genau 20 Postenbeamte mehr geben soll. Die erhebliche Steigerung wird also in Ihrem eigenen Konzept nicht angenommen.

Dazu kommt, dass die Analysen, die dem zugrunde liegen – dort kennen wir sie wenigstens ansatzweise, Herr Staatsminister –, davon ausgehen, dass die Kriminalität, besonders die Verkehrsunfälle, weiter signifikant zurück

gehen. Für die Verkehrsunfälle stimmt das ja nicht, diese nehmen teilweise zu; und es wird angenommen, dass man, verbunden mit dem Altersabbau bei der Polizei, vor allem Führungskräfte abbauen wird. Wie das zusammentreffen soll und ob es in diesem Maße überhaupt möglich ist, bleibt dieses Konzept schuldig.

Das Ergebnis wird natürlich weniger Präsenz in der Fläche sein; denn die Präsenz der Polizei in der Fläche des Landes ist bereits jetzt lückenhaft, wie in der Antwort auf die Kleine Anfrage unserer Fraktion nachgewiesen wurde.

Kommen wir damit zum Stellenabbau überhaupt. Nicht dass unsere Fraktion ihn pauschal ablehnt oder befürwortet; uns interessiert erst einmal, bevor wir über diesen erheblichen weiteren Stellenabbau sprechen wollen, wie Sie die Altersabgänge in der Verwaltung bewältigen wollen und wie Sie angesichts des Durchschnittsalters der sächsischen Verwaltung verhindern wollen, dass wir in zehn, 20 Jahren ohne Neueinstellungen in der Verwaltung ein Alterungsproblem haben. Haben Sie überhaupt Ansätze für ein Personalentwicklungskonzept? Und wie wollen Sie eigentlich die Menschen in dieser „schlanken, effizienten, dienstleistungsorientierten“ Verwaltung motivieren, wenn Sie sie mit einem Umzugskonzept vor vollendete Tatsachen stellen, hinterher großspurig sagen, die können sich ja dazu noch zu Wort melden, und sich 4 000 betroffene Mitarbeiter fragen, wann sie denn gefragt werden sollen?

Das motiviert nicht. Das ist keine klare Führung, das ist keine klare Zielsetzung. Offensichtlich wurde im Vorfeld die Debatte gescheut. Auch hierzu fehlen die realen Grundlagen.

Nehmen wir die Fusion der Landesdirektionen. Ich habe schon zur Aktuellen Stunde geschildert, dass wir glauben, dass das von Ihnen verfolgte Konzept Staatszentralisierung statt Staatsmodernisierung bedeutet. Mit Interesse habe ich zur Kenntnis genommen, dass es in der Koalition verschiedene Vorstellungen über den weiteren Umgang mit den Landesdirektionen gibt. Es soll nach der Fusion eine Aufgabenanalyse geben und es soll vielleicht ganz andere Konzepte geben. Ich bin gespannt, ob Sie das noch konkretisieren.

Man muss doch aber wenigstens Ansätze eines Fahrplanes haben und sagen, welche Außenstellen von welchen Verwaltungen unbefristet, befristet bzw. wie lange befristet sind, um dort Klarheit hineinzubringen. Das alles bleiben Sie uns schuldig!

Schließlich in meiner Liste zuletzt genannt, aber nicht dem Wert nach: Wo bleiben denn die erhofften Effekte der Verwaltungs- und Funktionalreform und die Grundlage, auf denen Sie, Herr Minister, der Opposition eine Beteiligung angeboten haben? Sie haben sich vorhin auf die Ergebnisse der Enquete-Kommission und auf die Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung berufen. Diese haben sich mit den Folgen des demografischen Wandels beschäftigt, sie haben doch aber nicht die Verwaltung als solche analysiert.

Ferner haben Sie gesagt: Die Verwaltungsreformen müssen die Kommunen evaluieren. Mein Gott, diese kauen ja noch an den Folgen. Das Rechnungsprüfungsamt meiner Heimatstadt Dresden hat festgestellt, dass 57 % der vom Freistaat übernommenen Beamten nicht einmal eine Stellenbeschreibung hatten. Das ist inzwischen alles nachgeholt worden. Zum Evaluieren ist die Landeshauptstadt noch nicht gekommen. Evaluieren müssen Sie, wenn Sie behaupten, dass Ihre Reform weitere Effizienzgewinne bringen könnte. Sonst bleibt es eine Behauptung. Der Freistaat Sachsen hat nicht geliefert. Das ist kein Problem der Stadt Dresden.

Wir wollen die Analyse der tatsächlichen Effekte voranstellen. Wir beobachten, dass zum Beispiel durch die Funktionalreform die Arbeitsqualität in den Umweltbehörden beachtlich abgenommen hat. Wir wollen die Grundlagen wissen. Sie sind uns das als Regierung schuldig, der Volksvertretung wie auch der Öffentlichkeit und den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Nur so wird ein Schuh draus.

Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. Zäumen Sie das Pferd nicht von hinten auf, sonst läuft es in die falsche Richtung!

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wir fahren fort in der allgemeinen Aussprache. Für die CDUFraktion spricht der Abg. Marko Schiemann. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hätte mir gewünscht, dass die Einreicherin ein bisschen deutlicher erklärt, warum Sie diesen Antrag hier vorgestellt hat. Über den Inhalt habe ich nicht sehr viel erfahren. Es war eher eine Wiederholung der Ausführungen in der Aktuellen Stunde, die wir heute Vormittag zur Kenntnis nehmen konnten.

(Holger Mann, SPD: Überraschung!)

Nein, keine Überraschung. Ich habe es fast vermutet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Die Staatsregierung hat am 16. März 2010 den Startschuss für eine Staatsmodernisierung gegeben. Ziel ist es, tragfähige Strukturen zu schaffen, damit Sachsen auch künftig eine Verwaltung besitzt, die leistungsstark, effizient sowie bürger- und unternehmerfreundlich ist. Sachsen will so seine Leistungsfähigkeit weiter steigern, damit die Wettbewerbsfähigkeit gesichert wird.“ – Das ist das Zitat einer Verlautbarung der Staatsregierung, dem sicherlich auch meine Vorrednerin zustimmen könnte, denn ich habe vernommen, dass anerkannt wird, dass es zu einer Veränderung kommen wird und muss, weil die Haushaltsmöglichkeiten gar keine andere Wahl lassen.

Nunmehr hat die Staatsregierung eine Standortkonzeption vorgestellt. Dabei setzt sich die Staatsregierung des Freistaates Sachsen das Ziel, neben den Strukturen der

Verwaltung auch Aufgaben und Prozesse auf den Prüfstand zu stellen. Während in der Aktuellen Stunde von einigen Rednern die Einbeziehung der Betroffenen infrage gestellt wurde, geht die CDU-Fraktion davon aus, dass die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einbezogen worden sind.

Der jetzt in Rede stehende Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wirft eine Vielzahl von Fragen auf, die weit über das hinausgehen, was die Einreicherin hier vorgetragen hat. Ich gehe davon aus, dass diese Fragen in einem Gesetzgebungsverfahren zu beantworten sind. Der Antrag ist dennoch zulässig, ob er sachgerecht und zweckmäßig mit einer Regierungserklärung zu beantworten ist, möchte ich bezweifeln. Eine Regierungserklärung kann keine Alternative für ein transparentes und fachlich nachvollziehbares Gesetzgebungsverfahren darstellen. Für ein solches Verfahren steht die CDUFraktion. Es ist selbstredend, dass sich die Staatsregierung bei einer gravierenden Veränderung den Verfassungsgrundsätzen zu stellen hat. Das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzips und selbstredend auch das Sozialstaatsprinzip sind dabei zu beachten.

Bei der Änderung des Justizgesetzes mahne ich zur Besonnenheit, denn hier handelt es sich nicht um klassische Verwaltungsaufgaben, sondern es handelt sich hierbei um die dritte Staatsgewalt. Das ist mehr, als die zweite Staatsgewalt mit ihrer Verwaltung zu bieten hat.

Die Gerichtsbarkeit – das möchte ich hier betonen – ist in vielen Städten der einzige Ort, an dem der Bürger den Staat noch erleben kann. Ich kann das aus persönlichem Erleben folgendermaßen ergänzen: Meine Heimatstadt Bautzen ist ein wichtiger Motor meiner Heimatregion. Die Schwächung dieser Funktion wird keinen der Nachbarn stärken. Deshalb bleibt für uns ein faires und transparentes Gesetzgebungsverfahren im Fokus, das kritischen Nachprüfungen ausgesetzt wird. Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau Kollegin Jähnigen, muss sich den gleichen Maßstäben stellen.

In der Beratung zum Staatshaushalt 2011/2012 gab es von den GRÜNEN die Aussagen: keine Nettoneuverschuldung, Staatsverwaltung finanzierbar machen, Strukturen der Staatsverwaltung straffen. Sie müssen aber auch sagen, wie Sie die Verwaltungsstrukturen mit den weniger gewordenen Spielräumen finanzieren wollen. Das Thema wird uns in den nächsten Monaten bei unserer Arbeit weiterhin begleiten.

Richtige und faire Antworten zu finden wird zunächst Aufgabe der Staatsregierung sein. Wenn die Regierung davon spricht, dass davon mehr als 90 Gesetze betroffen sind, dann werden Sie verstehen, warum wir eine Regierungserklärung zu diesem Thema als nicht ausreichend ansehen und deshalb Ihrem Antrag unsere Zustimmung nicht geben können.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Für die Fraktion DIE LINKE erhält als nächster Redner Herr Gebhardt das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatsminister Martens, am 22./23. Januar 2008 haben Sie im Sächsischen Landtag die damalige Koalition und die Staatsregierung dafür kritisiert, dass keine Bereitschaft bestand, über die Ergebnisse einer Aufgabenkritik, die Vorstellung und die Leitbilder einer Verwaltungsreform zu diskutieren. Drei Jahre später machen Sie genau dasselbe.

(Zuruf von der FDP: Das stimmt doch gar nicht!)

Sie haben den Abgeordneten zwar per Pressemitteilung vom 28. Dezember 2010 – Herr Bartl sprach heute Vormittag schon einmal davon – angeboten, dass Sie mit uns – ich zitiere – „... in einem regelmäßigen Diskussionsforum über die laufenden Projekte und das weitere Vorgehen der Staatsregierung informieren und in einen gemeinsamen Gedankenaustausch über Ideen und Vorstellungen zur Umsetzung der Staatsmodernisierung eintreten wollen“.

Ich glaube daran nicht! Die erste Chance wäre wohl gewesen, uns in der letzten Sitzung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses in der vergangenen Woche umfangreich zu informieren, nachdem die Medien durch die Staatsregierung am 25. Januar 2011 informiert worden sind.

Sehr geehrte Damen und Herren von der Koalition! Wirklich traurig ist, dass Sie nicht einmal Argumente formulieren, die erklären und begründen, warum Sie die eine oder andere Standortentscheidung getroffen haben. Aber eigentlich will ich heute mit Ihnen gar nicht über diesen oder jenen Standort sprechen, sondern ich möchte deutlich machen, dass Sie wieder einmal den zweiten vor dem ersten Schritt tun.

Sie reflektieren nicht, was die jüngste Strukturreform aus dem Jahr 2008 bislang gebracht hat. Sie analysieren nicht oder nur unzureichend, wie die Behörden und Verwaltungseinheiten bisher arbeiteten und was sie zukünftig leisten sollen oder auch nicht. Sie legen noch nicht einmal eine aktuelle Übersicht über die tatsächliche Behördenstruktur in Sachsen vor. Ohne diese grundsätzlichen Analysen und Auswertungen getätigt zu haben, entscheiden Sie nun aber ad hoc über Schließungen, Verlagerungen und Zusammenlegungen von Ämtern und Strukturen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Verwaltungsbezirke haben sich einst immer danach gerichtet, wie schnell ein Bürger die Verwaltung erreichen konnte. Unter den heutigen Voraussetzungen von Mobilität, Flexibilität und technischem Fortschritt bei der Informations- und Kommunikationstechnik sind nun überwiegend andere Anforderungen an die staatlichen Verwaltungsorganisationen zu stellen; denn heute kann die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger innerhalb kürzester Zeit eine große räumliche Distanz überwinden. Zum anderen stehen nahezu flä