Ich stimme Cornelia Falken zu, dass sicher auch die Berufsschulzentren und erfahrene Ausbilderinnen und Ausbilder in dieser Zeit, gerade was individuelle Förderkonzepte anbelangt, eine größere Rolle spielen könnten, als dies heute der Fall ist.
Ich kritisiere sehr stark, Herr Kultusminister, dass Sie die Schulsozialarbeiter im BVJ gestrichen bzw. eingekürzt haben; denn diese sind dringend notwendig, um den jungen Menschen, die es in dieser Startphase etwas schwieriger haben, die Möglichkeit zu verschaffen, dass sie eine vollwertige Ausbildung bekommen.
Ein vierter Punkt ist mir bei der Berufsorientierung wichtig: das Praxislernen. Wir brauchen Zeit für kontinuierliche Kooperation mit regionalen Unternehmen. Wir haben gute Beispiele – davon konnte ich mich selbst überzeugen –, aber noch viel zu wenige und viel zu umständlich für Schulen und Unternehmen. Es reichen die vierzehntägigen Praktika nicht aus. Betriebe müssen ein Stück begleitend wirken, nicht nur bei der Finanzierung des Berufswahlpasses.
Die Jugendlichen brauchen außerdem Zeit für Reflexion in der Schule. Damit bin ich bei einem ganz zentralen Punkt: Zeit – Zeit auch für den Berufswahlpass. Es ist eben nicht nur das Fach WTH, in dem der Berufswahlpass eine Rolle spielen sollte. Es ist zwar das Schlüsselfach – oder Ankerfach, wie man so schön sagt –, aber es wird ausdrücklich von einem fächerübergreifenden Konzept, von Projektorientierung gesprochen, von Betriebsbesuchen, Gesprächen mit den Eltern usw. usf. Dazu ist Zeit notwendig, Zeit für Lehrerinnen und Lehrer, Zeit für die Schüler, die auch wirklich zur Verfügung stehen muss.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte an einen Punkt anknüpfen, den Cornelia Falken schon genannt hat: Es ist bekannt, dass Eltern, Freunde und Verwandte nach wie vor die wichtigsten Berater sind, wenn es um die Berufsorientierung geht. Daran ändert auch der beste Berufsberater in der Schule nichts. Deshalb
müssen Eltern konzeptionell und direkt in diesen Prozess einbezogen werden. Die Berufsorientierung muss die Alltagserfahrung und auch den Umgang mit Arbeitslosigkeit in der Familie in ihre Konzepte einbeziehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Antrag zum Berufswahlpass schadet nichts; er könnte nützliche Ergebnisse bringen. Ich verstehe nicht, warum man den Minister mit diesem Antrag über das Plenum treiben muss, aber vielleicht ist es ja ganz sinnvoll für die Öffentlichkeit.
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Fach WTH sagen. Ich sehe das Fach WTH als ein Ankerfach für die Berufsorientierung. Es ist aber nicht das einzige Fach, sondern in allen Hinweisen zur Berufsorientierung, zur Nutzung des Berufswahlpasses wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch das Fach Deutsch, das Fach Ethik oder andere in die Umsetzung dessen einbezogen werden sollen und müssen, was mit dem Berufswahlpass erreicht werden soll, gerade wenn es zum Beispiel um die Erstellung von Bewerbungsschreiben geht.
WTH ist aus einer Fehlentwicklung heraus entstanden – die man Gott sei Dank wieder korrigiert hat –, indem man die Fächer Wirtschaft/Technik auf der einen Seite und Hauswirtschaft/Soziales auf der anderen Seite als berufsorientierende Kursfächer getrennt und damit Mädchen und Jungen – teilweise sogar Mädchenschulen und Jungenschulen – bei den Mittelschulen organisiert hatte. Das ist mit dem Fach WTH überwunden – womit wir endlich auch Rollenbilder überwinden können, aber auch eine vollwertige Berufsorientierung im Sinne von sozioökonomischer Bildung haben.
Wenn es aber jetzt nicht gelingt – da kann ich nur dem Antrag der GRÜNEN zustimmen –, noch rechtzeitig neue Lehrer auszubilden, dann ist der Vorrat an Polytechnik- und Werkenlehrern, den wir noch in den Schulen haben, erschöpft. Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, es können auch keine ausgebildeten Gymnasiallehrer, wie es zum Beispiel in Deutsch, Mathematik oder anderen Fächern zukünftig der Fall sein wird, in den Mittelschulen eingesetzt werden, weil es diese Ausbildung nicht einmal ansatzweise im Gymnasiallehramt gibt.
Von daher ist dringender Handlungsbedarf angesagt, um das Fach – da ist Herrn Colditz gar nichts hinzuzufügen – aufzuwerten. Es gibt überhaupt keinen Grund, das als EinFach-Lehrer nach wie vor in dieser unvollständigen Anerkennung zu lassen und damit den Nachwuchs geradezu zu verprellen, und gleichzeitig junge Menschen zu gewinnen, die jetzt in die neue Lehramtsausbildung einsteigen. Der Zeitpunkt ist mehr als überreif, es mit der neuen Lehramtsprüfungsordnung umzusetzen.
Wir werden beiden Anträgen zustimmen, weil sie einen wichtigen Kernpunkt ansprechen, und wir hoffen, dass das Ministerium nicht nur in den Einzelpunkten reagiert, sondern das gesamte Konzept der Berufsorientierung auf den Prüfstand stellt.
Danke, Herr Präsident. – Meine Damen und Herren! Es kommt nicht allzu oft vor, dass zwei Anträge in einem Tagesordnungspunkt behandelt werden, denen sich meine Fraktion, die NPD, anschließen kann. Gemeinsam ist beiden Anträgen, dass sie sich – jeder auf seine Weise – mit der Berufsorientierung der Schüler befassen, mit dem Kennenlernen ihrer Stärken und Interessen – im weitesten Sinne unter dem Motto stehend: Nicht für die Schule, fürs Leben lernen wir.
Der Antrag der Koalition ist dabei ein reiner Berichtsantrag. Um es abzukürzen, weil es schon mehrfach angesprochen wurde, und um aus der Begründung zu zitieren: Es ist auch für uns von Interesse, inwieweit sich der Berufswahlpass als zweckmäßiges Instrument zur individuellen Berufsorientierung erwiesen hat.
Der Antrag der GRÜNEN warf bei uns einige Fragen auf, die ich noch einmal in den Raum stellen möchte; allerdings sind sie schon teilweise in der Debatte beantwortet worden. Es ist eine Tatsache, dass die Mehrzahl der WTH unterrichtenden Lehrer in absehbarer Zeit in den Ruhestand geht. Eratz ist anscheinend nicht in Sicht. Mich würde interessieren: Welche Qualifikationen haben denn die heute das Fach WTH unterrichtenden Lehrer?
Herr Colditz hat es vorhin schon angesprochen. Diese Lehrer im fortgeschrittenen Alter haben ihr Studium noch zu DDR-Zeiten absolviert. Das Fach WTH gab es damals bekanntlich nicht; am Nächsten kamen ihm noch Werken, Schulgarten oder Polytechnik. Vor die Wahl gestellt, in die Arbeitslosigkeit zu gehen oder dieses neue Fach zu übernehmen, mögen sich vielleicht auch manche Lehrer von Fachkombinationen wie Russisch/Geschichte in die neuen Umstände gefügt haben, und vielleicht sind auch einige dabei, die nach der 10. Klasse ein Fachschulstudium für den Bereich Unterstufe absolviert haben.
Das ist völlig in Ordnung, zumal der Erwerb von Zusatzqualifikationen in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein oft gegangener Weg gewesen ist. Viele dieser Lehrer sind also heute noch im Bereich WTH tätig. Besteht eventuell fast das ganze Personal aus solchen Quereinsteigern? Wenn ja, wird man auch künftig diesen Weg weitergehen müssen, und wenn es insgesamt zu wenige Lehrer gibt, werden diese Quereinsteiger aus anderen Bereichen kommen müssen, zum Beispiel Beschäftigte der zahlreichen Bildungsträger.
Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde der Aussprache. Wird eine zweite Runde gewünscht? – Ich sehe keine Wortmel
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte hat gezeigt, dass wir uns alle einig sind, dass eine optimale Berufs- und Studienorientierung entscheidend für die Zukunft der Schülerinnen und Schüler und für die Zukunft der sächsischen Wirtschaft ist. Deshalb hat für die sächsische Staatsregierung eine systematische und flächendeckende Berufsorientierung an sächsischen Schulen einen außerordentlichen hohen Stellenwert. Grundlage dafür ist die sächsische Strategie der Berufs- und Studienorientierung, die 2004, beginnend mit der Einführung der neuen Lehrpläne, strukturell überarbeitet und systematisiert wurde.
Schule und Wirtschaft profitieren von der konsequenten Herangehensweise. Bei dieser Strategie spielt die Einbindung der lokalen und regionalen Wirtschaft eine ausschlaggebende Rolle; denn nur wenn jede einzelne Schule ganz konkret mit Unternehmen ihrer Region zusammenarbeitet, ist gewährleistet, dass einerseits die Berufsorientierung der realen und regionalen Arbeitswelt entspricht und andererseits die Unternehmen den passfähigen Nachwuchs akquirieren können. Daher ist es das mittelfristige Ziel, die Berufs- und Studienorientierung und die dafür erforderliche Zusammenarbeit zwischen Schule und Wirtschaft in Sachsen selbsttragend auf der Ebene der 13 Landkreise und kreisfreien Städte zu entwickeln bzw. zu verstetigen.
Ich möchte an dieser Stelle der SPD- und der FDPFraktion für den ausgelösten Humor danken – Humor ist bekanntermaßen immer erfreulich –, aber dies ist eine ernste Angelegenheit.
Ich möchte an die Landkreise und kreisfreien Städte appellieren, die Zusammenarbeit zum Vorteil der Beteiligten zu intensivieren.
Der zur Sprache gekommene Berufswahlpass ist wichtiger Bestandteil der sächsischen Strategie der Berufs- und Studienorientierung. Er ist Strukturgeber und sichert für jeden Schüler die individuellen Ergebnisse. Er hilft den Schülern dabei, den mehrjährigen Prozess der eigenen Berufs- und Studienorientierung zu organisieren, zu reflektieren und zu dokumentieren. Der Berufswahlpass ist nicht selten eine geeignete Bewerberunterlage, die dem zukünftigen Arbeitgeber dokumentiert, dass man sich mit der Berufswahl hinreichend auseinandergesetzt hat. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass eine intensive Berufsorientierung, die die Chancen der Region aufzeigt, auch dazu beiträgt, dass Schüler, denen es an Motivation mangelt, ein realistisches Ziel für sich selbst erkennen. Für eine Null-Bock-Mentalität gibt es angesichts des Fachkräftebedarfs nicht den geringsten Grund.
Seit dem Schuljahr 2006/2007 wird der Berufswahlpass schrittweise flächendeckend eingeführt. Eigens eingerich
tete Koordinierungsstellen unterstützen die Umsetzung. Die Koordinierungsstellen wollen die flächendeckende Verbreitung des Berufswahlpasses vorantreiben, die regionale Wirtschaft über den Berufswahlpass informieren, die Schulen bei der Erarbeitung eines schuleigenen Konzepts zur Berufs- und Studienorientierung unterstützen. Die Zusammenarbeit zwischen Schule und Wirtschaft mittels Berufswahlpass hat sich wesentlich verbessert. Durch eine enge Kooperation sind die Betriebe in der Lage, ihre Anforderungen transparent darzustellen. So können sie frühzeitig den Kontakt zu potenziellen Auszubildenden aufnehmen, Interesse für die eigene Branche wecken, notwendige Kompetenzen für eigene Berufsfelder fördern und langfristig Ausbildungsabbrüche vermeiden.
Der Berufswahlpass wird mit Stand September 2010 an 79 % der Mittelschulen, 49 % der Gymnasien und 80 % der Förderschulen genutzt. Die flächendeckende Verwendung des Berufswahlpasses ab Klassenstufe 7 wird für das Jahr 2012 angestrebt.
Meine Damen und Herren! Die Berufsvorbereitung ist auch fester Bestandteil der sächsischen Lehrpläne. Damit komme ich zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. An sächsischen Mittelschulen wird in den Klassenstufen 7 bis 9 das Fach Wirtschaft-TechnikHaushalt/Soziales (WTH) gelehrt. Für die Sicherung der Unterrichtsversorgung stehen derzeit insgesamt 981 Lehrkräfte zur Verfügung. Frau Falken, zu Ihren Ausführungen: Es bestehen bereits jetzt enge Kooperationen mit den beruflichen Schulzentren, die natürlich ausbaufähig sind. Darin liegt Potenzial. Wir haben beispielsweise den Praxistag. Es ist also nicht so, dass keine Kooperationen stattfinden würden.
Um im Fach WTH langfristig die Unterrichtsversorgung mit qualifiziertem Lehrpersonal zu gewährleisten, haben Lehrerinnen und Lehrer die Möglichkeit, die Lehrbefähigung im Fach WTH im Rahmen einer berufsbegleitenden Weiterbildung zu erwerben. Dieses Angebot steht allen Lehrkräften regelmäßig jedes Jahr zur Verfügung. Seit der Einführung dieses Programms im Jahr 1993 haben auf diese Weise insgesamt 255 Lehrkräfte die unbefristete Lehrerlaubnis und 157 Lehrkräfte die Lehrbefähigung erlangt. Kollege Colditz hat darauf bereits hingewiesen.
Hinzu kommt, wie der Antrag schon richtig feststellt, dass die Lehramtsprüfungsordnung I neu aufgestellt wird. Im Rahmen dieser Veränderung steht das SMK in intensivem Kontakt mit der TU Dresden in dem Bemühen, das Fach WTH als studiertes Fach der Mittelschule im grundständigen Lehramtsstudium anzubieten. Die Pläne werden so zügig wie möglich umgesetzt. Die Gespräche streben die Aufnahme des Fachs in der Lehramtsausbildung ab dem Wintersemester 2011/2012 an. Damit greifen Maßnahmen, die dem künftigen Bedarf an qualifizierten Nachwuchslehrern im Fach WTH Rechnung tragen.
Meine Damen und Herren! Unsere systematische Berufsorientierung und damit auch der Berufswahlpass ist ein wichtiger und vielversprechender Beitrag zur Fachkräfte
sicherung in Sachsen. Das Fach WTH bereitet unsere Mittelschüler mittels ökonomischer Grundbildung auf ihre Berufswahl vor. Beides trägt erheblich zu einer praxisnahen und zielführenden Berufsorientierung und Berufsvorbereitung bei.
Vielen Dank, Herr Staatsminister Prof. Dr. Wöller. – Meine Damen und Herren! Die Aussprache ist beendet. Wir kommen zu den Schlussworten. Wer spricht für die Koalition? – Herr Abg. Bläsner. Herr Colditz, möchten Sie auch noch? – Herr Bläsner, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte hat gezeigt, welch herausragende Bedeutung das Thema Berufsorientierung hat und dass wir uns darin einig sind, das Thema weiter voranbringen zu müssen. Wir sind uns auch einig, dass der flächendeckende Einsatz des Berufswahlpasses ein sinnvolles Mittel ist, dies zu unterstützen. Herr Colditz hat es vorhin auch schon gesagt: Vor allem bei den Gymnasien sehen wir noch Nachholbedarf.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht darum, den Berufswahlpass nicht nur einfach zu verteilen, sondern mit ihm in den Schulen intensiv zu arbeiten. Die Vielzahl an Informationen und Materialien, die ein Schüler im Laufe der Zeit erhält, muss geordnet werden und soll letztendlich zu einer beruflichen Entscheidung führen. Dafür ist der Berufswahlpass ein sinnvolles und geeignetes Mittel. Ich bin mir sicher, dass viele Schüler in der Vergangenheit froh gewesen wären, wenn sie einen solchen Strukturgeber gehabt hätten.
Ich bitte Sie um Unterstützung, dass der Berufswahlpass zukünftig flächendeckend in ganz Sachsen vorangebracht und eingeführt wird.
Vielen Dank, Herr Bläsner. – Herr Colditz, bitte. Ich bitte um Nachsicht, dass ich die Reihenfolge geändert habe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich bei allen Fraktionen recht herzlich für die sehr sachliche Diskussion, die wir zu diesem Thema geführt haben, bedanken.