Protocol of the Session on May 20, 2010

abgehalten wird oder jeder einmal seine Privatprojekte – Stichwort BA – abfeiert. Zum anderen aber, weil vor allem in den letzten Tagen nicht klar war, was die Regierungskoalition in der Bildungspolitik eigentlich will.

Hier taten sich Widersprüche auf zwischen dem Ministerpräsidenten, der bei Bildung sparen will, und der Wissenschaftsministerin Schorlemer, die vor Kürzungen warnte. Hier wurden Widersprüche offenbart zwischen Stanislaw Tillich, der Bildung billig will, und der CDU-Landtagsfraktion. Kurz gesagt: Sie machen hier derzeit keine gute Figur.

Vor allem wüssten wir, die Sachsen, gern, wohin Sie wollen. Was will diese Regierungskoalition im Feld der Bildungspolitik? Oder ganz konkret: Ist Bildung und Forschung tatsächlich ein Schwerpunkt Ihrer Regierung oder nicht? Wenn ja, wird dies dann auch bei den Haushaltsverhandlungen klar oder bleibt das ein Lippenbekenntnis? Oder noch konkreter: Ist auf das hier in Dresden groß gefeierte Ziel des zehnprozentigen Anteils am BIP noch Verlass oder fallen Sie dahinter zurück?

Zu den widersprüchlichen Aussagen zum Budget und zur Schwerpunktsetzung in Ihren Reden kommt offensichtlich aber auch noch eine mangelnde Abstimmung zwischen der Regierungsfraktion und dem SMWK, denn anders kann ich diesen Antrag nicht interpretieren als ein Misstrauensvotum gegenüber Ihrem eigenen Haus,

(Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Unsinn!)

und dies, weil Sie der Ministerin und Ihrem Haus mit Ihrem Antrag ein so enges Korsett anlegen, dass eine wirklich nachhaltige Hochschulentwicklungsplanung kaum mehr möglich sein wird; denn worauf stellt Ihre Hochschulentwicklungsplanung ab?

Die von Ihnen einseitig geforderte Analyse und Planung sind durchweg defensiv und stellen auf Kürzungen und Einsparungen ab. Es geht Ihnen nicht um eine nachhaltige Entwicklung der Hochschulstruktur, sondern Sie wollen nahezu holzschnittartig Doppelangebote einstellen. Wenn dies die Fortsetzung dessen werden soll, was Sie mit der Lehramtsausbildung gerade vorführen, dann kann ich Ihnen prophezeien, dass die gesellschaftlichen wie ökonomischen Kosten dieses Kahlschlags weitaus höher ausfallen werden.

Zum Zweiten – das ist einer der wenigen fassbaren Punkte in Ihrem Antrag – wollen Sie die Studienplatzkapazitäten der Hochschulen an der Nachfrage des sächsischen Beschäftigungs- und Arbeitsmarktes ausrichten. Hierzu hat Herr Kollege Schmalfuß ja ausführlich doziert. Allein, so frage ich mich, welches Bild von Realität ist dies? Gibt es einen allein sächsischen Arbeitsmarkt für sächsische Absolventen oder ist es nicht vielmehr so, dass sowohl der Arbeitsmarkt für diese Absolventen schon lange national, teilweise international ist und dass auch der Wissenschaftsbetrieb sich vielmehr am nationalen und – im optimalen Fall – auch am internationalen Wettbewerb orientieren muss? Sie haben vorhin ein Bild vorgestellt, als könnte man eine Mauer um Sachsen ziehen und

hier vor Ort bestimmte Strukturen und Kapazitäten planen und dies dann als Quasi-Raster über unsere Hochschulen legen. Mit Verlaub, das halte ich für kein realistisches Bild.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Zum anderen halte ich diese einseitige Orientierung auch für einen Fehler, denn das Angebot muss ja auch den Studierenden schmecken. Insbesondere am Beispiel der naturwissenschaftlichen und technischen Fächer hat sich in den letzten Jahren selbst bei intensivsten Bemühungen gezeigt, dass viel Geld – Sie haben es selbst erwähnt – nicht unbedingt zu einer Steigerung der Absolventenzahlen in diesen Studiengangsrichtungen führte und insofern dem Arbeitsmarkt oder dem Planungsansatz, der sich an dem angeblichen Bedarf des Arbeitsmarktes in Sachsen orientiert, kaum nachgekommen werden kann.

Zum Dritten ist diese von Ihnen als Orientierung für Ihre gesamte Hochschulentwicklungsplanung herausgestellte Arbeitsmarktorientierung nur schwer prognostizierbar und kann zu Fehleinschätzungen führen. Ein gutes Beispiel hierfür war und ist immer noch die Informatikerschwämme in den Mittneunzigern gewesen. Hier wurde über Jahre Werbung für diese Fachbereiche gemacht, und lange, lange Zeit gab es kein Arbeitsmarktangebot für diese gut ausgebildeten Fachkräfte.

Vor allem aber stellt Ihr Antrag dem maßgeblichen Problem Sachsens, nämlich einem Fachkräftemangel, der nicht nur in den technischen und naturwissenschaftlichen Fächern besteht, entgegenzuwirken und mehr Menschen zu einem Studium und zu einem Abschluss zu bringen, kein kohärentes Konzept entgegen. Hierzu gehört eine Analyse, die danach fragt, wie man mehr Studierende zu einem Studium bringen kann, als die von Ihnen hier angegebene demografische Entwicklung voraussehen lässt, und wie man Angebote so schneidet, dass es möglich ist, Menschen, die zum Beispiel über eine Berufsqualifizierung zum Studium kommen könnten oder die in Teilzeitstudium aufnehmen würden, stärker in ein Studium zu bringen. Diese Ansätze fehlen in Ihrem Antrag, im Entschließungstext vollkommen. Deswegen haben wir zusammen mit der Fraktion GRÜNE einen Änderungsantrag gestellt, den ich dann gern nach der Generaldebatte vorstelle.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Die Fraktion GRÜNE; Herr Dr. Gerstenberg, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich ausdrücklich, dass nunmehr auch die Koalitionsfraktionen die Hochschulentwicklungsplanung auf die Tagesordnung gesetzt und dass sie endlich gemerkt haben, dass die Zeit drängt, denn in genau 255 Tagen läuft die seit 2003 geltende Hochschulvereinbarung aus.

Bereits im Frühjahr 2009 hatte unsere Fraktion eine klare Haltung des Landtages eingefordert. Damals schon war allen klar, dass zusätzlich zu den auslaufenden Solidarpaktmitteln auch die Folgen der Finanzkrise und der Sachsen-LB-Pleite zu schultern sind. Auch die Rahmenbedingungen des Hochschulpaktes 2020 mit allen seinen Mängeln waren beschlossene Sache. Es war also der richtige Zeitpunkt, den Hochschulen eine berechenbare Perspektive zu geben.

Frau Dr. Stange, es wäre Ihr größtes und bleibendes Verdienst als Wissenschaftsministerin gewesen, wenn Sie eine neue Hochschulvereinbarung rechtzeitig vor der Wahl in trockene Tüchern gebracht hätten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Stattdessen sind die Hochschulen bis heute im Unklaren geblieben. Die Leidtragenden dieser Fehleinschätzung sind die Wissenschaftler und die Studierenden.

Unsere Position war und ist klar: Der Gesamtumfang der Finanzierung und die Stellenausstattung der Hochschulen – über 18 000 Stellen und um die 2 200 Professuren – sollen auch nach 2010 mindestens im jetzigen Umfang erhalten werden. Das ist weder billiger Populismus noch ein leichtsinniger Wechsel auf die zukünftigen Staatsfinanzen. Das ist eine klare Prioritätensetzung für Lehre und Forschung, für den Bereich, der die Grundlagen für die weitere gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung in Sachsen legt.

Die Anhörung im Wissenschaftsausschuss zu einem entsprechenden Antrag unserer Fraktion hat uns eindeutig in dieser Haltung bestätigt. Nach einhelliger Auffassung der Hochschulen gehen weitere Kürzungen unmittelbar an die Substanz. Bevor über Veränderungen entschieden werden kann, muss erst einmal, so der Rektor der TU Dresden, eine „hochschulpolitische Vision des Landes bestehen“. Diese Vision muss sich klar daran ausrichten, wohin der Freistaat in seiner gesamten Entwicklung will. Ich nenne einige Beispiele.

Erneuerbare Energien sind ein zentraler Wachstumsmotor der sächsischen Wirtschaft. An dieser Stelle kann ich mir eine deutliche Profilstärkung in Freiberg und Dresden vorstellen, bei der man wiederum offen diskutieren muss, ob die derzeitigen Forschungsaktivitäten bei Kohle und Kernkraft wirklich sinnvoll sind.

Die Universitätsmedizin in Leipzig weist hervorragende Ergebnisse bei Lehre und Forschung auf. Jeder Euro, der dort vom Freistaat investiert wird, holt circa 75 % durch drittmittelintensive Forschungsaktivitäten hinzu und leistet zudem einen Beitrag zur Bekämpfung des Ärztemangels. Hier zu kürzen, wie es derzeit geschieht, ist auch ökonomisch völlig kontraproduktiv.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Weitere Bereiche sind die Erzieher- und Lehrerausbildung. An dieser Stelle stimme ich dem Koalitionsvertrag ausnahmsweise einmal zu, wenn er die Studienplatzkapazitäten an der Nachfrage ausrichten will. Dies heißt, hier

muss ein Schwerpunkt liegen, und das nicht nur in Leipzig.

Der vorliegende Antrag beschreibt jedoch nicht eine zukunftsweisende Idee von der sächsischen Hochschullandschaft, sondern er liegt ganz auf der neuen KochTillich-Linie, nach der mehr Geld ja nicht klüger macht.

Werte Kolleginnen und Kollegen von der CDU und der FDP! Ihnen geht es in diesem Antrag nicht um die von den Hochschulen eingeklagte Vision, nicht um die Chancen und Potenziale. Ihnen geht es um Doppel- und Mehrfachangebote und um Konzentrationsmöglichkeiten. Das ist entlarvend. Kollege Schmalfuß, wenn Sie Staatsmodernisierung jetzt damit ausfüllen wollen, dann ist das bezeichnend für die Denkweise der Koalition.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Ich will überhaupt nicht bestreiten, dass Mehrfachangebote hier und da reduziert werden können. Aber bereits mit der letzten Hochschulvereinbarung wurden die Grenzen des Machbaren ausgelotet. Dass bestimmte Fächer an mehreren Hochschulen angeboten werden, ist auch nicht zwangsläufig unsinnig. Innovative Studiengänge und Forschungsprojekte sind kaum denkbar ohne eine Mindestvielfalt an Fächern, die sich gegenseitig befruchten. Wenn Professuren einfach auslaufen und nicht mehr ausgeschrieben und besetzt werden, dann ist Innovation schlecht möglich.

Um Personalbestand und Studierendenzahlen zu erfahren, wie es dieser Antrag verlangt, genügt doch eigentlich ein Blick in die Berichte des Statistischen Landesamtes. Ich will Ihnen aber gern – und das ist informativ – die Tendenz noch einmal nennen. Seit 2003 wurden von 19 500 Stellen 1 200 abgebaut, darunter über 400 von 2 600 Professuren, also ein Sechstel unserer wissenschaftlichen Ressourcen in Sachsen. Gleichzeitig ist die Anzahl der Studierenden um 20 % gestiegen.

Das Ergebnis ist an den Hochschulen deutlich spürbar. Die Betreuungssituation hat sich drastisch verschlechtert. Für die Innovationsfähigkeit und Profilbildung wichtige neue Professuren konnten nicht eingerichtet werden. Die Ausgaben des Freistaates pro Student liegen mittlerweile mit 6 676 Euro unter dem Durchschnitt der deutschen Bundesländer von 7 272 Euro. Die Qualität von Forschung und Lehre hat deshalb insgesamt gelitten, wie nicht zuletzt das mäßige Abschneiden bei der Exzellenzinitiative und die Befragungen zur Studienqualität zeigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ja, es ist richtig, der Freistaat Sachsen muss sparen. Aber für das Hier und Jetzt gilt es Prioritäten zu setzen, und eine solche Entwicklung darf sich nicht fortsetzen.

Die von der CDU-Fraktion in dieser Woche verabschiedeten Haushaltseckpunkte lassen da Schlimmes erwarten. Sie wollen bei Bildung und Wissenschaft sparen und die Investitionsquote weiter hochhalten. Das halten wir für falsch. Die Zeiten für große Infrastrukturmaßnahmen sind endgültig vorbei. Die Investitionen in die Zukunft gehen nicht mehr in Beton, sondern in die Köpfe.

Vergleichen Sie bitte mit anderen Bundesländern, deren Bildungsausgaben und deren Investitionsquote, und Sie werden sehen: Prioritätensetzungen sind möglich, man muss sie nur politisch wollen.

(Beifall des Abg. Michael Weichert, GRÜNE)

Frau Staatsministerin von Schorlemer, ich bin Ihnen ausgesprochen dankbar, dass Sie hierzu in den letzten Tagen eine klare Position bezogen haben. Ja, Bildung ist das Wichtigste, ja, Bildung und Forschung sind kein Selbstzweck. Ich zitiere: „Umfang und Art der Investition in diesen Bereichen entscheiden, wo Deutschland und Sachsen in zehn Jahren stehen werden. Der globale Wettbewerb ist unerbittlich und unsere Innovationsfähigkeit ist die einzige Chance, den Wohlstand zu halten.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Meine Damen und Herren von der Koalition: Folgen Sie Ihrer Ministerin!

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und vereinzelt bei der SPD – Antje Hermenau, GRÜNE: Ja!)

Die NPDFraktion; Herr Abg. Gansel, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag bitten die Fraktionen von CDU und FDP die Staatsregierung einmal mehr um eine Analyse des sächsischen Hochschulstandortes. Wissen ist besser als Nichtwissen, und wenn sich die antragstellenden Fraktionen ernsthaft einen Erkenntnisgewinn von den Antworten der Staatsregierung versprechen, bitte schön.

Die NPD-Fraktion kann sich bei diesem Antrag aber nur enthalten, weil der Antrag an der Oberfläche bleibt und an der Fehlkonstruktion der bundesdeutschen Hochschulpolitik nicht das Geringste ändert. Man sammelt wieder einmal Informationen, die sowieso zu keinen Kurskorrekturen in der fehlgeleiteten Hochschulpolitik führen.

Das Grundproblem ist und bleibt der Bologna-Prozess, der die deutschen Hochschulen unter dem Gleichschaltungsdruck der Europäischen Union in eine Sackgasse geführt hat. Das ist übrigens nicht nur die Feststellung der NPD-Fraktion, sondern auch der Lehrstuhlinhaberin für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Passau, Frau Prof. Dr. Barbara Zehnpfennig. In der Ausgabe 1/2010 der Zeitschrift „Arbeit und Arbeitsrecht“ macht die Wissenschaftlerin unter der Überschrift „Vom Königsweg zur Sackgasse“ Aussagen, die Sie in diesem Landtag von der NPD schon seit einigen Jahren zum Thema Bologna und Hochschule gehört haben.

So schreibt zitierte Professorin unter anderem: „Es ist ein Irrtum zu glauben, die europäischen Bildungsminister hätten eine – ihrem Amt entsprechende – wissenschaftliche Zielsetzung verfolgt, als sie 1999 in Bologna beschlossen, einen einheitlichen europäischen Hochschulraum zu schaffen (...) So wurden die bewährten deutschen Abschlüsse Diplom und Magister zum alten Eisen gewor

fen und Bachelor und Master als vermeintlich zukunftsweisendes europäisches Modell eingeführt (...) Erreicht wurde nichts von dem Erhofften. Der Bachelor ist in den meisten Fällen nicht berufsbefähigend; deshalb drängen immer mehr Studenten in die Masterstudiengänge (...)

Erhöht hat sich dagegen die Zahl der Studienabbrecher, denn die Bedingungen haben sich durch die neuen Studiengänge deutlich verschlechtert (...) Ihre ‚Alma Mater’ ist keine liebevoll nährende Mutter mehr; sie mutiert allmählich zu einer Fast-Food-Versorgungsanstalt, die ihre Zöglinge bisweilen schon fast mit Zwangsernährung beglückt (...) Bologna ist ein Programm für die Masse, das an die Stelle von Bildung Ausbildung, an die Stelle von Selbstständigkeit Aufnahmefähigkeit setzt (...) Als schlechte Kopie des Wirtschaftsbetriebes verliert die Universität ihre geistige Kraft (...) Ob der BolognaProzess im europäischen Interesse war, darüber lässt sich streiten. Im deutschen Interesse war er auf keinen Fall.“ – So Prof. Barbara Zehnpfennig, Lehrstuhlinhaberin für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Uni Passau.

Jedem Wort, jeder Silbe kann die NPD-Fraktion nur zustimmen. Den hochschulpolitischen Scherbenhaufen, vor dem wir heute auch in Sachsen stehen, haben mit Ausnahme der NPD alle auch hier im Landtag vertretenen Parteien zu verantworten, weil sie alle den BolognaProzess seit 1999 begrüßt, gefördert und umgesetzt haben.

(Beifall bei der NPD)

Wird von den Fraktionen weiter das Wort gewünscht? – Herr Prof. Schneider, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den drei Oppositionsrednern abgeben. Gegenstand unseres Antrages ist keineswegs die Richtung auf Standortschließung, auf die Verschlechterung der Betreuungsverhältnisse und Ähnliches.