Protocol of the Session on April 28, 2010

Deswegen ist der direkte Weg über das zwölfjährige allgemeinbildende Gymnasium nicht für jeden der richtige; aber es gibt noch andere Wege. Unser Schulsystem ist so durchlässig und anschlussfähig und damit so schülergerecht, dass wir mindestens zwei Wege zum Abitur haben: den einen Weg, die Autobahn, zwölf Jahre über das Gymnasium, und der andere Weg über die Bundesstraße, zehn Jahre auf der Mittelschule zum Realschulabschluss und weitere drei Jahre im beruflichen Gymnasium. Das sind nicht nur zwei Wege, sondern auch zwei

Geschwindigkeiten und entspricht am besten den unterschiedlichen Talenten und Stärken unserer Schülerinnen und Schüler.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, es geht aber nicht nur um die vertikale Durchlässigkeit – also darum, dass jeder, der einen Abschluss hat, auch einen Anschluss bekommt –, sondern auch um die horizontale Durchlässigkeit, also die Durchlässigkeit zwischen den unterschiedlichen Schularten Gymnasium und Mittelschule. Diese wollen wir weiter verbessern und deswegen haben wir uns dazu verständigt, eine weitere verpflichtende Bildungsempfehlung in der Klassenstufe 6 auf der Mittelschule abzugeben, und zwar deshalb, weil wir sie mit einer intensiven Bildungsberatung versehen und möglichst vielen die Chance geben wollen, nach der Klassenstufe 6 auch noch auf das Gymnasium zu gehen. Das ist nicht nur leistungs-, sondern auch chancengerecht.

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Wir haben in Sachsen nicht nur zwei Wege zum Abitur, sondern auch zwei Geschwindigkeiten. Die geänderte Bildungsempfehlung nimmt keine Abschlüsse vorweg, sie ist auch keine endgültige Festlegung in Bezug auf den weiteren Bildungsweg. Dieser Übergang – das muss man auch einmal sagen, meine Damen und Herren – ist leistungsgestützt. Unser Schulsystem ist deswegen so qualitativ hochwertig, weil wir auf Leistung setzen. Und wenn Sie dieses Leistungsprinzip endgültig aufgeben wollen, dann werden wir in die zweite oder dritte Liga absteigen, und das ist nicht der Weg, den wir gehen wollen.

Wir sind in Sachsen durchlässig, wir sind anschlussfähig und schülergerecht. Diesen Weg wollen wir weiter verbessern im Sinne der Qualität der Bildung und im Sinne eines jeden Schülers – denn jeder zählt für uns.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Kollegin Stange, Sie stehen am Mikrofon. Ich vermute, Sie machen vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch. – Bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich stelle erst einmal fest, dass das Kultusministerium, Herr Wöller, auf meine Nachfrage hinsichtlich der wissenschaftlichen Begleitung und Untersuchung der Wirkung der veränderten Bildungsempfehlung von 2005/2006 keine Daten zur Verfügung hat, sondern lediglich empirische Beobachtungen durchgeführt hat.

Ich stelle weiterhin fest, dass das Kultusministerium nicht zur Kenntnis nimmt, dass die jüngste Studie von Herrn Bos, der ja nun ausgewiesener Wissenschaftler ist, nachgewiesen hat, dass das sächsische Schulsystem an der Schnittstelle zwischen Grundschule und Gymnasium sozial ungerecht ist, und darauf wird es keine Antwort geben durch das Kultusministerium.

Ich stelle weiterhin fest, dass man offenbar plant – denn Herr Wöller hat meine Frage gerade nicht zugelassen; damit muss ich das so unterstellen –, dass der Kompetenztest, der jetzt in Klasse 6 durchgeführt wird, zukünftig dazu genutzt wird, eine klarere Bildungsempfehlung für den Übergang an das Gymnasium zu geben, und dass damit eine höhere Selektionsschwelle eingeführt wird, als wir es bisher im sächsischen Bildungssystem hatten.

(Beifall des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Das war eine Kurzintervention von Frau Kollegin Stange. – Die Reaktion darauf erfolgt durch den Vorredner, Herrn Staatsminister Dr. Wöller.

Ich möchte gern darauf reagieren, weil ich es nicht so im Raum stehen lassen kann.

Zum einen zu den Zahlen. Wir können diejenigen zählen, die vom Gymnasium auf die Mittelschule wechseln, und das sind offensichtlich zu viele. Es sind, die Jahrgangsstufen 5 bis 9 umfassend, im letzten Jahr 1 300. Verehrte Frau Kollegin Stange, das sind 1 300 zu viel, die offensichtlich mit falschen Erwartungen, vielleicht auch, weil sie gedrängt worden sind, aufs Gymnasium gegangen sind und deswegen die Klassenstufe wiederholen mussten oder zurückgegangen sind.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD)

Das Zweite: Wir haben Stichproben erhoben und danach ist es so, dass etwa 4 bis 5 % eines Schülerjahrgangs vom Gymnasium auf die Mittelschule wechseln und dass diejenigen aus der Stichprobe, die mit einer Bildungsempfehlung von 2,5 aufs Gymnasium gekommen sind, 15 % ausmachen, das heißt dreimal mehr als in der Gruppe, die insgesamt vom Gymnasium auf die Mittelschule wechselt.

Noch einmal für Sie: Wenn ich mit einer Bildungsempfehlung von 2,5 aufs Gymnasium komme, dann habe ich eine dreifach höhere Wahrscheinlichkeit, das Klassenziel nicht zu erreichen oder an die Mittelschule zu gehen, und das ist entschieden zu hoch. Deshalb mussten wir darauf reagieren, weil wir den individuellen Misserfolg, die Demotivation einfach in unserem Schulsystem nicht zulassen wollen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. Eva-Maria Stange, SPD, steht zu einer Zwischenfrage am Mikrofon.)

Bitte keine weiteren Zwischenfragen.

Letzter Punkt, meine Damen und Herren, die Studie von Herrn Bos, die wir auch analysieren, missinterpretiert: Sie stellt einen einfachen Zusammenhang zwischen der Herkunft und der Bildungsempfehlung her und klammert fast völlig aus, dass der Übergang ein leistungsgestützter ist. Das heißt, wir stützen die Empfehlung auf die Leis

tungen, und das wird auch so bleiben, sonst können wir die Qualität nicht halten.

Danke.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sehe keinen weiteren Redebedarf. Wir haben vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch gemacht, und diese Debatte ist abgeschlossen.

Wir kommen zu

2. Aktuelle Debatte

Soziale und ökologische Mindeststandards im Öffentlichen Schienen-Nahverkehr durchsetzen – Lohndumping verhindern

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Antragstellerin, die Fraktion GRÜNE, hat natürlich zuerst das Wort. Es schließen sich in der ersten Runde an: CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, NPD. Ich bitte die Einbringerin, Frau Kollegin Jähnigen, zu sprechen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Auf unseren Veranstaltungen zum Nahverkehr in ganz Sachsen hören wir, dass sich die Klagen der Fahrgäste über den Bahnnahverkehr häufen. Touristengruppen fliegen aus den S-Bahnen, weil sie keine Fahrtkarten im Zug kaufen können, Schienenersatz zur späten Stunde fährt verfrüht weg, sodass er de facto nicht erreichbar ist. Es fehlt an Informationen und barrierefreien Angeboten; eine Fahrradmitnahme wird trotz vorhandener Fahrradabteile nicht angeboten.

Ich denke, viele von uns – jedenfalls diejenigen, die sich mit dem Bahnverkehr beschäftigen – werden von ähnlichen Beispielen gehört haben. Immer wieder wird die Kundschaft des öffentlichen Verkehrs verärgert, und immer wieder werden für den öffentlichen Verkehr auch Einnahmen verschenkt, und es ist ganz klar: So kann man keine gute Dienstleistung machen.

Wir wissen: Ohne intakten Bahnverkehr haben wir das Rückgrat im öffentlichen Verkehr nicht, so erfüllen wir nicht unsere Klimaziele und so verbessern wir auch nicht die Einnahmensituation des öffentlichen Verkehrs.

Eigentlich müssten wir im sächsischen Bahnnahverkehr über dieses Problem hinaus sein; denn anders als im Bahnverkehr des Bundes haben wir hier ein klares Besteller-Ersteller-Verhältnis, und es ist an der Zeit, dass anstelle der intransparenten Monopolverträge mit der Deutschen Bahn transparente Verträge durch die Verkehrszweckverbände mit Nahverkehrsunternehmen abgeschlossen werden können, die den Fahrgästen Kundengarantie auf Anschluss, auf Pünktlichkeit, auf Information und auf gute ökologische Dienstleistung garantieren sollten.

Allerdings sind diese noch nicht realisiert. Die EUFahrgastverordnung, die seit einem halben Jahr auch bei uns gilt, läuft ins Leere.

Woran liegt das? Es liegt nicht an den Verkehrszweckverbänden, die sich in ihren Bereichen redlich mühen. Es liegt daran, dass die Regierung ihre koordinierende

Funktion zur Neuordnung dieser Verträge nicht wahrnimmt und sehenden Auges duldet, dass wir im Nahverkehr in den Regionen Sachsens leider noch im Zeitalter der Kleinstaaterei leben. Die Regierung könnte als Geldgeber noch viel mehr tun – mit Empfehlungen, mit Knowhow aus anderen Bundesländern, mit einer gezielten Auswertung der Erfahrungen der sächsischen Verbände –, um zu einer Erhöhung der Nahverkehrsqualität anzuspornen.

Wenn wir zu unserem Nachbarland Sachsen-Anhalt hinüberschauen, sehen wir, was für eine Qualität man durch eine gezielte, konzertierte Politik in wenigen Jahren entwickeln kann. Schauen Sie sich einmal die Homepage des sachsen-anhaltinischen Nahverkehrsangebots an!

Gute Dienstleistungen im öffentlichen Nahverkehr der Bahn – das heißt für uns auch: kein Lohndumping. Gute Dienstleistungen und Lohndumping schließen sich aus! Wir fordern, dass die Zweckverbände wie auch die Landesregierung ihre Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, ausschöpfen. Es gibt gute, juristisch voll ausrecherchierte Vorschläge des Vereins „Mobifair“, wie man Lohndumping bei öffentlichen Ausschreibungen verhindert. Es ist einfach so, dass auf Dauer nicht nur Billigangebote den Nahverkehr wirklich tragen können.

Wir haben großes Verständnis für die Streiks und Beschwerden der Mitarbeiter der Bahnunternehmen und der Gewerkschaften wegen der Arbeitsbedingungen bei der Bahn. Für Zugbegleiter im Spät- und im Nachtdienst ist Sicherheit durch polizeiliche Unterstützung ebenso wichtig wie für die Fahrgäste.

Verständnis haben wir als GRÜNE für die Ausflaggung der Deutschen Bahn überhaupt nicht. Wer im Regionalverkehr und in der Infrastruktur als Konzern den Hauptteil seiner Gewinne einfährt – im Jahr 2008 immerhin 1,5 Milliarden von insgesamt 2,5 Milliarden Euro; ich sage noch einmal: 2,5 Milliarden! – und wer auch noch in der Wirtschaftskrise den öffentlich finanzierten Regionalverkehr als einzige Branche, in der der Umsatz wächst, betreibt, der kann sich nicht mit Billigangeboten aus dem Gefecht ziehen.

Klar, wenn man seine Konkurrenten am Markt, jetzt Arriva, aufkaufen will, dann kann man den Markt in Deutschland nur mit Billigangeboten halten. Das ist völlig

inakzeptabel. Die Probleme, die die Deutsche Bahn Regio jetzt bei den Ausschreibungen hat, sind nicht durch die Zweckverbände, sondern durch die Bundespolitik verschuldet. Die Bundespolitik zwingt die Bahn, ihre Mittel nicht für Reinvestitionen in die Schiene zu verwenden, sondern für Unternehmenskäufe. Das führt zu den Billigangeboten bei uns. Das ist völlig inakzeptabel, und das wird dem Nahverkehr schaden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Redezeit, Frau Kollegin!

Ich komme zum Schluss in der ersten Runde. – Wir brauchen aber auch eine Regierungspolitik, die die Schiene endlich als Wachstumsbranche sieht. Bisher werden hier nur Straßen als Wachstumsbranche geplant. Die neue Wachstumsbranche muss die Schiene sein.

Mehr in der zweiten Runde.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die einbringende Fraktion der GRÜNEN sprach Frau Kollegin Jähnigen. – Es folgt in der ersten Runde Frau Kollegin Springer. Sie spricht für die CDU-Fraktion.