Meine sehr geehrten Damen und Herren, das, was mit der neuen Bildungsempfehlung auf dem Tisch liegt, ist eine Täuschung der Öffentlichkeit und aus meiner Sicht auch eine Täuschung der Schülerinnen und Schüler. Das ist weder leistungsgerecht noch flexibel.
Herr Wöller sagte in einem Interview, nur die individuelle Leistung zähle. Mittlerweile wissen wir, nochmals bestätigt durch eine Studie des Instituts für Schulentwicklungsforschung, dass in Sachsen ein Akademikerkind an der Schwelle von der Grundschule zum Gymnasium bei gleichen kognitiven Leistungen und bei gleicher Lesekompetenz 4,5 Mal bessere Chancen hat, aufs Gymnasium zu kommen, als ein Kind aus einer Arbeiterfamilie oder gar aus einem ungelernten Haushalt.
Sachsen ist spitze, jawohl, hier aber leider traurige Spitze im bundesweiten Vergleich. Ökonomisches und kulturelles Kapital der Eltern ist also nicht nur für die Lesekompetenz entscheidend, sondern ganz entscheidend für die Schullaufbahnentscheidung. Deswegen ist die Schullaufbahnentscheidung in Klasse 4 zu früh, egal mit welcher Bildungsempfehlung.
Die PISA-Studie 2006 hat uns vor Augen geführt, dass in Sachsen mehr als 25 % der Mittelschüler mit 15 Jahren – mit 15 Jahren! – die gleich hohen Kompetenzen besitzen wie zwei Drittel der Gymnasiasten. Diese Schüler haben – da haben Sie völlig recht, Herr Bläsner – nur zu einem ganz geringen Teil überhaupt die Chance, einen weiteren Weg zum Abitur zu schaffen.
Spätestens an dieser Stelle müsste man sich doch im Klaren darüber sein, dass nicht nur die Eltern, sondern – das ist schon zitiert worden – auch viele Mittelschullehrerinnen und -lehrer, viele Grundschullehrer, viele Gymna
siallehrer der Meinung sind, dass wir die Schüler viel zu früh in die verschiedenen Schullaufbahnen einteilen. Sie haben keine Chance zur individuellen Entwicklung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mir erschließt sich überhaupt nicht – und diese Frage konnte Herr Wöller bis heute nicht beantworten –, warum die Bildungsempfehlung in Klasse 4 in dieser Art und Weise verändert wird. Es gibt keinerlei Untersuchungen – bis zum heutigen Tage nicht, zumindest liegen sie uns nicht vor oder sind uns nicht vorgelegt worden –, die besagen, dass die veränderte Bildungsempfehlung vom Jahr 2005/2006 negative Auswirkungen auf die Schule und auf die Schülerinnen und Schüler hat. Es gibt keinerlei nachgewiesene Aussagen dazu.
Wenn jetzt das Fach Sachkunde einbezogen wird – das scheint einigen der bildungspolitischen Fachleute nicht klar zu sein –, bedeutet das, dass dieses Fach zu einem frühen Zeitpunkt, nämlich bereits in der Grundschule, das naturwissenschaftliche Interesse bei den Schülerinnen und Schülern wecken soll, deshalb auch sehr interessengeleitet gestaltet wird und deshalb auch nicht mit harten Zensuren belegt ist, sondern eine prozessorientierte Zensierung unterlegt, die in die Auswahlentscheidung einbezogen wird. Sie schließen nicht aus, Herr Bläsner, dass ein Schüler mit einer Kombination von 2 und 3 in Deutsch und Mathematik und einer 1 in Sachkunde dennoch den Weg auf das Gymnasium schafft. Es erschließt sich also in keiner Weise, welchen positiven Effekt für die Schülerinnen und Schüler diese veränderte Bildungsempfehlung in Klasse 4 zu diesem Zeitpunkt haben soll.
An dieser Stelle noch einmal abschließend zu diesem Punkt: Die Aufteilung in Mittelschule und Gymnasium schafft differenzierte Lernmilieus, die in den folgenden Jahren nicht mehr korrigierbar sind. Das haben mehrere internationale und auch nationale Studien nachgewiesen. Es gibt eben keine wirkliche zweite Chance, wenn man an der Mittelschule die zweite Fremdsprache nicht erlernen kann, wie das heute der Fall ist, und wenn man nicht mit leistungsstarken Schülerinnen und Schülern ein höheres Bildungsniveau anstreben kann.
Also unterm Strich: Die Bildungsempfehlung in Klasse 4 – zur Bildungsempfehlung in Klasse 6 sage ich später noch etwas – bringt keinen einzigen Fortschritt für die Schüler und für das Bildungssystem in Sachsen.
Für die SPD-Fraktion sprach Frau Kollegin Stange. Jetzt spricht für die Fraktion GRÜNE die Kollegin Giegengack.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist unzweifelhaft und mannigfaltig belegt, nicht zuletzt auch durch die PISA-Studie, die die CDU gern wie eine Art Monstranz vor sich her trägt: In Deutschland beeinflusst der Bildungs- und Erwerbsstatus der Eltern die Bildungs
biografie der Kinder wie in kaum einem anderen Land. Deshalb hatten viele große Hoffnung bei dem Eintritt der SPD 2004 in die Koalition; denn für die CDU schien das kein großes Problem zu sein, und die SPD hatte schon über Jahre gleiche Bildungschancen für Kinder auf ihrer Agenda.
Was die Koalition allerdings auf den Weg brachte und die neue Koalition jetzt wieder rückgängig macht – nämlich lediglich den Notendurchschnitt für den Zugang zum Gymnasium zu senken –, habe ich persönlich als enttäuschend empfunden, weil es der eigentlichen Sache nicht wirklich hilft, gleiche Bildungschancen für alle Kinder zu schaffen. Ich denke, es ist eher geeignet, unter Umständen die negativen Effekte der Gliedrigkeit unseres Bildungssystems zu verschärfen.
Werte SPD, Sie wollten – so findet es sich in Ihrem Wahlprogramm recht kämpferisch – die Mauer unseres Bildungssystems niederreißen, weil sie den freien Zugang zu den Bildungsangeboten verwehrt. Ich bin der Auffassung, Sie haben mit Ihrer neuen Bildungsempfehlung lediglich einen Stein von der Mauer heruntergenommen; denn nicht das Zugangskriterium zum Gymnasium, also der Notendurchschnitt, ist das eigentliche Problem, weshalb Kinder aus bildungsfernen Schichten die Bildungsbiografie ihrer Eltern fortsetzen.
Man kann sich über die Sinnhaftigkeit von Noten durchaus streiten, aber die Noten zeigen lediglich an, inwiefern Kinder in der Lage sind, den Lernstoff zu beherrschen. Noten selbst sind wertfrei.
Frau Stange, Sie haben vorhin eine Statistik angeführt, die darauf hinausläuft, dass unterstellt wird, dass Kinder mit den gleichen Leistungen unterschiedlich benotet werden. Wenn es tatsächlich so ist, dass Lehrer in unserem Land Kindern aufgrund ihrer Milieu- oder Schichtzugehörigkeit schlechtere Noten geben, dann empfinde ich das als Skandal. Dann können wir dieses Problem aber nicht über den Notendurchschnitt lösen, sondern müssen mit den Lehrern hart ins Gericht gehen.
Wenn wir bei den Noten sind: Die Noten selbst geben das Leistungsvermögen der Schüler wieder, aber sie sagen nicht, aus welchen Gründen ein Schüler den Stoff nicht beherrscht. Aber genau dieses Warum ist das Entscheidende, wenn es um gleiche Bildungschancen für Kinder geht.
Kinder aus bildungsfernen Schichten sind nicht weniger intelligent, ihnen fehlt es vielmehr an den wirksamen Unterstützungssystemen, die dazu führen, die Bildungsdefizite in ihren Elternhäusern zu kompensieren. Kindern, die nicht souverän lesen und rechnen können, anzubieten, trotzdem in ein gymnasiales System einzutreten, das Sie im Moment wegen der maximalen Leistungsanforderungen zu Recht am schärfsten kritisieren – ich erinnere Sie
an die Anhörung im Ausschuss –, finde ich fahrlässig. Es gaukelt zudem bessere Zugangsbedingungen zu höherer Bildung in unserem Land nur vor.
Einem Kind, das nicht richtig schwimmen kann, hilft es nicht, wenn die Beckentiefe von 2,50 Meter auf 2 Meter reduziert wird. Es wird sich nicht lange über Wasser halten können, es muss schwimmen lernen. Dafür müssen wir sorgen.
Nicht die Zugangskriterien verändern, ist der richtige Weg. Wir müssen vielmehr die Schulen und die Jugendhilfe in die Pflicht nehmen, besonders Kindern aus bildungsfernen Schichten die Orientierung, die Förderung und die begleitenden Unterstützungsleistungen angedeihen zu lassen, die sie tatsächlich in die Lage versetzen, das Abitur zu erlangen. Ich finde, das sächsische Ganztagsschulprogramm, so wie es jetzt gestrickt ist, leistet dies nicht.
Die SPD als Juniorpartner der Koalition konnte das gegliederte Schulsystem nicht ändern – es war unrealistisch anzunehmen, dass sie das hätte tun können –, aber ich habe nicht verstanden, warum Sie nicht die Chance genutzt und versucht haben, die Attraktivität der Mittelschule zu steigern und vor allen Dingen die Zugänge zum Abitur aus der Mittelschule heraus weiter auszubauen.
Die Gemeinschaftsschule – ich gehe davon aus, dass wir immer noch das gleiche Ziel in diesem Sinne haben – ist nur erreichbar durch eine Etablierung der Mittelschule zu dem erstrebenswerten Lernort für alle Kinder, Herr Brangs.
Gegen die festsitzenden Vorbehalte in Bezug auf längeres gemeinsames Lernen – wir sehen es in Hamburg; Herr Dr. Hahn hat es angesprochen – kann man meiner Meinung nach nur mit einem Beispiel, dass es anders geht, ankommen.
Für die Fraktion GRÜNE sprach Frau Kollegin Giegengack. – Es spricht nun für die NPD-Fraktion der Abg. Gansel; bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In den letzten fünf Jahren reichte sächsischen Grundschülern ein Notendurchschnitt von 2,5, um eine Bildungsempfehlung für das Gymnasium zu bekommen. Nach dem Willen von CDU und FDP ist damit bald Schluss. Ab dem Schuljahr 2010/2011 müssen Viertklässler in den Fächern Deutsch, Mathe und Sachkunde einen Notendurchschnitt von 2,0 aufweisen, um auf das Gymnasium wechseln zu können. Die Debatte über das Für und Wider des neuen Notendurchschnitts muss sich aus der Sicht der NPD ausschließlich daran orientieren, was für die Schüler am besten ist und ihnen
Eine ideologische Schulpolitik, wie sie von bürgerlicher, vor allem aber von linker Seite betrieben wird, hilft hier nicht weiter. Zunächst einmal spricht aus unserer Sicht einiges für einen Notendurchschnitt von 2,0 als Zugangsvoraussetzung für das Gymnasium. Eigentlich weiß jeder: Wer schon in der Grundschule in Mathe oder Deutsch nur mit Mühe die Note 3 schafft, wird nur in Ausnahmefällen den Weg bis zum Abitur schaffen, es sei denn, die Leistungskriterien werden so weit aufgeweicht, wie es seitens bestimmter Kultusministerien seit Jahrzehnten praktiziert wird. Das Ergebnis sind dann steigende Abiturientenzahlen bei gleichzeitig sinkender Studierfähigkeit.
Anlässlich einer Landtagsanhörung zum Thema „Evaluierung der Reform der gymnasialen Oberstufe“ sprach Prof. Thomas Wiedemann Klartext. Für die Fächer Informatik und Mathematik beklagte er eine Abbrecherquote von 30 bis 50 % zu Beginn des Studiums und danach von weiteren 5 %. Grund dafür seien fachliche Defizite durch die Abwahl studienrelevanter Fächer im Abitur und fehlende Studienreife. Er nannte das Beispiel, dass einfachste Rabattberechnungen nur noch von 20 % der Studierenden beherrscht würden. Weiter beklagte er eine unzureichende Studien- und Berufsorientierung. 80 % der Studierenden fühlten sich nach Studienbeginn schlecht beraten – auch, weil das Gymnasium zu wenig universitätsvorbereitend sei.
Prof. Wiedemann wies ausdrücklich darauf hin, dass diese Probleme mit der Schulpolitik des Herkunfts-Bundeslandes der Studenten zusammenhängen. Gute Studiervoraussetzungen brächten Abiturienten aus Bayern, BadenWürttemberg und Sachsen mit – im Gegensatz etwa zu Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Für die NPD ist klar: Überall dort, wo linke Bildungsexperimente und Gleichheitsillusionen die Schulpolitik versaut haben, haben es die Schüler besonders schwer, eine ihrem Begabungsprofil gerecht werdende Bildungs- bzw. Schullaufbahn einzuschlagen.
Angesichts des veränderten Notendurchschnitts ist es aus unserer Sicht richtig und wichtig, dass Sechstklässler an Mittelschulen ab den Jahren 2011/2012 eine zweite Bildungsempfehlung erhalten, um ab Klasse 7 doch noch aufs Gymnasium wechseln zu können. Positiv ist aus unserer Sicht, dass neben dem klassischen Gymnasialweg zukünftig auch der Besuch der Oberschule mit anschließendem beruflichem Gymnasium zum Ziel des Abiturs führen kann.
Klar ist, dass die Offenheit des Zuganges zum Gymnasium auch bei einem vorgeschriebenen Notendurchschnitt von 2,0 grundsätzlich gewahrt bleiben muss. Vor allem darf nach NPD-Auffassung der Besuch des Gymnasiums nicht von der sozialen Herkunft des Elternhauses abhängen, und in dieser Hinsicht liegt in Sachsen einiges im Argen.
Nach einer aktuellen Studie haben Kinder von Nichtakademikern im Freistaat Sachsen besonders schlechte
Chancen, aufs Gymnasium zu wechseln. Laut dem Institut für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund haben sächsische Kinder aus der sogenannten Mittel- und Unterschicht viermal schlechtere Chancen als Akademikerkinder, von ihren Lehrern eine Empfehlung für das Gymnasium zu erhalten. Nur im Saarland ist der Zusammenhang zwischen Gymnasialchance und Bildungsherkunft der Eltern noch gravierender als in Sachsen.
Für uns Nationaldemokraten ist das nicht hinnehmbar. Unserer Auffassung nach darf über den Besuch des Gymnasiums nur der Leistungswille und das Leistungsvermögen der Schüler entscheiden – und nicht die soziale Herkunft und Stellung des Elternhauses. Alle Deutschen haben das Recht auf gleiche Bildungschancen. Dass jedoch alle unterschiedlich damit umgehen, liegt in der Natur des Menschen.
Für die NPD-Fraktion sprach der Abg. Gansel. – Ich frage die Staatsregierung, ob sie bereits nach der ersten Runde sprechen möchte. – Nein. Damit eröffnen wir die Rednerrunde erneut, und es beginnt wieder die einbringende Fraktion der CDU mit Herrn Kollegen Colditz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst feststellen, Frau Giegengack – sie ist leider nicht mehr anwesend –, dass wir eine gemeinsame Position vertreten.
Es geht in der Tat darum, dass wir innerhalb des sächsischen Schulsystems unsere Mittelschulen stärken. Wir können sie jedoch am ehesten dadurch stärken, dass wir die Zugangsvoraussetzungen zu Gymnasien so gestalten, dass deutlich wird, dass das Gymnasium nicht der Königsweg hin zum Abitur und auch nicht der Königsweg einer Bildungsbiografie sein muss. Im Übrigen sind auch die Mauern, die Sie angesprochen haben, nicht niederzureißen; denn die Mauern innerhalb unseres Schulsystems gibt es überhaupt nicht. Wir haben – das habe ich in meinem Beitrag bereits sehr deutlich gesagt – Möglichkeiten der Übergänge, der Durchlässigkeit nach Klasse 4, 6, 7 oder 10.