Protocol of the Session on April 28, 2010

Es geht in der Tat darum, dass wir innerhalb des sächsischen Schulsystems unsere Mittelschulen stärken. Wir können sie jedoch am ehesten dadurch stärken, dass wir die Zugangsvoraussetzungen zu Gymnasien so gestalten, dass deutlich wird, dass das Gymnasium nicht der Königsweg hin zum Abitur und auch nicht der Königsweg einer Bildungsbiografie sein muss. Im Übrigen sind auch die Mauern, die Sie angesprochen haben, nicht niederzureißen; denn die Mauern innerhalb unseres Schulsystems gibt es überhaupt nicht. Wir haben – das habe ich in meinem Beitrag bereits sehr deutlich gesagt – Möglichkeiten der Übergänge, der Durchlässigkeit nach Klasse 4, 6, 7 oder 10.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Tino Günther, FDP)

Meine Damen und Herren! Ich frage mich schon – schauen Sie doch einmal in die anderen deutschen Bundesländer oder auch ins Ausland –, welches Schulsystem sonst noch diese Durchlässigkeit realisiert. Wir realisieren nicht nur die Durchlässigkeit, sondern wir gehen auch davon aus, Herr Kollege Dr. Hahn, dass die Schüler natürlich unterschiedliche Leistungsvoraussetzungen mitbringen. Das ist ganz einfach so gegeben, und das möchten wir

auch entsprechend in einem differenzierten Schulsystem umgesetzt wissen, in welchem in diesem Sinne unterschiedliche Leistungsniveaus durch unterschiedliche Schularten gefördert werden. Das ist doch der Ansatz eines gegliederten Schulsystems, und ich denke, wir sollten hier keine neue Debatte über Gemeinschaftsschulen und ein gegliedertes Schulsystem führen, da die Ergebnisse der PISA-Studie die Antwort sehr deutlich gegeben haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die gegliederten Schulangebote gerade in den südlichen Ländern Deutschlands – Bayern und Baden-Württemberg – sowie auch Sachsen haben sich leistungsmäßig bewährt, und es ist eigentlich Dummheit, sie infrage zu stellen.

Frau Dr. Stange, Sie sprachen an, dass die Bildungsempfehlung in Klasse 4 zu früh sei. Das mag ja im Einzelfall so sein, bezogen auf den einzelnen Schüler. Aber dann registrieren Sie, bitte schön, auch, dass nach der neuen Empfehlung auch nach Klasse 6 eine weitere Bildungsempfehlung erteilt werden soll, um genau für diese Schülerklientel in der 4., 5. und 6. Klasse notfalls noch den Weg für eine gymnasiale Ausbildung freizumachen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Nur eine Fremdsprache!)

Sie sprachen von der Täuschung der Öffentlichkeit bzw. der Vorgabe falscher Zusammenhänge. Ich kann darauf verweisen: Nach den ersten Veröffentlichungen, die der Kultusminister bereits vorgenommen hat, hat es eine sehr breite Zustimmung zu dieser neuen Bildungsempfehlung gegeben, und es waren in besonderer Weise Lehrerverbände – aber nicht nur diese –, die sich sehr kritisch gegen die Bildungsempfehlung von 2,5 gewandt haben und jetzt diese neue Bildungsempfehlung auch begrüßen.

Meine Damen und Herren! Wenn man sagt, man habe keine Analysen bzw. könne die bisherige Situation nicht objektiv einschätzen, dann möchte ich an dieser Stelle zumindest drei Zahlen nennen: Allein im Schuljahr 2005/2006 waren es 15,5 % der Schülerinnen und Schüler, die mit einer Bildungsempfehlung mit einem Durchschnitt von 2,5 auf das Gymnasium gegangen sind und danach an die Mittelschule zurückgewechselt haben. Im letzten Schuljahr waren es 1 300 Schüler, die vom Gymnasium zurückgewechselt haben – mit der Folge, dass sie ihr Leistungsniveau offensichtlich falsch eingeschätzt haben bzw. durch die Bildungsempfehlung mit 2,5 nicht richtig orientiert wurden. Demgegenüber haben aber nur 19 % der Schülerinnen und Schüler einer Mittelschule an ein berufliches Gymnasium gewechselt.

Dies zeigt sehr deutlich, dass es auf der einen Seite Sinn macht, eine bessere Bildungsempfehlung auch mit einem höher angesetzten Durchschnitt zu realisieren, und auf der anderen Seite, dass wir – auch im Sinne der Durchlässigkeit unseres Systems – das berufliche Gymnasium auf dem Weg zum Abitur stärker herausstellen.

Meine Damen und Herren, man kann davon ausgehen, dass die Bildungsempfehlung sicherlich ein wichtiger Bestandteil einer langfristig angelegten Bildungsberatung ist, und es ist ebenfalls gegeben, dass gerade die Erwartungshaltung von Eltern nicht immer – oder vielleicht am wenigsten – im Einklang mit dem steht, was als Einschätzung für die Schule objektiv erwartet wird. Insofern ist es wichtig, dass wir uns nicht nur davon leiten lassen, dass der Elternwille ausschlaggebend sei, sondern dass wir – auch im Sinne der Schülerinnen und Schüler – viel stärker auf das Leistungsniveau der einzelnen Schüler reflektieren und darauf aufbauend dem Schüler eine optimale Bildungslaufbahn gewährleisten.

Im Übrigen möchte ich noch auf Folgendes hinweisen – weil auch dies bereits von zwei Rednern gesagt wurde –: Was die soziale Herkunft anbelangt, kann man für Sachsen feststellen – das können Sie im PISA-Bericht nachlesen –, dass gerade in Sachsen der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und dem Übergang an weiterführende Schularten eben nicht gegeben ist.

Lesen Sie es bitte nach, und dann werden auch Sie zu einer anderen Ansicht kommen.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Für die CDU-Fraktion sprach Kollege Colditz. Für die Fraktion der FDP spricht erneut Herr Kollege Bläsner.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dr. Hahn, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie gesagt haben, dass für Sie eigentlich nur das Abitur so richtig zähle.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Das ist Unsinn!)

Für uns zählt, dass die Schülerinnen und Schüler individuell die besten Bildungsleistungen erbringen,

(Beifall bei der FDP und der CDU)

übrigens nicht nur am Gymnasium und an der Mittelschule, sondern auch an den Förderschulen.

Damit bin ich beim nächsten Punkt, den Frau Dr. Stange angesprochen hat. Bei der Studie von letzter Woche fehlt mir die Untersetzung. Wir haben auch andere Studien vorliegen – Herr Colditz hat sie angesprochen –, zum Beispiel PISA, das die Bildungskompetenzen misst. Es ist nicht der Übergang zum Gymnasium, sondern es geht darum, wie er am besten individuell aufgestellt ist. Diesbezüglich liegt Sachsen an der Spitze in Deutschland. Natürlich gibt es einen Zusammenhang, aber dieser ist in Sachsen am kleinsten, und das beim PISA-Sieger. Das heißt, dass wir nicht nur viele gute Schüler, sondern auch besonders gute schwache Schüler haben. Das können wir für Sachsen feststellen.

Deswegen ist es völlig falsch, auf diese eine Studie zu verweisen und zu behaupten, Sachsen sei, was die Sozial

diskrepanz angehe, am schlimmsten dran. Wir sind anders, bei PISA sind wir am besten, und das ist der Maßstab, der für uns gilt.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Herr Dr. Hahn, wenn Sie sagen, dass wir Hochschulabsolventen brauchen, dann ist die Frage zu beantworten, ob wir das nur über das allgemeinbildende Abitur erreichen oder ob das auch anders möglich ist. Das berufsbildende Abitur wurde bereits angesprochen. Aber es gibt noch andere Möglichkeiten: Man kann einen Beruf erlernen, man kann den Meister machen, und dann ist die Frage, wie man die Leute an die Hochschule bringt, um den Bachelor zu machen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Wie viele schaffen das?)

Genau das ist die Frage: Wie viele schaffen das? Aber es ist auch Aufgabe der Politik und der Bildungsträger, diesbezüglich für Durchlässigkeit zu sorgen. Das machen wir als CDU/FDP-Koalition. Die Bildungsempfehlung ist ein Schritt in diese Richtung.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Prof. Dr. Roland Wöller)

Für die FDP sprach Kollege Bläsner. – Für die Fraktion DIE LINKE spricht jetzt die Abg. Frau Falken.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man sollte sich immer erst anschauen, was die aktuellste Studie ist. Ich gebe zu, dass auch ich und meine Fraktion an vielen Studien, die im Bildungsbereich durchgeführt worden sind, sehr lange geknaupelt und geschaut haben, wo die Ursachen und die Gründe liegen und wie es weitergeht. Aber ich glaube, die aktuelle Iglu-Studie kann man nicht ignorieren, Herr Colditz. Ich würde Sie bitten, sich diese einfach einmal anzuschauen.

Herr Bläsner, wenn Sie auch die Schwachen fördern, ihnen einen Platz in der Gesellschaft geben wollen und der Auffassung sind, dass das mit dem jetzigen Schulsystem ausreicht, dann frage ich Sie: Wie schätzen Sie die 20 % der Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs in einigen Stadtbezirken von Leipzig ein, die überhaupt keinen Abschluss haben?

Der aktuelle Sozialreport, der in Leipzig herausgebracht worden ist, zeigt genau diese Zahlen. Es kann unmöglich das Ziel der FDP oder der CDU sein, ein solches Bildungssystem zu erhalten.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Nun aber zu meinem Redebeitrag. Die neue Bildungsempfehlung soll der erste Schritt für die Weiterentwicklung der Mittelschule zur Oberschule werden. Diese Weiterentwicklung ist für uns konzeptionslos. Sie führen Schritte ein, bei denen Sie den zweiten Schritt vor dem ersten machen. Sie beziehen die Betroffenen überhaupt

nicht ein. Weder die Schüler noch die Lehrer, noch die Eltern sind bei einer Weiterentwicklung oder möglicherweise bei einer Reform, wie es Herr Bläsner in seinen Presseerklärungen ständig darstellt, einbezogen. Wenn ich aber eine Weiterentwicklung oder eine Reform im Bildungsbereich durchsetzen will, dann muss ich die Betroffenen einbeziehen.

Herr Colditz, es ist zwar toll, dass Sie zu diesem Thema heute eine Aktuelle Debatte durchführen, aber es wäre besser gewesen, wenn Sie auch das Parlament in die Vorüberlegungen einbezogen und unsere Überlegungen und Gedanken zu dieser Problematik berücksichtigt hätten. Das ist aber nicht passiert. Das heißt, Sie entscheiden über das Parlament hinweg, ohne das Parlament und die Betroffenen vor Ort an den Schulen einzubeziehen. Das ist für uns nicht hinnehmbar.

Die Reform wird bewirken, dass es einen höheren Leistungsdruck in der Grundschule geben wird. Jetzt müssen die Schülerinnen und Schüler einen Notendurchschnitt von 2,0 erreichen. Viele Eltern haben mich schon gefragt: Wie bekommen wir das jetzt hin, Frau Falken? Mit einem Notendurchschnitt von 2,5 haben wir es vielleicht noch geschafft, aber mit einem Notendurchschnitt von 2,0 muss ich ja noch mehr mit meinem Kind üben und lernen.

(Rolf Seidel, CDU: Genau das ist das Problem! – Weitere Zurufe von der CDU)

Richtig, genau das ist das Problem. – Der Druck wird sich an der Mittelschule erhöhen, wenn Sie Leistungsgruppen ab Klasse 5 einführen, die Schülerinnen und Schüler bereits ab Klasse 5 in Hauptschulgruppen und in Realschulgruppen oder in bessere und schlechtere Schüler einteilen. Die Orientierungsstufe heben Sie hiermit auf, Sie stellen sie infrage. Das ist das Ziel, das Sie hierbei offensichtlich erreichen wollen.

Aber Leistungsdruck ist in der Regel negativer Druck und negativer Leistungsdruck wird keine Leistungsgerechtigkeit hervorbringen, sondern er wird darin münden, dass gesundheitliche Störungen bei den Schülerinnen und Schülern weiter zunehmen werden.

Sie hoffen und wünschen, dass mit diesem neuen System eine höhere Durchlässigkeit erreicht wird. Bis jetzt – die Zahlen haben wir heute schon gehört – ist die Durchlässigkeit in unserem sächsischen Schulsystem nicht gegeben. Die Zahlen, die im Bildungsbericht des Freistaates Sachsen von 2008 genannt worden sind, besagen eindeutig: Eine Durchlässigkeit von der Mittelschule zum Gymnasium ist nicht vorhanden. Mit dieser neuen Bildungsempfehlung werden Sie auch weiterhin keine Durchlässigkeit erreichen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, selbstverständlich.

Bitte schön, Herr Abg. Schowtka.

Frau Falken, wissen Sie noch, was vor 1989 das Ventil dafür war, dass man auf die Oberschule gehen und das Abitur erwerben konnte? Es gab die Jugendweihe. Wer nicht zur Jugendweihe ging, der kam nicht auf die Oberschule.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Das ist doch Quatsch!)

Wissen Sie das noch?

(Zurufe von der Linksfraktion)