Protocol of the Session on March 11, 2010

Für die CDU-Fraktion sprach Herr Kollege Schiemann. Als nächste Fraktion in der Reihenfolge der ersten Runde hat DIE LINKE das Wort. Herr Prof. Besier, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht im Kern um die Frage nach der Legitimität des zivilen Ungehorsams in der Demokratie.

(Andreas Storr, NPD: Es geht um Legalität und Gewalt!)

Es geht um das Verhältnis von Legalität und Legitimität. Die Diskussion darüber ist in Deutschland nicht neu. Daran muss man erinnern.

Seit den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts haben sich Rechtstheoretiker und Rechtsphilosophen damit beschäf

tigt. Andererseits sind Begriff und Sache in der angelsächsischen, insbesondere in der amerikanischen Verfassungstradition sehr viel besser bekannt. In Deutschland dominierte lange Zeit eine Gehorsamstradition, die oft genug blind war. Angesichts dieser belastenden Tradition eines unbedingten Gehorsams sind autoritäre Haltungen weit bedenklicher als kritischer Ungehorsam, meine sehr verehrten Damen und Herren. Darüber müssen wir uns im Klaren sein.

Wir haben eine Geschichte, in deren Kontext wir dieses Problem diskutieren. Freilich, im Grundsatz gilt, der zivile Ungehorsam bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Legalität und Legitimität. Er ist begrifflich durch seine Illegalität gekennzeichnet. Aus diesem Grund muss von Personen, die zivilen Ungehorsam üben, die Strafe als unvermeidlicher „Preis“ hingenommen werden. In diesem Sinne hat beispielsweise der Kollege Lichdi so etwas wie eine Selbstanzeige gemacht. Das ist vollkommen in Ordnung. Aber dabei können wir in diesem Diskurs nicht stehen bleiben.

Wenn wir in einen rechtstheoretischen bzw. rechtsphilosophischen Diskurs eintreten, dann ist natürlich zu fragen, unter welchen Bedingungen ziviler Ungehorsam vielleicht dennoch zu rechtfertigen ist. Mit Recht betonen Philosophen wie John Rowls, Dworkin oder Habermas, dass der Rechtsstaat kein fertiges Gebilde ist, sondern ein anfälliges, ein irritierbares Unternehmen. Etwa Habermas sagt: „Was prima facie Ungehorsam ist, kann sich, weil Recht und Politik in steter Anpassung und Revision begriffen sind, sehr bald als Schrittmacher für überfällige Korrekturen und Neuerungen erweisen.“

(Beifall bei der Linksfraktion)

„In diesen Fällen sind zivile Regelverletzungen moralisch begründete Experimente, ohne die sich eine vitale Republik weder ihre Innovationsfähigkeit, noch den Legitimationsglauben ihrer Bürger erhalten kann.“

Eine lebendige Demokratie darf sich nicht auf einen autoritären Legalismus berufen. Unser Grundgesetz kennt ein Recht auf Widerstand gegen Bestrebungen, die auf die Beseitigung der rechtsstaatlich-demokratischen Ordnung gerichtet sind, Artikel 20 Abs. 4 Grundgesetz.

Unstreitig ist, dass vor diesem Hintergrund das Recht auf illegale Handlungen eingeschlossen ist. Aber wir wollen den in Rede stehenden Fall, nämlich den 13. Februar, nicht unnötig aufblasen. Wir können allenfalls ein „kleines“ Widerstandsrecht in Anspruch nehmen.

Der Göttinger Rechtstheoretiker Ralf Dreier hat folgende Formel vorgeschlagen: „Wer allein oder gemeinsam mit anderen öffentlich, gewaltlos und aus politisch moralischen Gründen den Tatbestand einer Verbotsnorm erfüllt, handelt grundsätzlich gerechtfertigt,

(Zuruf von der NPD)

wenn er dadurch gegen schwerwiegendes Unrecht protestiert und sein Protest verhältnismäßig ist.“

(Beifall bei der Linksfraktion)

Für gerechtfertigt hält Dreier Akte des zivilen Ungehorsams, die in den Schutzbereich der Grundrechte der Meinungs- und/oder der Versammlungsfreiheit fallen. Hier beginnt im vorliegenden Fall das Problem: dass beide Seiten sich auf den Schutzbereich des Grundgesetzes berufen können.

Ich muss Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Frau Präsidentin, ich komme zum Ende.

Ziviler Ungehorsam ist stets eine demonstrative Meinungsbekundung. Im vorliegenden Fall erfüllt die Blockade den Tatbestand einer Nötigung. Das ist gar keine Frage. Es handelt sich um eine gewaltsame Meinungsbekundung. So weit.

(Beifall bei der Linksfraktion – Jürgen Gansel, NPD: Das ist eine richtige Feststellung!)

Sie möchten eine Kurzintervention bringen? – Bitte schön.

Ich würde gern das Instrument der Kurzintervention anwenden. Und zwar würde ich gern, weil Herr Prof. Besier den Namen Jürgen Habermas in die Runde geworfen hat, richtigstellen, dass der Begriff Linksfaschismus auf Jürgen Habermas zurückgeht, der ihn im Jahr 1967 verwendet hat, um die zunehmende Militanz der APO zu kritisieren. Deswegen finde ich es absolut lächerlich, dass Habermas jetzt als Kronzeuge dafür herhalten soll, dass auch illegale Maßnahmen von den Linken angewendet werden; denn es ist ja wohl Fakt, dass am 13. Februar in der Dresdner Neustadt Spitzenpolitiker von GRÜNEN, SPD und den Linken auf illegalen Demos gesprochen haben und somit uns das Versammlungsrecht genommen haben. Das wird im Ergebnis dazu führen, dass alle Versammlungen von Rechten irgendwann mit dieser Logik blockiert werden können. Dann ist die Demokratie wirklich zerstört, wenn so ein elementares Recht wie das Versammlungsrecht für Rechte nicht mehr auszuüben ist.

(Beifall bei der NPD – Zurufe von der Linksfraktion und der SPD)

Herr Prof. Besier, bitte.

Es wäre gut, wenn wir uns in diesem Hohen Hause darum bemühten, diskursiv zu reden,

(Jürgen Gansel, NPD: Dann machen Sie mal den Anfang!)

auf Argumente zu achten, Gegenargumente anzuführen, und es wäre von Vorteil zu begreifen, dass große Philosophen, und dazu gehört Habermas, dies und jenes gesagt haben und dass es überhaupt keinen Sinn macht, irgend

wo einen Satzfetzen herauszugreifen und zu sagen, dafür sei er für die Zukunft verbrannt. Das ist Unsinn, Leute. Das ist absoluter Unsinn.

(Beifall bei der Linksfraktion – Holger Apfel, NPD: War das alles?)

In der Debatte bitte ich jetzt die SPD-Fraktion. –

(Zuruf von der SPD: Nein.)

Gut. Dann frage ich, wer noch sprechen möchte. – Die FDP-Fraktion, Herr Biesok von der FDP-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man sich den Titel der heutigen Aktuellen Stunde ansieht, fragt man sich schon, was überhaupt dieses Begriffspaar vom Rechtsstaat zum „Linksstaat“ bedeuten soll. Ich fand die ursprüngliche Formulierung „zum ‚Linksstaat’ der 68er“ deutlich besser, weil man hätte diskutieren können, welche Verantwortlichkeit die Elterngeneration der 68er in der Zeit von 1933 bis 1945 hatte.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Das ist doch unglaublich!)

Wenn wir uns über den 13. Februar 2010 unterhalten, können wir uns anschauen, welche Facetten es gegeben hat. Da war die Kranzniederlegung am Heidefriedhof, es hat eine Menschenkette gegeben, an der sich sehr viele Dresdner Bürgerinnen und Bürger beteiligt haben, es hat eine Nazidemo auf dem Schlesischen Platz und es hat Gegendemonstrationen gegeben. Ich möchte allen Demokraten danken, eingeschlossen die nichtmilitanten, die an diesem Tag mitgemacht haben und durch ihre Anwesenheit auf Straßen in Dresden den Naziaufmarsch verhindert haben.

Es ist ein Erfordernis des Rechtsstaates, dass er die Verhältnismäßigkeit bei seinen Maßnahmen anwenden muss. Gerade die Polizei in Dresden hat von diesem Verhältnismäßigkeitsprinzip in vorbildlicher Weise Gebrauch gemacht. Sie hat nicht bedingungslos ihren Wasserwerfer, den sie dabei hatte, eingesetzt, um die Straßen zu räumen, damit Sie Ihren braunen Aufzug durchführen können. Sie hat damit das ihr zustehende Entschließungs- und Auswahlermessen sachgerecht ausgeübt.

Es ist kein „Linksstaat“, wenn Menschen ohne Nazis der Opfer vom 13. Februar 1945 gedenken wollen. Es ist ebenso kein „Linksstaat“, wenn Menschen durch einfaches Sitzen ihren Protest zum Ausdruck bringen. Auch wenn Sie das mit der gestellten Zwischenfrage vorher schon eingeübt haben – nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass das von Ihnen zitierte Urteil durch zwei weitere Urteile des Bundesverfassungsgerichts wieder aufgehoben wurde. Es ist das zweite Sitzblockadenurteil vom 10.01.1995 und das dritte Sitzblockadenurteil vom 24.10.2001.

Meine Damen und Herren von den Nazis! Nehmen Sie bitte mal zur Kenntnis, dass der Rechtsstaat Ihnen überhaupt die Möglichkeit bietet, vor ordentlichen Gerichten klagen zu können, um Ihr Demonstrationsrecht durchzusetzen. Hätten wir diesen Rechtsstaat nicht, würde man es Ihnen einfach verbieten. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass es der Rechtsstaat ist, der 6 111 Beamte zur Verfügung stellt, damit Sie überhaupt hier demonstrieren können. Diese Beamten werden vom Steuerzahler bezahlt. Die Dresdner brauchen für ihr friedliches Gedenken keine Polizei. Somit würden keine Kosten für den Staat entstehen.

(Beifall bei der FDP und des Staatsministers Markus Ulbig)

Und, meine Damen und Herren, es ist auch der Rechtsstaat, der eine Organisation wie die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland unter Schutz stellt. Unter dem Schutz des Rechtsstaates kann sich sogar die Junge Landsmannschaft Ostpreußen in die Junge Landsmannschaft Ostdeutschland umbenennen, um zu vertuschen, dass sie sich in Wirklichkeit gegen die Völkerverständigung wendet. Diese Organisation ist darauf gerichtet, Teile des heutigen Polens wieder an Deutschland anzuschließen. Deshalb wendet sie sich gegen die Völkerverständigung. Wir haben in Deutschland so hohe rechtsstaatliche Grundsätze, dass man eine solche Organisation nicht verbietet, sondern sich mit ihr in der politischen Diskussion auseinandersetzt.

(Jürgen Gansel, NPD: Eine richtige Edeldemokratie!)

Das ist es in der Tat. Diese Edeldemokratie gewährleistet auch, dass Gewalttätigkeiten, egal ob von Rechts oder von Links, von einer unabhängigen Justiz verfolgt und, sofern Gesetzesverstöße begangen worden sind, diese auch geahndet werden.

Meine Damen und Herren! Es ist weder ein „Linksstaat“ noch ist es ein Rechtsstaat, wenn Linksautonome brennende Barrikaden in der Neustadt errichten, um so gegen die Nazis vorzugehen. Das ist inakzeptabel.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP und Beifall bei der CDU)

Es ist genauso inakzeptabel, wenn Rechte auf ihrem Weg zu ihren Wohnorten in Pirna Halt machen und dort das Parteibüro einer demokratischen Partei verwüsten. Das ist weder von einem „Linksstaat“ noch von einem Rechtsstaat zu tolerieren.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP und Beifall bei der CDU)

Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP)

Gibt es noch weiteren Redebedarf? – Sie möchten sicherlich eine Kurzintervention machen.

Frau Präsidentin. Die Rede von Herrn Biesok nötigt mich zu einer Kurzintervention. Ich möchte kurz begründen, warum wir in unserem Antrag die These aufgestellt und auch im Redebeitrag von Herrn Storr faktenreich belegt haben, warum der frühere deutsche Rechtsstaat mittlerweile zu einem deutschen „Linksstaat“ mutiert ist. Vielleicht ist Ihnen nicht entgangen – es stand zumindest am Montag in der „Freien Presse“ –, dass mittlerweile eine Fabrikhalle in Geringswalde von linksradikalen Jugendlichen besetzt wurde. Das mag man für ein lokal isoliertes Ereignis halten, man kann es aber auch in einem größeren Zusammenhang sehen. Der Zusammenhang besteht darin, dass gewisse linksradikale Elemente in Sachsen seit der Kumpanei von Polizeiführung und Antifa-Banden