Das Bundesverfassungsgericht hat moniert, dass bei der Berechnung des Regelsatzes zum Beispiel die Ausgaben für die Weiterbildung nicht richtig berücksichtigt worden seien; denn schließlich bildet sich auch jemand weiter, der in einer Fabrik arbeitet und dort seinen Lohn verdient. Geld für entsprechende Weiterbildungsausgaben solle auch jemand bekommen, der arbeitslos ist. Damit bin ich einverstanden. Diese Kritik des Bundesverfassungsgerichts ist gerechtfertigt.
Bei anderen Punkten kann man darüber nachdenken, ob die entsprechenden Aussagen wirklich klug und durchdacht sind. Das Bundesverfassungsgericht kritisiert zum Beispiel, dass Ausgaben für Pelze, Maßbekleidung und Segelflugzeuge bei der Ermittlung des Eckregelsatzes nicht betrachtet worden seien. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es deswegen zu einer deutlichen Erhöhung der Hartz-IV-Leistungen kommt; denn die meisten Menschen, die in einer Bäckerei arbeiten oder als Krankenschwester tätig sind, besitzen weder Segelboote noch Segelflugzeuge und tragen auch keine Maßanzüge, die jetzt berücksichtigt werden müssten. In dem Urteil finden sich manche Feinheiten, auf die man hätte verzichten können. Sei es drum, die Sätze werden neu berechnet. Ich gehe aber nicht davon aus, dass es zu einer deutlichen Erhöhung kommt, sondern es wird sich in dem gegenwärtigen Rahmen bewegen.
Kommen wir zu einem wichtigen Grundsatz, Herr Kollege Pellmann: Wer arbeitet, muss am Monatsende mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet.
Arbeit darf nicht gescheut werden; denn wer arbeitet, darf nicht der Dumme in unserer Gesellschaft sein.
Herr Kollege Pellmann, Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass die Linkspartei genau das Gegenteil
fordert. Wenn ich Anträge von Ihnen lese, dann geht es immer darum, dass derjenige, der arbeitet, der Dumme sein soll.
Im Januar-Plenum ist darauf hingewiesen worden, dass es in den Reihen der Linkspartei die Forderung nach einem Recht auf Faulheit gibt. Das ist eine Forderung, die wir nicht unterstützen.
Verehrter Herr Krauß, Sie stimmen doch mit mir darin überein, dass wir jetzt über unseren Antrag sprechen und nicht über irgendwelche Faulheiten. In unserem Antrag steht nichts von Faulheit. Dessen Inhalt ist vielmehr, dass wir es mit fleißigen Menschen zu tun haben, die auch wir in erster Linie wollen.
Warten Sie! Die Frage werde ich Ihnen gleich stellen. – Eine Ihrer zentralen Aussagen will ich hinterfragen.
Sie reden ständig von denen, die früh nicht aufstehen wollen. Ist Ihnen bekannt, dass die Zahl der von Hartz IV Betroffenen, die Arbeit verweigern, in Sachsen nach wie vor bei unter 2 % liegt? Ist es angesichts dessen richtig, dass Sie in einer solchen Abstraktionshöhe alle anderen, die zwar gern arbeiten würden, es aber nicht können, weil keine Arbeit da ist, derart vorführen? Meinen Sie, dass das wirklich redlich ist?
Auf den Punkt der Sanktionen wollte ich gerade zu sprechen kommen. Klar ist: Wenn jemand nicht bereit ist, eine Arbeit aufzunehmen, dann ist es in Ordnung, wenn man den Hartz-IV-Satz, den er bekommt, kürzt. In der öffentlichen Diskussion war von einem Arno Dübel die Rede, der durch Fernsehshows wie „Kerner“ getingelt ist oder sich in der „Bild“-Zeitung mit der Aussage dargestellt hat: „Ich will nicht arbeiten!“
Ich glaube, angesichts dieses Beispiels ist es korrekt zu sagen, dass jemand, der nicht arbeiten will, nicht den Anspruch haben darf, von den anderen Bürgern Geld zu bekommen.
Herr Kollege Pellmann, gehen wir einmal zu dem Thema der Sanktionen über. Was hat die Linkspartei im Rahmen der Diskussion im Februar gefordert? Frau Kipping, eine sächsische Bundestagsabgeordnete von Ihnen, hat gesagt, man möge keine Sanktionen verhängen, weil diese ja etwas ganz Schlimmes seien.
(Christian Piwarz, CDU: Die will ja auch das bedingungslose Grundeinkommen, die gute Dame! – Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Und?)
Entschuldigung, aber ich weiß nicht, was das für eine soziale Einstellung ist. Die Krankenschwester oder der auf dem Bau Tätige, die mit ihren Sozialbeiträgen die Sozialleistungen finanzieren, stimmen dieser Aussage sicherlich nicht zu. Dass derjenige, der einen Anspruch geltend macht, sich bemüht, kann man doch wohl erwarten.
Was Sie von der Linkspartei fordern, ist asozial und ungerecht – ungerecht gegenüber denjenigen, die jeden Tag zur Arbeit gehen.
Ich will auf die verquere Vorstellung von Gerechtigkeit eingehen, die die Linkspartei geäußert hat. Ihr Landesvorsitzender hat in einer sächsischen Tageszeitung einen lesenswerten Beitrag veröffentlicht. Darin ist er auf den Begriff der Gerechtigkeit eingegangen und hat eine Abgrenzung zum Begriff der Chancengerechtigkeit vorgenommen.
Chancengerechtigkeit findet Ihr Landesvorsitzender gar nicht gut. Das sei im Grunde etwas Schlimmes. Das von ihm gezeichnete Bild eines Wettrennens ist aufschlussreich: Chancengerechtigkeit heißt, dass alle Teilnehmer des Wettrennens die gleichen Chancen bekommen, zum Beispiel Turnschuhe und Training, um zu gewinnen. Ihr Landesvorsitzender hat sich aber gegen diese Vorstellung von Gerechtigkeit ausgesprochen, weil das keine Ergebnisgerechtigkeit bedeutet. Es gewinnt eben derjenige, der sich ganz besonders anstrengt. Ich glaube, auf dieses Grundprinzip können wir nicht verzichten. Es muss so sein, dass derjenige, der sich anstrengt, am Ende mehr hat als derjenige, der sich nicht anstrengt. Ich halte das für sehr gerecht.
breiten gesellschaftlichen Schichten getragen wird, unter anderem von der Gewerkschaft und auch unseren Vertretern der Linken, öffentlich dargestellt durch die Vorsitzende des Sozialausschusses des Deutschen Bundestages, unsere Genossin Katja Kipping?
Auch wenn das Ihre Genossin sagt, sage ich Ihnen Folgendes: Gehen Sie bitte an Ihre Tankstelle und fragen Sie den Tankwart nach seiner Meinung zu dem Thema! Gehen Sie bitte in Ihre Bäckerei und fragen Sie die Fachverkäuferin, was sie davon hält, dass jemand, der nicht arbeiten will, trotzdem Geld erhält! Mit diesen Menschen sollten Sie sich einmal unterhalten.
Vielen Dank, Herr Kollege Krauß. Ich mische mich einmal in die sozialpolitische Debatte ein. Sie haben den Gerechtigkeitsbegriff angesprochen, den berühmten Handwerker und die einfache Dame an der Kasse zitiert und daran Ihre Position in der Gerechtigkeitsdebatte festgemacht. Ich habe von einem bekannten Rechtsphilosophen – ich glaube, John Rawls – den Satz gelesen, dass es eigentlich gesellschaftlich richtig sei, dass es Gleichheit auch im Sinne von Ergebnisgleichheit gebe, und dass Ungleichheit moralischphilosophisch nur insoweit gerechtfertigt sei, wie diese Ungleichheit dazu führe, dass es der gesamten Gesellschaft besser gehe. Stimmen Sie diesem Gerechtigkeitsbegriff zu? Wenn ja, wie würden Sie dann die gesamte Debatte zur Finanzkrise, zu Finanzspekulation usw. bewerten? Aus meiner Sicht ist das die höchste Form von Ungerechtigkeit. Deswegen kann man in dem Zusammenhang durchaus auch einmal über die Frage der Ergebnisgerechtigkeit offener diskutieren. Würden Sie mir darin zustimmen?
Ich möchte meinen Gerechtigkeitsbegriff, der dem entspricht, den wir als Koalition vertreten, noch einmal ganz deutlich machen: Jeder soll sich entsprechend seinen Fähigkeiten entfalten können. Jeder soll die Möglichkeit haben voranzukommen. Deswegen investieren wir sehr stark in Bildung. Auch das kostenlose Vorschuljahr ist Ausdruck unserer Haltung, dass jeder die gleichen Startchancen haben soll. Das gilt auch für die Schule. Wir haben das beste Schulsystem, wenn wir den PISA-Test zugrunde legen. Dann muss natürlich jeder etwas aus
seinem Leben machen. Ich kann doch nicht fordern, jeder solle am Ende das Gleiche bekommen – derjenige, der sich anstrengt, und derjenige, der sich nicht anstrengt. Es muss sich doch auch lohnen, früh aufzustehen und einer Arbeit nachzugehen. Ich kann doch nicht sagen: Egal, was du machst, du bekommst am Monatsende das gleiche Geld. Das ist doch zutiefst ungerecht.