Lassen Sie mich auf den nächsten Punkt eingehen, den Mindestlohn von 10 Euro. Es gibt leider keine Studien, jedenfalls sind mir keine bekannt. Man hat also nicht untersucht, wie viele Arbeitsverhältnisse wegfallen würden, wenn es einen Mindestlohn von 10 Euro gäbe. So etwas nimmt eigentlich niemand im Regelfall an.
Es gibt aber eine Untersuchung des Ifo-Instituts Dresden, wie viele Arbeitsverhältnisse bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro verloren gingen. Es sind 1,2 Millionen Arbeitsverhältnisse.
Ich weiß nicht, was wir davon hätten, wenn wir 1,2 Millionen Arbeitslose mehr hätten. Ich freue mich eher, wenn sie in Lohn und Brot sind, auch wenn wir einen zusätzlichen Bonus geben, damit jemand eine Arbeit aufnimmt; denn es ist besser, wir finanzieren Arbeit anstatt Arbeitslosigkeit.
Ist Ihnen bekannt, Herr Krauß, dass mit der Einführung des Systems Hartz IV ein massiver Druck auf die Löhne und Gehälter ausgeübt worden ist, dass der Niedriglohnsektor mit Hartz IV ausgeweitet worden ist? Heute versucht man den Gegentrick, indem man behauptet, das Abstandsgebot muss eingehalten werden: Die, die Arbeit haben, bekommen wenig, die, die nicht arbeiten können, weil sie keine Arbeit finden, noch weniger.
Wir können ja einmal fragen, wie die Ausgangsposition vor zehn Jahren war und was wir noch als Problem haben. Es war doch das Problem, dass diejenigen, die keinen Berufsabschluss haben, überdurchschnittlich häufig arbeitslos sind. 50 % von denjenigen, also jeder Zweite, ist arbeitslos. Das ist unser Problem. Das hat man bei der Reform damals mit bedacht, indem man sagte, diese Personengruppe muss man besonders ins Blickfeld nehmen, damit sich dort eine
Arbeitsaufnahme lohnt. Ich halte es für vollkommen gerechtfertigt, dass man sich gerade um diese Gruppe gekümmert hat. Wir haben doch nicht das Problem, dass wir zu viele arbeitslose Akademiker haben. Wir haben das Problem bei denjenigen, die gering qualifiziert sind und keine Arbeit haben. Dort müssen wir sehen, wie wir vorankommen.
Wir sind jetzt beim Thema Lohnfindung. Ich glaube, ein gerechter Lohn muss zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf gleicher Augenhöhe ausgehandelt werden, das heißt, zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern muss ein gerechter Lohn gefunden werden. Das ist das Beste. Der Staat ist nicht unbedingt der beste Ratgeber, wie hoch ein Lohn richtig sein kann.
Dann muss man sehen, wie man damit umgeht. Wir hatten das ja in der Vergangenheit. Wenn die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer sagen, wir wollen eine allgemeine Verbindlichkeit des Lohnes herstellen, dann können sie das beantragen. Wir haben das zuletzt auch schon unter der neuen Regierung in Berlin erlebt, dass das bei der Abfallwirtschaft der Fall war und für alle Unternehmen in dieser Branche gilt. Das halte ich für in Ordnung.
Ich gehe übrigens heute davon aus, dass wir noch die Nachricht bekommen werden, dass im Pflegebereich ebenfalls ein entsprechender Mindestlohn, der in der Branche vereinbart wird, öffentlich wird. Wenn das in einer Branche zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgehandelt wird, ist das eine gute Sache. Wogegen wir sind, ist ein flächendeckender Mindestlohn, mit dem über alle Branchen hinweg entschieden wird. Das führt dazu, dass Arbeitsplätze verloren gehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind sicher, dass die avisierte Änderung der Berechnung der Bedarfssätze bis September abgeschlossen ist, dass also der Bundestag für nächstes Jahr die entsprechenden Änderungen herbeiführen kann. Dort ist die Bundesarbeitsministerin tätig. Wir glauben, dass die Akzente der Linksfraktion in die Irre führen, und deswegen werden wir Ihren Antrag ablehnen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema Hartz IV war und ist ein Dauerthema, das uns bisher schon in jeder Plenardebatte beschäftigt hat. Ich finde auch zu Recht, weil sich doch derzeit hier Grundlegendes für die weitere Gestaltung des Sozialstaates entscheiden wird.
In der Januarsitzung konnten wir auch nur unsere Erwartungen an das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das wir damals noch erwartet haben, mitteilen. Mittlerweile ist das Urteil vorhanden und man muss feststellen, die Erwartung der Opposition hat sich erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Urteil Klarheit auf verschiedenen Ebenen geschaffen, auf die ich kurz eingehe.
Im Prinzip sind zwei Feststellungen getroffen worden: eine grundsätzliche zur Ermittlung des Bedarfs und zur Ausgestaltung des konkreten Leistungsanspruches sowohl für Erwachsene als auch für Kinder und Jugendliche und zum Zweiten, dass Sonderbedarfe wieder einzuführen sind, die früher einmalige Hilfen genannt wurden. Der Wegfall dieser Leistungen im ursprünglichen System war ein Fehler. Das wurde kompensiert durch eine einmalige geringe Erhöhung des Regelsatzes. Jeder Student der Volkswirtschaftslehre im ersten Studienjahr weiß, dass die Sparquote in Niedriglohneinkommenshaushalten gleich null ist und somit einmalige Leistungen nicht finanziert werden können.
Zum Punkt der grundlegenden Neuermittlung der Bedarfe wurde festgestellt – da will ich Herrn Krauß gern korrigieren –, dass man nicht Arbeitseinkommen zum Verhältnis nehmen muss, sondern „der gesamte existenznotwendige Bedarf eines individuellen Grundrechtsträgers ist zu ermitteln. Dieser muss Grundlage für den Regelsatz sein.“
Da wundert es dann doch, wenn man in den Reden hört oder in der Zeitung liest, dass verschiedene Politiker der Unionsfraktionen schon wissen, dass „unterm Strich nach der Neuregelung aber auch nicht mehr herauskommt, als der Staat jetzt schon Ausgaben hat in dem Bereich.“ Zitiert habe ich Herrn Weiß, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe in der Unionsbundestagsfraktion.
Herr de Maizière stellt zudem „eine problematische Tendenz zu einer übertriebenen Einzelfallbetrachtung fest.“ Es ist wirklich schon ein hartes Brot, sich in einem System, das sich mit Menschen beschäftigt, dann auch mit dem einzelnen Menschen auseinandersetzen zu müssen. Die Menschen sind nun einmal in verschiedenen Lebenssituationen, in verschiedenen Lebenslagen, und ein sozialpolitisch verantwortungsvolles Sicherungssystem muss diese Lebenslagen aufgreifen. Da kann man nicht gänzlich pauschal über die individuellen Bedarfe hinweggehen.
Diese Art, die Ergebnisse eines vom Gericht vorgegebenen Anspruchs auf Neuermittlung schon vorauszusehen, halte ich gelinde gesagt für äußerst schwierig. Für schwierig halte ich es auch auf der anderen Seite, bereits jetzt
eine Höhe vorzugeben, die im Prinzip noch keine Begründung hat. DIE LINKE setzt mit den 500 Euro wieder Maßstäbe nach dem Motto: Wer bietet mehr? Der Paritätische Wohlfahrtsverband liegt derzeit bei einer Forderung von 440 Euro. Da sind die Anforderungen durchaus divergierend. Wir sagen deshalb, dass es am sinnvollsten ist, damit eine unabhängige Kommission zu betrauen, den transparenten, nachvollziehbaren und vor allen Dingen tatsächlich widerspiegelnden Bedarf in Regelgesetze zu gießen und diese festzuhalten.
Was das Bundesverfassungsgericht aber ebenfalls mit dem Urteil festgelegt hat – da gehe ich auf die Debatte zum Mindestlohn ein –, ist die Frage des Richtwertes für den viel zitierten Lohnabstand. Die Einhaltung dessen wird ja immer wieder gern beschworen. Nach diesem Urteil steht aber fest, wonach sich dieser Lohnabstand zu richten hat, nämlich nach dem Existenzminimum und nicht danach, was der Geringstverdienende in der Gesellschaft verdient.
Diese Feststellung des Bundesverfassungsgerichtes ist durchaus ein Dilemma für FDP und CDU, für das aber neben uns zum Beispiel auch Herr Geißler einen Ausweg parat hätte, nämlich den Mindestlohn.
Wer wie die FDP und die CDU nur auf die Verbesserung der Hinzuverdienste setzt, der nimmt es unter anderem auch in Kauf, sich weiter mit zwei Problemen herumzuärgern, und zwar ist das einmal das Problem der working poor, das heißt die Leute, die viel arbeiten gehen und trotzdem von ihrem Einkommen nicht leben können, und zum anderen das Problem des Lohndumpings.
Heute ist im „Pressespiegel“ nachzulesen, wie die FDP mit dem Problem umgehen will. Sie setzt auf wirksame Kontrollen, damit solche Exzesse verhindert werden. Das ist auch ein Zitat. Das ergibt sich daraus, um sich nicht eingestehen zu müssen, dass der Mindestlohn eigentlich die einfachste, gängigste Lösung für dieses Problem sei. Wer das Lohnabstandsgebot einfordert, aber den Mindestlohn verweigert, der betreibt zynische Interessenpolitik zulasten von vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
An dieser Stelle sollte man nicht mehr vom Lohnabstand reden, sondern in Zukunft eher das Wort Lohnanstand in den Mund nehmen.
Auch zum letzten Punkt, der Kinderarmut, wurde im vergangenen Plenum schon viel gesagt. Wir sehen mittelfristig eine Kindergrundsicherung als Ziel, um die in Deutschland derzeit vorhandene Dreiteilung der finanziellen Wertschätzung des Staates für Kinder abzuschaffen.
Ein erster Schritt wird dazu mit der Berechnung und Ermittlung der eigenständigen Regelsätze für Kinder vorgenommen werden müssen. Daneben wird es weiterhin notwendig sein, Sachleistungen für den Zugang zu Bildung, Gesundheit und Kultur sicherzustellen. Denn auch das ist nicht neu: Man weiß, wer in materieller Armut lebt, hat schlechtere Bildungschancen, zumeist einen schlechteren Gesundheitszustand und weniger Möglichkeiten der Teilhabe am kulturellen gesellschaftlichen Leben.
Ich möchte an dieser Stelle auf den Unterschied eingehen. In der FDP-Debatte wird viel über Gutscheine für HartzIV-Bezieher gesprochen. Der Unterschied zu unserem Konzept der Sachleistungen besteht darin, dass wir davon ausgehen, dass Sachleistungen in Form von Gutscheinen Bedürftige weiter diskriminieren und stigmatisieren. Das möchten wir nicht.
Fest steht aber am Ende der Debatte auch, dass zur wirksamen Bekämpfung von Kinder- und Familienarmut die Umsetzung des Urteils nur ein erster Schritt ist. Wir brauchen sowohl eine bedarfsgerechte Finanzierung von Familien, wir brauchen die Verknüpfung mit guter Arbeit und guter Entlohnung, wir brauchen eine leistungsfähige Infrastruktur und eine Verbesserung der Chancengleichheit für unsere Kinder. Dieses Konzept hat die Koalition für die Betroffenen derzeit leider nicht.