Bisher waren alle Verbesserungen und Bemühungen im Gesundheitswesen nur von einer kurzen Halbwertzeit. Das liegt an unterschiedlichen Vorstellungen über die Zukunft des Gesundheitswesens. Die Grundfragen sind: Erstens. Wie viel Solidarität verträgt unser Gesundheitssystem? Zweitens. Wie viel private Vorsorge und Eigenverantwortung muss jeder leisten? Da sind wir zum Beispiel sehr weit weg von den Vorstellungen, die die FDP hat.
Politischer Ausdruck dieser Grundsätze sind die entwickelten Gesundheitsmodelle Bürgerversicherung und Gesundheitspauschale, besser bekannt als Kopfpauschale, die sich unvereinbar gegenüberstehen, und zwar bis heute. Das Bundestagswahlergebnis hat sowohl die Bürgerversicherung als auch die Kopfpauschale vom Bundestagstisch genommen. Sie haben kaum gemeinsame Schnittmengen, wenn man es exakt betrachtet. Der Lösungsversuch dieser fast schon wie die Quadratur des Kreises anmutenden Operation ist das Eckpunktepapier der Koalition, über das ich im nächsten Beitrag sprechen werde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schlagwortartig wird den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes seit Jahren suggeriert, die Lohnnebenkosten müssten sinken, damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erhalten bleibt. Dabei ist den Menschen schon längst klar geworden, dass das Wort „Lohnnebenkostensenkung“ die Leerformel der Unternehmerlobby geworden ist und vor allem weniger Geld für kranke Menschen, weniger Geld für Menschen, die der Pflege bedürfen, weniger Geld für die Altersversorgung und weniger Geld für Erwerbslose bedeutet. Im Übrigen: Diese Formel hat bis jetzt wohl noch keinen einzigen Arbeitsplatz gebracht.
Auch das Eckpunktepapier der großen Koalition zur so genannten Gesundheitsreform setzt diesen Kurs hin zur Privatisierung und Entsolidarisierung fort. Nach einer Beitragserhöhung zu Beginn des Jahres 2007, mit der sich die Krankenkassen entschulden sollen, wird der Beitrag zukünftig gesetzlich festgeschrieben. Die Kassen erhalten dann Beiträge aus einem einheitlichen Gesundheitsfonds. Reichen diese Gelder nicht aus, müssen die Kassen allein bei den Versicherten Individualbeiträge erheben bzw. weitere Leistungskürzungen vornehmen.
Wie absurd einzelne Konsequenzen der jetzt geplanten Regelung sind, kann man unter anderem an den folgenden Fragen festmachen:
Woher sollen die Steuermilliarden kommen, mit denen zukünftig die Krankenversicherung der mitversicherten Kinder finanziert werden soll, ohne dass hierzu erneut Steuern erhöht oder neue geschaffen werden?
Was bedeutet es, dass Versicherte zukünftig selbstverschuldete Behandlungsbedürftigkeiten selbst bezahlen müssen? Zu der letzten Fragestellung werden immer populistisch Folgen von Tätowierungen und Piercings genannt. Aber was sind weitere selbstverschuldete Behandlungsbedürftigkeiten? Gefährliche Sportarten, Übergewicht, Rauchen oder, ganz ketzerisch gesagt, auch Verkehrsunfälle mit Eigenverschulden? Ist das auch schon selbstverschuldet?
Man kann sicherlich die Debatte über die Übernahme von Leistungen für Risikosportarten noch verstehen, aber das Eckpunktepapier der Regierungsparteien stellt einen Anschlag auf die Solidarität der Versicherten dar.
Eine Politik, bei der der Umfang des Geldbeutels die Versorgungsqualität bestimmt, wird von uns konsequent abgelehnt. Schon heute können oder wollen sich viele einkommensschwache Menschen eine angemessene Versorgung nicht mehr leisten. Wo wird dabei zuerst gespart? – Natürlich bei den präventiven Maßnahmen, da man da nicht sofort einen Nachteil bemerkt. Ich wage zu bezweifeln, dass die Behandlung der Folgeschäden billiger wird. Die Profitinteressen der großen internationalen Konzerne werden dagegen innerhalb des lukrativen Marktes der Gesundheitspolitik nachhaltig befriedigt.
Eine moderne nationale Politik bedeutet dagegen: keine Eintrittsgelder beim Arzt, keine Leistungskürzungen bzw. Leistungsstreichungen und keine Ausweitung der Zuzahlungen. Stattdessen muss aus unserer Sicht die Einnahmenseite gestärkt werden. Wie das geht? – Unser Ziel ist die Solidargemeinschaft aller Deutschen. Die geschieht aus unserer Sicht am besten unter dem Dach einer Krankenkasse mit Pflichtmitgliedschaft aller. Konkret bedeutet dies die Ausweitung der Finanzierungsbasis durch Einbeziehung aller Bürger und aller Einkünfte. Eine Volksversicherung bedeutet, dass Patientinnen und Patienten eben nicht den freien Kräften des Marktes überlassen werden, denn für uns gilt: Gesundheit ist keine Ware, Gesundheit ist ein für die Existenz der Menschen unverzichtbares Gut, das nicht dem Spiel der Kräfte des Marktes und den finanziellen Möglichkeiten der Einzelnen überlassen werden darf.
Meine Damen und Herren, wenn Sie jedoch solche radikalen Veränderungen jetzt nicht wollen, so kann ich das aus dem Blickwinkel Ihres Besitzstandsdenkens verstehen. Schon der damalige Gesundheitsminister Seehofer wurde von Kohl zurückgepfiffen, als er an die Pharmalobby heranwollte. Das ist nachhaltig auch in Ihren Kreisen bekannt. Doch Sie sollten wenigstens aufhören,
die Gesundheitspolitik vom Finanzminister machen zu lassen. Hören Sie endlich auf die Vorschläge der Fachleute in den Gebietskörperschaften! In den letzten zwei Monaten sind allein hier im Haus drei Vorschläge angekommen, zwei von der Bundesärztekammer, über die Sächsische Landesärztekammer weitergeleitet, und einer von der Kassenärztlichen Vereinigung zum Thema „Finanzierung des ambulanten Gesundheitssektors“. Ich denke, da wäre viel gedient, wenn es nicht nur um politische Forderungen, sondern auch um die fachlichen Inhalte ginge.
Jetzt möchte ich noch ganz kurz auf das Thema eingehen, das Frau Nicolaus vorhin angesprochen hat: die Vernetzung stationär und ambulant. Es klingt ja auf den ersten Blick gut, Frau Nicolaus.
Aber es ist nicht unbedingt alles gut, was erst mal gut klingt. Denn die Krankenhäuser, zum Beispiel bei uns im Kreis, die jetzt alle privatisiert sind, werden dann von wenigen großen Konzernen beherrscht. Diese haben natürlich auch das technische Know-how, wogegen der niedergelassene Facharzt – nicht der Allgemeinmediziner, der Facharzt – immens in die Tasche greifen müsste, um wenigstens konkurrenzfähig zu sein. Das geht nicht auf, das ist das Ende der Fachärzte.
Vernetzung heißt, dass Konzerne im Endeffekt versuchen, das Geld selbst einzukassieren. Das ist die logische Folge. – Ich muss jetzt aufhören, die rote Lampe blinkt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Glück, dass die Vorstellungen des Herrn Dr. Müller von Volksversicherung keine Chance haben, umgesetzt zu werden. Denn dann wären etliche Bürger unseres Landes, die in Deutschland leben, nicht mehr versichert.
Die CDU/CSU und die SPD haben monatelang über die Gesundheitsreform verhandelt und das Ziel – das hat Johannes Gerlach sehr richtig gesagt – war, zu einem dritten Weg zwischen Bürgerversicherung und Kopfpauschale zu finden. Aber unserer Meinung nach ist dieser Weg eine Sackgasse. Irrwege gibt es selten zum Nulltarif und die Kosten dieses Weges werden die Versicherten und die Kranken tragen.
Der Gesundheitskompromiss ist eine Reformattrappe und eben nur der kleinste gemeinsame Nenner. Uns liegt jetzt
ein Eckpunktepapier vor, in dem es nicht nur Ecken, sondern auch zahlreiche Kanten gibt, über die man stolpern kann. Die Reformattrappe der großen Koalition behebt keines der Strukturdefizite unseres Gesundheitswesens, weder die verkrusteten Strukturen, die den Wettbewerb um mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit verhindern, noch die Gerechtigkeitslücken bei der solidarischen Finanzierung des Systems, noch die Wachstumsschwäche der Finanzierungsbasis. Nur im Zusammenhang mit der Behebung dieser Defizite kann man dann an mehr Eigenverantwortung denken.
Was bekommen wir stattdessen? Für 2007 ein klaffendes Milliardenloch auf der Einnahmenseite. Sieben Milliarden Euro werden der gesetzlichen Krankenversicherung im nächsten Jahr fehlen. Dieses Defizit ist wesentlich durch die große Koalition verursacht. Die Mehrwertsteuererhöhung wird die Arzneimittelpreise und damit die Kassenausgaben erhöhen. Gleichzeitig wird der Bundeszuschuss an die Krankenkassen zur Finanzierung des Mutterschaftsgeldes und anderer Familienleistungen gestrichen. Diese Kosten tragen Versicherte und Arbeitgeber. Frau Merkel sprach von 0,5 Prozentpunkten. Ob das reicht?
Was bekommen wir noch? Den Gesundheitsfonds. Das ist eine teure Geldsammelstelle, die die Krankenversicherungsbeiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern einziehen soll. Das ist kein Schritt zum Bürokratieabbau. Dem Stellenaufwuchs, den der Fonds erforderlich macht, steht kein gleichgewichtiger Abbau bei den 250 Krankenkassen gegenüber. So werden wir Doppelstrukturen haben. Für Sachsen bedeutet das – seit gestern liegen uns die Bewertungen der AOK und der IKK, auf Sachsen bezogen, vor –, dass die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge wie für alle anderen Länder in den Gesundheitsfonds gesetzlich fixiert sind. Grundlage dafür ist die heutige Relation. Das ist der bundesweite Durchschnittssatz von 13,24 %. Er liegt aber über dem derzeitigen Beitragssatz der AOK von 12 % und der IKK von 11,8 %.
Aus der Gesundheitsreform erhalten die Krankenkassen für jeden Versicherten eine einheitliche Kopfpauschale. Wenn dieses Geld nicht ausreicht, sollen die Kassen von ihren Versicherten einen Zusatzbeitrag verlangen. Das wird dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allem die Kassen betreffen, die viele alte Menschen und chronisch Kranke versichern; denn diese Kassen haben große Leistungsausgaben und dafür wird der Einheitsbetrag aus dem Fonds nicht reichen.
Und die Steuerfinanzierung der Kinderversicherung: Das wird als großer Erfolg gefeiert, aber wir denken, dass es nur eine Flickschusterei ist. 2008 sollen 1,5 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt für die Krankenversicherung der Kinder bereitstehen. Der Betrag soll sich 2009 auf drei Milliarden Euro verdoppeln. Aber Sie wissen, was heute schon die Krankenversicherung für Kinder aufbringt: nämlich 14 bis 16 Milliarden Euro.
Gerade hat die große Koalition 4,2 Milliarden Euro gestrichen, die die Kassen hauptsächlich für Familienleistungen erhalten. Rechnet man diese Streichung und den geplanten Kassenzuschuss gegeneinander auf, bleibt ein Minus. Tatsächlich werden die Steuerzuweisungen für Familien gekürzt. Wo ist da die Familienfreundlichkeit?
Zum Schluss: Die Privatversicherten bleiben weiter unter sich. Unser Solidarsystem wird auch künftig ohne die Stärksten auskommen müssen. Die privaten Krankenkassen sind die Gewinner der Reform. Deshalb bleibt ein bedrückendes Fazit: Die Kosten werden weiter steigen, weil sich die große Koalition in Berlin nicht an die Gesundheitskartelle herantraut. Mehr Geld im System ist ein Leitsatz, mit dem sich die Probleme der Krankenkassen eben nicht nachhaltig lösen lassen. Wir brauchen mehr Wettbewerb um Qualität und Wirtschaftlichkeit im System! Wir brauchen die Bürgerversicherung!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mit meinen Botschaften fortfahren. Die dritte Botschaft aus diesem Eckpunktepapier lautet: CDU und SPD schaffen mehr Bürokratie.
Aus der Regierungserklärung von Frau Merkel vom November 2005 zitiere ich: „Meiner Meinung nach können wir am meisten beim Bürokratieabbau leisten.“ Was macht sie jetzt bei der Gesundheitsreform? Die Regierung baut mit dem Gesundheitsfonds eine neue Bürokratie auf, die Milliarden verwaltet. Es wird wesentlich entscheidend sein, wie effizient dieser neue Gesundheitsfonds arbeitet. Bisher sind zirka 23 000 bis 30 000 Beschäftigte der gesetzlichen Krankenversicherungen mit dem Beitragseinzug beschäftigt. Was glauben Sie, wie viele Beschäftigte es sein werden, wenn künftig der Fonds anstelle der Krankenkassen alle Sozialversicherungsbeiträge einziehen soll? Man schätzt zirka 25 000 Beschäftigte.
Bisher weiß auch keiner, wer diesen Fonds verwalten soll. Es sollen regionale Einzugsstellen gebildet werden. Wo, wie und mit wie viel Personal, ist gerade für uns in Sachsen vollkommen unklar. Die Krankenkassen werden weiterhin Versichertenkonten führen müssen, um zum Beispiel Zusatzbeiträge oder die kleine Kopfpauschale berechnen zu können, wenn sie mit den Einnahmen aus dem Fonds nicht ausreichen. Die Finanzautonomie der Krankenkassen und ihre Selbstverwaltungen werden massiv eingeschränkt; denn der Beitrag wird nicht mehr durch die Selbstverwaltungsorgane, sondern bundeseinheitlich per Bundesgesetz festgelegt.
Der Fonds soll ab 2008 einsatzbereit sein. Es ist also nur eineinhalb Jahre Zeit, seine Strukturen aufzubauen. Angesichts der Erfahrungen mit Toll collect, Hartz und Einführung der elektronischen Gesundheitskarte, deren Testbetrieb schon seit 01.07.2006 im Landkreis Löbau/Zittau laufen sollte, wird die Einführung zum 01.01.2008 von uns als Fraktion, gerade die regionalen Einzugsstellen betreffend, sehr kritisch gesehen.
Wo bleibt eigentlich der Wettbewerb? Die vierte Botschaft der Gesundheitsreform lautet meiner Meinung nach nur noch: Der Gesundheitsfonds ist der Einstieg in Richtung Einheitskasse. Aus der Regierungserklärung zitiere ich noch einmal die Aussage: „Lasst uns mehr Freiheit wagen!“ Wo bleibt dann der Wettbewerb bei den Krankenkassen?
Das vielleicht bisher einzige Wettbewerbselement, der Beitragssatz, wird gleichgeschaltet. Der Leistungskatalog der Krankenkassen bleibt, bis auf einige begrüßenswerte Ausnahmen, gleich. Über welche Instrumente sollen denn die Krankenkassen in den Wettbewerb gehen, außer dass sie sich zusammenschließen können?
Im Eckpunktepapier der CDU und SPD zur Gesundheitsreform heißt es: „Der Umfang des Leistungskataloges und die Zuzahlungen bleiben im Wesentlichen unverändert.“ Man drückt sich ganz klar politisch um eine Diskussion über die Höhe des medizinischen Versorgungsniveaus herum. Deutschland gibt weltweit am meisten für die medizinische Versorgung aus, und dies auf hohem Niveau. Das ist auf Dauer nicht mehr finanzierbar. Der Leistungskatalog ist weitgehend festgeschrieben und bleibt dies auf dem Papier auch. Dass zum Beispiel zukünftig das Entfernen von Piercings nicht mehr bezahlt wird, ist – gelinde gesagt – finanziell ein Witz. Das bringt bundesweit zirka 250 000 Euro.
Ich befürchte, der Leistungsumfang jeder Krankenkasse wird bestehen bleiben, aber die Leistungsmenge für jeden Versicherten wird je nach Kassenlage erfolgen. Das heißt, die Kürzung des Leistungsniveaus wurde von der Politik auf die Krankenkassen abgeladen. Dies ist für die Patienten intransparent und von der Politik in keinem Fall ehrlich, wenn nicht sogar verlogen.
Gar nicht benannt habe ich an dieser Stelle die Auswirkungen der Gesundheitsreform für die Krankenhäuser – zum Beispiel in Form eines Sanierungsbeitrages und eines Umverteilungsbeitrages – oder die Apotheken, die ihre Gewinne/Rabatte, die sie eigenständig mit der Pharmaindustrie aushandeln, freiwillig an die gesetzlichen Krankenversicherungen weiterreichen sollen, und auch nicht die Mehrwertsteuererhöhung, die bei den Krankenhäusern als Endverbrauchern zu Buche schlägt, oder die zu erwartenden Tarifabschlüsse in den kommunalen Krankenhäusern.