Wird von den Fraktionen weiter das Wort gewünscht? – Das sieht nicht so aus. Dann bitte ich die Staatsregierung; Herr Staatsminister Jurk, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Leider verlässt Herr Abg. Hahn gerade den Plenarsaal. Warum sage ich das? Ich habe genau zugehört, als Herr Weichert von den GRÜNEN an das Pult trat und Herr Hahn bemerkte, dass Herr Weichert fast auf das gleiche Papier wie der Minister schreibe. Er hatte es nur quer gelegt und nicht längs. Herr Hahn, das war eine selbstständige Entscheidung von mir.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe soeben versucht, das im Kleinen einmal deutlich zu machen. Wir treffen tagtäglich verschiedene Entscheidungen, die nur wir selbst treffen können.
Frau Ernst, ich weiß nicht, ob der Zwischenruf gerade von Ihnen kam. Vielleicht ist es bei der PDS anders und es gibt Leute, die die Entscheidung vorgeben. Aber wir möchten das nicht unbedingt.
Ich will damit sehr deutlich sagen: Es ist immer eine Frage der Verflochtenheit. Wie viele Entscheidungen trifft man selbst? Eine der schwierigsten Entscheidungen ist es wohl, wenn ein Mensch für sich die Entscheidung trifft, nicht nur sein Leben selbst zu gestalten. Ich glaube, das ist die wichtigste Voraussetzung, dass man selbst lebensfähig ist und auch die Verantwortung übernimmt, damit seine Existenz durch eigene Arbeit eigenverantwortlich zu sichern. Das ist doch der Punkt.
Herr Morlok, wenn Sie die Vielzahl der Unternehmen, die es in Sachsen gibt, ansprechen, dann hat es sicherlich unterschiedliche Gründe. Darüber sollte man sprechen. Aber eines steht fest: Wenn es nicht den selbstständigen Unternehmer oder die selbstständige Unternehmerin gäbe, könnten keine Personen dort beschäftigt werden. Das ist, glaube ich, der Kristallisationskern. Deshalb ist es mir so wichtig, dass wir dieses Thema “Selbstständigkeit“ gründlich untersuchen und schauen, wie die Entwicklung ist.
Deshalb ist der Antrag der Koalitionsfraktionen von CDU und SPD aus meiner Sicht ausdrücklich zu begrüßen. Selbstständige Unternehmer sind ein wichtiger Bestandteil jeder leistungsfähigen Wirtschaft. Was wie selbstverständlich klingt, ist in Sachsen – das will ich ausdrücklich dazusagen – eben nicht immer eine Selbstverständlichkeit
gewesen. Seit Beginn der neunziger Jahre musste der Unternehmensbestand nahezu vollständig neu aufgebaut werden. Selbstständigkeit und unternehmerisches Denken waren lange Zeit verpönt und wurden nicht vermittelt.
Zu Zeiten der DDR gab es in Sachsen überdurchschnittlich viele privat geführte Handwerksbetriebe und andere selbstständige wirtschaftliche Existenzen unter den zugegebenermaßen schwierigen Bedingungen von Plan- und Mangelwirtschaft. Sachsen hat seither – das ist ausdrücklich zu betonen – eine Menge erreicht.
Im Jahr 2004 gab es in Sachsen 201 000 Unternehmen und Selbstständige. Die Selbstständigenquote liegt mit 11,3 % aller Erwerbstätigen mehr als doppelt so hoch wie im Jahre 1991. Damals waren es nur 4,6 %. In Ostdeutschland haben wir – der Durchschnitt liegt bei 10,5 % – den Spitzenplatz inne. Der Abstand zum westdeutschen Durchschnitt von 12,2 % hat sich weiter verringert.
In vielen Wirtschaftzweigen ist es gelungen – das ist mir ganz besonders wichtig, weil es auch die Herkunft und die Tradition begründet hat –, alte unternehmerische Traditionen mit neuen, innovativen Entwicklungen zu verknüpfen. So zum Beispiel im Maschinenbau – das ist, glaube ich, das beste Beispiel –, im Bereich der Automobilzulieferer, in der Uhrenindustrie, aber auch im Handwerk oder bei einer Reihe von Dienstleistungen.
Wir können uns jedoch nicht mit dem Hinweis auf das Erreichte ausruhen, sondern müssen weiter daran arbeiten, dass die Menschen in Sachsen mehr Mut zur Selbstständigkeit entwickeln, wie es im Antrag zutreffend formuliert ist.
Welchen Herausforderungen müssen wir uns dabei stellen? Ich möchte auf drei zentrale Punkte verweisen.
Erstens. Das Gründungsgeschehen der letzten Jahre in Sachsen ist wie im gesamten Land geprägt von einer starken Zunahme von Klein- und Kleinstgründungen, besonders aus der Arbeitslosigkeit heraus. Hintergrund ist sicherlich auch die Einführung des Existenzgründungszuschusses durch die Arbeitsverwaltungen im Jahre 2003, mit dem viele Arbeitslose die Erwerbslosigkeit zu überwinden versuchen. Mehr als 30 000 Menschen in Sachsen haben sich seither im Rahmen der so genannten Ich-AGs selbstständig gemacht.
Herr Pecher, ich gebe Ihnen vollkommen Recht, man sollte abwarten, bis die endgültigen Evaluierungsergebnisse vorliegen, wie dieses Instrument, was jetzt abgeschafft wird, vielleicht in anderer Form – dazu nenne ich nur das Stichwort Einstiegsgeld – fortgeführt werden kann, um auf diese Weise ein sinnvolles Instrument für den Start in die Selbstständigkeit zu haben.
Grundsätzlich haben über 40 000 Gründer das Überbrückungsgeld und die ergänzende ESF-Förderung des Freistaates in Anspruch genommen. Wir brauchen solche Instrumente auch für die Zukunft, um den Wandel auf dem Arbeitsmarkt realisieren zu können. Ich sage aber auch: Die Unterstützung muss noch stärker berücksichti
gen, dass der Erfolg einer solchen Selbstständigkeit dauerhaft und nachhaltig wird – dies auch im Interesse der Menschen, die in die Selbstständigkeit gehen.
Zweitens. Besonders wichtig für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit sind Technologie und wissensbasierte Unternehmensgründungen. Sie stoßen nämlich Innovationen an und bringen Dynamik in den Arbeitsmarkt.
Sachsen verfügt über einen guten Nährboden für diese Gründungen. Ich will ausdrücklich betonen: Dazu gehören eine breitere und leistungsfähigere Hochschul- und Forschungslandschaft, ein wachsendes Gewicht von Forschung und Entwicklung in der Wirtschaft, besonders in der Industrie, leistungsfähigere Betreuungsangebote, zum Beispiel der Businessplanwettbewerb futureSax, und die Technologiegründerzentren. Wir können feststellen: Auch wenn wir viel erreicht haben, wollen, können und müssen wir noch besser werden.
Der Transfer von Wissen und Technologie in neue Produkte und Dienstleistungen über den Weg der Existenzgründung wird noch zu wenig genutzt. Dazu kommen personenbezogene Dienstleistungen vom Wellnessinstitut bis zur ambulanten Pflege, von Diensten rund um den Haushalt bis hin zu Finanzdienstleistungen.
Drittens. Wir müssen darüber hinaus das unternehmerische Potenzial im bestehenden Mittelstand erhalten und ausbauen. Diese Bestandspflege ist einerseits wichtig, wenn wir an die wachsende Bedeutung des Themas Unternehmensnachfolge denken. Darüber hinaus werden wir schon in wenigen Jahren die Folgen der Bevölkerungsentwicklung auch beim Gründergeschehen spüren.
Gegenwärtig ist es so, dass die Gründungsneigung ab dem Alter von 40 Jahren deutlich abnimmt. Deshalb tun wir gut daran, frühzeitig darüber nachzudenken, wie wir unter veränderten demografischen Bedingungen Gründungen und Unternehmertum fördern, also nicht nur bei jungen Menschen, sondern auch bei denen, die vielleicht schon ein Berufsleben hinter sich haben. Dabei steht nicht allein die Höhe der Selbstständigenquote im Vordergrund – das soll eben keine Selbstbeweihräucherung sein –, sondern die Fähigkeit zu unternehmerischem Denken, Selbstständigkeit und Eigenverantwortung im Allgemeinen. Dies ist eine Querschnittsaufgabe. Sie muss vor allem auch in Schulen und Hochschulen noch stärker gefördert werden, um die Innovationskräfte zu erhalten und zu stärken. Genau darum geht es natürlich auch in unseren Schulen. Selbstständig denken und handeln, Verantwortung auch für andere übernehmen – das ist zehnmal wichtiger als der Nürnberger Trichter, der nur zu abfragbarem Wissen und ausführenden Tätigkeiten und eben nicht zu Selbstständigkeit und Unternehmergeist führt.
Die umfassende Bestandsaufnahme des Gründungsgeschehens, wie es CDU und SPD mit dem Antrag vorschlagen, ist sehr sinnvoll. Gleiches gilt für die Bewertung der Förderinstrumente. Allerdings weise ich darauf hin, dass der Bund und die EU ihre Programme im Bereich der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung selbst evaluieren. Eine eigene sächsische Bewertung, wie der
Antrag sie einfordert, ist aus Sicht der Staatsregierung nicht notwendig, weil dies zu unwirtschaftlicher Doppelarbeit führen würde.
Alles in allem begrüßt die Staatsregierung daher den Antrag. Sie wird die Thematik im Zusammenhang mit dem Mittelstandsbericht im Jahre 2008, nachdem im Mittelstandsbericht 2006 das Thema Unternehmensnachfolge im Mittelpunkt steht, umfassend behandeln. Sie alle haben über die Notwendigkeit gesprochen, dass Menschen sich selbstständig machen, dass sie eine unternehmerische Zukunft haben. Wenn man den Antrag richtig liest, erkennt man, dass er mehr umfasst als eine bloße Bestandsaufnahme.
Man sollte sich die sieben Punkte noch einmal in Ruhe anschauen. Ich finde es gut, dass der Antrag gestellt wurde. Er wird sicherlich den Fraktionen bei ihrer Arbeit im Landtag helfen, bestimmte Entscheidungen richtig zu treffen.
Eines steht im Antrag nicht, aber ich bin Prof. Bolick und dem Abg. Pecher sehr dankbar, dass sie darauf hingewiesen haben. Natürlich müssen wir über das Bild des Unternehmers reden. Auch Herr Rasch hat darauf hingewiesen.
Weil andere Menschen bei Unternehmern Beschäftigung finden, müssen wir auch dafür Sorge tragen, dass kein verzerrtes Bild entsteht. Ich, lieber Herr Rasch, habe nach wie vor mit einigen „Heuschrecken“ meine Probleme. Aber Fakt ist, dass wir tüchtige Unternehmer brauchen. Es soll mir auch recht sein, wenn sie von außen kommen und Geld im Freistaat Sachsen investieren. Das kann uns allen gemeinsam nur helfen.
Kollege Hilker, ich habe Ihnen gut zugehört. Sie haben einen wichtigen Punkt angesprochen, nämlich die Möglichkeit der Ausgründungen aus Hochschulen und Universitäten. Das ist natürlich etwas, was Kollegin Ludwig und mich besonders umtreibt. Wir haben dafür Programme, sollten aber ständig prüfen, wie wir die Instrumente besser einsetzen können. Da will ich gern auch auf Ihre Vorstellungen eingehen.
Kollege Morlok, Sie haben angesprochen, dass zu wenig getan wird, dass man stattdessen nur abfragt. Ich denke, es gab eine Reihe von wichtigen Entscheidungen, die von der Koalition getroffen und vom Wirtschaftsministerium umgesetzt wurden. Der mittelständische Wachstumsfonds ist solch ein Instrument, das zu mehr Wachstum führen soll. Sie nicken. Ich glaube, unser gemeinsames Ziel muss es sein, dass die vielen Unternehmen, die am Markt sind, wachsen können und dass sie nicht nur unternehmerisch wachsen, also die Gewinne steigern, sondern dass sie diese Gewinne auch investieren können und damit neue Arbeitsplätze schaffen.
Kollege Schmalfuß, wichtig ist auch – Sie haben das Thema schon oft angesprochen –, dass wir jene Köpfe entwickeln, die nachher in der Lage sind, wieder Unternehmen zu übernehmen. Ich sagte schon, dass die Unternehmensnachfolge im Mittelstandsbericht 2006 eine wichtige Rolle spielen wird.
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, dass der Mittelstandsfonds Sachsen bis zum heutigen Zeitpunkt noch nicht eine Beteiligung in Sachsen eingegangen ist?
Wir arbeiten momentan an den Beteiligungen. Der Fonds ist auf den Weg gebracht worden. Ich denke, dass man darauf achten muss, dass man sinnvolle Beteiligungen eingeht. Ich kann Ihnen jetzt die exakte Zahl nicht nennen. Ich prüfe gern, wie weit wir im Moment sind. Ich bin mir sicher, dass dieses Instrument durchaus seine Anhänger finden wird.
Ich will noch auf das eingehen, was Kollege Weichert angesprochen hat. Er hat etwas verklausuliert gesprochen, aber er weiß genau, dass auch ich weiß, um welches Unternehmen es geht, ebenso wie Kollege Albrecht von der CDU oder meine Abgeordnetenkollegin von der SPD Frau Weihnert. Wir haben um dieselbe Firma gekämpft.
Ich muss Ihnen sagen, dass sowohl Wirtschafts- als auch Finanzministerium alles getan haben. Aber wenn die SAB nicht anders entscheiden kann, als sie entschieden hat, dann muss man dies akzeptieren. Ich denke, es sollte weitergehen, und zwar auch vor dem Hintergrund, dass wir sicher mit dem Businessplan-Wettbewerb ein Instrument haben, aus dem heraus wir Unternehmen gründen wollen.
Mir ist wichtig, dass wir es schaffen, dass die wirklich hoch qualifizierten Techniker und jene, die eher ihre Stärken im kaufmännischen Bereich haben, zueinander finden. Ich will das so vorsichtig ausdrücken. Wir haben in Sachsen eher eine Stärke als Land der Techniker und Ingenieure. Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass das, was erdacht und produziert wird, an den Mann, die Frau, die Kunden gebracht wird. Deshalb glaube ich – und das ist auch eine Form der Selbstständigkeit –, dass es ganz besonders wichtig wird, kaufmännisches Denken und Handeln zu vermitteln. Denn das macht hauptsächlich den Erfolg des Unternehmens am Markt aus.
Zum Abschluss will ich Folgendes sagen: Wenn wir über Mut zur Selbstständigkeit sprechen, wenn wir diesen Antrag auf den Weg bringen, dann wird die Politik nur Rahmenbedingungen schaffen können. Ich glaube, das gesellschaftliche Klima, um Mut zur Selbstständigkeit zu entwickeln, ist ein ganz besonderes. Dieses Klima verlangt eben auch, dass Menschen vom Kindergarten an über die Schule, die Berufsausbildung, das Studium und dann auch in ihrer beruflichen Tätigkeit ihr Leben frei und selbstbestimmt entwickeln können. Deshalb bin ich sehr froh, dass die Menschen nach 1989 die Chance hatten, nach zwei Diktaturen ihr Leben in die eigenen
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben über unseren Antrag diskutiert. Es gibt unterschiedliche Standpunkte. Ich freue mich aber, dass alle Parteien, auch die der Opposition, dem Antrag zustimmen. So schlecht kann er also nicht sein.
Dass wir in manchen Punkten unterschiedliche Auffassungen haben, ist normal. Wenn ich verdichten würde, was hier alles angeführt wurde, dann stünde Sachsen schlecht da. Aber ich denke, dass Sachsen in Relation zu allen anderen neuen Bundesländern an vorderster Stelle steht. Das muss doch Gründe haben.
Die Gründe liegen darin, dass wir mit unserer Staatsregierung vernünftig zusammenarbeiten, dass wir Anträge stellen, die auch unsere Wirtschaft voranbringen. Herr Morlok, wenn Sie der Meinung sind, dass das alles schon in irgendwelchen Auswertungen der IHK steht, dann ist es sicher so, dass wir diese auch lesen. Aber wir müssen auch mit unserer Staatsregierung kommunizieren. Das tun wir über diesen Antrag. Der Minister hat bestätigt, dass das eine Leitlinie ist, der die Staatsregierung folgen wird.
Herr Hilker, Ihre Unkenrufe sind wir gewohnt. Sie wissen alles besser. Aber wenn Ihre geistigen Väter 1972 gewusst hätten, dass sie den Mittelstand in Ostdeutschland nicht zerschlagen sollten,