Protocol of the Session on January 24, 2006

Die in Deutschland stattfindende Arbeitsmarktreform hat auf diese Probleme unter anderem mit einem Blick auf erfolgreiche Instrumente unserer europäischen Nachbarn reagiert. Wir haben eine Reihe von Ansätzen eingeführt, die auch andere europäische Staaten erfolgreich nutzen. Über die Wirkung insgesamt – das hat Frau Staatsministerin Orosz bereits erläutert – werden wir erst mehr wissen, wenn die Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluation vorliegen.

Derzeit wird ein zweiter Zwischenbericht des mit der Koordinierung der Evaluierung Beauftragten Herrn Dr. Kaltenborn auf der Arbeitsebene der Bundesregierung abgestimmt. Nach Pressemeldungen soll dieser Bericht am 1. Februar dem Bundeskabinett vorgelegt werden.

Einige Punkte kann man schon jetzt klar benennen. Die von der PDS und der NPD, teilweise auch von der FDP behauptete Verelendung weiter Bevölkerungsgruppen hat so nicht stattgefunden.

(Widerspruch bei der FDP)

Natürlich, ich erinnere an Ihre Wahlplakate!

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE, und vereinzelt bei der SPD)

Ich bitte, mir weiter zuzuhören. In nicht wenigen Fällen sind aber erhebliche Härten festzustellen. Hier besteht weiterhin Handlungsbedarf.

Zweitens. Die vielfach befürchteten Verdrängungseffekte durch die so genannten Ein-Euro-Jobs sind bis auf wenige Einzelfälle nicht eingetreten. Frau Orosz hat darauf hingewiesen. Frau Ernst, ich habe Ihren Zwischenruf verfolgt. Es ist so, dass wir darauf Wert gelegt haben, dass vor Ort bei den ARGEn, bei den optierenden Kommunen entsprechende Beiräte eingerichtet werden.

(Zuruf der Abg. Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS)

Sie sollen unmittelbar vor Ort mit den handelnden Akteuren entscheiden – dort sitzt nicht nur die Politik, sondern dort sitzen auch die Vertreter von Gewerkschaften, von Kammern –, welche Maßnahmen unter Ein-Euro-Jobs möglich sind und welche nicht.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Was hat ver.di heute zu Leipzig gesagt?)

Genau dies sollte man immer wieder im Einzelfall prüfen. Dazu haben wir die Instrumente eingeführt. Frau Orosz hat es sehr deutlich gesagt: Bevor es zur Clearing-Stelle im SMWA kommt, sollten wir alle Möglichkeiten suchen, möglichst vor Ort zu klären, ob solche Maßnahmen wirklich in unserem Interesse sind oder ob sie wirtschaftliche Aktivitäten verdrängen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?

Ja.

Ist Ihnen bekannt, Herr Staatsminister Jurk, dass aus dem Dresdner Beirat über die Wohlfahrtsverbände, die dort auch vertreten sind, offene Briefe veröffentlicht wurden, die genau dieses Thema beinhaltet haben: dass die Ein-Euro-Jobs tatsächlich andere Jobs gefährden? Dies wurde auch vom Beirat unterstützt. Ist Ihnen bekannt, dass wir diese Problematik ganz hart haben? Kann man Ihrer Meinung nach nicht so verfahren – wie Sie es hier dargestellt haben –, dass man sagen könnte: Was bei dieser Clearing-Stelle nicht angekommen ist, ist ein Beweis dafür, dass wir dieses Problem nicht hätten? Das Problem haben wir sehr wohl – unabhängig davon, ob in dieser Clearing-Stelle alles so thematisiert wurde, wie es von Frau Orosz gesagt wurde.

Ich denke, dass Sie dabei Frau Ministerin Orosz bewusst etwas falsch verstanden haben. Sie hat eindeutig gesagt: In der Clearing-Stelle, die dann wirklich die letzte instanzliche Regelung bei uns in Sachsen sein soll, sind solche Fälle nicht aufgetreten. Wir setzen darauf, dass die regionalen Akteure dies lösen. Wir hatten die letzte Beratung dazu am 30.11. Darüber können wir auch gern berichten. Aber wir werden bei den weiteren Beratungen

sehen, ob uns diese Probleme so vorgetragen werden, und dann natürlich auch nach Lösungen suchen.

Im Übrigen hätten wir die Clearing-Stelle auch nie einrichten brauchen, wenn wir uns vor Arbeit scheuen und sagen würden: Nun löst das alles! Wenn der Fall in Dresden so liegt, denke ich, ist die richtige Anlaufstelle die Clearing-Stelle und diese kann dann zur Problemlösung beitragen.

Ich möchte in meinem Redebeitrag fortfahren.

Drittens. Die Vermittlung Arbeit Suchender hat sich sowohl seitens der Arbeitsagenturen als auch seitens der kommunalen Träger schrittweise verbessert.

Viertens. Die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit Jugendlicher ist deutlich gesunken. Die Betreuungsintensität konnte gesteigert werden. Frau Lay, ich habe Ihnen genau zugehört. Über die Frage, welche Statistik stimmt, können wir gern im Ausschuss noch reden, weil wir dann die entsprechenden Zahlen gegeneinander stellen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz der Zwischenbilanz kann nichts darüber hinwegtäuschen, dass noch ein weiter Weg vor uns liegt, bevor die Arbeitsmarktreform als gelungen abgeschlossen werden darf. Eine ungelöste Frage ist, welche Formen die aktive Arbeitsmarktpolitik annehmen wird und welche wir auch zulassen wollen. Es gab eine recht einseitige Auslegung hinsichtlich der Anwendbarkeit von arbeitsmarktpolitischen Instrumenten. Das hat auch die Nutzung des ESF in Sachsen beeinflusst. Deshalb müssen die Möglichkeiten des Europäischen Sozialfonds genutzt werden, das heißt, sie müssen immer im Interesse der Betroffenen handhabbar sein.

Ob auf Bundes- oder Landesebene – arbeitsmarktpolitische Maßnahmen galten nur dann als effizient, wenn sie den Geförderten unmittelbar in den ersten Arbeitsmarkt führten. Alles andere wurde zurückgestellt. Es stimmt, Sie müssen alles dafür tun, dass Menschen wieder eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt bekommen. Wir alle wissen aber auch, dass viele aus ganz unterschiedlichen Gründen dort kaum eine Chance mehr haben. Das ist eben auch die Wahrheit. Auch diese Menschen dürfen nicht an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Auch sie brauchen entsprechende Angebote.

(Beifall der Abg. Caren Lay, Linksfraktion.PDS)

Wichtig ist, dass wir arbeitsmarktpolitische Maßnahmen mit hoher Passgenauigkeit anbieten. Die mehr als vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland sind keine homogene Gruppe. Deshalb gibt es auch kein Patentrezept dafür, wie die Beschäftigungsaussichten eines Arbeitslosen verbessert werden können.

Handlungsnotwendigkeiten gibt es auch bei den Rahmenbedingungen der Beschäftigungsentwicklung in Deutschland. So gibt es zum Beispiel eine hohe Belastung des Faktors Arbeit durch Abgaben. Es gibt im Bildungsbereich Defizite, die später korrigiert werden müssen. Entsprechend der Koalitionsvereinbarung auf Bundesebe

ne ist nun die Fortsetzung der Evaluierung der Arbeitsmarktreformen vorgesehen. Mit dem SGB III aus dem Jahre 1998 und mit den einzelnen Hartz-Gesetzen fanden die Fragen der Effizienzkontrolle erstmals eine gesetzliche Verankerung. Das ist angesichts der Arbeitsmarktpolitik, die vorher betrieben wurde, ein Fortschritt.

Was wir bisher wissen, stammt in der Regel aus kleineren Studien, die zum Teil auf älteren Daten beruhen. Das betraf insbesondere die Analysen über ABM und die Förderung der beruflichen Weiterbildung. Die Heterogenitäten hinsichtlich der Effekte auf Teilnehmer- und Maßnahmeseite wurden häufig nicht berücksichtigt. Dies stellt heute die Wissenschaft fest, nachdem die alte Diskussion etwas zur Ruhe gekommen ist. Inzwischen wurde der Untersuchungszeitraum für die HartzEvaluation bis zum Frühjahr 2006 erweitert. Ich finde das richtig. Wir brauchen verlässliche, belastbare Erkenntnisse und keine aufgeregten Diskussionen, die häufig von Verbandsinteressen geprägt sind.

Ich denke zum Beispiel auch an die Forderung zur Abschaffung der Ich-AGs. Selbstverständlich weiß ich um die Probleme der Ich-AGs. Aber auf der anderen Seite kann wohl niemand bestreiten, dass Selbstständigkeit ebenfalls eine Möglichkeit ist, mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Im Grunde sind selbstständige Unternehmen auch die Voraussetzung für wirtschaftliches Handeln. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass das Interesse, für sich selbst und seine Familie ein Einkommen zu sichern, nur zu begrüßen ist.

Lassen Sie mich noch einige Worte zur Finanzierung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen über den Europäischen Sozialfonds sagen. In den strategischen Zielen des ESF ist eindeutig festgehalten, dass mit der europäischen Beschäftigungsstrategie nicht nur die Vollbeschäftigung, die Steigerung der Arbeitsqualität und die Arbeitsplatzproduktivität, sondern auch die Stärkung des sozialen Zusammenhalts und der sozialen Eingliederung gefördert werden soll. Besonders wesentlich ist dabei die Vermittlung von Wissen. Durch eine auf die wirtschaftlichen und demografischen Herausforderungen reagierende Aus- und Weiterbildungspolitik soll verhindert werden, dass es zu einem Missverhältnis zwischen Qualifikationsangebot und Qualifikationsnachfrage kommt. Bildung ist auch ein Schlüssel zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und zugleich eine wichtige Voraussetzung für demokratische Teilhabe, Chancengleichheit und letztendlich ein selbstbestimmtes Leben.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie die Diskussion zu den einzelnen Punkten im Ausschuss fortsetzen könnten. Dies haben Sie auch so angedeutet. Mir ist wichtig, dass wir uns über die einzelnen Probleme unterhalten, aber erst, nachdem die entsprechenden Daten vorliegen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Die CDUFraktion, bitte. Herr Abg. Pietzsch.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit Ihrem Antrag vom 16. Januar dieses Jahres verlangen Sie von der Staatsregierung einen sehr umfangreichen Bericht – wenn man es genau analysiert – über die Wirkung der Hartz-Gesetze in Sachsen. Dies hier im Plenum zu tun sehe ich für solch ein komplexes Thema als ein schwieriges Unterfangen an. Ich würde darüber hinaus im Auftrag der Koalitionsfraktionen von CDU und SPD den Vorschlag unterbreiten, dass wir die anderen Fraktionen bitten, dem zu folgen: dass wir den Antrag an den Ausschuss nach § 81 Abs. 6 der Geschäftsordnung überweisen, um dort tiefgründiger diskutieren zu können. Damit haben wir die Chance, alle Evaluierungsberichte und untersuchenden Studien, die es mittlerweile gibt, zu diskutieren.

Es liegt nicht in unserem Interesse und schon gar nicht in dem der Betroffenen, mit voreiligen Schlussfolgerungen aus dem Bauch heraus in Berlin vorstellig zu werden. Die Koalition hat mit ihrem Antrag, Drucksache 4/0886, den sie im Februar des vergangenen Jahres gestellt hat, frühzeitig die Staatsregierung beauftragt, über die Umsetzung von Hartz IV zu berichten. Ihr Antrag bezieht sich auch auf Hartz I bis III. Das ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass wir immer wieder aufgefordert sind, Vorschläge zur Verbesserung zu unterbreiten.

Es gibt bei den Hartz-Reformen kein simples Urteil nach dem Motto „Es hat geklappt“ oder „Es hat nicht geklappt“, wie es ein Kommentator in der ARD einmal geäußert hat. Was es gibt, ist die Erkenntnis, dass das Problem für einfache, schnelle oder schmerzfreie Lösungen zu groß und zu komplex ist.

Sie haben es ja schon immer gewusst und Sie haben es auch so genannt: Die Reformen sind ein Flop. Was ein Flop vielleicht war, ist, dass viel zu große Erwartungen geweckt worden sind. Den Arbeitslosen wurde suggeriert, dass die Politik mit diesen Reformen Arbeitsplätze schaffen könne. Das kann die Politik aber nicht, das kann nur die Wirtschaft mit den erforderlichen politischen Rahmenbedingungen tun.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Arbeitsmarktreformen im Rahmen der Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt haben die in sie gesetzten Erwartungen bislang nicht in dem erhofften Maße erfüllt; denn für Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger ist es besonders wichtig, dass es zu keinen Leistungsverschlechterungen kommt, eher dazu, mehr Möglichkeiten der Hilfe zur Selbsthilfe zu erhalten.

Besonders benachteiligt sind ältere Arbeitnehmer mit langjährigen Versicherungszeiten. Sie haben trotz Eingliederungshilfen kaum Chancen und erhalten ALG II nur nach den festgestellten Bedürftigkeiten.

Die im Rahmen der Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt neu eingeführten arbeitsmarktpolitischen Instrumente sind im Wesentlichen nicht im erwarteten Umfang angenommen worden. Das gilt insbesondere, wie Sie ausführten, für die Personal-Service-Agenturen, die ihren Betrieb vielfach bereits wieder eingestellt haben.

Bei der Arbeit in Ich-AGs, die sich anfangs großen Zuspruchs erfreuten, hat sich gezeigt, dass sie Arbeitslosen zumeist keine dauerhafte eigenständige Existenz ermöglichen. Die mit den Arbeitsmarktreformen angestrebte Verwirklichung des Grundsatzes „Fördern statt Fordern“ war ebenfalls kaum verwirklicht. Die Organisationsreform der Bundesagentur selbst hat dazu beigetragen, dass es zu erheblichen Verzögerungen kam.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was hat Hartz bisher gebracht? Hartz hat uns eines klar gemacht: wie groß das Problem der Arbeitslosigkeit wirklich ist. Hunderttausende Menschen, die früher in Sozialhilfe versteckt wurden, werden jetzt als das ausgewiesen, was sie wirklich sind, nämlich als Menschen ohne Job. Dass die Zahl der Arbeitslosen dadurch über die Fünf-Millionen-Marke kletterte, war ein „heilsamer Schock“, so titulierte es ein Bericht in der „Tagesschau“. Weiter heißt es dort: „Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist das System gerechter und effizienter geworden. 2005 konnte sich das noch nicht zeigen, weil die Reform in der Praxis schlecht umgesetzt worden war und eilig zusammengestoppelte Gesetze erst korrigiert werden müssen. Es spricht vieles dafür, dass es im neuen Jahr besser wird.“

Seit Hartz IV ist auch klar erkennbar, was das Grundproblem des deutschen Arbeitsmarktes ist: dass es nämlich in Deutschland zu wenig Beschäftigung für gering qualifizierte Menschen gibt. Hartz IV zeigt mögliche Auswege. Die große Koalition hat bereits Änderungen an den kritisierten Teilen der Hartz-Reformen auf den Weg gebracht und darüber hinaus festgelegt, dass alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen auf den Prüfstand sollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir tun gut daran, die erforderlichen Berichte zur Grundlage unserer Diskussion zu machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Die SPD-Fraktion. Herr Brangs, bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem sich jetzt herausgestellt hat, dass die antragstellende Fraktion dies in den Ausschuss überwiesen haben will, möchte ich ein paar grundsätzliche Anmerkungen machen.

Ich denke, es ist unstrittig, dass Arbeitslosigkeit und natürlich vor allem die damit einhergehenden sozialen Verwerfungen unsere Gesellschaft in vielen Fällen spalten und dass dies das Hauptproblem unserer Zeit ist. Insofern müssen wir natürlich auch selbstkritisch analysieren, ob die so genannten Hartz-Reformen, die das Ziel haben, die Arbeitslosigkeit zu senken, tatsächlich zum Erfolg gekommen sind.

Ich denke, der Erfolg, wenn man es realistisch einschätzt, der eigentlich in der Prognose, zumindest wenn man sich die ersten Jahre mit Hartz I, Hartz II und Hartz III ansieht, versprochen worden ist, ist nicht eingetreten. Insofern