Das offizielle Hauptargument der Vertreter der Chemieunternehmen sind die Kosten, welche durch REACH verursacht würden. Nach Schätzungen der EU-Kommission werden sich die Kosten für Registrierungen und Tests auf
zirka 2,3 Milliarden Euro in elf Jahren belaufen. Das entspricht weniger als 0,05 % des Gesamtumsatzes der chemischen Industrie innerhalb der EU. Das Kostenargument ist also nicht haltbar.
Die REACH-Verordnung verweist die Industrie vielmehr in ihre Schranken. Nun stehen endlich Vorsorge, Transparenz und die Förderung von Alternativen zu den bedenklichen Stoffen auf der Tagesordnung. Man sollte doch voraussetzen, dass mit der in Rede stehenden REACHVerordnung ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Zielen, einerseits einen hohen Sicherheitsstandard für Umwelt und Gesundheit zu erreichen und andererseits die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der Wirtschaft zu erhalten bzw. zu stärken, angestrebt wird. Die Frage nach der Rentabilität der Stoffproduktion muss hier meiner Meinung nach nachrangig betrachtet werden. Im Vordergrund stehen die Interessen der Verbraucher, der Menschen und der Umwelt.
Aus der Geschichte der Technik gibt es genügend Beispiele, dass entsprechender politischer Druck stimulierende Wirkungen auf den Erfindungsreichtum der Forscher ausübte und alsbald hervorragende, weniger giftige Einsatzstoffe Eingang in die Technik fanden. Ich erinnere an das bleihaltige Benzin und FCKW als Treibmittel.
Am bisherigen Entwurf sollte nicht weiter herumgebastelt werden. Auch wenn wir durchaus einzelne Punkte des Antrages, zum Beispiel Punkt 9, begrüßen, können wir ihm in seiner Gesamtheit nicht zustimmen. Wir werden uns bei der Abstimmung über den Antrag enthalten.
Sehr geehrter Herr Präsident, vielen Dank! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorgeschlagen wurde die EU-Verordnung zur Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien im Oktober 2003. Genauso viel Aufwand und Bürokratie wird diese Verordnung für die sächsische Wirtschaft bedeuten wie ihr parlamentarischer Gang. Nach mehr als 24 Monaten Diskussion hat das Europäische Parlament am 17. November dieses Jahres die Verordnung in 1. Lesung behandelt. Josep Borell, Präsident des Europäischen Parlaments, erklärte nach der Entscheidung am 17. November: „Das größere Europäische Parlament hat gezeigt, dass es seiner Verantwortung gerecht wird und als Gesetzgeber eine Antwort auf die Ängste der Europäer gefunden hat, indem es die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie und gleichzeitig ein hohes Niveau an Umwelt- und Gesundheitsschutz sichert.“
Halb wahr, halb gelogen. Mit REACH wird der Umwelt- und Gesundheitsschutz vielleicht stärker kontrolliert, aber beim besten Willen nicht gesichert. Das Gleiche trifft auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie zu. Mit REACH und dem ganzen Registrierungsaufwand werden europäische Produkte lediglich teurer und damit alles andere als wettbewerbsfähiger. Das chinesische T-Shirt ist dann im Vergleich zum europäischen T-Shirt nämlich noch preiswerter und wahrscheinlich mit genau den Chemikalien belastet, die wir in unseren Produkten nicht wollen. Ein hohes Niveau an Umwelt- und Gesundheitsschutz und die bestmögliche Aufklärung der Verbraucher können gern politische Ziele sein, nichts dagegen. Aber wer das eine will, muss das andere mögen. Dann müssen wir so ehrlich sein und unseren Unternehmern sagen, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit aufgrund eines komplexen EU-Regulierungsverfahrens einbüßen werden.
Was bedeutet das REACH-Verfahren in der Praxis? Wenn man als Unternehmer betroffen ist, sollte man zunächst einmal sowieso den Verordnungsentwurf einsehen; man muss aber nicht komplett die 1 200 Seiten lesen. In einem zweiten Schritt sollten die betriebsinternen Stoffflüsse grob und unbürokratisch abgeschätzt werden. Chemikalien werden nämlich durch die Registrierungskosten teurer. Es besteht sogar die Gefahr, dass bestimmte Stoffe, insbesondere Spezialitäten, in der EU nicht mehr wirtschaftlich zu produzieren sein werden. Eine Befragung der IHK hat ergeben, dass sowohl Hersteller als auch Händler mehrheitlich mit sinkenden Umsätzen durch die geplante Verordnung rechnen.
Sie erwarten zudem eine starke Produktionsverlagerung in das nichteuropäische Ausland. Der Standortnachteil für Firmen innerhalb der EU gegenüber Produzenten aus Nichtmitgliedsstaaten liegt auf der Hand.
Machen wir das an einem Beispiel fest, damit es für uns nicht ganz so abstrakt ist wie die Verordnung selbst. Nehmen wir ein Beispiel aus Sachsen und verdeutlichen uns die Zahlen für die Dresdner Lackfabrik FEIDAL. FEIDAL hat 95 Produkte im Sortiment, die alle einzeln „gereacht“ bzw. registriert werden müssen. Je Produkt entstehen durch REACH zusätzliche Kosten in Höhe von 15 000 Euro, für 95 Produkte also 1,425 Millionen Euro. Das sind zusätzliche Kosten, die es an anderer Stelle einzusparen gilt. Das bedeutet auch Einsparungen im Personalbereich.
Für die gesamte Chemiebranche hat der VCI eine Mehrbelastung von insgesamt 3,3 Milliarden Euro für die EU errechnet. Dieser Betrag fällt alle fünf Jahre an!
Die Verordnung beinhaltet EU-weit einheitliche Regeln zur Zulassung von chemischen Substanzen, deren Risikopotenziale für Umwelt und Gesundheit analysiert werden müssen. Betroffen sind, wie schon oft gesagt, rund 30 000 Stoffe, die in einer zentralen Datei registriert
werden sollen. Dafür wird eine europäische Agentur mit Sitz in Helsinki zuständig sein – eine Agentur, die eigens dafür gegründet worden ist und nun, in Zeiten, in denen Bürokratie eigentlich abgebaut werden soll, einen neuen Verwaltungsapparat darstellt.
Nachdem ich nun meinen Standpunkt zu REACH allgemein dargelegt habe, abschließend ein paar Worte zum vorliegenden Antrag der Fraktionen von CDU und SPD.
Der Antrag ist zu begrüßen, und das nicht nur wegen der Thematik, sondern auch deshalb, weil es sich hier einmal nicht nur um einen Berichtsantrag handelt, sondern es ein mit Inhalt versehener Antrag ist. Hier kann sich die Staatsregierung einmal ein Beispiel an ihren Landtagsfraktionen nehmen.
Der vorliegende Antrag weist auf jeden Fall mehr Sachstandskenntnisse auf als die Antwort der Staatsregierung auf unsere Große Anfrage im September. Teilweise hat die Staatsregierung da Fragen gar nicht oder nur in Teilen beantwortet und damit eindeutig ein Signal gesetzt, dass der Staatsregierung das Thema anscheinend wirklich nicht so richtig wichtig ist.
Dabei handelt es sich um ein Thema, das Umweltschutz und Wirtschaft miteinander verbindet, ein Thema, das der Staatsregierung doch eigentlich so wichtig ist.
Auch habe ich mich gewundert, dass die Einschätzung der Staatsregierung, obwohl sie eigentlich eine enge Zusammenarbeit mit den IHKs gern darstellt, so gar nicht zu den Ergebnissen deren Studien passt. In der IHK-Umfrage „Auswirkungen der EU-Chemikalienpolitik auf deutsche Unternehmen“ haben sich 1 811 Unternehmen aller Größenordnungen geäußert. Sie haben ganz konkret geantwortet. Rund 200 sächsische Firmen haben an dieser Studie mitgearbeitet. Schade, dass bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage die Staatsregierung davon keine Ahnung hatte. Nichtsdestoweniger scheint das Thema aber nun doch bei CDU und SPD Gehör gefunden zu haben. Da wir auch Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren der schwarz-roten Regierung, Lernfähigkeit zutrauen, möchten wir Ihnen gern die Zusammenarbeit anbieten. Wir stimmen dem Antrag zu.
Sehr geehrter Herr Präsident! Die Qualität des Antrages wurde schon von verschiedenen Vorrednern angesprochen. Ich möchte jetzt für unsere Zuhörer daheim an den Radiogeräten kurz zitieren, damit sie sich einen Eindruck davon verschaffen können: „Der Landtag möge beschließen, die Staatsregierung zu ersuchen“ – Punkt 7 –, „dass geprüft wird, ob diese risikobasierende Priorisierung auf Grundlage eines Grunddatensatzes, der unter anderem auch Angaben zur
Es sind insgesamt elf Punkte. Man kann sich schon zu Recht die Frage stellen, was das denn eigentlich alles soll.
Lieber Herr Kollege Lichdi! Sind Sie nicht auch der Meinung, dass wir der Koalition empfehlen sollten, an dieser Stelle zu ändern? Nach meinem sprachlichen Verständnis muss es „risikobasierte Priorisierung“ heißen. Die Priorisierung beruht ja auf dem Risiko, das diese Stoffe haben, und ist nicht die Grundlage für das Risiko. Das ist offensichtlich ein Schreibfehler.
Herr Kollege Gerstenberg, ich gestehe, dass ich dort Probleme habe. Ich möchte nicht in eine germanistische Exegese eintreten. Dazu sehe ich mich leider augenblicklich nicht in der Lage. Das tut mir Leid. Deshalb stimme ich Ihnen vorsichtshalber zu.
Vielleicht kann ich der Staatsregierung etwas helfen. Sie haben mit dem Zitat darauf hingewiesen, dass hier sehr viel Unverständliches enthalten ist. Das erschwert die Abstimmung. Stimmen Sie mir zu, dass im Punkt 5 die Verständlichkeit in hohem Grade gesichert ist, weil die deutsche Formulierung mit einer englischen Übersetzung ergänzt ist?
Spätestens im Englischen kann ich das nicht nachvollziehen. Ich weiß nicht, ob ich das für Sie noch einmal zitieren soll: one substance – one registration. Zu Deutsch: ein Stoff, eine Registrierung. Habe ich das richtig ausgesprochen? – Okay. Jetzt zur Sache:
Worum geht es bei dieser REACH-Geschichte? Es geht schlicht und ergreifend darum, dass Altstoffe in der chemischen Industrie, die bisher ohne Prüfung in den Verkehr gebracht worden sind, jetzt endlich einmal einer Prüfung unterzogen werden sollen. Ich glaube, bei dieser ganzen Verwirrung, die die Koalition mit diesem Antrag angesprochen oder angerichtet hat, kommt es darauf an, sich auf die grundsätzlichen Verhältnisse zu besinnen.
Die chemische Industrie hat seit Jahr und Tag Stoffe in den Handel und in den Verkehr gebracht, von denen unklar war, welche gesundheitsschädigende Wirkung sie haben. Es gibt einen alten Grundsatz, das ist das Verursacherprinzip. Es heißt auch, wer einen Verkehr eröffnet, der muss für die Gefahren, die er dadurch auslöst, einstehen. Das heißt, was hier passiert, ist im Grunde nur eine
Wiederherstellung von Verhältnissen im Rechtsverkehr, die sonst überall bestehen, wenn ich an den Straßenverkehr denke, wenn ich selbst daran denke, dass Hauseigentümer den Weg vor ihrer Haustür kehren müssen. Nichts anderes möchte REACH.
Da die Sache hier schon ein bisschen ins Lächerliche gezogen wurde, möchte ich Ihnen sagen, worum es eigentlich geht. Es geht hier um synthetische Chemikalien, die in unserem täglichen Leben alltäglich sind. Wir finden sie in der Kleidung, in Möbeln, Teppichen, Reinigungsmitteln, aber auch in kosmetischen Produkten und in Lebensmittelverpackungen
und auch in Schwibbögen. Das ist richtig, Herr Prof. Porsch. Der Mensch nimmt diese Stoffe, die in der Umwelt sind, über seine Nahrung, über die Atemluft und über seine Hautsubstanzen auf.
Es stellt sich die Frage: Wie stark hat der europäische Mensch diese synthetischen Substanzen bisher aufgenommen? Eine Antwort darauf gibt eine Studie des WWF international aus dem Jahr 2003. 14 Umwelt- und Gesundheitsminister aus 13 europäischen Ländern gaben für diese Untersuchung freiwillig eine Blutprobe ab. Ich weiß nicht, ob Sie dabei waren, Herr Tillich. Diese Proben wurden in einem zertifizierten wissenschaftlichen Labor Englands auf 103 verschiedene Chemikalien verschiedenartiger Stoffe analysiert. Die Ergebnisse sind erschreckend. 100 % der Minister hatten PCB, organo-chlorierte Pestizide, bromierte Flammschutzmittel und perfluorierte Verbindungen im Körper.
75 % der Politiker waren mit Phtalaten belastet – Ihr Kollege Zais hat das Wort Phtalat auch schon verwen- det –, also Weichmacher. Herr Kollege Hahn hatte gerade gesagt, er hat es nicht verstanden.
21 % waren mit synthetischen Moschusverbindungen kontaminiert. Nun mag ja mancher sagen, dass das bei Politikern vielleicht nicht so schlimm ist.