Die Fraktionen können wie gewohnt Stellung nehmen. Wir beginnen mit der CDU-Fraktion. Ich bitte den Abg. Heinz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich über das ungebrochene Interesse an der jetzt zur Behandlung anstehenden Chemikalienrichtlinie. Das ist ein sehr komplexes Thema. Die mir vorgegebene Redezeit reicht leider nicht aus, um das in all seinen Facetten zu beleuchten. Um die Ausführungen zum Thema trotzdem der Nachwelt zu erhalten, werde ich meine Rede zu Protokoll geben. Sie müssten sich die Mühe machen, im Protokoll nachzulesen.
Ich möchte noch zwei Kerngedanken zum Ausdruck bringen. Der erste Entwurf wurde durch die entsprechenden Gremien der EU leicht verbessert. Es ist aber noch nicht alles so, wie wir es uns für unsere Wirtschaft und unsere Betriebe wünschen können, während der Grundsatzgedanke, das Chemikalienrecht übersichtlicher und einfacher zu gestalten und zusammenzufassen, durchaus unseren Intentionen entspricht.
Ich bitte Sie zu prüfen, wie auf sinnvolle Art und Weise eine Debatte zu einem Antrag der Koalition stattfinden soll, wenn der Einbringer des Antrages seine inhaltliche Rede zu Protokoll gibt, und wie die nachfolgenden Fraktionen auf diesen Redebeitrag in der Debatte eingehen sollen. Das ist ein Verfahren, Herr Präsident, das es hier noch nie gegeben hat.
Ich kann eine ganze Menge Sinnhaftigkeit in Ihrem Antrag erkennen. Aber jetzt kommt Frau Dr. Deicke von einer der beiden antragstellenden Fraktionen und wird uns das Ganze erläutern.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Europäische Kommission hat im Jahr 2003 einen Entwurf zur Chemikalienverordnung unter der Bezeichnung REACH vorgelegt. Günter Verheugen, Industriekommissar der Europäischen Kommission, spricht in diesem Zusammenhang vom weitreichendsten, schwierigsten und umstrittensten Vorschlag, den die Kommission je gemacht hat.
Betroffen sind insgesamt 30 000 Altstoffe, die vor 1981 auf den Markt kamen. Diese Stoffe werden zum Teil seit Jahrzehnten verwendet, ohne dass sie jemals untersucht worden wären. Die chemische Industrie soll daher zu
künftig die Unbedenklichkeit ihrer Stoffe nachweisen, bevor sie diese weiter vermarkten darf. Dies ist der Grundgedanke von REACH. REACH hat das Ziel, einerseits sowohl die Bürger als auch die Umwelt besser vor Chemikalien, die die Gesundheit gefährden können, zu schützen. Das ist richtig und notwendig, denn es gibt eine zunehmende Tendenz zu Allergien und chronischen Krankheiten.
Andererseits soll die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft gesichert werden. Der Schutz von Mensch und Umwelt hat inzwischen im allgemeinen Bewusstsein zu Recht einen sehr hohen Stellenwert. Die Verbraucher sind kritischer geworden und verlangen umfangreiche Produktinformationen. Dies darf aber nicht in ein Testen um des Testens willen ausarten. Vielmehr muss zwischen den Interessen der Wirtschaft und dem Restrisiko für Mensch und Umwelt abgewogen und so ein vernünftiger Mittelweg gefunden werden. Dieser muss neben den Belangen des Gesundheits- und Verbraucherschutzes den Tierschutz angemessen berücksichtigen.
Die Industrie soll letztendlich auch davon profitieren, zum Beispiel durch die Substitution von gefährlichen Chemikalien. Das kann für Unternehmen eine Innovation von hohem Exportwert bedeuten.
Aus dem ursprünglichen bürokratischen Entwurfsmonster ist mittlerweile ein Kompromisspapier geworden, das nach Einschätzung von Verheugen einen „sehr guten Ausgleich zwischen den notwendigen Fortschritten im Umwelt- und Gesundheitsschutz einerseits und der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Unternehmen andererseits darstellt“. Der Entwurf im Umfang von rund 1 200 Seiten, an dem neun Ausschüsse im Europäischen Parlament beteiligt waren, wurde Mitte November im EU-Parlament angenommen. Es gab insgesamt 1 038 Änderungsanträge. Erfreulicherweise wurden einige der in unserem Antrag genannten Punkte bereits aufgegriffen.
Allerdings sind sowohl Chemiekonzerne als auch Umweltverbände über den erzielten Kompromiss enttäuscht. Bezweifelt wird insbesondere eine nennenswerte Entspannung für den Mittelstand. So wird eingeschätzt, dass trotz entschärfter Vorschriften kleine und mittlere Unternehmen bis zu 30 % ihres Umsatzes für Registrierungskosten ausgeben müssten, wenn der jetzige EUParlamentsbeschluss Realität würde.
Positiv hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang, dass kleine und mittlere Unternehmen bei der Umsetzung der Verordnung von den Mitgliedsstaaten mit speziellen Hilfsmaßnahmen unterstützt werden sollen.
Innovationshemmnisse sieht die Industrie insbesondere durch die Begrenzung der Zulassung für hoch gefährliche und Krebs erregende Stoffe auf fünf Jahre, was zirka 5 % aller Substanzen betrifft. Ursprünglich sollten es zehn Jahre sein. Die Umweltschützer hingegen beschweren sich über die ihrer Meinung nach zu starke Verwässerung des ursprünglichen Konzeptes,
Nun stellte schon Sir Winston Churchill fest, dass sich ein guter Kompromiss dadurch auszeichnet, dass alle Seiten unzufrieden sind. Insofern könnte man schlussfolgern, dass es sich bei diesem Verordnungsentwurf um einen guten Kompromiss handelt.
Da der veränderte Verordnungsentwurf noch den Bundesrat durchlaufen muss, ergibt sich für die Sächsische Staatsregierung die Möglichkeit einer Einflussnahme im Sinne unseres Antrages.
– Herr Hähle, wenn Sie sagen, unser Landtag sollte die Themen viel strenger, kürzer und vielleicht auch straffer fassen – es geht erst einmal darum, dass man überhaupt mitspricht. Das ist jetzt schon ein erschreckendes Niveau bei der CDU, das muss ich als Redner hier einmal bemerken.
Die Koalition bringt einen Antrag ein – eigentlich ist er auch schon erledigt; vielleicht haben Sie es selbst gemerkt, er ist ja ein Jahr alt –, und trotzdem, meine Damen und Herren, will ich doch noch etwas dazu sagen. – Danke an Frau Dr. Deicke, dass sie ihn wenigstens noch eingebracht hat.
Die geplante Neuorganisation der europäischen Chemikalienpolitik – Stichwort REACH – ist dringend notwendig und seit Langem überfällig. Ein wesentlicher Grund für diese Neuordnung ist die bisherige, aus der Sicht des Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitsschutzes völlig unzureichende Praxis – auch Rechtslage –, die dazu geführt hat, dass jahrzehntelang viele tausend Chemikalien – darunter viele mit hohem Gefährdungspotenzial – ungeprüft und damit ungewollt an Menschen ausprobiert wurden und noch werden. Als Stichworte seien hier nur angeführt Phtalate oder PCB als Weichmacher in Kunststoffgegenständen oder die so genannte Maurerkrätze, die durch wasserlösliche Chrom-6-Verbindungen im Zement ausgelöst wird.
Zwischen den ersten gesicherten Verdachtsmomenten bei gefährlichen Stoffen und gesetzlichen Stoffverboten bzw. einer eingeschränkten Nutzungserlaubnis lagen bisher Zeiträume von 20 Jahren und mehr. Rechtliche Grundlage dieser ungewollten Menschenversuche ist das geltende europäische Chemikalienrecht, das erst für Stoffe, die nach dem September 1981 auf den Markt gebracht wur
Und da, Herr Hähle, ist der Vorschlag im Punkt 8 des Antrages der Koalitionsfraktionen schon sehr makaber, sich für klare Regelungen zur Vermeidung von Tierversuchen einzusetzen, aber gleichzeitig mit anderen Punkten eine Aufweichung von REACH zu verlangen. Überhaupt bringt der Antrag nicht den aktuellen Stand des Beratungsverfahrens zum Ausdruck. Dem Grunde nach wiederholt er den Schnee von gestern. Der Kommissionsentwurf stammt vom 29. Oktober 2003. Dazu gibt es einen Vorschlag der britischen Ratspräsidentschaft vom 4. September 2005. Vor kurzem, am 17. November dieses Jahres, behandelte das Europäische Parlament die Richtlinie und befand über insgesamt rund 1 200 Anträge zur Richtlinie. Voraussichtlich wird am 22./23. Dezember eine politische Einigung im EU-Ministerrat erreicht.
Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen: Grundsätzlich liegen der Beschluss des EUParlaments zur Richtlinie und zum Vorschlag der britischen Ratspräsidentschaft inhaltlich dicht beieinander, sodass sich eine zügige REACH-Behandlung auf EUEbene andeutet. Beide Vorschläge machen REACH deutlich praktikabler – das ist ja eine Ihrer Kritiken an dieser REACH-Verordnung. Dazu gehört eine eindeutige Abgrenzung zu anderen Rechtsgebieten, die Vermeidung von Doppelregelungen, die Einführung des Prinzips: eine Substanz, eine Registrierung. Was Sie von der Staatsregierung verlangen, steht also schon zum Teil in den Dokumenten; das Ganze ist im Prinzip schon durch.
So wäre es besser gewesen, Herr Hähle, die Staatsregierung zur Stellungnahme aufzufordern und auf der Basis von Antrag und Stellungnahme eine gemeinsame öffentliche Anhörung von Wirtschaftsausschuss, Umweltausschuss und Sozialausschuss durchzuführen, der auch für die Fragen der Gesundheit zuständig ist. Wie soll hier im Plenum sachlich debattiert werden? Wie sollen wir hier über die Datenanforderung im kleinvolumigen Bereich – also für die Stoffe, die im Umfang zwischen einer und zehn Tonnen pro Jahr produziert werden – diskutieren, geschweige denn abwägen? Davon hängt aber gerade ab, ob mittelständische Unternehmen übermäßig oder unnötig belastet werden.
Lassen Sie mich deshalb konkret einige Ausführungen machen. Zum Bereich der Stoffe, die in Mengen von einer bis zehn Tonnen pro Jahr produziert werden, gehören etwa 22 000 der 30 000 unter REACH fallenden Stoffe. Wenn – wie von der britischen Ratspräsidentschaft und vom EU-Parlament gleichermaßen vorgeschlagen – generell nur Artikel 9 zu Grunddaten und zum Anhang der Richtlinien bei Verdacht greifen sollen, werden hier im ersten Anlauf nur für etwa ein Drittel dieser 22 000 Stoffe überhaupt Daten gemäß Erweiterung Anhang 5 für die Gefährdungsabschätzung abgefragt werden.
Ich höre auf, weil ich merke – Sie beweisen es mir durch Ihr Echo –, dass der Antrag in diesem Plenum eigentlich nichts zu suchen hat. Das Verständnis, ihm zu folgen, ist einfach nicht da.
Meine Damen und Herren! Sie werden bemerken, dass Ihr Antrag zu kurz greift und nach zwei Jahren intensiver Debatte zu REACH viel zu allgemein gehalten ist. Alle Karten liegen auf dem Tisch. Die Betroffenen wie wir wissen darüber nur wenig.
Ich habe deshalb den Mitgliedern meiner Fraktion vorgeschlagen, sich bei der Abstimmung über den Antrag zu enthalten. Der Grund: Wir haben ein grundsätzliches Votum abgegeben; wir sind eindeutig dafür. Die REACHVerordnung, auch wenn sie noch nicht alle Anforderungen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes erfüllt, ist für die Beschäftigten wie für die Verbraucherinnen und Verbraucher besser als der gegenwärtige Zustand.
Als Letztes an Ihre Adresse: Auch die Wirtschaft ist dieser Meinung, weil auch sie den höchstmöglichen Arbeits- und Verbraucherschutz gewährleisten will.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich erfahren habe, dass heute dieser Antrag behandelt werden soll, habe ich mich – erstens – gefragt, was er im Plenum des Sächsischen Landtages zu suchen hat. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass sich Fachleute damit beschäftigen sollten, auch, wie soeben vorgeschlagen, in Form einer Anhörung. Die Politiker besitzen über den Inhalt der 1 200 Seiten umfassenden REACH-Verordnung kaum das nötige Fachwissen.
Zum Zweiten stellt sich mir die Frage, was die Fraktionen von CDU und SPD mit diesem Antrag bezwecken. Zuerst wird eine Rede zu Protokoll gegeben. Ein paar Punkte, die im Antrag stehen, haben sich schon erledigt. Das erschließt sich mir einfach nicht. Bei genauem Lesen des Antrages gewinnt man den Eindruck, dass jeder Versuch unternommen wird, den jetzigen Entwurf der REACHVerordnung minimal aufzuweichen.
Fakt ist, dass es sich die chemische Industrie mit den Bedenken von Verbraucherschützern, Ärzten und Handelsvertretern immer sehr leicht gemacht hat. Es ist doch ein sehr wichtiges Anliegen, dass endlich die Firmen mehr Informationen über ihre Stoffe beschaffen und dies offen legen müssen. Die Lobbyisten der Chemieindustrie versuchen schon seit längerer Zeit, die Verordnung aufzuweichen, indem Ausnahmen geschaffen werden und die Verantwortung von der Industrie abgewälzt wird.