Protocol of the Session on December 8, 2005

Aber auch sonst ist in der Bevölkerung die Belastung sehr hoch.

Ähnliche Ergebnisse ergab eine Untersuchung zur Kontaminierung mit Umweltchemikalien des WWF aus diesem Jahr, in der „Frankfurter Rundschau“ vom Oktober dieses Jahres nachzulesen. 13 Familien aus zwölf europäischen Ländern wurden für eine Blutprobe ausgewählt. Die Untersuchung erfolgte auf die gleichen Verbindungen und Stoffgruppen. Alarmierend auch hier das Ergebnis: Das Blut aller untersuchten europäischen Familien in drei Generationen vom Kind bis zur Groß

mutter war mit 18 verschiedenen synthetischen Chemikalien belastet. Besonders erschreckend: Die meisten Verbindungen wurden im Blut von Kindern aufgefunden.

Meine Damen und Herren! Aufgrund dieser Datenlage ist es kein Wunder, dass die Praxen der Umweltmediziner mit Patienten überfüllt sind und die Zahl der Allergiker in den neuen Bundesländern seit 1990 enorm angestiegen ist. Die Mediziner stehen immer wieder fassungslos vor neuen Krebskranken.

Selbst die Fruchtbarkeit des Menschen wird durch den Chemikaliencocktail unserer Umwelt in Mitleidenschaft gezogen. Der BUND berichtet, dass 15 % der europäischen Paare mit Unfruchtbarkeit zu kämpfen haben. Nach Schätzungen des BUND und des Bundesverbandes der Umweltmediziner sind zurzeit zwischen 30 000 und 70 000 Chemikalien auf dem Markt. Viele Experten sprechen davon, dass bis zu 70 % dieser Stoffe und Verbindungen gefährliche Eigenschaften haben. Dazu kommt, dass für 86 % der in großen Mengen verarbeiteten Chemikalien keine öffentlich zugänglichen Informationen über ihre Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit vorliegen.

Deswegen begrüßen wir im Grundsatz den ursprünglichen Ansatz der EU-Kommission, mit REACH hier endlich Abhilfe zu schaffen und gleichzeitig auch wirklich zu deregulieren und zu entbürokratisieren. Dadurch sollen 40 bisher bestehende Richtlinien abgeschafft und ein neues, logisches und effizientes System zusammengefügt und vereinheitlicht werden.

Wir als GRÜNE setzen uns dafür ein, dass REACH ein starkes Gesetz wird. Wir möchten, dass gefährliche Substanzen endlich identifiziert und aus dem Weg geräumt werden können. Nur die strengsten Maßstäbe sind gut genug für REACH!

Die Beschlusspunkte Ihres Antrages atmen aber nicht diesen Geist. Es geht Ihnen offensichtlich darum, die chemische Industrie auf Kosten der Gesundheit wirksam vor dem REACH-Gesetz zu schützen. Es klingt in Ihrem Antrag wieder einmal alles schön ausgewogen. Auch Umwelt und Gesundheit werden erwähnt, sogar der Tierschutz kommt vor. Aber ich sage Ihnen, das ist im Sinne eine reine Symbolrhetorik, hinter der sich nur Aufweichung und Abschwächung verbirgt. Wir werden diesen Antrag selbstverständlich und aus voller Überzeugung ablehnen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Das war die erste Runde der Fraktionen. Gibt es aus den Fraktionen weiteren Redebedarf? – Bitte schön, Herr Abg. Petzold, CDUFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Ersten: Dieses Thema ist von höchster Aktualität, kein Schnee

von gestern und kein aufgewärmter Antrag. Er ist deswegen so aktuell, weil er in der 1. Lesung des Europäischen Parlaments für uns keine befriedigende Lösung hatte.

Zum Zweiten: Bei allem Verständnis für eine vorweihnachtliche Stimmung sollten wir das Thema nicht ins Lächerliche ziehen. Im Sinne des ausgewogenen Verhältnisses von Gesundheits- und Arbeitsschutz und der berechtigten Interessen unserer Unternehmen sind solche Einlassungen fehl am Platze.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kern von REACH ist die Verbesserung der Information über gefährliche Eigenschaften von Chemikalien. Lückenlose Daten können in der Tat zu einer wesentlichen Verbesserung des Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitsschutzes beitragen. Sie können gleichzeitig der Wirtschaft durch verbesserte Produktentwicklungsbedingungen und optimierte Produktionsprozesse zugute kommen.

Die zentrale Frage ist gleichzeitig, welche Auswirkungen die neue Chemikalienpolitik auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen insgesamt hat. Nun muss man wissen, dass die geplante Chemikalienpolitik nicht nur Ausstrahlung auf die chemische Industrie hat – Chemikalien bilden die Existenzgrundlage großer Teile des gesamten produzierenden Gewerbes. Betroffen sind beispielsweise 62 % der Unternehmen des Textil- und Bekleidungsgewerbes und fast 40 % des Fahrzeugbaus, also auch viele sächsische Betriebe. Deswegen sollten wir uns darum kümmern.

Eine repräsentative Umfrage des DIHT zur Chemikalienpolitik ergab ein Besorgnis erregendes Bild. Die geplante Stoffpolitik würde das gesamte produzierende Gewerbe massiv belasten. Der Abg. Günther hat es schon genannt. Ich möchte das mit ein paar Zahlen unterlegen. 43 % der Unternehmen rechnen mit sinkenden Umsätzen, 37 % mit negativen Auswirkungen auf die Mitarbeiterzahlen. Für 31 % der Unternehmen wird eine weitere Verlagerung von Produktionsteilen ins Nicht-EU-Ausland wahrscheinlicher. Insbesondere unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen wären die großen Verlierer, da sie die bürokratischen und komplexen Registrierungsprozesse finanziell und personell nicht bewältigen könnten. Allein die Kosten für die Informationsbeschaffung für einen Stoff lägen zwischen 20 000 und 500 000 Euro. Meine sehr geehrten Damen und Herren, deswegen macht es keinen Sinn, wenn wir bei einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Gesundheitsschutz und Wettbewerbsfähigkeit Horrorszenarien an die Wand malen.

Nun stellt sich die Frage: Wird mit der Entschließung zum Ordnungsvorschlag der Kommission des Europäischen Parlaments vom 12. November die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen und damit der sächsischen Industrie gesichert? Antwort: nur teilweise. Notwendige Änderungen sind zum Teil eingearbeitet. Aber mit einer Reihe von Verschärfungen, insbesondere zum Zulassungsverfahren und zum Know-how-Schutz, wird der Verordnungsentwurf nach unserer Meinung „verschlimmbessert“. Gerade

der bürokratische Aufwand ist nach wie vor verhältnismäßig hoch. Beispiele wurden von Frau Abg. Deicke und Herrn Abg. Günther genannt. Darauf brauche ich nicht näher einzugehen. Die Würfel fallen demnächst endgültig im Ministerrat.

Vor diesem Hintergrund fordern wir die Staatsregierung auf, sich im weiteren Gesetzgebungsverfahren für deutliche Verbesserungen einzusetzen. Sie sind in unserem Antrag formuliert. Ich möchte noch einmal einige Punkte zusammenfassen. Es geht erstens um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Gesundheits- und Umweltschutz und den Erhalt der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Zweitens dürfen die hohen Sicherheitsstandards für chemische Grundstoffe nicht zulasten der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gehen. Insbesondere müssen Nachteile gegenüber Wettbewerbern außerhalb der EU vermieden werden.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und Beifall bei der FDP)

Drittens ist Sachsens Wirtschaft von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt.

Herr Petzold, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, gerne.

Danke. – Ich habe ein Problem: Wie definieren Sie die Ausgewogenheit zwischen Gesundheitsschutz und wirtschaftlichen Interessen? Muss ich das so verstehen, dass beim Gesundheitsschutz Abstriche gemacht werden, wenn wirtschaftliche Interessen tangiert sind?

Herr Porsch, es geht um ein ausgewogenes Verhältnis. Ausgewogen heißt, dass hohe Sicherheitsstandards mit einem vereinfachten Verfahren formuliert werden. Es geht um ein Optimum. Die Sicherheitsstandards dürfen nicht zulasten der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gehen. Das ist mit diesem Verordnungsentwurf leider der Fall.

(Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Viertens ist hierfür ein praktikables Management-System für Chemikalien einzurichten. Dieses ManagementSystem fasst alle Punkte zusammen, die vorhin teilweise angesprochen wurden. Wir brauchen weiter klare Signale in Richtung Berlin und Brüssel im Interesse des Verbraucherschutzes, aber bitte gleichfalls für die Stärkung unserer Wirtschaft.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Gibt es weiteren Aussprachebedarf seitens der Fraktionen? – Ich stelle das nicht fest. Herr Staatsminister Tillich, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. Meine Damen und Herren! Herr Lichdi, es ist spät am Abend – er ist gar nicht da –, Herr Gerstenberg, und es kann durchaus sein, dass die GRÜNE-Fraktion nicht mehr so lesefreudig und lesefähig ist. Wenn Sie die Ziffer 7 und die Kommas richtig lesen, dann werden Sie feststellen, dass das ein normales und durchaus gängiges Deutsch ist. „Geprüft wird, ob diese risikobasierende Priorisierung zielführend ist.“ Der Zwischenhalbsatz ist natürlich auch drin.

Und, Herr Porsch, als Sie Herrn Petzold gerade gefragt haben, wäre es besser gewesen, Sie hätten den Antrag der Koalitionsfraktionen – –

Herr Porsch steht schon wieder am Mikrofon.

Ja, ich werde meine Ausführungen erst einmal zu Ende führen. Dann kann Herr Porsch die Frage stellen.

Also, Herr Porsch, Sie hätten sich die Frage an Herrn Jürgen Petzold ersparen können, indem Sie erst einmal den Antrag gelesen hätten. Sie hätten in Ziffer 5 festgestellt, dass die Vermeidung von Kosten, Verwaltungsaufwand und Tierversuchen in der Verordnung durch das Prinzip „ein Stoff – eine Registrierung“ verankert sein sollte.

Herr Dr. Gerstenberg möchte auch eine Zwischenfrage stellen.

Gern.

Los gehts.

Herr Staatsminister, auch wenn ich den Antrag gleich ablehnen werde, bin ich doch an einer sinnvollen Beschlussfassung interessiert. Würden Sie mir zustimmen, dass es besser gewesen wäre, ein solches hochkomplexes Thema im Umweltausschuss und im Wirtschaftsausschuss zu behandeln, statt es jetzt als Schnellschuss im Plenum zu präsentieren? Und würden Sie mir bitte erklären, was eine risikobasierende Priorisierung – in Punkt 7 nachzulesen – ist?

Also, Herr Gerstenberg, zum Ersten möchte ich Ihnen sagen, dass Herr Günther richtigerweise darauf hingewiesen hat, dass es eine Große Anfrage der FDP-Fraktion gegeben hat, die Ihnen allen schon vor Wochen zugegangen ist und mit der die Möglichkeit bestand, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen.

Herr Petzold hat darauf hingewiesen, dass es aufgrund der Aktualität infolge eines Antrages der Koalitionsfraktionen Sinn macht, dieses Thema noch einmal zu debattieren. So viel als Antwort darauf.

Herr Porsch steht immer noch ganz brav da.

Sie haben die Frage von Herrn Gerstenberg nicht beantwortet, drum stelle ich Sie Ihnen noch einmal. Das Wort Priorisierung ist von der Konstruktion her eine explizite Ableitung. Können Sie mir sagen, von welchem deutschen Wort oder von welchem verständlichen Fremdwort es abgeleitet ist?

Wir reden heute über die Chemikalienrichtlinie REACH und halten keine Vorlesung über Deutsch. Das war Ihre Zuständigkeit in der Vergangenheit. Lesen Sie sich die Texte durch, und Sie werden sie erläutert finden, wenn Sie sich mit der Verordnung befasst haben.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Ich will nur verstehen, was Sie mir sagen!)

Das war alles zu Herrn Lichdi und zu den Fragen von Herrn Porsch. Ansonsten möchte ich Ihnen, Herr Günther, noch den Hinweis geben, dass die Verordnung in der Tat aus 160 Seiten Rechtstext und 1 000 Seiten Annexen besteht.