Protocol of the Session on July 14, 2005

Mit diesen Fragen beschäftigen sich junge Leute, die einen Nebenjob suchen. Die Ferien- und Schülerjobs geben ihnen einen Einblick in das Arbeitsleben. Disziplin, Verlässlichkeit und Leistung werden verlangt – so wie im späteren Leben auch. Ganz nebenbei lernen die jungen Leute, dass sich Leistung lohnt, aber auch, dass Arbeit ein hartes Stück Brot ist; denn zum Beispiel beim Prospekteverteilen müssen viele Briefkästen abgeklappert werden, bevor der erste Euro verdient ist.

Immerhin: Jeder vierte Jugendliche zwischen 13 und 22 Jahren arbeitet nach der Schule oder in den Ferien und verdient sich so durchschnittlich einen Monatslohn von 233 Euro. Viele junge Leute können sich dadurch Dinge leisten, die das Leben angenehm machen: das Handy, Kinobesuche oder einen DVD-Player. Wie gesagt: Die Nebenjobs von Jugendlichen wollen wir nicht erschweren, sondern erleichtern. Wenn Hartz IV die Nebenjobs von Schülern nicht ausreichend im Blick hat, dann sollte darüber diskutiert werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Satz in der Begründung des Antrags könnte missverstanden werden und mein Vorredner hat nicht gerade dazu beigetragen, dieses Missverständnis auszuräumen. Die FDP sagt dort, bei Kindern von Erwerbslosen bestehe die Gefahr, dass diese Kinder mangels Vorbild nur einen geringen Anreiz zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit hätten. Diese Gefahr, später einmal nicht arbeiten zu wollen, besteht aus meiner Sicht genau so häufig oder selten bei jenen Kindern, deren Eltern zu viel Geld haben; denn sie haben erst recht keinen Anreiz zum Arbeiten, da ihnen ein ge

neröses Taschengeld bis zum Lebensende ohnehin sicher ist.

(Sven Morlok, FDP: Aber um die geht es gar nicht!)

Ich bin mir sicher, die meisten Kinder von Arbeitslosengeld-II-Empfängern sehen die Arbeitslosigkeit ihrer Eltern nicht als erstrebenswert an, und das sollten wir auch deutlich sagen.

Trotzdem unterstützen wir die Zielrichtung des Antrags der FDP und werden dem Antrag zustimmen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Heinz Lehmann, CDU)

Für die PDS-Fraktion spricht Frau Klinger.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe früher in meiner Freizeit Prospekte ausgetragen. Das war nicht immer einfach, denn es braucht Zeit und ist dahin gehend körperlich anstrengend – Herr Krauß hat es bereits erwähnt –, dass man eine ganze Menge laufen und eventuell auch noch schleppen muss. Ich bekam damals zirka drei Pfennig pro Prospekt und man kann sich vorstellen, dass ich einige hundert Kilometer durch Chemnitz gelaufen bin. Aber ich hatte ein Ziel vor Augen: Ich habe mir damit nämlich eine Campingausrüstung und einen Urlaub in Tschechien finanziert. Heute aber bekommt ein Jugendlicher, der in einer Bedarfsgemeinschaft lebt – die früher übrigens einmal Familie hieß –, er oder sie, für eine solche Tätigkeit gerade einmal 15 % seines verdienten Lohns ausgezahlt. Der Rest wird mit dem Familieneinkommen verrechnet.

Das würde heißen: Wenn man zirka 3 000 Prospekte verteilt hätte, bekäme man eigentlich 60 Euro – jetzt natürlich auf zwei Cent umgerechnet. Dafür lohnt es sich doch, ein paar Strapazen in Kauf zu nehmen. Unserem Jugendlichen aus der Bedarfsgemeinschaft aber bleiben ganze neun Euro. Das ist definitiv eine Ungerechtigkeit, es ist eine erhebliche Benachteiligung und motiviert auch niemanden; das ist klar.

Deshalb finde ich es löblich von Ihnen, meine – inzwischen nur – Herren von der FDP-Fraktion, dass Sie diesen Antrag stellen. Ich möchte allerdings auch auf einen Antrag unserer Fraktion verweisen. Er hat die Drucksachennummer 4/1131 und wurde am 1. April 2005 ausgereicht. Ich möchte kurz einen Satz daraus zitieren: „Der Landtag möge beschließen: Die Staatsregierung wird ersucht, auf Bundesebene darauf einzuwirken, dass das von Schülern ab einem Alter von 14 Jahren aus Ferienarbeit sowie kleineren Nebenjobs erzielte Entgelt nicht auf das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft angerechnet wird.“

Dies ist nur ein einziger von sechs Kritik- bzw. Verbesserungspunkten, die wir in Bezug auf Jugendliche und Hartz IV haben. Aber Sie können sich diese Drucksache gern selbst einmal durchlesen, falls Sie dies nicht schon getan haben.

Wie gesagt, ich finde Ihr Engagement löblich, aber bei weitem nicht ausreichend. Nun ist Ihre Fraktion dafür

bekannt, minimalistische Anträge zu stellen, die man medienwirksam verkaufen kann,

(Empörung bei der FDP)

aber das eigentliche Problem, das Konstrukt Bedarfsgemeinschaft, wird von Ihnen übergangen und soll nur ein ganz minimales Stück weit neutralisiert werden.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Ich möchte Ihnen an diesem Punkt eine Frage stellen, meine Herren von der FDP: Wenn Sie Kopfschmerzen haben, und dies aufgrund eines Gehirntumors, reicht Ihnen dann eine Aspirin-Tablette?

(Torsten Herbst, FDP: Mit Tumoren scherzen!)

Ja, es ist doch so, nicht? Ich habe gut überlegt, ob es pietätlos ist, aber ich habe von einigen Leuten gehört, dass es wohl doch geht. Die Bedarfsgemeinschaft ist trotzdem meines Erachtens – –

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich möchte weiterreden. – Die Bedarfsgemeinschaft ist doch das Grundübel von Hartz IV, der Grund, warum sich Paare trennen oder auseinander ziehen, Kinder die Familie verlassen und gezwungen sind, eigene Haushalte zu gründen oder eben Jugendliche kein Interesse und keine Motivation zum Annehmen eines Ferienjobs haben.

Gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?

Na gut, Herr Krauß.

Herr Krauß.

Ist Ihnen bekannt, dass in Berlin bekanntlich die PDS mitregiert, es jedoch bislang noch nicht geschafft hat, einen solchen Antrag in das Verfahren hineinzubekommen? Man kann ja der FDP viel vorwerfen, an vielen Stellen, das tue ich ja auch, aber diesen Punkt kann man der FDP nicht vorwerfen – zumindest kann ihn ihr die PDS nicht vorwerfen, wenn sie es noch nicht einmal in den Ländern schafft, in denen Sie selbst regiert, solche Anträge durch das Parlament zu bekommen.

Die Zwischenfrage läuft noch? – Danke. Nein, das war mir bis jetzt nicht bekannt. Die FDP war eine der Fraktionen im Bundestag, die den Hartz-Gesetzen zugestimmt hat.

(Widerspruch bei der FDP und Oh-Rufe)

Aber Sie haben sich jedenfalls nicht genug dagegen eingesetzt.

(Heiterkeit bei der FDP – Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Sehr geehrte Frau Kollegin, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Fraktion der FDP, der Freien Demokratischen Partei, im Deutschen Bundestag die einzige Fraktion war, die den Hartz-IV-Gesetzen nicht zugestimmt, sondern dagegen gestimmt hat?

(Jürgen Gansel, NPD: Aus anderen Gründen! – Holger Apfel, NPD: Weil es nicht genug war!)

Gut, Sie waren die einzige Fraktion, aber Sie hätten sich dennoch mehr dagegen stark machen können.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS – Unruhe bei der SPD)

Wenn man nun aber etwas wirklich verbessern wollte, müsste man die Forderung aufmachen, die Bedarfsgemeinschaften aufzulösen und jedem einen individuellen Anspruch auf Leistung zu gewähren.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Ich möchte aber noch einen anderen Aspekt in die Debatte einbringen. Seit Jahren werden mehr und mehr Arbeitsmöglichkeiten im Niedriglohnsektor geschaffen. Wenn nun ein Arbeitgeber die Wahlmöglichkeit zwischen einem gelernten Arbeiter und einem ungelernten Schüler hat und der Lohn, egal, wen er einstellt, derselbe ist: Für wen wird er sich wohl entscheiden?

Ich weiß nicht, ob Sie sich bewusst sind, dass die Situation eintreten kann, dass es in naher Zukunft keine Schüler- und Ferienjobs mehr geben wird. Trotz alledem – Schüler- und Ferienjobs können sicherlich neben einer Aufbesserung des Taschengeldes, falls es das in einer Bedarfsgemeinschaft überhaupt noch gibt, dazu dienen, Erfahrungen in der Arbeitswelt zu sammeln. Das ist entscheidend in einer Umwelt, in der sonst Jugendlichen keine Perspektive geboten wird. Deshalb sprechen wir uns dafür aus, dass das Entgelt für Schülerjobs nicht mit dem Familieneinkommen aufgerechnet wird, und stimmen dem Antrag der FDP zu.

(Beifall bei der PDS und der FDP)

Ich rufe den Sprecher der SPD-Fraktion, Herrn Brangs, auf.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe lange überlegt und bin zu dem Entschluss gekommen: Da ich ebenfalls im Namen der Koalition mit unterschiedlichen Gründen ausnahmsweise dem Antrag der FDP zustimmen kann, macht es Sinn, mit gutem Beispiel voranzugehen – ich gebe meine Rede zu Protokoll.

(Beifall bei der SPD)

Frau Schüßler spricht für die NPD-Fraktion.

Ich merke soeben, wir sind uns wahrscheinlich alle einig in diesem Punkt. Wir stimmen auch dafür, und ich gebe meine Rede zu Protokoll.

Für die GRÜNEN Frau Herrmann. Ich hoffe, dass dies nicht inflationär ist. Es ist erst 17:06 Uhr, meine Damen und Herren.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie sehen, es ist nicht inflationär. Ich gebe meine Rede nicht zu Protokoll, weil ich ein paar andere Anmerkungen zu machen habe. Auch wir begrüßen den FDP-Antrag, der uns heute vorliegt. Ferien- und Schülerjobs sollten nicht auf das Einkommen der Bedarfsgemeinschaft ALG II angerechnet werden. Wir GRÜNEN wollten von Anfang an höhere Zuverdienstmöglichkeiten im Gesetz verankert wissen. Das ist aber an der Haltung der unionsregierten Bundesländer gescheitert. Unser Tenor war und ist: Fördern und fordern. Die Zahlung von Transferleistungen sollte nicht länger ein Grund sein, von den Möglichkeiten der Arbeitsförderung ausgeschlossen zu sein. Genau deshalb hat die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld neue Perspektiven für die Förderung eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir Arbeitslose ausschließlich unter dem Aspekt der Belastung der Sozialsysteme sehen, können wir als Ziel auch nur deren Entlastung anstreben. Die Perspektive des Förderns betrachtet Arbeitslosigkeit als Belastung für den konkreten Menschen, und Ziel ist demzufolge auch dessen Entlastung. Diese Sicht, die Belastung des Einzelnen, wird häufig übersehen.

Arbeit, besser Erwerbsarbeit, ist für die Entwicklung der eigenen Identität zentral. Sie ist Quelle von Anerkennung, sie vermittelt Zugehörigkeit zu einem Beruf, zu einer Firma – wie Sie wollen. Arbeitslosigkeit bedeutet den Verlust von Identität, von Zugehörigkeit, von Anerkennung. Arbeitslosigkeit ist eine Form von Missachtung. Man stirbt den sozialen Tod des Nicht-mehr-Gebrauchtwerdens. Arbeitslosigkeit kann aus diesem Grund auch krank machen. Aus der Langzeitarbeitslosigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, können die meisten deshalb nicht von null auf hundert starten.