Protocol of the Session on June 24, 2009

Meine Damen und Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 11

2. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Stärkung der Unabhängigkeit und der Rechte des Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen im Freistaat Sachsen

Drucksache 4/15206, Gesetzentwurf der Linksfraktion

Drucksache 4/15775, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend

Die Fraktionen erhalten das Wort zur allgemeinen Aussprache. Es beginnt die Linksfraktion mit Herrn Wehner, danach die gewohnte Reihenfolge. Bitte, Herr Wehner, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bitte Sie, dem hier vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Sie schaffen damit eine erste und nicht unwesentliche Voraussetzung zur Verwirklichung der UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderungen im Freistaat Sachsen.

Meine Damen und Herren von der Koalition! Meine Damen und Herren von der CDU! Seien Sie zuverlässig. Sie erinnern sich, dass die damalige Staatsministerin Helma Orosz in diesem Haus erklärt hat: Wenn die Bundesrepublik der UN-Menschenrechtskonvention für Behinderte beigetreten ist, dann wird auch der Freistaat Sachsen die erforderlichen Modifizierungen in einschlägigen Rechten angehen. Beginnen Sie und sorgen Sie mit dafür, dass das zielstrebig erreicht werden kann!

Sie sprechen von einem Prozess. Das ist richtig. Diesbezüglich ist auch der Staatsregierung zuzustimmen. Es kann aber nicht sein, dass wir abwarten, denn wir brauchen ein klares Konzept, in dem steht, welche Rechtsvorschriften wir überprüfen wollen. Von daher ist es wichtig, dass Sie diesen einen Mann voranstellen, der das erledigen kann. Wir sind der Meinung, dass es aufgrund der Sach- und Fachkompetenz der Beauftragte der Sächsischen Staatsregierung sein muss, der für die Belange der Menschen mit Behinderungen eingesetzt ist. Dieser kann diesen Prozess führen. Das kann er natürlich nicht ehrenamtlich, sondern nur hauptamtlich machen. Er kann die Aufgaben, die in § 10 des bisherigen Gesetzes zur Verbesserung der Integration von Menschen mit Behinderungen im Freistaat Sachsen beschrieben sind, nicht ehrenamtlich, sondern nur hauptamtlich erledigen.

Meine Damen und Herren! Wenn ich es richtig verstanden habe, dann hat der Ministerpräsident heute früh in seiner Regierungserklärung ausgeführt, dass wir vielerorts bereits eine barrierefreie Infrastruktur vorfinden und von dieser ausgehen können. Dazu sage ich nur: Schön wäre es ja!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Machen Sie sich doch nichts vor und mogeln sich voll, wo es nur geht. Wir sind weit weg davon. Oder halten Sie es für barrierefrei, wenn Menschen mit Behinderungen, die im Rollstuhl sitzen oder die blind sind, vorher bei der Bahn anrufen müssen, damit sie die Bahn benutzen können? Halten Sie es für sachgerecht und menschenwürdig, wenn Menschen mit Behinderungrn ihre Angelegenheiten in Behörden in Nebenräumen oder sogar neben den Rathäusern erledigt bekommen und gegebenenfalls im Regen stehen müssen?

Herr Bandmann, Sie haben vorhin ausgeführt, dass die CDU diejenige Partei ist, die die Rechte der Menschen kennt, diese durchsetzt und verwirklichen helfen will. Meinen Sie, dass das auch für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben, insbesondere im kulturellen Bereich, gilt? Ich habe da so meine Zweifel. Warum ist denn das Theater in Görlitz immer noch nicht barrierefrei, obwohl die Mittel bewilligt worden sind und sich der Stadtrat mehrheitlich dazu bekannt hat, dass diese Einrichtung barrierefrei gemacht wird? Machen Sie dem dortigen Oberbürgermeister doch einmal Dampf, damit das endlich erledigt wird und jeder die Chance hat, kulturelle Veranstaltungen zu erleben und Behinderte nicht ausgegrenzt werden!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! Dass eine barrierefreie Infrastruktur entstehen kann, dazu bedarf es eines Programms. Ich hatte es bereits ausgeführt. Die Linksfraktion hat im Laufe dieser Legislaturperiode ein solches Programm eingefordert – wir haben dazu auch einen Antrag vorgelegt – und die Staatsregierung gebeten, ein solches Programm auf den Weg zu bringen. Sie von der Koalition

haben das bisher verhindert, und dann sagen Sie noch, Sie wären für alle Menschen im Freistaat Sachsen da. Da habe ich so meine Zweifel.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! Die Aufgaben des Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen sind beschrieben worden. Wir müssen Sie nicht neu erfinden. Lassen Sie mich schwerpunktmäßig einige benennen. Es geht darum, den Bau barrierefreier Wohnungen sowie öffentlicher Gebäude zu fördern und den öffentlichen Personennahverkehr für Menschen mit Behinderungen zu erschließen, die schulische Integration, Inklusion und Förderung von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten und die Erfüllung der Beschäftigungsquote schwerbehinderter Menschen, und zwar nicht nur im öffentlichen Bereich, durchzusetzen sowie die Beratung betroffener Menschen und ihrer Angehörigen in Grundsatzangelegenheiten zu unterstützen. Insoweit ist die regelmäßige Information über den Entwicklungsstand auf diesem Gebiet vor dem Sächsischen Landtag durch die Sächsische Staatsregierung wichtig. Wenn Sie wirklich wollen, dass alle Menschen im Freistaat Sachsen eine Chance zur gleichberechtigten Teilhabe haben sollen, dann entscheiden Sie sich dafür, einen Menschen zu bestellen, der die Aufgabe hauptamtlich im Freistaat Sachsen erledigen kann, und stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu.

Sollten Sie das machen wollen, dann möchte ich der Vollständigkeit halber darauf hinweisen, dass wir uns im Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend den Empfehlungen der Landtagsverwaltung angeschlossen haben, was die Formulierungen im Gesetzentwurf und deren Alternative betrifft, Teil 1 des „Meckerzettels“.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Die CDUFraktion, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Wehner, im Engagement und beim Einsatz für Menschen mit Behinderungen oder dafür, dass Menschen mit Behinderungen ihre Interessen selbst besser wahrnehmen können, unterscheiden wir uns nicht. Ich will aber die Gelegenheit nutzen – das ist meine letzte Rede –, um Ihnen persönlich meine große Anerkennung und meinen tiefen Respekt auszudrücken, wie Sie als Ausschussvorsitzender, was ich erlebt habe, bewundernswert, stark und beeindruckend unseren Ausschuss geführt haben. Ich habe Sie sehr bewundert und wollte Ihnen das bei dieser Gelegenheit auch einmal sagen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Was mich zu einer anderen Meinung als der Ihrigen kommen lässt, ist Folgendes: Mich irritiert immer – ich weiß, das ist so üblich bei Gesetzesvorlagen –, wenn nach

dem Doppelpunkt des Wortes „Alternativen“ steht: keine. Es ist so schrecklich in der Politik, dass wir immer meinen, es sei alles alternativlos. Zu den allermeisten Dingen gibt es Alternativen. Sie wollen den gegenwärtigen ehrenamtlich tätigen Beauftragten der Sächsischen Staatsregierung durch einen sächsischen Behindertenbeauftragten als Beamten auf Zeit ersetzen. Nun kann man darüber sprechen, ob es dazu Alternativen gibt und wie diese aussehen. Sind diese gut oder sind diese nicht gut? Ich bin diesbezüglich sehr ideologiearm. Sie mahnen mit Recht an, dass wir dafür ein Konzept brauchen und dass wir alle gehofft hatten, dass das Konzept bis zum Ende der Legislaturperiode vorliegen würde.

Ob es tatsächlich eines sächsischen Behindertenbeauftragten bedarf, um diesen Prozess zu führen, oder ob das die Ministerin oder wer auch immer machen könnte – jedenfalls eine starke Persönlichkeit –, das ist für mich noch offen. Ich denke, wichtig ist es, dass etwas geschehen muss, etwas Gutes, etwas Starkes, und es sollte nicht zu lange dauern. Aber Ihr Vorschlag zu diesem sächsischen Beauftragten ist nicht die einzige Möglichkeit. Ich bitte noch um ein wenig Gelassenheit. Ich hoffe sehr, dass es bald zu einem Konzept kommt, und bin mit Ihnen ganz der Meinung, dass auch in Zukunft viel mehr passieren muss, als was gegenwärtig geschieht.

Vielen Dank. Wir werden diesen Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall bei der CDU und der SPD – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Muss man jedes Gesetz ablehnen?)

Möchte die SPD sprechen? – Nein. Dann die NPD? – Auch nicht. Die FDP? – Frau Schütz, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Wehner, es soll keine Missachtung oder zu wenig Wertschätzung der Belange der Menschen mit Behinderungen sein. Ich bin ja heute selbst mit einer Beeinträchtigung unterwegs. Ich würde daher gern unsere Rede zu Protokoll geben.

Die Fraktion der GRÜNEN, Frau Herrmann; bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Sandig, ich weiß nicht, ob das die einzige Möglichkeit ist. Aber nun zu der anderen Möglichkeit, die Sie erwähnt haben, nämlich dass sich die Ministerin für dieses Thema stark macht: Das hätte sie in der Vergangenheit tun können und das hat offenbar nicht den gewünschten Effekt gehabt.

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE und bei der Linksfraktion)

Demzufolge macht es durchaus Sinn, einen Beauftragten zu benennen und ihn in seinem Amt so zu stärken, dass er die Rechte für Menschen mit Behinderungen tatkräftig

unterstützen kann. Es gibt verschiedene Gründe, warum wir genau das tun sollten.

Unsere Fraktion hat in der Vergangenheit versucht, mit der Politik der kleinen Schritte immer wieder Verbesserungen für die Situation von Menschen mit Behinderungen zu erreichen. Manchmal hat uns die Linksfraktion dafür gescholten, dass wir sozusagen nicht den großen Wurf hier vorgelegt haben. Wir haben immer gesagt, dass wir erst einmal das Integrationsgesetz, wie wir es bisher haben, umsetzen wollen, und danach werden wir sehen, was ein neues Integrationsgesetz enthalten müsste. Das ist noch nicht in Gänze passiert. Im Gegenteil:

Wir haben einen Rückschritt erlebt, indem mit der Verwaltungs- und Funktionalreform Aufgaben von Landesebene auf die Ebene der Kommunen gegeben wurden, die aber laut Integrationsgesetz nicht verpflichtet sind, ihre Aufgaben barrierefrei anzubieten. Wir haben also versucht, mit kleinen Schritten Barrierefreiheit zu erreichen und auch die Kommunen dem Integrationsgesetz zu unterwerfen bzw. hauptamtliche Behindertenbeauftragte in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten einzurichten.

Wenn ein Behindertenbeauftragter auf Landesebene bestellt werden soll, werden wir uns dem nicht verschließen. Wir halten das für sehr sinnvoll und zumindest für die nächsten Jahre für geboten. Man kann darüber nachdenken, ob diese Position nach einem bestimmten Zeitraum nicht mehr gebraucht wird, wenn die Rechte von Behinderten dann stark in unser aller Denken verankert sind, dass es nicht mehr notwendig ist, explizit darauf hinzuweisen und hinzuarbeiten.

Wir haben in der nächsten Legislatur die Aufgabe vor uns, die UN-Konvention umzusetzen. Gerade für die Begleitung der Umsetzung der Konvention brauchen wir nicht nur ein Konzept, einen Aktionsplan, sondern wir brauchen jemanden, der mit seiner ganzen Person genau für diese Umsetzung steht, sie vorantreibt, begleitet und immer wieder den Prozess anstößt.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Es gibt einen Punkt in Ihrem Gesetzentwurf, mit dem wir nicht ganz einverstanden sind. Für sinnvoller halten wir, dass der Landesbehindertenbeirat ein Vorschlagsrecht für den Beauftragten hat; denn für eine starke Position brauchen wir eine Fachfrau oder einen Fachmann, gerade im Hinblick auf die vielfältigen Aufgaben, die in der nächsten Legislatur auf uns zukommen werden.

Nichtsdestotrotz stimmen wir dem Gesetz zu. Wir halten das für eine ganz entscheidende, wichtige Maßnahme, um der UN-Konvention in Sachsen Geltung zu verschaffen.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Wird weiter von den Fraktionen das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Herr Minister Kupfer, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf meine Rede auch zu Protokoll geben.

(Beifall bei der CDU – Dr. André Hahn, Linksfraktion: Sie haben mir zwei Fragen versprochen! – Staatsminister Frank Kupfer: Sie haben gesagt, ich solle schnell machen! – Heiterkeit)

Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns abstimmen. Aufgerufen ist das Gesetz zur Stärkung der Unabhängigkeit und der Rechte des Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen im Freistaat Sachsen. Wir stimmen über den Gesetzentwurf der Linksfraktion ab. Ich fasse die drei Dinge gleich zusammen: die Überschrift, Artikel 1, Änderung des Sächsischen Integrationsgesetzes, und Artikel 2. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei einer ganzen Reihe von Stimmen dafür ist der Gesetzentwurf dennoch abgelehnt worden, und der Tagesordnungspunkt ist beendet.