Protocol of the Session on April 29, 2019

Menschen, für die ein Gericht eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet hat, sowie Straftäter, die wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind, sind bisher vom Wahlrecht ausgeschlossen. Diese 850 erwachsenen Saarländer - und das hat Frau Berg eben richtiggestellt - sind nur ein ganz kleiner Bruchteil unserer Behinderten. Wenn man hier Fragen stellt, stellt man also keine Fragen, was die Behinderten betrifft. Die Zahlen sind ja bekannt, wir haben fast eine viertel Million behinderte Menschen im Saarland,

davon fast 200.000 Schwerstbehinderte. Die sind überhaupt nicht davon betroffen. Es sind nur 850 Saarländer, die sich selbst in keiner Weise mehr vorstehen können und für die eine umfängliche Betreuung vorgesehen ist.

Diese Menschen können bisher nicht an den Wahlen teilnehmen und die sollen nun bei den Kommunalwahlen und bei den Europawahlen am 26. Mai mitwählen können. Dazu müssen sie allerdings einen Antrag stellen und Frau Berg hat es schon gesagt, dazu genügt es, wenn man sagt: Ich will wählen. Die Frage bei diesem Antrag ist dann, wer das macht. Macht das die Person selbst oder ist sie dazu auch nicht in der Lage und es muss dann der Betreuer machen? Gilt das dann, wenn er das für sie macht? Die andere Frage ist schon beantwortet worden, nämlich was mit denen ist, die per Gerichtsbeschluss dazu verurteilt worden sind, nicht wählen zu dürfen, also Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte und dergleichen. Die dürfen also nach wie vor nicht wählen, die sind davon ausgeschlossen.

Aber weiterhin dürfen natürlich auch junge Menschen bis zu 18 Jahren nicht wählen. Ich könnte mir einen Fall vorstellen, wo ein Abiturient mit dem Leistungsfach Politik - er ist am 27. Mai 2001 geboren, er ist also genau an diesem 26. Mai 2019 noch nicht 18 Jahre alt - trotz seiner Eins im Leistungsfach nicht wählen darf. Dagegen darf ein anderer Mensch wählen, der schwerstbehindert ist, der vielleicht am 26. Mai 2001 als Siebenmonatskind auf die Welt gekommen ist, also praktisch noch zwei Monate jünger ist als der andere. Der darf wählen, wenn er einen Antrag stellt. Da sieht man schon einmal, dass diese Geschichte in sich nicht ganz stimmig ist.

(Abg. Ries (SPD) : Ihre Argumentation ist an sich nicht ganz stimmig. - Sprechen.)

Solche Dinge muss man den Leuten erklären können. Man braucht nur zu sagen, ich will wählen, und schon darf man wählen. Es gibt noch andere Dinge, die nicht alle können. Zum Beispiel kann auch nicht jeder Auto fahren, da braucht man einen Führerschein, und es kann nicht jeder jagen, da braucht man einen Jagdschein oder eine Jagdberechtigung. Da kann ich auch nicht hingehen und sagen, ich möchte gerne Auto fahren, und schon kann ich Auto fahren, weil alle anderen auch Auto fahren dürfen.

(Sprechen.)

Es sind halt bestimmte Voraussetzungen daran geknüpft und aus diesem Grunde ist das nicht ganz so einfach. Und wenn wir diese Frage inhaltlich aufmachen - wir haben ja keine Zeit, wir sind ja hineingezwängt worden, ein paar Wochen oder Tage vor der Wahl -, dann müssten wir auch wieder darüber nachdenken, wie es mit dem Wahlrecht für Kinder, mit dem Wahlrecht für Jugendliche aussieht. Hier sind schon Anträge gestellt worden für 16- bis 18

(Abg. Berg (SPD) )

Jährige. Das ist dann auch ein Thema, das man im Zusammenhang - das sind ja auch Menschen, denke ich doch einmal - beraten müsste.

(Unruhe und Sprechen.)

Das Wahlrecht ist ein hart umkämpftes Recht. Man muss davon ausgehen, dass mit diesem Wahlrecht verantwortungsvoll umgegangen wird. Wenn alle Menschen unabhängig von ihrer geistigen Verfassung wählen können - ich kenne Menschen, die bedauernswert und arm dran sind, was ihre geistige Verfassung betrifft -, dann ist das unter Umständen eine Abwertung dieses kostbaren Wahlrechts.

(Sprechen.)

In diesem Zusammenhang - das ist schon angeführt worden - stellt sich natürlich die Frage nach dem Missbrauch. Ich meine damit etwas, was wir hier schon häufiger gehört haben: Alle Menschen sind gleich, alle Menschen sind gut. Aber es ist nun mal eine Tatsache, dass bei jeder Wahl, ob sie jetzt in Russland, in der Türkei, in Amerika oder wo auch immer stattfindet, spekuliert wird, ob es mit rechten Dingen zugegangen ist, ob die Wahlen gefälscht worden sind. Bei uns in Deutschland gibt es diese Diskussion auch. Das heißt also: So etwas existiert. Man muss zumindest darüber reden können. Es gibt natürlich Gesetze. Wir haben ein Strafgesetzbuch. Da wird man bestraft, wenn man Fälschungen macht und so weiter.

(Sprechen.)

Man kann es selbstverständlich nicht generell unterstellen, aber man muss zugeben, dass diese Möglichkeit besteht. Die Leute draußen sind unumwunden nicht so vorsichtig wie wir. Zu mir ist am Wochenende jemand an den Stand gekommen und hat gesagt: Jetzt haben die Betreuer zwei Stimmen.

Ich habe grundsätzliche Bedenken. Wir haben Jahrzehnte Zeit gehabt, das Wahlrecht entsprechend unseren Wünschen und Bedürfnissen zu ändern. Wir haben es nicht gemacht. Es ist schon erwähnt worden, dass die Regierung vor einem Jahr aufgefordert worden ist, etwas zu unternehmen, hat es aber dann unterlassen. Jetzt soll kurz vor Toresschluss im Hauruckverfahren ein Gesetz in Erster und Zweiter Lesung durchgepeitscht werden. Eine Sondersitzung eines Landtages soll nur in Ausnahmefällen stattfinden. Eine Erste und Zweite Lesung an einem Tag durchzuführen, ist aus gutem Grund eine Ausnahmelösung. Das sollte also nur ausnahmsweise geschehen.

(Zuruf des Abgeordneten Thul (SPD).)

Ich glaube nicht, dass heute der Tag und jetzt die Stunde der Ausnahme ist.

(Abg. Renner (SPD) : Doch, natürlich.)

Ich sehe, meine Zeit läuft ab. Ich werde mich also kurz fassen.

(Lachen und Beifall von den Regierungsfraktio- nen.)

Beifall von der Regierungskoalition! Das muss man im Protokoll vermerken!

Was den Wahlmissbrauch betrifft, will ich kurz noch die Frankreichstrategie bemühen und zitiere: „Honi soit qui mal y pense.“ Für die, die mit ihrer Durchsetzung oder Umsetzung noch nicht ganz so weit sind, sage ich es auf Deutsch: Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

(Abg. Renner (SPD) : Was soll das jetzt heißen?)

Ansonsten haben wir in der AfD-Fraktion über die Angelegenheit gesprochen, beraten und sind zu der Auffassung gekommen, dass jeder Abgeordnete seinem eigenen Gewissen folgend abstimmen soll.

Um noch einmal zu zeigen, wie schwierig das Ganze ist: 400 Seiten vom Bundeswahlleiter zu den Rechtsgrundlagen für die Wahl des Europäischen Parlaments. Da greifen wir jetzt heute ein.

(Sprechen und Zurufe.)

Gut. - Danke schön.

Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Ruth Meyer von der CDU-Landtagsfraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Liebe Hörerinnen und Hörer! Es ist nicht mehr zu übersehen, wenn wir durch die Orte fahren: In weniger als vier Wochen ist Wahl im Saarland. Es findet nicht nur e i n e Wahl statt. Je nach Wohnort unserer Bürgerinnen und Bürger sind es bis zu sechs Wahlen. Das ist nicht nur eine Herausforderung für die Wählerinnen und Wähler. Es ist insbesondere eine Herausforderung für diejenigen, die diese Wahlen zu organisieren haben, seien es die Wahlleiterinnen und Wahlleiter auf Landes- oder Kreisebene oder in den Gemeinden. Die Ämter und Helfer haben eine große Aufgabe, die Konsistenz und die Rechtssicherheit dieser Wahlen umzusetzen. Die unterschiedlichen Wahlen beinhalten unterschiedliche Formvorschriften, Regularien und Fristen. Das ist eine spannende Sache. Ich durfte elf Jahre lang ein Hauptamt in einer Kreisverwaltung leiten. Ich weiß, dass die Spannung nicht nur bei den Parteien steigt, sondern auch bei den Personen, die sich um die Wahldurchführung kümmern. Das ist eine Zielgruppe, der wir heute einmal Danke sagen sollten.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

(Abg. Dörr (AfD) )

Vor einem knappen Jahr haben wir im saarländischen Landtag gefordert, dass behinderte Menschen, auch wenn sie unter vollständiger amtlicher Betreuung stehen, nicht pauschal vom Wahlrecht ausgeschlossen werden dürfen. Zu dieser Forderung stehen wir. In dieser Haltung haben uns zwischenzeitlich hochrichterliche Urteile bestätigt. Bis vorhin habe ich geglaubt, dass wir uns in dieser Haltung in diesem Hause auch im Wesentlichen einig sind. Die Gedankenwelt, die der Kollege Dörr eben geöffnet hat, lässt mich allerdings an der Urteilsfähigkeit einiger einzelner Gewählter zweifeln.

(Sprechen.)

Aber das soll uns jetzt nicht weiter berühren. Es geht um die Wahl in vier Wochen. Es ist nach unserer Auffassung richtig, keine vorschnellen Wahlrechtsänderungen vorzunehmen, wenn wir dieses inklusive Wahlrecht fordern. Die Gründe hierfür will ich noch einmal nennen. Meine Fraktion hielt und hält es immer noch für falsch, jetzt im Vorgriff auf erst seit Kurzem vorliegende Urteile und auch heute noch nicht vorliegende bundes- und europawahlrechtliche Regelungen zu reagieren und Realitäten zu verändern. Die Bundesländer, die das getan haben - Herr Georgi hat vorhin darauf hingewiesen -, werden aller Voraussicht nach ihr Kommunalwahlrecht erneut ändern müssen. Es ist nicht richtig zu meinen, dass sie die Lösung bereits gefunden hätten.

Unsere Fraktion hielt und hält es ebenso für falsch, die erforderliche Klarheit über die Frage, wer im laufenden Wahlzyklus wahlberechtigt und damit auch berechtigt ist, bei der Listenaufstellung mitzuwirken oder zu kandidieren, im laufenden Zyklus grundsätzlich zu verändern. Dieser Zyklus beginnt, wie die Venedig-Kommission sagt, etwa ein Jahr vor jeder Wahl.

Schließlich ist es unsere Überzeugung, dass die Wählerverzeichnisse der gleichzeitig stattfindenden Europa- und Kommunalwahlen möglichst nicht auseinanderfallen sollten. Genau dies wäre aber geschehen, wenn wir in den letzten zehn Monaten parlamentarisch gehandelt hätten. Dies hätte die Rechtssicherheit der bevorstehenden Wahlen gefährdet. Das wäre meines Erachtens übrigens auch der Fall, wenn wir dem Antrag der LINKEN folgen würden.

Deshalb ist und bleibt es richtig, ausschließlich nur das zu regeln, was die unterschiedlichen Wahlen am 26. Mai möglichst einheitlich hält und gleichzeitig den bestmöglichen Zugang für möglicherweise zu Unrecht ausgeschlossene Personen eröffnet. Dagmar Heib hat die entsprechende Übergangsregelung ausführlich vorgestellt. Ja, es ist nur eine Übergangsregelung, denn Wahlrecht ist aus unserer Sicht kein Antragsrecht. Sie ist aber eine salomoni

sche und vor allen Dingen praktikable Regelung. Der Antrag ist schriftlich, aber ansonsten formlos. Deshalb stellt er auch keine Hürde dar, jedenfalls keine Hürde, die wir mit den Unterstützungen, die von den Wahlämtern geleistet werden, nicht nehmen könnten. Sie schafft Rechtssicherheit für die kommende Wahl und lässt uns gleichzeitig die notwendige Zeit, das aufzuarbeiten, was für eine endgültige Regelung noch zu klären ist.

Wir wissen nämlich noch recht wenig darüber, wie sich die Situation in unserem Land genau darstellt. Inwiefern wurden zum Beispiel bislang Betreuungen in allen Angelegenheiten ausgesprochen? Die erste Erkenntnis, die wir dazu gewonnen haben, ist, dass sie von Vormundschaftsgericht zu Vormundschaftsgericht unterschiedlich gehandhabt werden. Worauf gehen die aktuell circa 850 Wahlrechtsausschlüsse im Einzelnen zurück? Da sind auch Wachkomapatienten oder Demente darunter, die per Gerichtsbeschluss und sozusagen im Einzelentscheid, ähnlich wie das der Entwurf der LINKEN vorsieht, ausgeschlossen sind und bleiben. Diese sind von den jetzt vorliegenden Urteilen gar nicht betroffen. Wir wissen derzeit nicht: Wie viele sind die schon genannten psychisch kranken Straftäter oder vollständig amtlich Betreuten, die damit pauschal und zu Unrecht ausgeschlossen sind? - Wir müssen uns dann aber auch fragen, ob alle aus dieser letzten Gruppe tatsächlich ihren politischen Willen bilden können und in der Lage sind, selbst zu wählen, wie die Kollegin Berg dies eben dargestellt hat, oder eben nicht, und müssen dann festlegen, wie wir das formal abgrenzen wollen. Das ist die Frage, die sich auf bundesund europarechtlicher Ebene ebenfalls stellt, das sollten wir dann auch möglichst einheitlich lösen.

Die LINKE glaubt, mit ihrem Antrag die Lösung hierfür bereits gefunden zu haben, nämlich allein mit richterlichen Einzelentscheidungen. Ich respektiere die Argumentation, allein sie überzeugt mich nicht. Wer meint, man müsste nur alle pauschalen Wahlrechtsausschlüsse im Kommunalwahlrecht streichen und wäre dann auf der sicheren Seite, unterliegt meinem Verständnis nach einem Irrglauben und gibt manchem Behinderten auch Steine statt Brot. Denn für die Personen, die nicht in der Lage sind, ihren politischen Willen zu äußern, müssen wir ja nach wie vor sicherstellen, dass nicht etwa Dritte sich anmaßen, dies unberechtigt in ihrem Namen zu tun.

Überdies haben Sie auch zu wenig Augenmerk auf die kurzfristige Umsetzbarkeit Ihrer Regelung und die Konsistenz zur Europawahl gelegt. Deshalb ist unser Credo nach wie vor: Sorgfalt geht vor Schnelligkeit. Daher ist der von den Koalitionsfraktionen vorgelegte Antrag ebenso weise wie der Beschluss, den das Bundesverfassungsgericht zum Europawahlrecht am 15. April gefasst hat. Aber weil ja auch in Ihrer Fraktion einige kluge Köpfe sitzen, bin ich

(Abg. Meyer (CDU) )

mir sicher, dass auch Sie erkennen, dass wir mit diesem Kompromiss für diese Wahl die beste aller Lösungen gefunden haben.

(Zuruf des Abgeordneten Lafontaine (DIE LIN- KE).)

Deshalb bitte ich Sie herzlich: Gehen Sie in jeder Hinsicht sorgsam mit den berechtigten Interessen Schwerbehinderter um, tragen Sie unsere Übergangslösung mit und bringen Sie sich nach dem 26.05. für eine wirklich tragfähige Neuregelung ein! Vielen Dank.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Es liegt eine weitere Wortmeldung vor, sie kommt von Dr. Magnus Jung, SPD-Landtagsfraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bereits angeklungen ist, gab es im Innenausschuss durchaus Diskussionen zu diesem Thema, nicht darüber, welches das Ziel ist, sondern lediglich über die Frage, was der beste Weg zum Ziel sein könnte. Deshalb bin ich meiner Fraktion auch dankbar, dass ich heute Gelegenheit habe, das eine oder andere an Bauchweh an dieser Stelle zu artikulieren.

Der vorliegende Gesetzentwurf bringt den Landtag, wie ich denke, in zweifacher Weise in gewisse Schwierigkeiten. Das gilt zum einen formal. Wir müssen heute aufgrund von zwei Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes aus diesem Jahr in einer Sondersitzung ohne Anhörungsverfahren und ohne ausführliche Diskussion in den Fraktionen das Kommunalwahlgesetz ändern, um eine verfassungskonforme Kommunalwahl zu gewährleisten. Dabei hatte der Landtag - das ist schon angesprochen worden bereits im Mai letzten Jahres beschlossen, die rechtlichen Regelungen zum Wahlausschluss von Menschen mit Behinderungen zu ändern. Die Landeswahlleitung hatte aber immer wieder unter Verweis auf verfassungsrechtliche Bedenken dringend davon abgeraten, dies noch vor der Kommunalwahl zu tun. Heute müssen wir feststellen: Immer wieder hat das Bundesverfassungsgericht anders entschieden, als von der Landeswahlleitung vorausgesagt wurde. Wir stecken heute in der Bredouille, weil wir diesem Rat vertraut haben.