Protocol of the Session on August 29, 2003

Nun also zur Transparenz. Die Kundenkarte wird durch eine so genannte intelligente Chipkarte ersetzt, durch die verhindert wird, dass Doppelleistungen erbracht werden. Durch sie soll leichter abgerechnet und mehr Transparenz erreicht werden. Auch das ist bereits vereinbart. Sie sehen: Das muss man hier im Landtag eigentlich nicht noch einmal beschließen. Auf der Bundesebene sind unsere Parteien - die SPD und die Grünen - wesentlich weiter, als Sie in Ihrem Antrag auch nur denken konnten.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD - Veronika Kolb [FDP]: Also doch keine Kostenerstat- tung?)

Sie haben die Sozialhilfeempfänger angesprochen. Ich will nur kurz zitieren, was dazu in dem Papier, das Sie vielleicht noch gar nicht kennen, vereinbart worden ist. Dort heißt es:

„Sozialhilfeempfänger, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind, werden künftig mit GKV-Versicherten gleichbehandelt.“

Also ist auch dieses Problem, das Sie auf den Tisch gebracht haben, anscheinend gelöst.

Ich will allerdings keinen Hehl daraus machen, dass ich den ausgehandelten Kompromiss in der Gesundheitsreform für unzureichend halte. Ich glaube, die eigentlich notwendigen Strukturreformen wurden noch nicht auf den Weg gebracht, die abhängig Beschäftigten werden stark belastet und die paritätische Finanzierung des Gesundheitssystems wird immer mehr zerlöchert.

Schaut man sich die Gesundheitskosten, die zukünftig für die Versicherten entstehen - ab 2005 zum Beispiel den Zahnersatz und ab 2007 die private Versicherung des Krankengeldes -, an, so erkennt man, dass das in der Konsequenz dazu führt, dass Versicherte nicht weniger Beiträge zahlen werden. Entlastet werden allein die Arbeitgeber.

Das Positive, das dieser Gesundheitsreform abzugewinnen ist, ist der Zeitgewinn. Vielleicht verschafft sie uns Luft für einige wenige Jahre, in denen wir einen wirklichen Paradigmenwechsel in der Finanzierung unseres Gesundheitssystems vollziehen können.

Wenn das Ergebnis eine solidarische Bürgerversicherung ist, die damit auf den Weg gebracht werden kann, dann war der jetzige Kompromiss vielleicht der richtige Schritt in Richtung eines Gesundheitssystems, das solidarisch und zukunftsfähig ist und innerhalb dessen das Prinzip der Solidarität, das mit der Finanzierbarkeit vereinbar sein muss, zu Ende gedacht wurde.

Ihren Antrag werden wir ablehnen, weil eigentlich schon alles beschlossen oder auf den Weg gebracht wurde. Indem Sie ideologisch einfach nur Nein zur Bürgerversicherung sagen, werden Sie den Aufgaben unserer Zeit nicht gerecht.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Kolb das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kollege Baasch, wenn es denn so wäre, wie Sie es mit Ihrem Schlusssatz aussagten, dass nämlich alle Voraussetzungen gegeben sind, um in Zukunft eine tragfähige Basis in der Krankenversorgung zu haben, dann wären wir sehr froh und müssten hier nicht diskutieren.

Die Diagnose ist klar: Die gesetzliche Krankenversicherung hat kein Geld mehr. Den Kassen wurden in der Vergangenheit immer mehr Lasten aufgebürdet und gleichzeitig schrumpfte die Einnahmebasis, weil

(Veronika Kolb)

immer weniger Menschen einen sozialversicherungspflichtigen Job hatten. Zugleich wird immer deutlicher, dass das deutsche Gesundheitssystem in den Strukturen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten gebildet haben, nicht mehr reformierbar ist; es ist zu teuer.

Durch Budgetdeckelung haben wir ja bereits seit Jahren eine Zweiklassenmedizin. Sie ist einfach nicht mehr wegzudiskutieren. Das ist ineffektiv. Es bringt bei hohen Kosten nur mittelmäßige Leistungen. Vor allem aber kann es keine guten Leistungen und keinen medizinischen Fortschritt mehr finanzieren, wenn wegen der demographischen Entwicklung immer weniger junge Menschen für immer mehr alte Menschen aufkommen müssen.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Deswegen sollen ja alle einzahlen!)

- Ganz langsam, Herr Baasch. - Spätestens jetzt wird deutlich, was wir alle jahrzehntelang nicht wahrhaben wollten: Das umlagefinanzierte System hat seine Grenzen längst erreicht und sogar deutlich überschritten. Deshalb bestand die Hoffnung, dass die Regierung und die Opposition im Deutschen Bundestag dieses Problem durch einen gemeinsamen Kraftakt lösen können. Diese Hoffnung war leider verfrüht.

Ulla Schmidt und Horst Seehofer haben sich vor allem zulasten der Versicherten und der Patienten auf eine reine Kostensenkungsrunde verständigt. Diese löst aber keine der genannten und sehr bekannten Probleme. Durch diesen Kompromiss ist nur eines erreicht worden: eine Atempause.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

In dieser sehr kurzen Zeit wird die Wirkung des Kostensenkungsprogramms wieder verpufft sein. Das haben aber auch die beiden Verhandlungsführer sehr schnell bemerkt. Um davon abzulenken, wurde dann das Schlagwort der Bürgerversicherung ins Spiel gebracht; denn dieser Begriff schmeichelt dem Ohr. Da fühlt sich der Bürger gleich etwas sicherer und vor allen Dingen ein wenig ernst genommen.

Um einmal zu verdeutlichen, wie schnell dies ging: Am Montag, dem 21. Juli 2003, verkündeten Ulla Schmidt und Horst Seehofer, sie hätten sich auf die größte Sozialreform in der Geschichte der Bundesrepublik geeinigt. Bereits am Mittwoch - ich wiederhole es: am Mittwoch - zweifelte Seehofer plötzlich, ob die Reform länger als fünf Jahre trägt und er brachte den Vorschlag einer Bürgerversicherung ins Spiel, bei der der Kreis der Beitragszahler, aber auch der der Anspruchsberechtigten ausgeweitet wird. Am Don

nerstag zeigte auch Ulla Schmidt Sympathie für diese Bürgerversicherung.

Es ist schon etwas bizarr: Ausgerechnet das Sozialduo, das damit gescheitert ist, mehr Markt in das verkrustete Gesundheitswesen zu implantieren, sagt nun, welche Therapie wirklich nötig ist, und fordert einen Systemwechsel und eine neue Form der solidarischen Vorsorge.

Was die beiden Bürgerverunsicherer - so möchte ich sie einmal bezeichnen - bisher allerdings verschweigen: Auch in der neuen Debatte geht es nicht um Strukturen, sondern ausschließlich um Geldquellen. Wieder fragt niemand, ob das solidarisch finanzierte Gesundheitssystem all das leisten muss und kann, was es derzeit leistet. Wieder einmal geht es nicht darum, den Wettbewerb zu fördern und so die Kosten zu drücken.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Wieder wird sich vor der Antwort auf die Frage gedrückt, wie die Bürger künftig eigenverantwortlich handeln können und wieder werden die Auswirkungen des demographischen Wandels nicht berücksichtigt.

Stattdessen fallen Ulla Schmidt und Horst Seehofer nichts weiter ein als eine Einheitskasse. Dabei sind die Probleme doch allseits bekannt. Seit Jahren dreht sich eine Abwärtsspirale. Weil die Sozialabgaben steigen, werden immer mehr Stellen wegrationalisiert. Weil deswegen die Einnahmen sinken, müssen die Beiträge wiederum steigen. Nach dem Willen von Schmidt und Seehofer soll eine so genannte Bürgerversicherung einen Ausweg aus diesem Dilemma bieten.

Eine Bürgerversicherung löst das Problem einer Umlageversicherung aber nicht. Im Gegenteil: Sie verschärft das Problem noch, indem die Beiträge von Beamten, Selbstständigen und Freiberuflern ebenfalls an deren Einkommen gekoppelt werden.

Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Warum sollen die Lohnnebenkosten sinken, wenn der Kreis der gesetzlich Versicherten wächst? Warum sollen die Ortskrankenkassen ohne private Konkurrenz in Zukunft besser wirtschaften? - Es gibt absolut keinen Grund.

Die Einführung einer Bürgerversicherung bedeutet deshalb nur eines: eine drastische Beitragserhöhung und Sozialismus durch die Hintertür.

(Beifall bei FDP und CDU)

(Veronika Kolb)

Die Bürgerversicherung steht nicht für einen Systemwechsel, sondern sie steht für das „Weiter so“ in der deutschen Sozialpolitik. Sie kann vielleicht kurzzeitig durch neue satte Milliardenbeträge die Probleme mildern, aber nicht langfristig lösen, im Gegenteil: Die neuen Beitragszahler haben entsprechende Ansprüche, die die Befürworter dieser Einheitskasse in der Debatte so unendlich gern vergessen. Denn die neuen Beitragszahler sind nicht unbedingt gesünder als diejenigen, die derzeit in der gesetzlichen Krankenkasse versichert sind. Sie haben aber regelmäßig der GKV etwas voraus: Mit Altersrückstellungen von über 70 Milliarden € sind die derzeit privat Versicherten weitaus besser in Bezug auf die Kosten im Alter abgesichert.

Und: Es ist Aufgabe unseres Steuersystems und nicht der sozialen Sicherungssysteme oder gar einer Bürgerversicherung, für einen sozialen Ausgleich zu sorgen.

Herr Hentschel ist jetzt leider nicht hier, er hätte wieder auf das Schweizer Modell verwiesen. Aber auch darauf hätten wir eine Antwort gehabt.

Die FDP wird deshalb weder dem jetzigen Kompromiss von Ulla Schmidt und Horst Seehofer, der dem erstaunten Bürger als Reform verkauft worden ist, noch einer Bürgerversicherung zustimmen.

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was schlagen Sie vor?)

- Kommt gleich, Frau Birk! - Statt eines neuen, gigantischen kollektiven Umverteilungssystems brauchen wir endlich richtige Reformen, die die wettbewerbsfeindlichen und ineffektiven Strukturen unseres Gesundheitssystems anpacken.

(Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten Werner Kalinka [CDU] und Heinz Maurus [CDU])

Dabei ist natürlich die Frage zu stellen, welche konkreten Ziele mit einer solchen Reform erreicht werden sollen. Muss es nicht endlich das Ziel sein, neben einer notwendigen Beitragsstabilität das Gesundheitssystem für die Herausforderung des demografischen Wandels zu wappnen?

Die Bürgerversicherung jedenfalls löst keine der großen Herausforderungen, vor denen unser Gesundheitswesen steht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Antrag der CDU geht in die richtige Richtung. Herr Kalinka, allerdings werden leider keine konkreten Maßnahmen und Instrumente genannt, die Wettbewerb und Transparenz im Gesundheitssystem herstellen sollen. Es wurde nicht deutlich, was Sie unter versicherungsfremden Leistungen verstehen. Herr

Kalinka, sind Sie für das Prinzip der Kostenerstattung statt der Sachleistungen?

Wenn wir uns in diesen Punkten einigen könnten, dann sind wir ganz nah bei Ihnen und denken, dass wir das anpacken sollten.

Zum Wettbewerb gehört für uns, dass auch künftig die freie Arztwahl und die Therapiefreiheit der Ärzte gewährleistet bleiben

(Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten Uwe Eichelberg [CDU] und Werner Kalinka [CDU])

und der Pharma- und Forschungsstandort Deutschland gestärkt werden muss. Das sind die Herausforderungen, die wir anpacken sollten. Wir sind dazu bereit. Ich denke, wir werden das lösen können.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Birk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meinen Beitrag damit überschreiben: Die CDU in Schleswig-Holstein meldet sich aus einer der wichtigsten Zukunftsdebatten einfach ab.