Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte meinen Beitrag damit überschreiben: Die CDU in Schleswig-Holstein meldet sich aus einer der wichtigsten Zukunftsdebatten einfach ab.
Endlich haben die öffentlichen Medien sowie die gesellschaftlichen Verbände quer zu den sonstigen Konfliktlinien entdeckt, dass unser Gesundheits- und Versicherungssystem einer grundlegenden Neuerung bedarf. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen je nach ihrem Vermögen in die Krankenversicherung der Zukunft einbezahlen - wie, darauf komme ich gleich zu sprechen. Es kann doch nicht länger sein, dass sich ausgerechnet die gut verdienenden Menschen und diejenigen mit besonders sicherem Arbeitsplatz wie Beamte nicht in vollem Umfang an der Solidargemeinschaft der Versicherten beteiligen. Deshalb ist die Bürgerversicherung eine mögliche Antwort auf das Dilemma. Dieses Modell hat bei den Grünen schon seit Jahren in den internen Debatten eine große Rolle gespielt. Wir haben uns für ein Modell mit verschiedenen Varianten stark gemacht und freuen uns, dass die gesamte Gesellschaft nun endlich bei diesem Thema angekommen ist.
Frau Abgeordnete Birk, Moment bitte! - Ich darf die Herren auf der hinteren Reihe der SPD-Fraktion ermahnen, etwas leiser zu sein oder sich draußen weiter zu unterhalten.
Danke schön. - Frau Kolb, leider haben auch Sie für die FDP einen Beitrag gebracht, der überwiegend durch Abwehr gekennzeichnet war. Es gibt zur Bürgerversicherung nur eine interessante Alternative, nämlich die Finanzierung der Gesundheitsversicherung - wie man es auch für andere Versicherungssysteme diskutiert - komplett über Steuern, ein Modell, das nicht nur in meiner Partei, sondern weit darüber hinaus diskutiert wird. Die Zeitschrift „Der Spiegel“ hat vor einigen Monaten eine interessante Modellrechnung des DIW erstellen lassen, eine Modellrechnung für alle sozialen Sicherungssysteme, die wir im Augenblick haben. Es ist eine Globalalternative. Das Ergebnis: Bei einer fast völligen Umstellung aller sozialen Versicherungssysteme auf Steuern können die Arbeitnehmerbeträge unter 10 % des Einkommens sinken und Deutschland wäre mit seinen Steuersätzen im europäischen Vergleich trotzdem wettbewerbsfähig. Zu diesem überzeugenden Zukunftsentwurf äußert sich die CDU erst recht nicht.
Unabhängig davon, wie die Einnahmen der zukünftigen Gesundheitsversicherung gestaltet werden, muss das Gesundheitssystem inhaltlich reformiert werden. Darin besteht in diesem Hause doch zumindest von der Grundrichtung her eine gewisse Einigkeit.
Unsere Fraktion hat immer wieder darauf hingewiesen, dass bloße Kostendämpfungsmaßnahmen nicht ausreichen, um die Krankenversicherung dauerhaft leistungsfähig zu erhalten. Es muss um Qualität gehen. Dafür ist es wichtig, dass innerhalb des Solidarsystems mehr Wettbewerb herrscht, aber nicht Wettbewerb nach dem Motto, wer der billigste Patient ist, sondern Wettbewerb nach dem Motto: Wie kann ich dieselbe gesundheitliche Leistung mit guter Qualität zu einem günstigen Preis erbringen? Das ist eine völlig andere Form von Wettbewerb als die, die die Betriebskrankenkassen im Augenblick machen,
die sich die junge, gesunde Klientel aussuchen und dann die gesetzlichen Krankenkassen mit Dumpingpreisen zwingen, sich ausschließlich um die älteren
und kränkeren Patienten zu kümmern. Das führt zu Wettbewerbsverzerrungen und hat mit fairem Wettbewerb nichts zu tun. Es muss einen Qualitätswettbewerb geben. Im Grunde genommen könnte man einen einheitlichen Mitgliedspreis festschreiben. Genau so etwas will ja die Bürgerversicherung.
Dann brauchte es nicht eine Versicherung im Sinne von einem Firmenschild zu sein, sondern man könnte dann natürlich einen Wettbewerb ausschreiben, wer zu dem Einheitspreis die besten Leistungen anbietet. Dann kommen wir zu weiteren inhaltlichen Fragen, zum Beispiel integrierte Praxis- und Krankenhaussysteme, Zusammenarbeit von ambulantem und stationärem Sektor, Einführung einer Arzneimittelpositivliste, die Ihre Freunde in Berlin bedauerlicherweise gerade verhindert haben, Herr Kalinka, obwohl sie eigentlich schon so gut wie verabschiedet war.
Es müsste auch zu mehr Transparenz und Qualität auf dem Arzneimittelmarkt kommen. Hier gibt es erste Schritte, nur die sind viel zu zaghaft und wurden bedauerlicherweise durch die Mehrheiten der CDU verwässert. Hier haben ganz klar Lobbyisten an der Entscheidungsfindung mitgewirkt.
Auch bei den Fragen der Qualität haben wir keine wirkliche Unterstützung der CDU auf Bundesebene. Da nützt es nichts, Allgemeinplätze in einen Antrag hineinzuschreiben und zu sagen: Wir wollen, dass alles irgendwie besser wird und die Patienten im Mittelpunkt stehen. - Da wird Ihnen niemand widersprechen, aber jetzt streiten wir über das Wie.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal deutlich sagen: Die inhaltliche Reform der Gesundheitsversicherung braucht mehr Integration, sie braucht ein Ende der bisherigen Verschiebebahnhöfe. Auch wir Grünen sind uns einig, dass die jetzige Trennung zwischen Pflegeversicherung und Krankenversicherung nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Man muss sich überlegen, wie man die Verschiebebahnhöfe zwischen Pflegeversicherung und Krankenversicherung beendet, ob man wieder eine Versicherung macht oder ob man tatsächlich zu einer transparenten Trennung kommt, die das, was bisher läuft, nicht mehr ermöglicht. Meine persönliche Meinung ist, dass es wahrscheinlich besser wäre, die Pflege wieder, wie es ursprünglich einmal war, zu integrieren
Auch hierzu gibt es verschiedene inhaltliche Vorschläge, die ich hier aus Zeitgründen nicht ausführen kann. Es nutzt aber nichts, das Pflegerisiko einfach nur auszusitzen. Im Augenblick sind die Pflegekassen scheinbar noch besser gestellt, aber es ist absehbar, wann das nicht mehr der Fall ist. Auch jetzt klagen ja alle, die mit dem Pflegegeschäft zu tun haben, zu Recht. Auch wir im Landtag haben uns das immer wieder angeschaut. Die Pflege ist finanziell unterausgestattet. Selbst mit bester Organisation kann man mit dem Geld keine wirklich gute, humane Pflege machen. Es müsste uns doch ein Anliegen sein, die Pflege in die Debatte über ein besseres Gesundheitssystem mit hineinzubringen.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich sagen: Ob man an die Sache über eine Steuerfinanzierung oder über eine Bürgerversicherung herangeht, ist nicht eindeutig zu beantworten. Für beides gibt es gute Argumente. Man muss sich klarmachen: Wettbewerb wäre von unterschiedlichen Anbietern möglich. Was allerdings nicht mehr möglich wäre, ist, dass die Kranken und Älteren - das tun die Privatversicherungen - teurer versichert werden als die Jungen und Gesunden. Man müsste einen Qualitätswettbewerb ausrufen, der sich nicht an den einzelnen Leiden oder der Gesundheit des Menschen orientiert, welcher sich versichert, sondern sich daran orientiert, was eine solche Gesundheitsversicherung auf die Beine stellt. Wer ein gutes Praxisnetz hat, wer gute Vertragspartner hat, kann dann natürlich auch gute Leistungen anbieten. Wenn man einen solchen Wettbewerb ausrufen würde, hätte man im Grunde genommen endlich die Qualität in den Mittelpunkt gestellt.
Dazu bedarf es - das ist ein weiteres wichtiges Element - mehr Transparenz für den Patienten und die Patientin.
Der mündige Patient kann sich doch nur dann wirklich informieren, wenn er erstens weiß: Was kostet es, wenn ich mich behandeln lasse? Insofern ist es richtig, dass wenigstens auf Anfrage zukünftig Patientinnen und Patienten eine Rechnung bekommen, auch dann, wenn sie nach dem bisherigen System gesetzlich versichert sind.
Eigentlich reicht uns das noch nicht. Eigentlich müsste deutlich sein, dass jeder Patient und jede Patientin
zweitens unaufgefordert in umgangssprachlichem Deutsch eine Auskunft darüber erhält: Was hat dieser oder jener Arztbesuch oder diese oder jene Massage gekostet? Es müsste drittens gesagt werden, welchem Ziel die Maßnahmen dienen sollen. Denn dann würde zum Beispiel sehr schnell deutlich, dass sich manche Ärzte überhaupt nicht zielgerichtet verhalten. Man könnte sich dann auch viel besser im Dialog mit den Krankenkassen darüber informieren: Was ist „state of the art“? Und ist die Behandlung, die ich bekomme, in diesem Rahmen die richtige?
Angesichts der fortgeschrittenen Zeit würde ich meine Ausführungen gern zu Ende führen. Frau Kolb kann sich dann ja gern zu einem Redebeitrag melden.
Im Augenblick ist die Situation so, dass wir uns zwar einer Chipkarte für Patienten nähern - da findet ja der Modellversuch gerade in Flensburg statt; das ist sicher wichtig, damit die Krankenhäuser und die behandelnden Ärzte Einblick in die Informationen haben, die sie über die Patientinnen und Patienten brauchen; dazu ist eine Chipkarte natürlich gut; das vermeidet überflüssige Doppeluntersuchungen -, aber was ist mit den Patientinnen und Patienten? Können diese lesen, was auf der Chipkarte steht? Können sie verhindern, dass vielleicht versehentlich Fehlinformationen darauf gespeichert sind? Können sie, wenn sie vielleicht gar nicht möchten, dass bestimmte Dinge über ihr Krankheitsleben veröffentlicht werden, dagegen Einspruch erheben?
Das sind alles wichtige Fragen, die politisch zu klären sind, bevor wir eine solche Chipkarte bundesweit einführen.
Einerseits ist eine Vernetzung wichtig. Aber wir müssen andererseits die Mündigkeit, die Teil und Grundlage eines Heilungsprozesses ist, vorn anstellen. Wir dürfen nicht ein weiteres Mal bewirken, dass Patientinnen und Patienten nur Rädchen im Getriebe sind.
Wie Sie sehen, haben wir inhaltlich eine Menge zu tun. Erste vorsichtige Schritte sind gemacht, leider nicht so viele, wie wir uns erhofft hatten. Das liegt daran, dass es sich jetzt um einen Allparteienkompromiss handelt, den wir hier zur aktuellen Beschlussfassung vorliegen haben.
Ich bin froh darüber, dass gleichzeitig eine Debatte über weitergehende Reformschritte angestoßen ist. Es
liegt auch an uns in den Landtagen und an den Diskussionen, die wir vor Ort in der Gesellschaft führen, ob diese Debatte schnell wieder begraben wird oder wir tatsächlich einen Schritt nach vorn kommen und zu mehr Gerechtigkeit im Gesundheitssystem gelangen. Wir haben das bitter nötig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer sich Hoffnungen gemacht hat, dass die Krise der gesetzlichen Krankenversicherung jetzt endlich den Druck zu wirklichen Reformen des Gesundheitswesens bringen würde, sieht sich wieder einmal enttäuscht. Spätestens seit den Konsensgesprächen in Berlin ist klar, dass wie bei den letzten Gesundheitsreformen einmal mehr die Patienten die Verlierer sind. Innovative Ansätze in der Gesundheitspolitik wurden beerdigt. Stattdessen dürfen die Patientinnen und Patienten die Suppe auslöffeln.
Deshalb mutet insbesondere Punkt 1 des CDUAntrags auch wie Hohn an. Im Mittelpunkt des Gesundheitswesens stand und steht der Patient. So schrieb der Kollege Kalinka. Richtiger wäre es, hinzuzufügen: Im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Interesses des Gesundheitswesens steht der Patient.
Denn was hat die CDU in der Reformdebatte erreicht? Die Leistungsanbieter und die Pharmaindustrie können weitermachen wie bisher. Dabei spielen gerade sie eine nicht unbeträchtliche Rolle bei den Kostensteigerungen, weil sie die Nachfrage nach ihren eigenen Dienstleistungen zum Teil selbst steuern können.
Wichtige Reformen wie die Einführung einer Positivliste für Arzneimittel oder der Einstieg in ein primärärztliches Versorgungssystem mit dem Hausarzt als Lotsen, von Experten seit langem gefordert, bleiben wieder auf der Strecke.
Die CDU hat es einmal mehr geschafft, eine anständige Modernisierung der Versorgungsstrukturen zu verhindern. Die kostentreibende Rolle der Kassenärztlichen Vereinigungen bleibt offensichtlich unangetastet.
Vergessen scheint die Erkenntnis des Sachverständigenrates für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen zu sein, dass den im internationalen Vergleich
hohen Ausgaben in Deutschland nur mittelmäßige Leistungen gegenüberstehen. Die festgestellten Über-, Unter- und Fehlversorgungen werden durch eine einseitige Belastung der Versicherten nicht wesentlich angetastet. Dabei gibt es schon viele Ansätze für eine grundlegende Strukturreform im Gesundheitswesen. Nur scheitern sie seit Jahren in den Reformverhandlungen, weil die Gesundheitspolitik unter dem Einfluss der Beteiligten zu wenig entgegenzusetzen hat.
Seit Jahren wird von politischer Seite mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen gefordert. Besonders weit gekommen sind wir damit aber noch nicht.
Die Einführung marktwirtschaftlicher Instrumente im Gesundheitswesen hat ganz bestimmt ihren Charme und muss sein. Man sollte sich aber nicht der Illusion hingeben, dass der Wettbewerb allein die Kosten im Gesundheitswesen senken wird. Denn wir haben es letztlich nur mit einem Quasi-Markt zu tun. Die Nachfrage nach konkreten Leistungen wird nicht zuerst durch die Kunden, nämlich die Patientinnen und Patienten, bestimmt, sondern durch ihre Ärzte.
Daher ist eine gesundheitspolitische Steuerung der Rahmenbedingungen notwendig. Eben deshalb sind Instrumente wie die Positivliste, die Lotsenfunktion der Hausärzte und so weiter entwickelt worden. Sie wurden aber, sofern sie in der Diskussion überhaupt eine Rolle spielten, bisher immer zu Fall gebracht.
Im ambulanten Bereich hat die Lobby der niedergelassenen Ärzte es erfolgreich verstanden, neue Strukturen wie die fachärztliche Versorgung in Ambulatorien zu verhindern, obwohl diese volkswirtschaftlich sinnvoll wäre und keine schlechtere Qualität für die Patienten bringt. Man hat im Gegenteil dafür gesorgt, dass entsprechende Strukturen in der DDR nach der Wiedervereinigung schnell zerschlagen wurden, damit es durch diese Polikliniken keine unliebsame Konkurrenz gibt.
Von dem, was von der aktuellen Gesundheitsreform übrig geblieben ist, entfällt nur wenig auf die politische Steuerung. Was noch da ist, zielt bezeichnenderweise wieder einmal auf die Patienten ab. Selbstverständlich macht es Sinn, beim Verbraucher das Bewusstsein dafür zu schärfen, welche Kosten er durch die Inanspruchnahme des Gesundheitswesens verursacht. Es ist altbekannt, dass die Deutschen durch besonders häufige Arztbesuche auffallen. Durch die Praxisgebühr lassen sich aber nicht unbedingt jene abschrecken, die unnötigerweise regelmäßig zum Arzt laufen.