Protocol of the Session on June 20, 2003

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die Union argumentiert im Antragstext mit anderen Punkten, über die man sprechen muss: Vergleichbarkeit, Transparenz, Prüfungsgerechtigkeit.

Diese Argumentation wäre nur dann plausibel, wenn in allen Bundesländern das gleiche Zentralabitur geschrieben werden sollte. Von Land zu Land unterschiedliche Schwierigkeitsgrade und Aufgabenstellungen bei einem auf Länderebene durchgeführten Zentralabitur würden die Argumentation, die die Union anführt, von vornherein weitgehend entkräften.

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Erst einmal lan- desweit!)

- Wenn wir schon ein anspruchsvolles Abitur haben, müssen wir es nicht durch ein Zentralabitur ersetzen, dessen Schwierigkeitsgrad immer von der konkret zentral vorgegebenen Aufgabenstellung abhängig ist. Das kann einmal schwieriger, einmal leichter ausfallen. Das hat immer derjenige in der Hand, der die zentrale Aufgabe formuliert. Heute haben wir viele Schulen mit gymnasialer Oberstufe in unserem Land, die sehr engagiert an anspruchsvollen Aufgabenstellungen arbeiten und bei der inhaltlichen Gestaltung der Abituraufgaben Spielräume zulassen - was ich bildungspolitisch für sinnvoll halte.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Denn es geht bei der Abiturprüfung vor allem darum, komplexe Fragestellungen zu bearbeiten und die Kompetenz zu einer eigenständigen und vertiefenden Bearbeitung eines Problems unter Beweis zu stellen. Ein einfaches Bewertungsraster, wie es etwa bei der Auswertung von Vergleichsarbeiten in der Grundschule im Hinblick auf Grundkenntnisse und grundlegende Fertigkeiten der Schüler in Deutsch oder Mathematik möglich ist, lässt sich auf die Bewertung und Benotung einer Prüfungsleistung im Abitur kaum übertragen. Die Bewertung ist sehr viel komplexer. Selbst bei zentral vorgegebenen Aufgaben bliebe die Bewertung der Abiturleistungen eine Aufgabe der einzelnen Schule und es gäbe einen Bewertungsspielraum. Die Unterstellung, man würde eine absolute

Prüfungsgerechtigkeit und absolute Vergleichbarkeit herstellen, entbehrt bei konkreter Betrachtung einer nachvollziehbaren Grundlage.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spooren- donk [SSW])

Schließlich wird das Abitur in ganz unterschiedlichen Prüfungsfächern abgelegt. Auch das führt beim Vergleich der einzelnen Arbeiten zu Unterschieden. Denn jeder Schüler und jede Schülerin bekommt nicht die gleichen Aufgaben vorgelegt. Es hängt vom jeweiligen Prüfungsfach ab.

Will man die Qualität der Abiturprüfung erhöhen, muss man vor allem die zuvor im Unterricht behandelten Inhalte und deren Niveau betrachten, also das, was bei Abschluss der Schule Gegenstand und Grundlage der Prüfung sein kann. Man darf sich nicht allein auf die Abiturprüfung fixieren. Schon vor der gymnasialen Oberstufe muss der Unterricht so gestaltet sein, dass die Schüler über die Erfahrung des eigenen Kompetenzgewinns ein dauerndes Interesse an ihren Fächern gewinnen und die für eine anspruchsvolle Bildung erforderliche Leistungsbereitschaft entwickeln beziehungsweise bewahren.

Die Gestaltung des Unterrichts und die Qualität der Fachdidaktik sind dabei von wesentlicher Bedeutung für die Frage, ob später, in der Oberstufe, Fächer gewählt werden, die heute von Schülern leider oft abgewählt werden, weil sie vielfach als schwierig angesehen werden. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Dass in unserem Land nur 3,4 % der Gymnasiasten und 2,5 % der Gesamtschüler Abiturleistungskurse im Fach Chemie belegen - wie aus einer von mir im letzten Jahr eingebrachten Kleinen Anfrage hervorgeht -, zeigt, dass derzeit in der Mittelstufe oft nicht die Motivation und das Interesse aufgebaut werden, die erforderlich sind, damit sich in der Oberstufe mehr Schülerinnen und Schüler für solche wichtigen naturwissenschaftlichen Fächer entscheiden. Das Abiturleistungsfach Physik wählt ein ähnlich niedrigeren Anteil. Will man diese Fächer aus bildungs- und wirtschaftspolitischen Gründen stärken, so muss man bereits beim Unterricht in der Mittelstufe ansetzen. Es kann nicht darum gehen, sich auf Form und Ablauf der Prüfung zu konzentrieren.

Die Qualitätsverbesserung, auch was den Abschluss angeht, muss entscheidend in der Schule ansetzen, weit vor den Abschlussjahrgängen. Darauf kommt es an, wenn man das Ziel verfolgt, ein höheres Niveau beim Abitur zu haben. Nicht die Form der Prüfung ist das Entscheidende.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Birk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde meine Einschätzung gern mit der Überschrift kennzeichnen: Die CDU zäumt das Pferd von hinten auf.

Die Schulen unserer skandinavischen Nachbarn zeichnen sich bekanntlich durch einen hohen Grad an Selbstorganisation und Autonomie aus. Sie kennen nur wenige zentrale outputorientierte Steuerungsinstrumente zur Qualitätskontrolle. Dazu gehören zum Teil auch identische Abschlussprüfungen zur Erlangung der Hochschulreife. Allerdings - wir konnten das in Finnland kennen lernen - ist die Vorbereitung auf diese Prüfungen sehr flexibel. Die jungen Leute können zwei bis vier Jahre brauchen, um die Oberstufe zu absolvieren. Sie können einzelne Prüfungsteile, die in dieser Zeit schrittweise erworben werden, wiederholen. Es gibt, obwohl die Prüfung sehr anspruchsvoll ist, eine ganze Menge Möglichkeiten, mit diesem Thema flexibel umzugehen.

Das möchte ich Ihnen vor Augen halten, wenn wir hier in Deutschland über das Thema reden. Wir kennen solche Freiheiten bisher nicht. In Deutschland eicht die Bildungspolitik die Schulen noch viel zu sehr auf Botschaften von oben. Die Kultusministerien steuern bisher mit vielen Vorschriften inputorientiert. Um Bewegung für mehr Qualität in unsere Bildungslandschaft zu bringen, brauchen unsere Schulen mehr Freiheit in der pädagogischen und organisatorischen Gestaltung. Sie wollen Anreize zum Qualitätswettbewerb und keine neuen Zwangsveranstaltungen. Mehr Fortbildung in der Kunst des binnendifferenzierenden integrierenden Lernens, Öffnung der Schule für Stadtteil oder Dorf, Teilnahme der Schulen an externer Evaluation und auch in Maßen Vergleichsarbeiten, vor allem aber praktische Erfahrungen von Schulautonomie sind aus unserer Sicht gute Anreize für bessere Schulleistungen. Hier unterstützen wir das Bildungsministerium ausdrücklich, das in den letzten Jahren in diesem Bereich eine ganze Palette auf den Weg gebracht hat und noch auf den Weg bringen wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Einführung der süddeutschen Regelungen des Zentralabiturs würde aus unserer Sicht hierzulande derzeit zu Recht von vielen als Zwangsjacke empfunden. Auch wenn inzwischen zunehmend mehr Länder das Zentralabitur übernommen haben, so stammt es ursprünglich aus dieser Region. Für eine solche out

putorientierte Steuerung, denn um das handelt es sich, ist es noch viel zu früh. Die sich gerade erst entwickelnde Autonomie der Schulen würde hinterrücks wieder gefesselt. Wir befürchten, dass angesichts eines solchen Zentralabiturs in typisch deutscher Manier nicht selbstständiges Lernen gefördert, sondern versucht würde, auf den so genannten Stoff dieses möglichen Zentralabiturs hin zu pauken. Man würde versuchen herauszufinden, was gefordert wird. Gerade das wollen wir nicht. Wir wollen, dass junge Leute selbstständig und problemlösend lernen und sich nicht auf einen bestimmten abzufragenden Fächerkanon vorbereiten.

Gerade aus den PISA-Studien wissen wir, dass es uns in Deutschland gerade an diesem Verhalten mangelt. Insofern halte ich - ich betone - zum augenblicklichen Zeitpunkt in Schleswig-Holstein eine Debatte um ein Zentralabitur für kontraproduktiv. Das mag in ein paar Jahren, wenn wir mit der Schulautonomie weiter sind, wenn wir andere Evaluationsinstrumente ausprobiert haben, ganz anders aussehen. Wir wissen: Ein falsch aufgezäumtes Pferd schlägt bekanntlich aus, bleibt stur stehen oder geht sogar durch. Was das bedeutet, nämlich die Überforderung und Überfrachtung der Bildungspolitik mit falschen Zwangsveranstaltungen, zeigt die aktuelle Bildungspolitik in Hamburg als abschreckendes Beispiel. Gegen sie gehen Eltern, Kinder und Lehrerschaft zu Recht auf die Barrikaden. Frau Eisenberg und Herr Dr. Klug, ich freue mich, dass die FDP hier an unserer Seite steht. Wir wollen keineswegs Verhältnisse, wie sie Ihr Kollege in Hamburg provoziert hat. Ich hoffe auf eine sachliche Debatte im Bildungsausschuss.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich erteile Frau Abgeordneter Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Forderung der CDU nach Einführung einer zentralen Abiturprüfung ist nicht neu. Zumindest ist es nicht neu, dass es auch in der Vergangenheit Stimmen in der CDU gegeben hat, die dies bevorzugten. Von daher begrüßen wir, dass uns nun ein Antrag vorliegt, mit dem wir uns auseinander setzen können. Ich finde, das ist positiv. Dabei ist natürlich auch richtig, dass es einige Bundesländer gibt, die schon immer oder erst seit kurzem zentrale Abiturprüfungen durchführen.

(Anke Spoorendonk)

Dennoch bleibt die Frage, was die Vorteile des vorgeschlagenen Zentralabiturs sein sollen. Ich will nicht verhehlen, dass ich diese Vorteile bisher nicht entdeckt habe. So, wie der Antrag formuliert ist, geht es der CDU anscheinend darum, den Wunsch nach Standardisierung der Unterrichtsanforderungen auf die Abiturprüfung auszuweiten. Aus dem Antrag geht hervor:

„Bis zum Schuljahr 2004/2005 sollen verbindliche curriculare Vorgaben als Voraussetzung für die Durchführung des Zentralabiturs geschaffen werden.“

Dies lässt sich meines Erachtens aber nur durchführen, wenn man gewillt ist, wirklich gezielt Ressourcen dafür zur Verfügung zu stellen, das heißt Planstellen und Geld. Mit anderen Worten: Ich bezweifle, dass sich dieser Aufwand auszahlt. Mir leuchtet zumindest nicht ein, worin im Vergleich zur jetzigen Ordnung die Vorteile so einer Systemänderung, denn das ist es, bestehen. Es kann nicht darum gehen, zum Beispiel das Problem der Zensurengebung besser in den Griff zu bekommen. Wenn dies die Zielsetzung wäre, müssten auch die gesamten Korrekturverfahren und der Ablauf der mündlichen Prüfung geändert werden. Hinzu kommt die Frage, ob dies nicht im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen konstruktiver - und auch pädagogischer - thematisiert werden könnte und sollte.

Zusammenfassend bleibt also unklar, welche Verbesserungen dieser nicht unerhebliche Aufwand bringen würde. Uns reicht es zumindest nicht aus, wenn aus dem Antrag als Intention eine weitere Standardisierung der Wissensvermittlung an unseren Schulen hervorginge,

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Dr. Henning Höppner [SPD])

womöglich, damit letztlich der Gymnasialunterricht in der ganzen Bundesrepublik vereinheitlicht werden könnte, denn das wäre ja die logische Schlussfolgerung. Aber auch der übergeordnete Sinn einer Abiturprüfung, nämlich vonseiten des Staates festzustellen, ob die allgemeine Hochschulreife erreicht ist, wird mit der Einführung eines Zentralabiturs nicht besser gewährleistet als unter dem jetzigen System. Auch heute werden Abiturprüfungsaufgaben vom Ministerium kontrolliert, um sicherzustellen, dass an allen Schulen von einem vergleichbaren Niveau ausgegangen wird.

Bei einer möglichen Gewinn- und Verlustrechnung müsste letztlich auch die Frage gestellt werden, was mit der Einführung eines Zentralabiturs verloren ge

hen würde. Zum einen wäre dies das Bestreben vieler Gymnasien, ein eigenes Profil zu entwickeln, das sich auch im Unterricht widerspiegelt. Ich denke hier zum Beispiel an die Europaschulen. Zum anderen wären es aber auch die Bemühungen des Ministeriums, weniger Behörde, Schulaufsicht und mehr Partner und Dienstleistungsorgan für Schulen zu sein.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sehe diese Bestrebungen. Beide sind aus der Sicht des SSW echte Fortschritte, die wir erhalten, ausbauen und nicht aufgeben wollen. Ich denke aber trotzdem, dass es gut ist, dass Ausschussüberweisung beantragt worden ist.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Frau Ministerin Erdsiek-Rave das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe auch in diesem Jahr an einer Abiturprüfung an einem Gymnasium in Schleswig-Holstein teilgenommen, nämlich an der Lornsenschule in Schleswig.

(Zuruf der Abgeordneten Jutta Schümann [SPD])

- Ich müsste vielleicht sagen, ich habe teilnehmend beobachtet. Ich hoffe, ich hätte das eine oder andere noch gekonnt, aber ich muss sagen, die Aufgaben - beispielsweise im Biologieleistungskurs - mit Sicherheit nicht mehr. Auch in der Mathematik hätte ich wahrscheinlich die eine oder andere Schwierigkeit gehabt. Ich denke, die Interpretation der Gedichte hätte mir weniger Probleme bereitet. Nein, ich wollte sagen: Ich war beeindruckt, wie anspruchsvoll und sorgfältig - sowohl bei der Vorbereitung des schriftlichen Abiturs als auch bei der Durchführung der mündlichen Prüfungen - die Gymnasien in SchleswigHolstein vorgehen.

(Beifall des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

Es gibt keinen Grund, an Vergleichbarkeit und Qualität des Abiturs in Schleswig-Holstein zu zweifeln. Ich hoffe, darin sind wir uns einig, Frau Eisenberg.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Sie nennen in Ihrer Pressemitteilung zwei Arten von Gründen. Einerseits sagen Sie, es würde Vergleichbarkeit, Transparenz und Prüfungsgerechtigkeit geschaffen. Gleichzeitig sagen Sie etwas, das ich richtig stellen muss, nämlich das reduziere die erschreckende Abbrecherquote an den deutschen Hochschulen von durchschnittlich 40 %. Es ist nicht nur die Zahl falsch. Das letzte Heft „HIS“ belegt ganz andere Zahlen und nennt 23 % Studienabbrecher, wenn man die Deutschen im Erststudium nimmt. Lesen Sie sich das einmal durch und führen Sie sich noch einmal die dort genannten Gründe vor Augen! Statistiken, die die Abiturform mit der Studienabbrecherquote korrelieren, gibt es überhaupt nicht. Woher Sie das haben, ist mir schleierhaft.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist klar, man muss sich mit der Forderung auseinander setzen, die dahinter steht, dass zentrale Abschlussprüfungen landesweit einheitliche Standards sichern sollen. Natürlich kann das ein Weg sein, um Niveau, Vergleichbarkeit und Prüfungsgerechtigkeit zu sichern.

Diese Ziele gelten allerdings auch für uns und unser System. Trotzdem gehen wir einen anderen Weg, weil wir deutliche Nachteile sehen.

Wir haben begonnen, das Curriculum und die Standards durch Parallelarbeiten zu sichern. Landesweite Vergleichstests werden folgen. Diese Kontrollen - das macht den entscheidenden Unterschied aus - werden in Zukunft nicht einmalig am Ende der Schulkarriere stehen, sondern regelmäßig über die gesamte Schulzeit hinweg die Schülerinnen, Schüler und Lehrer begleiten.

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Das eine schließt das andere überhaupt nicht aus!)