Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort für die antragstellende Fraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Sylvia Eisenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU legt Ihnen heute einen praktikablen Entwurf für die Einführung einer landesweit einheitlichen Abiturprüfung vor in der Hoffnung, dass das Land SchleswigHolstein nicht wieder das letzte aller Bundesländer ist, das dieses Vorhaben einführt. Baden-Württemberg, Bayern, Saarland, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen haben bereits ein zentrales Abitur, Hessen, Niedersachsen, Berlin, Brandenburg und Hamburg sowie Sachsen-Anhalt werden oder wollen es in der nächsten Zeit einführen. Damit werden 12 von 16 Bundesländern diese landesweit zentral gestellte Prüfung am Ende des Gymnasiums haben, nur Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Bremen und Schleswig-Holstein hinken hinterher - Schleswig-Holstein wie immer.
Ihre Argumentation, Herr Weber, die ich aus der Presse entnehmen konnte, ist natürlich wieder typisch: grundsätzliche Ablehnung jeder Neuerung, die von der CDU kommt. Sie verweisen unsere Vorschläge mal wieder in die Rumpelkammer der CDU, wie Sie und Ihre Fraktionskollegen schon andere Vorschläge der CDU in die so genannte angebliche Rumpelkammer verwiesen haben, Herr Weber, so lange, bis die Kultusministerin Ihrer Partei leider halbherzig, aber immerhin auf Druck der Kultusministerkonferenz und nach den Ergebnissen von PISA unsere Forderungen wieder aus unserer Rumpelkammer herausgeholt hat. Ich erinnere nur an die geplante Hauptschulabschlussprüfung, an vergleichbare Bildungsstandards und ihre Überprüfung sowie an die Verschärfung des Überganges auf die Orientierungsstufe.
Das sind alles Ansätze, die wir wesentlich früher hatten, wo Sie, wie immer, hinterhergehinkt sind. Ich frage mich: Wann endlich werden Sie eigentlich das Gerümpel der von Ihnen verschuldeten bildungspolitischen Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte aus Ihrer Rumpelkammer auf den Sperrmüll werfen, und wann stellen Sie sich den Anforderungen der jetzigen Zeit? Sie gerieren sich zunehmend als Bremser und entziehen sich damit der Verantwortung für eine zukunftsgerichtete Bildungspolitik, die in wesentlichen Teilen unserer Republik bereits im Gange ist und von vielen gewünscht wird.
Bei einer repräsentativen Stichprobe wünschen sich im Westen 90 % landesweit einheitliche Abiturprüfungen, und im Osten sind es bereits 96 %. Das ist übrigens nachzulesen in einer Umfrage, veröffentlicht bei Rolff im Jahrbuch der Schulentwicklung, Band 12/2002. Ich empfehle das für Ihre Recherchen.
Die Hochschulrektorenkonferenz fordert die Bundesländer ohne Zentralabitur ebenfalls auf, eine zentrale Abschlussprüfung einzuführen, und die Unternehmensverbände bezeichnen die Einführung eines Zentralabiturs als längst überfällig. Meine Damen und Herren, das muss doch wohl einen Grund haben!
Sicher sind landesweit einheitliche Prüfungsaufgaben im Abitur zunächst keine Antwort auf PISA. Das sollen sie auch nicht sein; denn die PISA-Studie belegt nur, dass es exzellente Leistungen der neunten Klassen der Gymnasien sowohl in Bundesländern mit als auch in Bundesländern ohne Zentralabitur gibt. Ich betone: der neunten Klassen. Um die neunten Klassen geht es heute aber nicht. Ich darf daran erinnern, dass es auch ein bildungspolitisches Leben vor, nach und neben PISA gibt. Man kann nicht immer alles mit PISA begründen oder auf PISA zurückführen.
Uns geht es um mehr Gerechtigkeit und Transparenz bei den Abschlussprüfungen jeder Schulart, heute speziell im Gymnasium. Es geht uns um mehr Chancengerechtigkeit beim Übergang in ein Studium oder in einen Beruf.
Landesweit einheitlich gestellte Prüfungsaufgaben auf der Basis gesicherter Standards und Zielvorgaben sind schlicht und ergreifend gerechter, weil sie an alle Oberstufenschüler die gleichen Anforderungen stellen. Zentral geregelte Abschlussprüfungen sind auch für die Abnehmer von Abiturienten, wie Hochschulen und Unternehmen, transparenter, da die Abschlussleistungen auf einheitlichen Aufgaben beruhen. Außerdem können sich die Abnehmer darauf verlassen, dass die Schulabgänger die Lerninhalte in ihrer Breite beherrschen und nicht nur eine eng geführte Prüfungsvorbereitung hinter sich haben.
Ein Zentralabitur ist aber auch deshalb überfällig, um zu verhindern, dass sich die Abiturienten einer zusätzlichen Hochschuleingangsprüfung unterziehen müssen, die sie vielleicht nicht bestehen können, weil ihnen die schulischen Voraussetzungen fehlen. Die Forderung nach einer zusätzlichen Hochschuleingangsprüfung wird doch nur deshalb laut, weil die Hochschulen dem Abitur als Eingang zum Studium nicht mehr trauen. Wenn die Hochschulen wissen, auf welcher fundierten und breit gefächerten inhaltlichen Basis die Oberstufe des Gymnasiums und die Abiturnote beruhen, wird der Abiturnote wieder mehr Gewicht zugemessen werden.
Dass die Autonomie der Schulen aufgrund zentraler Aufgabenstellung leidet, ist eine Annahme, die ich nicht teilen kann. Die Schulautonomie ist kein Wert an sich. Sie dient dazu, pädagogische Freiräume zu schaffen, um auf unterschiedliche Art zu bestimmten Zielen zu gelangen. Zentrale Abiturprüfungen schränken deshalb die Autonomie der Schulen nicht ein, sondern sind ihre notwendige Ergänzung, um der Beliebigkeit von Unterrichtsinhalten oder unterrichtlicher Schwerpunktsetzung vorzubeugen und die Qualität der allgemeinen Hochschulreife zu verbessern.
Voraussetzung und Bedingung für das landesweite Zentralabitur sind deshalb einheitliche Bildungsstandards und klare inhaltliche Vorgaben in den Lehrplänen der Oberstufe, wie wir sie in unserem Antrag ebenfalls fordern. Wenn zwei Drittel der Unterrichtszeit verbindlich mit Unterrichtsinhalten gefüllt werden müssen, bleibt genügend Raum für pädagogische, den individuellen Bedürfnissen der Lerngruppe entsprechende Arbeit.
Die Unterrichtsqualität, Herr Dr. Klug, wird ebenfalls nicht unter dem Zentralabitur leiden. Die Unterrichtsqualität - da gebe ich Ihnen Recht - wird im Wesentlichen von engagierten und kompetenten Lehrkräften, die wir haben, und von leistungsbereiten Schülerinnen und Schülern sowie von den Rahmenbedingungen hinsichtlich sächlicher und personeller Ausstattung bestimmt, die wir als Politik den Schulen geben.
Dass diese Rahmenbedingungen und damit auch die Unterrichtsversorgung verbessert werden müssen, ist eine Forderung an die Regierungsfraktionen und an die Landesregierung, die die Oppositionsparteien immer wieder zu Recht erhoben haben, bisher leider ohne Erfolg. Aber auch zentral gestellte Prüfungsaufgaben, Herr Dr. Klug, entlasten die Lehrkräfte von dem alljährlichen zeitlichen Aufwand zur Erstellung von Prüfungsaufgaben und motivieren nicht zuletzt Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte zum gemeinsamen Erreichen von gesteckten Zielen und zum gemeinsamen Erreichen von Leistungen. Sie tragen damit auch zur Verbesserung der Unterrichtsqualität bei.
Wir werden laut KMK-Beschluss Bildungsstandards bekommen. Wir werden sie auch einführen. Es wird auch Vergleichsarbeiten geben, um nicht nur schulintern, sondern auch landes- und bundesweit die Einhaltung dieser Bildungsstandards zu überprüfen. Die in zwölf von 16 Bundesländern eingeführte und geplante landesweit zentrale Abiturprüfung wird, wenn
die Bildungsstandards gegeben sind, unsere leistungsstarken Gymnasiasten und ihre Lehrkräfte weiter motivieren, gesetzte Ziele zu erreichen, die allgemeine Studierfähigkeit zu verbessern und die Chancengerechtigkeit beim Übergang zu den Hochschulen oder in die Betriebe zu erhöhen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht erinnern sich einige: Im Oktober 1999 tagten die Kultusministerinnen und Kultusminister der Ständigen Kultusministerkonferenz in Husum. Sie einigten sich damals auf eine Lockerung der bis dahin vereinbarten Abiturregelungen, der gemeinsamen Regelungen. Es war ausdrücklich gewollt, dass die Reformpläne der einzelnen Bundesländer im Hinblick auf die Abiturprüfung nicht durch übergreifende Regelungen behindert werden. Gleichwohl ist es nach wie vor so, dass sich die Abiturprüfungsordnungen der Bundesländer sehr ähnlich sind. Damit sind auch die Abiturprüfungen der Bundesländer durchaus miteinander vergleichbar, und zwar auch die schriftlichen Arbeiten, was die Aufgabenstellungen und die Schwierigkeitsgrade angeht.
Nun haben Sie, liebe Kollegin Eisenberg, mit Ihrer Fraktion die Notwendigkeit gesehen, dass SchleswigHolstein seine Abiturprüfungsordnung ändert und die Durchführung des schriftlichen Abiturs als zentrale Veranstaltung im Lande organisiert wird. Was erreichen wir damit? Ich glaube, nur ziemlich viel Administration und Bürokratie. Überlegen Sie bitte: Wir haben mehr als 100 Gymnasien. Hinzu kommen 22 oder mehr Fachgymnasien. Bei durchschnittlich 50 Abiturienten sind das 12.000 Arbeiten, die dann in einer zentralen Kommission zu bewerten wären. All das wollen wir eigentlich überhaupt nicht mehr.
Ich kann auch, nachdem ich Ihren Beitrag gehört habe, nicht erkennen, warum wir denn unsere Abiturprüfungsordnung in Schleswig-Holstein ändern müssen.
Wir haben hier sehr wohl gemeinsam die Diskussion um die PISA-Studie und um die Defizite in unserem Bildungssystem geführt. Wir waren uns einig, was
Leistungsvergleiche durch Vergleichsarbeiten in den unterschiedlichen Jahrgängen der Schulen angeht. Die SPD, die Grünen und die Landesregierung waren sich einig darüber, dass eine schulexterne Evaluation überaus wichtig ist.
Darüber hinaus sind wir uns im Landtag darin einig geworden, dass es neben der Realschule und dem Gymnasium auch an der Hauptschule einer Abschlussprüfung bedarf.
Das alles waren Entscheidungen im Rahmen des PISA-Prozesses. Die SPD ist aber der Auffassung, dass sich die Notwendigkeit zur Durchführung eines Zentralabiturs in keinster Weise aus den Ergebnissen der PISA-Studie ergibt. Im Gegenteil: Unsere Gymnasien haben im PISA-E-Vergleich der Bundesländer deutlich gemacht, dass sie zur Spitze gehören.
Nicht nur dies ist bemerkenswert. Die Auswertung von PISA-E, die aus dem März dieses Jahres stammt, zeigt, dass alle Gymnasien unseres Landes eine ausgesprochen große Leistungsdichte haben. Von daher verbietet sich eigentlich ein solcher Vergleich, wie Sie ihn angestellt haben, indem Sie von der bildungspolitischen Rumpelkammer des Landes gesprochen haben.
Wir können als Land sehr stolz auf unsere Gymnasien sein. Die Bildungspolitik, die wir im Hinblick auf die Entwicklung der Gymnasien des Landes geleistet haben, ist keine Rumpelkammerpolitik gewesen; das will ich ausdrücklich festhalten. PISA kann nicht der Grund sein. Ich bin mir ziemlich sicher, Frau Kollegin, dass eine große Anzahl von Gymnasien in den Ländern, die das Zentralabitur ihr Eigen nennen, aber auch die dortigen Abiturienten oder die Eltern hiermit Probleme haben und viel lieber unsere Regelungen hätten.
Es gibt derzeit im Bundesland Sachsen erkennbare Probleme beim Zentralabitur im Hinblick auf Aufgabenstellung und Bewertung der zentralen Prüfungen im Fach Mathematik, die zu einem besonders niedrigen Notendurchschnitt geführt haben. Selbst die CDU in Dresden hält das Ganze für nicht mehr haltbar. So sind in der Mathematik Aufgabenstellungen denkbar, die Randgebiete aufgreifen, die im Unterrichtsgeschehen der Studienstufe eher selten aufgenommen werden. Es gibt auch das Gegenteil, dass leichtere Themenstellungen zu sehr guten Landesdurchschnitten führen.
Wir haben in der Geschichte unseres Landes, in der Geschichte unserer Gymnasien diese Schulen immer als eine Einheit betrachtet, in der das Unterrichtsge
schehen, die selbst gesetzten pädagogischen Ziele und die selbst bestimmte Abiturprüfung eine interne Angelegenheit der Schule ist. Dem trägt die Schulorganisation in Schleswig-Holstein Rechnung. Unsere Gymnasien haben - im Gegensatz zu den meisten Ländern mit Zentralabitur - eine einstufige Schulaufsicht. Alles liegt in einer Hand. Allein das gewährleistet ein hohes Maß an Gleichmäßigkeit bei Prüfungsanforderungen und der Durchführung der Abiturprüfungen.
Meine Damen und Herren, Schleswig-Holsteins Gymnasien brauchen keine zentrale Abiturprüfungsadministration. Schleswig-Holsteins Gymnasien sind leistungsstark und über Jahrzehnte hinweg ausgesprochen prüfungserfahren. Wir brauchen in SchleswigHolstein kein Zentralabitur.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Zentralabitur ist kein Qualitätssiegel. Es bietet keine Gewähr für ein hohes Niveau gymnasialer Bildung. Die Ländervergleichsstudie PISA-E hat empirisch nachgewiesen, dass die Orientierung an zentral vorgegebenen Inhalten der Abiturprüfung die Schulen nicht dazu bringt, sich in den vorausgehenden Schuljahren an höheren Qualitätsansprüchen zu orientieren.
Schleswig-Holsteins Gymnasiasten erreichten beim Vergleich naturwissenschaftlicher Leistungen den 1. Platz, das CDU-regierte Saarland nur Platz 10.
Sachsen-Anhalt, damals SPD-regiert, erreichte von 16 Bundesländern nur Platz 16, auch damals schon mit einem Zentralabitur ausgestattet.
Frau Kollegin Eisenberg, das Niveau der Aufgabenstellung in den Abiturprüfungen für das Fach Biologie als Leistungskurs ist im Ländervergleich untersucht worden. Ein Mitarbeiter aus dem Schuldienst unseres Landes - übrigens auch überregional im Verbandsbereich engagiert, Mitglied Ihrer Partei, ein ausgewiesener Fachmann - hat das Anspruchsniveau der Aufgabenstellung im Abiturfach Biologie untersucht und festgestellt, die Abiturarbeiten, die in Schleswig-Holstein ohne Zentralabitur geschrieben würden, seien durch die Bank anspruchsvoller als im Zentralabiturland Baden-Württemberg.
Wenn Frau Kollegin Eisenberg in einer Pressemitteilung der Union vom 26. Mai den Ruf nach einem Zentralabitur mit einer angeblich dadurch erreichbaren Verbesserung der Unterrichtsqualität und einer Senkung der Studienabbrecherquote begründet, so muss ich feststellen: Es gibt für diese These, Frau Eisenberg, wirklich nicht den geringsten Anhaltspunkt.