Protocol of the Session on May 9, 2003

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Es ist ein historischer Fortschritt, der nichts mit Areligiosität zu tun hat. Ich respektiere die Rolle der Kirche als ethische Gemeinschaft. Ich glaube aber, dass sie diese Rolle viel besser wahrnehmen kann, wenn sie nicht mit dem Staat verbunden ist.

(Zuruf von der SPD: Dann müssen Sie das Grundgesetz ändern!)

Wir reden jetzt über eine neue europäische Verfassung, nicht über das Grundgesetz.

Lassen Sie mich mit einem Zitat von Schopenhauer schließen, bevor hier Aufregung ausbricht. Er sagte:

„Die Religion ist eine Krücke für schlechte Staatsverfassungen.“

Eine solche möchte ich für Europa nicht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich seiner Sprecherin, Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Verfassung gilt für alle Menschen. Sie soll das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern sowie zwischen den Bürgern regeln und sie soll dabei über den Unterschieden zwischen den Menschen stehen. Eines soll aber eine Verfassung gewiss nicht: Menschen danach unterscheiden, ob sie nun an Gott glauben, an etwas anderes glauben oder an gar nichts, das unser Leben steuert. Entscheidend ist, dass all diese Menschen auf gemeinsame Werte verpflichtet werden, die unserem irdischen Zusammenleben einen ethischen Rahmen geben.

Alle Entwürfe für einen Gottesbezug in der europäischen Verfassung, sei es nun der aus der polnischen Verfassung abgeleitete, der aus der deutschen Verfassung abgeleitete oder dritte, alle spalten die Bevölkerung auf in diejenigen, die sich vom Gottesbezug angesprochen fühlen, und in Sonstige.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir meinen, dass wir das Verfassungsrecht und den höchst persönlichen Glauben eines Teils der Menschen in Europa, eines Großteils, aber eben nur eines Teils, nicht miteinander vermischen dürfen. Deshalb lehnen wir den vorliegenden CDU-Antrag ab.

Es ist ja durchaus nicht so, dass die Frage religiöser Werte in einer europäischen Verfassung keine Rolle spielen wird. Der Kollege Klug hat zu Recht auf die Debatte im Landtag hingewiesen, die wir zu diesem Thema schon einmal geführt haben. Die Grundrechte-Charta soll komplett in die Verfassung aufgenommen werden. Darin findet sich an vier Stellen ein Bezug zur Religion: Es wird Religionsfreiheit garantiert. Die Diskriminierung aufgrund von Religion und Weltanschauung wird verboten. Der Vielfalt der Religionen wird Rechnung getragen. Und außerdem - das erscheint in diesem Zusammenhang am wichtigsten - steht gleich zu Beginn der Präambel - ich zitiere -:

„In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität.“

Ich finde, dies ist genug.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schon diese Formulierung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist in Europa umstritten; denn die Präambel

der Grundrechte-Charta enthält in ihrer deutschen Fassung damit bereits einen Religionsbezug, der so in den französisch- und englischsprachigen Varianten nicht vorhanden ist und vor allem von den Franzosen auch bestimmt so nicht gewollt wird. Wer sich auf eine gemeinsame Wertegrundlage in Europa beruft und diese mit der christlichen Prägung vieler Jahrhunderte gleichsetzt, wer damit einen Gottesbezug in der Verfassung begründet, der sei daran erinnert, dass Kultur in Europa auch andere Grundlagen hat. Die Werte der Aufklärung, die nicht zuletzt in der französischen Revolution mit der nachfolgenden Verfassung in Frankreich ihren Ausdruck finden, sind ebenso konstitutive Elemente heutiger gemeinsamer europäischer Wertvorstellungen. Ihnen sollte man auch Respekt zollen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Diskussion um einen Gottesbezug in der europäischen Verfassung erinnert mich leider ein wenig an die leidvolle Leitkulturdebatte, die wir in einem ganz anderen Zusammenhang hatten. Diesmal wird auf die Werte der christlichen Religion abgestellt. Aber auch wenn die Ursprünge europäischer Werte zweifellos auch im Christentum zu finden sind, so sind sie längst auch zu einem Bestandteil unserer säkularen Werteordnung geworden, wie sie in der MenschenrechtsCharta oder im Verfassungsrecht ihren Ausdruck findet.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Werte wie Menschenwürde, Frieden, Versöhnung, Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Nachhaltigkeit, Toleranz, Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenschutz tragen dem Grundsatz des christlichen Menschenbildes Rechnung. Sie spiegeln aber auch unsere säkulare Forderung an eine humane Gesellschaft wider. Diese Werte sind auch nahezu vollständig in der Grundrechte-Charta enthalten und Sie wissen, dass die Grundrechte-Charta Teil einer kommenden EU-Verfassung wird. Deshalb hat der Landtag die Forderung unterstützt, die Charta komplett in den Verfassungstext aufzunehmen. So kommt es ja auch. Ich denke, das reicht.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Uwe Greve.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „482 Millionen Verbraucher jetzt in einem Boot“ lautete vor kurzem die Überschrift einer großen deutschen Tageszeitung zum Thema Osterweiterung der Europäischen Union. Wie und in welcher Richtung die Insassen dieses Bootes rudern können, hängt von der Summe jener Gemeinsamkeiten ab, die sie zu einer gleichgerichteten Ruderbewegung bringen können.

Europa hat keine Zukunft, wenn es sich in erster Linie als Konsum-, Verbraucher- oder gar Spaßgesellschaft versteht. Wo die materielle Existenz alles ist, entwickeln sich Egoismus, Mammonismus, Selbstsucht und Ehrlosigkeit. Ja selbst Knechtschaft wird zu einer diskutablen Lebenseinstellung.

Die Gemeinsamkeit Europas ist das Ergebnis von über 2000 Jahren - trotz aller Gegensätze - gemeinsam gewachsener Geschichte und Kultur der europäischen Völker und Nationen. Gottesbezug, Religiosität, insbesondere wie sie natürlich das Christentum geprägt hat, aber nicht allein, sind unverzichtbare Wurzeln unserer Gegenwart. Eine europäische Verfassung ohne solchen Bezug verleugnete die geistigen Grundlagen unseres Kontinents.

Aus dem Gottesbezug sind Tugenden gewachsen, ohne die unser Kontinent keine Zukunft hat. Ich nenne nur einige: soziales Gewissen, Familiensinn, Achtung vor der Schöpfung, Ehrlichkeit und im weitesten Sinne all das an Lebenseinstellungen, was in den zehn Geboten formuliert ist.

(Unruhe bei der SPD)

Ich betone: Der Gottesbezug in einer europäischen Verfassung allein kann diese Tugenden nicht erzeugen. Tugenden wachsen in erster Linie durch Einsicht, sie wachsen durch persönliche Erfahrung und sie wachsen insbesondere durch die Kraft des Vorbildes. Aber ein dementsprechender Satz in der europäischen Verfassung setzte einen Orientierungsmaßstab, auf den wir keinesfalls verzichten sollten.

Es wäre aus meiner Sicht gut, wenn wir über alle Gegensätze hinweg diesen einfachen Bezug bejahen würden.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Detlef Matthiessen.

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Greve, die Geschichte des Christentums ist auch eine Geschichte geistigen Imperialismus’.

(Widerspruch bei der CDU)

Das ist doch völlig unstrittig, wenn Sie daran denken, dass spanische Konquistadoren in Südamerika eingefallen sind und die Indianer christianisiert haben. Das heißt, sowohl das Christentum als auch andere Religionen sind als Begründung für gewalttätiges Handeln der Menschen in der Geschichte herangezogen worden. Insofern ist das nicht nur aus Familiensinn geboren worden, Herr Kollege Greve. Familiensinn kann sich auch aus anderen Quellen speisen.

Herr Dr. Klug und Kollege Hentschel, ich halte den vorliegenden Antrag für zustimmungsfähig. Ich hätte es besser gefunden, das so schlicht zu formulieren wie im Grundgesetz: „In Verantwortung vor Gott und den Menschen erlassen wir dieses Gesetz.“ Das hat mit Religionsfreiheit und all diesen Dingen nichts zu tun, sondern das hat eigentlich die Funktion einer geistigen Selbstbescheidung, wenn man solch ein grundsätzliches Gesetz erlässt, dass man sagt: Auch wir Menschen entscheiden im besten Erkenntnisstand über die Grundlagen für unser gemeinsames Recht. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass wir begrenzt sind und dass es auch Mächte gibt, die über uns sind. Im Sinne einer solchen Bescheidung steht so ein Einleitungssatz auch einem Grundgesetz der Europäischen Gemeinschaft sehr gut an.

Die Kollegen der CDU haben anders geredet, als es in ihrem Antrag steht, weil das alles sehr christlich zentriert war. Der Antrag selber enthält eine offene Formulierung, auch gegenüber anderen religiösen Quellen. Insofern ist das ein Antrag, dem es gut anstünde, im hohen Hause eine Mehrheit zu finden.

Selbstverständlich - davon gehe ich aus - ist in allen Fraktionen die Abstimmung über diesen Punkt persönliches Handeln der Abgeordneten. Sie unterliegt keinem Fraktionszwang.

(Vereinzelter Beifall)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Manfred Ritzek.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Spoorendonk, Herr Dr. Klug und Herr Hentschel, ich bedauere etwas, dass Sie für meine Begriffe Probleme aufzuzeigen versuchen, die ich eigentlich hoffte, durch meinen Beitrag auszuräumen. Denn gerade die Definition der beiden Kirchen sagt doch eindeutig, dass alle Menschen in diesen Begriff eingeschlossen sind. Ich zitiere noch einmal den ersten Satz:

„Im Bewusstsein der menschlichen Verantwortung vor Gott und ebenso im Bewusstsein anderer Quellen menschlicher Verantwortung …“

Mehr kann man wirklich nicht sagen; es sind doch wirklich alle einbezogen.

Frau Spoorendonk, zur Grundrechte-Charta: Die Position der Grundrechte-Charta in der Verfassung ist noch nicht geklärt. Da gibt es noch etwas Sorge. Wenn sie voll als Verfassungstext, in den Text implementiert aufgenommen wird, hat sie Verfassungscharakter. Wenn sie nur als Anhang anzusehen ist, wird es schon etwas problematischer. Wir müssen natürlich von der Wirkung der Aufnahme der Grundrechte-Charta bei den Menschen der Europäischen Union ausgehen. Es gibt die dritte Möglichkeit, dass die Grundrechte-Charta gar nicht als kompletter Text verwendet, sondern nur in einigen Auszügen erwähnt wird.

Das ist also kein allzu schlüssiges Argument. Natürlich stehen einige Begriffe darin.

Ich meine, dass meine Argumentation, wie aber auch die vorgelegte Formulierung alle Menschen umfasst, und bitte noch einmal um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort für die Landesregierung erteile ich jetzt Frau Ministerpräsidentin Simonis.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Aufnahme des so genannten Gottesbezuges in die Verfassung ist selbst im Konvent strittig. Zu erinnern ist auch an die Diskussion im Zusammenhang mit der Charta der Grundrechte, in die ein solcher Punkt nicht aufgenommen worden ist. Aber abgesehen von der Diskussion über den Gottesbezug begrüße ich ausdrücklich den Artikelentwurf zum Status der Kirche und der anderen religiösen Gemein