Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion der CDU hat der Herr Abgeordnete Manfred Ritzek das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der im Februar letzten Jahres ins Leben gerufene Europäische Konvent kommt in eine entscheidende Phase. Er muss und wird bis Ende Juni dem Europäischen Rat einen Verfassungsentwurf vorlegen, und zwar einen einzigen, keine Alternative. Inhalte werden unter anderem die zukünftige Kompetenzordnung, die institutionellen Reformen, die Aufnahme der Grundrechte-Charta in die Verfassung und die Neuregelung der AdR-Aktivitäten sein.
Bei den Kompetenzen zeichnet sich bereits eine Dreiteilung ab: eine ausschließliche Unionskompetenz, geteilte Kompetenzen sowie Koordinierungskompetenzen. Von entscheidender Bedeutung wird die tatsächliche Einflussnahme der Landesparlamente, also auch unseres Parlamentes, bei der Kompetenzausübung und der Kompetenzkontrolle sein, die uns gemäß Verfassung zugeteilt wurde.
Die institutionellen Reformfragen sind sicherlich die problematischsten. Ich bedaure, dass wir während der heutigen Debatte die Konventergebnisse nicht diskutieren können, weil wir dieses Thema ja ohne Aussprache abhandeln. Aber vielleicht können wir das beim nächsten Mal tun.
Alle Ergänzungen oder Änderungen, die bis zum 20. Juni keinen Eingang in den neuen Verfassungsentwurf finden, sind für lange Zeit als Inhalte verloren. So die klare Aussage der deutschen Konventmitglieder und aller, die sich mit dem Verfassungsinhalt befassen. Deshalb auch jetzt noch die Forderung, den Gottesbezug in der Präambel der neuen Verfassung, nämlich in Artikel 2, zu berücksichtigen. Diese Forderung wurde bereits von einer Vielzahl von Bundesländern erhoben. Auch bisherige und neue Mitgliedsländer wie zum Beispiel Spanien, Polen und Ungarn fordern die Aufnahme des Gottesbezuges in die neue Verfassung. Polen begründet das zum Beispiel damit, dass mit dem Beitritt Polens eine tausendjährige abendländische Geschichte in der Verfassung Berücksichtigung finde. Positiv zu bewerten ist auch die
Ankündigung des Konventspräsidenten Giscard d’Estaing, einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten.
Im Vorfeld der Debatte des Gesamtentwurfs war man sich darüber einig, dass erstens eine in die Verfassung aufzunehmende Werteordnung die geschichtliche Entwicklung Europas widerspiegeln sollte und dass zweitens bei der geschichtlichen Entwicklung Europas der christliche Glaube eine bedeutende Rolle gespielt hat.
Die europäische Verfassung ist mehr als ein formales, systematisches Dokument über Institutionen, Kompetenzen und Verfahren. Die Verfassung muss auch Ausdruck von inhaltlichen Überzeugungen über die richtige Art des Zusammenlebens der Menschen in einem Gemeinwesen mit seiner politischen, rechtlichen und sozialen Ordnung sein. Die neue europäische Verfassung bietet eine historische Chance, sich über die von allen Ländern getragenen ethischen Grundlagen des europäischen Projektes zu verständigen. Deshalb sollte die Europäische Union in der Präambel ihrer Verfassung neben anderen universellen Werten wie zum Beispiel der Achtung der Menschenwürde, der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität ausdrücklich auch einen Hinweis auf die Verantwortung vor Gott, vor den Menschen und vor dem eigenen Gewissen vorsehen.
Europa darf bezüglich der Werte - etwa durch den Hinweis auf die weltanschauliche Neutralität oder die Religionsfreiheit - nicht zur Pluralität nebeneinander stehender Weltanschauungen werden, denn Europa ist mehr als eine Addition verschiedener nationaler und regionaler Kulturen.
Die Aufnahme des Gottesbezuges in die Präambel der Verfassung bedeutet nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger auf einen Glauben an Gott oder gar auf ein spezifisches religiöses Bekenntnis verpflichtet werden. Dies wäre angesichts der kulturellen und religiösen Traditionen in Europa absurd. Außerdem würde es im Widerspruch zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen, die ausdrücklich die Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit garantiert.
Mit einer solchen Erwähnung ist auch nicht gesagt, dass die geistige, kulturelle und soziale Prägung Europas exklusiv durch das Christentum erfolgte. Andere Traditionen, die vom Christentum aufgenommen wurden und mit denen es sich auseinander setzen musste, oder die sich, wie zum Beispiel die Aufklärung, in der Auseinandersetzung mit ihm bildeten, hinterließen tiefe Spuren und haben an der Gestaltung Europas maßgeblich mitgewirkt.
Mit dem Bezug auf die Verantwortung vor Gott, den Menschen und dem eigenen Gewissen würde auf eine außerhalb der Politik liegende letzte Begründung des Daseins und aller menschlichen Bemühungen verwiesen. Als Formulierung für die Aufnahme in die Verfassung schlagen wir den Text der Katholischen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche vor. Er lautet:
„Im Bewusstsein der menschlichen Verantwortung vor Gott und ebenso im Bewusstsein anderer Quellen menschlicher Verantwortung sind die Völker Europas entschlossen, eine friedliche Zukunft zu gestalten. Eingedenk ihres geistigen, religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität.“
Nutzen wir den Einfluss unseres hohen Hauses über die deutschen Vertreter im Konvent. Wir können und müssen jetzt die Weichen für eine auf Werte bezogene europäische Verfassung stellen, die den Gottesbezug für Europa festschreibt. - Ich beantrage Abstimmung in der Sache.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir werden das Thema Konvent noch ausführlich diskutieren. Wir haben einen Berichtsantrag gestellt, über den wir heute ohne Aussprache abstimmen werden. Das Thema steht also wieder auf unserer Tagesordnung. Das gibt Gelegenheit, den Konvent in seiner umfassenden Bedeutung zu würdigen und zu diskutieren.
Der vorliegende Antrag stellt eine Konkretisierung unseres gemeinsamen Antrags vom November 2002 dar. Ich hoffe, es ist in Ihrem Interesse, dass ich mich auf einige grundsätzliche Anmerkungen beschränke. Der Antrag nimmt eine Forderung der großen Kirchen und Religionsgemeinschaften auf. Deshalb hoffe ich auch, dass der Antrag Ihre Zustimmung erfahren wird. Tatsächlich ist eine Entscheidung heute notwendig, weil die Zeit ein wenig drängt. Trotz vielfältiger Überlegungen wird das Mandat für den Konvent nicht verlängert, sodass der Entwurf für eine europäische Verfassung dem Rat wohl am 20. Juni dieses
Insofern sollten wir heute der Überweisung nach Brüssel zustimmen, damit die Forderungen der Kirchen dort gehört und noch einmal diskutiert werden. Das ist der Kern dieses Antrags.
Das ist deshalb wichtig, weil den Kirchen bei der Gestaltung des zukünftigen Europas besondere Bedeutung zukommt. Von den über 700 Millionen Menschen in Europa sind mehr als 500 Millionen Menschen Christinnen und Christen. Die EU steht damit - nach der getroffenen historischen Entscheidung für die Erweiterung - vor einer doppelten Aufgabe. Gleichzeitig müssen Erweiterung und Vertiefung realisiert werden, und das mit einem besonderen und neuen Blick in Richtung Osteuropa. Dieser Blick zeigt uns, dass wir die Bedeutung der Religionen neu diskutieren müssen. So spielt der Katholizismus in Polen eine andere Rolle als zum Beispiel in Frankreich. Die gesellschaftliche Bedeutung der östlichen Orthodoxie ist uns noch vielfach unbekannt. Diese Diskussion wird zwar von den Kirchen geführt, aber sie hat tief greifende politische Konsequenzen. Deshalb müssen auch wir uns dieses Themas annehmen.
Eine Vertiefung der EU wird nur gelingen, wenn wir uns zur europäischen Vielfalt bekennen und damit auch zur Verschiedenheit und zur Akzeptanz unterschiedlicher kultureller und religiöser Ausprägungen. Wenn wir nun also vom Gottesbezug in der EUVerfassung sprechen, müssen wir zuerst feststellen: Damit kann nicht die Verengung auf einen evangelischen oder katholischen Gott gemeint sein. Europa ist mehr. Wir stimmen deshalb allen zu, die darauf verweisen, dass wer von den christlichen Wurzeln Europas spricht, ebenso die jüdischen und die islamischen Wurzeln hinzufügen muss.
„So wenig es einen Grund gibt, das Christliche an Europa zu marginalisieren, so unbegründet ist es auch, Europa mit dem Christentum gleichzusetzen. Für keine Epoche der europäischen Geschichte ist das angemessen.“
Ein Gottesbezug in der EU-Verfassung muss also immer ein pluraler sein, denn die von uns garantierte Religionsfreiheit ist immer auch die Freiheit der An
dersglaubenden, um ein bekanntes politisches Motiv abzuwandeln. Ich erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass mittlerweile 15 Millionen Menschen in den europäischen Ländern leben, die zum Beispiel dem Islam angehören. In Deutschland sind es etwa 3 Millionen Menschen. Ich betone, auch diese Menschen müssen sich in dieser EU-Verfassung wiederfinden. Eine Ausgrenzung der islamischen Religion wäre nicht statthaft.
So verstanden kann ein Gottesbezug in der Präambel ein Ansatz sein, die unterschiedlichen europäischen Kulturen miteinander zu verbinden. Ein Konflikt - und nicht ein Kampf - der Kulturen könnte verhindert werden. Das wäre ein Signal für die Akzeptanz für die Vielfalt kultureller Traditionen in Europa.
Die Stabilität des künftigen Europas schaffen nur Grundwerte und nicht Geldwerte. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Im Bild vom Menschen unterscheiden sich christliche und nichtchristliche Traditionen nicht grundsätzlich. Sie akzeptieren Individualität und Verantwortung, Freiheit und Sozialität. In diesem Punkt können sich also die Traditionen in Europa - ob Antike oder Aufklärung, ob christlich oder nichtchristlich - miteinander verbinden. So gesehen ist die Forderung nach einem Gottesbezug eine wichtige und zentrale Aussage, die wir im Konvent in Brüssel diskutieren sollten. Das ist der Kern dieses Antrags. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung, ihn nach Brüssel an die Konventsmitglieder zu überweisen. Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Selbst wer dem Gottesbezug in der neuen EUVerfassung skeptisch gegenübersteht, sollte den Kirchen und Religionsgemeinschaften die Möglichkeit geben, ihre Forderungen darzustellen. Wir müssen heute entscheiden, denn es gilt auch: Gott überweist man nicht an einen Ausschuss.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Landtag ist im November letzten Jahres ein interfraktioneller Antrag zum Thema Stellung der Kirchen innerhalb der künftigen europäischen Verfassungs-
und Kompetenzordnung vorgelegt worden. Dieser Antrag ist hier im Parlament einmütig beschlossen worden. Er enthält in seinem Schlussabschnitt einen Hinweis auf die Diskussion innerhalb der Kirchen und Religionsgemeinschaften in Deutschland, auf die Entwicklung eines europäischen Religionsrechtes und auf die Werteorientierung in der Verfassungspräambel. Es heißt weiter, wir respektieren diese Diskussion und erwarten, dass entsprechende Beschlüsse umgehend in die Konventberatungen einfließen können. Mit anderen Worten: Der Landtag hat implizit bekräftigt, dass das berechtigte Anliegen der Kirchen im Rahmen der Gestaltung einer künftigen europäischen Verfassung berücksichtigt wird.
Nach unserer Kenntnis ist dieser Beschluss des Landtages unterdessen von der Landesregierung den deutschen Mitgliedern des Verfassungskonvents zugeleitet worden. Nun liegt ein weiterer Antrag von Herrn Ritzek - und der Fraktion der Union - zu diesem Thema vor, der sich konkret auf den Formulierungsvorschlag der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirchen bezieht. Wir meinen, dass es nicht sinnvoll ist, diesen zweiten Beschluss zu fassen. Wie gesagt, wir haben uns in der Sache geäußert. Wir haben auf die berechtigten Anliegen der Kirchen hingewiesen und auch die Erwartung geäußert, dass ihre Vorschläge in die Beschlussfassung des Verfassungskonvents einfließen.
Jetzt liegt ein konkreter Formulierungsvorschlag vor, über den man inhaltlich auch geteilter Meinung sein kann. Ich persönlich finde die Formulierung nicht hundertprozentig geglückt, das sage ich ganz offen, insbesondere im Hinblick auf die dann in einem zweiten Halbsatz auftauchende Formulierung: „… und im Bewusstsein anderer Quellen menschlicher Verantwortung“. Das klingt mir zu sehr nach einer doch sehr summarischen Bezugnahme auf andere ethische Traditionen, andere Traditionen der europäischen Verfassungs- und Kulturgeschichte, die dann vielleicht doch in einer europäischen Präambel neben dem Gottesbezug auch konkreter angesprochen werden sollten.
Wie gesagt, wir sollten uns über diese konkrete Formulierung vielleicht doch nicht Gedanken machen, sondern das den Beratungen des Verfassungskonvents überlassen. Ich glaube, die Chance, dass das Anliegen überhaupt in der Sache Gehör findet, wird eher zum Tragen kommen, wenn wir uns nicht mit einem ganz konkreten Vorschlag in die Diskussion einbringen, der dann möglicherweise auch angesichts unterschiedlicher Traditionen in anderen europäischen Ländern - Frankreich ist nun mal ein sehr stark säkularistisch geprägter Staat - keine Akzeptanz finden wird.
Unser Plädoyer lautet also, diesen Antrag, so sehr wir auch Verständnis dafür haben, hier im Landtag nicht zu beschließen. Aber wir bekräftigen ausdrücklich das, was unser Parlament, der Landtag, in absoluter Einigkeit schon einmal Ende letzten Jahres zu diesem Punkt beschlossen hat.
Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt Herrn Fraktionsvorsitzenden Karl-Martin Hentschel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vorweg sagen, dass ich den Vorschlag des Kollegen Klug richtig finde. Im Entwurf der europäischen Verfassung ist im Artikel 37 bereits der Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften geregelt. Es gibt einen Aufruf im Europaparlament von 233 Abgeordneten aus allen Fraktionen zur Beachtung der Grundsätze der Religionsfreiheit und der Laizität des Staates in der künftigen europäischen Verfassung, der die strikte Trennung und Unabhängigkeit von Staat und Kirche besonders herausstellt und einfordert.
Ich sage vorweg, dass ich nicht für die ganze Fraktion rede. Religionsfragen sind auch Fragen der persönlichen Überzeugung. Von daher werden wir unterschiedlich abstimmen, falls es zur Abstimmung kommt. Ich würde es aber aus den genannten Gründen begrüßen, wenn es nicht zur Abstimmung käme.
Ich möchte begründen, warum ich die Aufnahme dieser Formulierung in die europäische Verfassung für falsch halte. Jeder soll nach seiner Fasson selig werden. Das ist das bekannte Diktum Friedrichs des Großen in Preußen. Mit der Verkündung der Religionsfreiheit begann der Aufstieg Preußens. Tausende von hoch qualifizierten Handwerkern besonders aus Frankreich strömten nach Preußen und schufen die Basis für den wirtschaftlichen Aufschwung dieses armen Landes.
Wir Grünen schätzen durchaus unser christlichabendländisches Kulturerbe; das gehört zur deutschen und europäischen Geschichte. Wir sind aber dagegen, dass das sozusagen zum Bestandteil der Verfassung gemacht wird. Es war die französische Revolution, die mit ihren Grundwerten „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ in deren Auswirkungen eine klare Trennung von Staat und Kirche durchsetzte. Frankreich ist trotzdem ein religiöses, christli
ches und katholisches Land geblieben, ohne dass ein staatlicher, verfassungsmäßiger Bezug auf Gott besteht.
Viele Staaten haben diesen Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat übernommen. Ich möchte ein Beispiel nennen, das vielleicht ganz plastisch macht, worüber wir reden. Das ist die Türkei. In der Türkei ist nach der Revolution, nach der Abschaffung des Osmanischen Reiches 1918 durch Kemal Atatürk, dem damaligen Führer der Unabhängigkeitsbewegung, durchgesetzt worden, dass die Türkei kein islamisches Land ist, sondern dass es eine Trennung von Kirche und Staat gibt. Das ist ein ungeheurer Fortschritt, wenn man das vergleicht mit der Situation in vielen arabischen Ländern oder überhaupt im Nahen Osten, auch in Israel, wo wir erhebliche Probleme mit der Verbindung von Kirche und Staat haben. Was würden wir heute sagen, was würde die Europäische Union dazu sagen, wenn die Türkei auf die Idee käme, den Gottesbezug, den Bezug auf Allah, in die Verfassung aufzunehmen? Dann würden, so glaube ich, hier lebhafte Debatten entbrennen. Man sollte auch an solche Dinge denken. Die Trennung von Kirche und Staat ist ein Fortschritt.