Protocol of the Session on February 22, 2001

Man muss sich natürlich auch die Frage stellen: Wie marktgängig und publikumsorientiert soll und darf es denn bitte sein? Erlebte Geschichte oder museale Sammlung? Auch das ist nicht nur eine Frage von Nebenrang. Die Standortfrage - wo, an welcher Stelle, in welchem Gebäude und mit welchem Hintergrund will ich hier ganz beiseite lassen.

Weiterhin stellt sich die Frage, in welchem Umfang Multimedialität in den Vordergrund gerückt werden soll. Auch mit dieser Frage müssen wir uns bei der Erarbeitung des Konzeptes beschäftigen.

Man könnte noch viele andere Fragen hinzufügen. Ich will mit den Fragen, die ich angesprochen habe, nur deutlich machen, dass es nicht darum geht, gewissermaßen aus der hohlen Hand etwas auf den Weg zu bringen. Wir erwarten, dass ohne übertriebene Hektik an das Projekt herangegangen wird, zugleich aber die Hände natürlich nicht in den Schoß gelegt werden. Wir erwarten, dass alle Fachleute in diesem Lande herangezogen werden, um gemeinsam ein Konzept zu erarbeiten, das dann natürlich auch eine politische Gewichtung haben muss, sodass die Landesregierung das Bildungsministerium - in der Lage ist, etwas vorzulegen, worüber wir im politischen Raum dann möglichst bald diskutieren und entscheiden können.

Ich will auf die Angebote, die es im Lande schon gibt, jetzt gar nicht näher eingehen. Frau Schwarz hat bereits eine Reihe von Museen und Ausstellungen beispielhaft genannt. Man könnte andere hinzufügen. Mir geht es darum, deutlich zu machen, dass wir noch einmal über die Frage reden müssen, wo es Defizite gibt. Als eine schwere Hypothek nenne ich die Nichtrealisierung eines Museums für Industrie und Alltagskultur.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Dieses große Defizit besteht nach wie vor. Wir erwarten, dass die Regierung im Laufe dieses Jahres zügig einen Bericht über das vorlegt, was an Überlegungen, an Arbeit und an Konzeption auf den Weg

(Jürgen Weber)

gebracht worden ist. Wir wollen die Entwicklung im Bildungsausschuss regelmäßig begleiten. In diesem Sinne haben wir einen Änderungsantrag formuliert, dem wir zuzustimmen bitten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für die F.D.P.-Fraktion erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von Lord Palmerston, dem britischen Politiker aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, stammt das berühmte Bonmot, die Geschichte Schleswig-Holsteins sei doch recht schwierig; es gebe nur drei Personen, die sie jemals begriffen hätten: Einer dieser Männer sei tot, der Zweite sei verrückt geworden und der Dritte, er selbst, habe alles vergessen. - Auch wenn man diese Aussage nicht auf die Goldwaage legen sollte, ergibt sich daraus die Konsequenz, dass ein „Haus der Geschichte“ unseres Landes, wenn man ein solches bauen wollte, eine ziemlich verwinkelte und komplizierte Architektur haben müsste, wenn denn die Aussage von Palmerston ansatzweise zutreffend sein sollte. Auch ich sehe das Problem, dass eine - ich formuliere es einmal salopp - All-inclusive-Lösung für die Geschichte unseres Landes schwer zu realisieren ist. Ich könnte mir eine solche Lösung jedenfalls schwer vorstellen.

Die ältere Geschichte unseres Landes ist beispielsweise auf Schloss Gottorf im Archäologischen Landesmuseum so gut präsentiert, dass man dies eigentlich gar nicht mehr toppen kann.

(Beifall beim SSW)

Die inzwischen aus Lübecker Sicht betrüblicherweise sicherlich unfreie, aber immer noch Hansestadt Lübeck ist sich selbst genug. Das wissen wir aus praktischer landespolitischer Erfahrung nur allzu gut.

(Thorsten Geißler [CDU]: Das stimmt!)

Wo sollte, Kollege Geißler, die Hansezeit besser präsentiert werden als in der Hansestadt Lübeck, die, wie gesagt, nicht mehr frei, aber immer noch Hansestadt ist!

(Thorsten Geißler [CDU]: Sehr richtig!)

Ich halte es auch nicht für sinnvoll, Caroline Schwarz, dass man in einem „Haus der Geschichte“ gewissermaßen nur ein paar Appetithäppchen präsentiert und im Übrigen sagt: Wenn ihr euch genauer informieren wollt, dann fahrt im Blick auf das eine Thema dahin

und im Blick auf das andere Thema dorthin. - Dies wäre, wie ich glaube, auch nicht ganz zufrieden stellend.

Deshalb ist der Ansatzpunkt, sich auf die neuere Landesgeschichte zu konzentrieren, wie ich glaube, der richtige. Man muss dabei nicht erst Mitte des 19. Jahrhunderts, mit der Demokratisierung und der Revolutionszeit, beginnen. Man kann durchaus etwas weiter bis in die frühe Neuzeit zurückgreifen. Darüber kann man diskutieren. Wir haben mit der landesgeschichtlichen Sammlung der Landesbibliothek zum Beispiel einen durchaus sehenswerten und respektablen Fundus an Exponaten, den man im Sinne der Präsentation der Geschichte Schleswig-Holsteins im Wesentlichen in der Neuzeit auch in eine museale Präsentation einbringen kann. Diese Präsentation müsste dann freilich im Sinne einer zusätzlichen Einbeziehung der Zeitgeschichte unseres Landes um das 20. Jahrhundert ergänzt werden.

Für sehr interessant halte ich den Gedanken, dass man im Rahmen eines solchen „Hauses der Geschichte“ auch die Möglichkeit schafft, dort fallweise wechselnde Wanderausstellungen zu präsentieren. Vor drei Jahren habe ich mir im Historischen Museum der Pfalz in Speyer einmal eine Ausstellung über das Thema „Napoleon und seine Zeit“, die aus Frankreich kam, angeschaut. Man könnte sich vorstellen, dass historische, kulturgeschichtliche Ausstellungen aus dem Bereich des Ostseeraumes für eine bestimmte Zeit an einem solchen Ausstellungsort hier im Lande präsentiert werden.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und SSW)

Das wäre eine wünschenswerte Anknüpfung an unser Ziel, den historischen und kulturellen Zusammenhang in der Ostseeregion insgesamt zu fördern. Dazu muss, wie ich meine, auch die Kulturpolitik verstärkt ihre Beiträge leisten.

Wir stimmen dem Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu, auch was die Terminsetzung und die inhaltliche Ausrichtung angeht. Wir sollten dieses Thema in der Kulturpolitik unseres Landes engagiert weiter verfolgen. Im Grundansatz stärkere Präsentation der Landesgeschichte -, Caroline Schwarz, stimmen wir sicherlich überein.

(Beifall bei F.D.P., SPD und CDU)

Ich darf die Gelegenheit benutzen, Ursula Röper ganz herzlich in der Loge zu begrüßen.

(Beifall)

(Vizepräsident Thomas Stritzl)

Wir freuen uns ganz besonders, dass Sie heute hier sind.

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt Frau Abgeordneter Angelika Birk das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wie wird aus vielen Geschichten Geschichte? Bekanntlich verstehen wir heute Historie nicht mehr als Schöpfungs- und Heilsgeschichte. Wir begreifen sie nicht mehr als Entwicklungsroman, in dem sich alles von naiver Urzeit bis zur allwissenden Gegenwart ständig logisch und sinnvoll zum Guten entwickelt. L’état, c’est moi - das gilt nicht mehr. Wenn kein Fürst mehr seine Geschichte mit der seines Volkes und Staates in eins setzt, wer sind dann die Erzählerinnen und Erzähler der Geschichte Schleswig Holsteins? Ist es der Landtag als demokratischer Souverän? Ich glaube, hier würden wir uns übernehmen, auch wenn ich mich gern an die Feierstunde des Landtages und insbesondere an die Geschichte unserer Kollegin Spoorendonk erinnere, auch wenn der Landtag immer wieder in hervorragender Weise auf zeitgeschichtliche Themen aufmerksam macht und damit zu Recht auch bei der Bevölkerung dieses Landes Interesse an der Geschichte weckt.

Wie kann eine solche Erzählung in heutiger Zeit den Zeitgenossen und der nachwachsenden Generation lebendig dargestellt werden? Diese Frage ist für mich erkenntnisleitend und führt zu unserer Aussage: Ein „Haus der Geschichte“ sollte in heutiger Zeit ein virtuelles Haus der Geschichte sein.

Die CDU macht sich für ein „Haus der Geschichte“ stark. Frau Schwarz, ich frage Sie: Stellen Sie sich ein landesweites Heimatmuseum oder einen musealen Staatsakt oder eine Mischung von beidem vor? Ich kenne eine Reihe von Museen, die ein schlechtes Geschichtsbilderbuch darstellen. Vorstellungen in dieser Hinsicht vertritt meine Fraktion nicht. Wir möchten ein lebendiges, sich im Dialog entwickelndes Medium haben. Was wäre dazu besser geeignet als die virtuelle Ebene, die dann natürlich dazu einlädt, sich vor Ort, an verschiedenen Stätten dieses Landes, an denen Geschichte aus verschiedenen Zeiten und aus verschiedenen Perspektiven dokumentiert wird, intensiver damit zu befassen?

Ich stimme allen Vorrednerinnen und Vorrednern zu, die sagen, dass wir gerade im Hinblick auf die jüngere Geschichte noch einiges nachzuholen haben.

Gerade als Lübeckerin möchte ich darauf hinweisen, wie vielfältig und intensiv sich Geschichte in diesem Land darstellt. Dies sieht man in Lübeck auf Schritt

und Tritt im öffentlichen Raum, in den Kirchen, im Rathaus, bis in die Geschäfte hinein, aber auch in Filmen unseres kleinen Arbeitsmuseums und schließlich demnächst in zwei kleinen Fachmuseen, die sich mit den beiden Literaturnobelpreisträgern dieser Stadt auseinander setzen.

Aber nicht genug, in Lübeck wird derzeit zum Beispiel darüber gestritten, ob wir nicht eine Stadtfotodokumentation des letzten Jahrhunderts, die besonders herausragend ist, in einem Museum würdigen müssen. Die Lübeck-Schlutuper wollen natürlich die Wiedervereinigung in einem entsprechenden Museum dokumentiert wissen. Last, but not least füllen die Lücke der Nachkriegszeit und der Kriegszeit Schülerinnen und Schüler mit eigenen Recherchen und dem hervorragenden Film und der entsprechenden Ausstellung „Pöppendorf statt Palästina“. Es gibt auch schon eine Geschichte der Einwanderinnen und Einwanderer, zum Teil von ihnen selbst dokumentiert. Denken Sie an die hervorragenden Dokumentationsfilme der Lübecker Filmemacherin Serap Berakkarasu. Wenn wir das alles in ein Haus packen, ist das beliebig und voll gestopft.

In Lübeck kann man auf verschiedenen Rundgängen, zu Fuß, aus verschiedenen Perspektiven die Geschichte erfahren. Man kann sich im Kommunalen Kino und anderswo filmische Dokumente ansehen. In Lübeck gibt es immer wieder zeitgeschichtliche aktuelle Wanderausstellungen oder eigens neu geschaffene Ausstellungen.

Wollen wir dieses Prinzip nicht auch auf das ganze Land ausdehnen? Ich finde, das hat Zukunft, das hat Charme. Wir müssten dann allerdings tatsächlich einen Ort haben, an dem sich diese virtuelle Ebene der Bevölkerung möglichst leicht zugänglich präsentiert. Es wäre ein gutes touristisches Angebot - hier eine Geste an den Wirtschaftsminister -, die Erwanderung Schleswig-Holsteins aus historischer Sicht aus verschiedenen Perspektiven auch im Bereich des Touristischen anzubieten.

Darüber hinaus aber brauchen wir den historischen, den demokratischen Dialog zwischen den Fachleuten, um ein solches Konzept zu erstellen, das sich dann auch auf der virtuellen Ebene präsentiert und das vor allem immer wieder aktualisiert werden kann. Wir erwarten deshalb die Erstellung eines Konzeptes durch die Landesregierung bewusst in einem Zeitraum bis zum Ende dieses Jahres. Wir erwarten, dass dieses Konzept das Ergebnis eines breiten öffentlichen Dialogs ist und den demokratischen Ansprüchen und den Möglichkeiten des Medienzeitalters entspricht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für den SSW im Schleswig-Hosteinischen Landtag hat jetzt Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD] - Widerspruch - Thorsten Geißler [CDU]: Das muss ins Protokoll!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir ist da anscheinend gerade ein Witz entgangen. Doch jetzt zum Thema.

Wann haben wir uns eigentlich zuletzt mit der Entwicklung der Museumslandschaft in SchleswigHolstein befasst, wohl gemerkt unter inhaltlichen Vorzeichen? - Das ist schon eine ganze Weile her. Daher begrüßen wir, dass die CDU den vorliegenden Antrag gestellt hat. Auch aus unserer Sicht ist es wünschenswert, dass sich der Landtag an einer Diskussion über neue Wege in der Museumspolitik beteiligt.

Vor kurzem habe ich in Verbindung mit der Weiterbildungskommission wieder die Erfahrung gemacht, dass sich die Kommunikation zwischen Kulturträgern und Politik viel eher auf der „Regierungsebene“ abspielt als auf der parlamentarischen Ebene. Damit meine ich, dass die Strukturen in der Kulturpolitik häufig so sind, dass ein Dialog mit dem Landtag ausbleibt. Deshalb erfreut uns der Antrag, denn dieses Thema gehört in den parlamentarischen Raum und nicht nur in den der Ministerin.

Die CDU-Initiative bezieht sich auf eine Rede der Kultusministerin anlässlich der Herbsttagung des Museumsverbandes im November letzten Jahres. Bei dieser Tagung mit dem sinnvollen Untertitel „Möglichkeiten und Chancen der Vermittlung von Zeit- und Landesgeschichte“ hat sich die Ministerin in lobenswerter Weise auch der Frage angenommen, wie Landesgeschichte - verstanden als Zeitgeschichte - museal umgesetzt werden kann. Sie zitierte in diesem Zusammenhang in ihrer Rede auch aus der Koalitionsvereinbarung der regierungstragenden Fraktionen. Dort heißt es nämlich:

„Die politische und soziale Geschichte des Landes von den Anfängen bis heute ist bisher nicht zusammenhängend dargestellt worden. Erste Schritte zur Errichtung einer landesgeschichtlichen Präsentation, angegliedert an die Landesmuseen Gottorf, werden eingeleitet.“

Nun ist dem Parlament noch nicht zu Ohren gekommen, dass etwas eingeleitet worden ist. Deshalb macht es natürlich Sinn, einmal vorsichtig nachzufragen.

Wir alle können uns sicherlich schön ausmahlen, wie ein richtiges „Haus der Geschichte“ aussehen könnte, in dem die politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Geschichte des Landes kompetent, spannend und zeitgemäß aufbereitet wird. Aber wir reden nicht von Luftschlössern, sondern allenfalls von Schloss Gottorf.