Protocol of the Session on November 14, 2003

(Glocke des Präsidenten)

(Sylvia Eisenberg)

- Ich komme zum Ende, Herr Präsident. - Wir dürfen nicht warten, bis auch bei uns in Schleswig-Holstein aufgrund mangelnder Kommunikation und juristischer Regelungen eine Tragödie wie am GutenbergGymnasium geschieht. Das Land Thüringen hat gezeigt, wie es gesetzlich möglich ist. Wir sollten dem Land Thüringen in dieser Hinsicht folgen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Höppner das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns liegt ein CDU-Antrag vor, der die Schulen verpflichtet, die Eltern stärker zu informieren über Verhalten, Leistungsdefizite und Erziehungskonflikte. Das ist der eine Teil. Der andere Teil sieht vor, dass die Schulen dies auch tun, wenn die Schülerinnen und Schüler bereits volljährig sind.

Nun könnte man die Diskussion an dieser Stelle ganz einfach führen und sagen: Volljährig ist volljährig. Man könnte auch die Frage stellen, warum eine solche Regelung nur für Schülerinnen und Schüler bestehen soll

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

und zum Beispiel nicht auch für Studierende oder Junggesellen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Renate Gröpel [SPD])

Die Diskussion um dieses Problem läuft seit der unfassbaren Bluttat des Schülers Robert Steinhäuser am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt. Es gibt allerdings auch ohne diesen dramatischen Hintergrund eine gewisse Alltagsproblematik im Zusammenwirken von Elternhäusern und Schule bei älteren Schülern, eine gegenseitige Interessenlosigkeit am Schulgeschehen oder auch das Desinteresse der Schule an dem, was ein Schüler außerhalb der Schule so tut.

Es ist kein Einzelfall, wenn etwa ein 19-jähriger Gymnasiast im Verlaufe des 13. Jahrgangs die Brocken hinwirft, weil er die Schnauze voll hat von Schule - wie man das so nennt -, ins Sekretariat seiner Schule geht und ad hoc die Ausstellung eines Zeugnisses für die Fachhochschulreife verlangt, weil er der Überzeugung ist, etwas anderes tun zu müssen, als täglich zur Schule zu gehen. Das ist für Eltern dann manchmal genauso überraschend, als wenn sie fest

stellen müssen, dass ihr Kind das Studium abgebrochen oder nach vielen Semestern vielleicht einfach das Fach gewechselt hat. Manchmal fällt so etwas erst auf, wenn die Bescheinigung für den Kindergeldanspruch der volljährigen Kinder nicht mehr beigebracht werden kann. Das ist eine Folge, die wir kennen.

Liebe Kollegin Eisenberg, was Sie im Rahmen einer Gesetzesänderung fordern, gibt es in unserem Land eigentlich schon seit 50 Jahren, nämlich in der Dienstordnung für Lehrerinnen und Lehrer an den öffentlichen Schulen in Schleswig-Holstein von 1950, letzte Fassung 1998. § 6 der Lehrerdienstordnung lautet in Absatz 1: „Die Pflege der Verbindung mit den Eltern müssen sich alle Lehrer besonders angelegen sein lassen.“ Die meisten Lehrerkollegien sehen hierin allerdings nur eine Verpflichtung, für Sprechstunden zur Verfügung zu stehen. Der Begriff Pflege meint allerdings etwas mehr.

Die Dienstordnung geht allerdings noch etwas weiter. Absatz 3 von § 6 lautet: „Die Eltern müssen, wenn es die Erziehungsaufgabe der Schule erfordert, auch ohne ihre Aufforderung unterrichtet werden.“ Wenn wir den Wortlaut ernst nehmen, dann ist dies die Pflicht einer jeden Lehrerin oder eines jeden Lehrers an den öffentlichen Schulen und nicht der Schulen als Einrichtungen. Damit - das ist meine Auffassung - geht diese Unterrichtungspflicht weit über Ihren Gesetzesvorschlag hinaus.

Würden wir dies aber heute den Lehrkräften unseres Landes als Neuerung präsentieren, so würde - da bin ich mir sicher - manche Kollegin oder mancher Kollege klagen, dass er auch das noch tun müsse. Gleichwohl möchte ich an dieser Stelle betonen, dass sehr viele Lehrkräfte diese Verpflichtung ausgesprochen ernst nehmen.

Dieser Passus in der Lehrerdienstordnung hat fast wortgleich 50 Jahre überdauert. Ob diese Regelung auch für volljährige Schülerinnen und Schüler gilt, beschreibt die Lehrerdienstordnung explizit nicht.

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Aber das Schulge- setz!)

1950 war ein Schüler mit 18 noch minderjährig. Ich denke, wir sollten diese Fragen im Bildungsausschuss klären. Ich bitte um Überweisung.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der vorgerückten Zeit möchte ich nur eine kurze Stellungnahme abgeben. Ich halte den Vorschlag der CDU-Fraktion, das Schulgesetz durch einen Passus zum Thema „Information der Eltern durch die Schule“ zu erweitern, für richtig und inhaltlich gut begründet.

(Beifall des Abgeordneten Jost de Jager [CDU])

Ich meine, dass gerade der tragische Fall des Amokschützen von Erfurt gezeigt hat, dass es eine Regelung geben muss, die die bereits volljährigen Schüler betrifft.

Ich möchte noch eine Ergänzung vortragen. Ich weiß, dass die eine oder andere Schule in SchleswigHolstein bereits sehr verantwortungsbewusst in der Weise handelt, dass Schülerinnen und Schülern, die volljährig sind, eine schriftliche Erklärung zur Unterschrift vorgelegt wird, in der die Schule ausdrücklich ermächtigt wird, über bestimmte Dinge, die die Schüler betreffen, die Eltern informieren kann. Diese Erklärung können volljährige Schüler unterschreiben; sie müssen es aber nicht.

Ich halte es für richtig, wenn wir eine gesetzliche Regelung träfen, wie es in Absatz 2 des Vorschlages der CDU-Fraktion vorgesehen ist, durch die den volljährigen Schülern die Möglichkeit eröffnet würde, gegen eine solche Information ihrer Eltern Einspruch einzulegen, worüberi die betreffenden Eltern dann informiert würden. Ich denke, dass wir das Schulgesetz unseres Landes in diesem Sinne erweitern und verbessern sollten.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich erteile Frau Abgeordneter Birk das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein bisschen schwanger gibt es nicht und ein bisschen volljährig gibt es auch nicht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Die Problematik, die Frau Eisenberg aufgezeigt hat, kommt im wirklichen Leben natürlich vor. Ich kann Ihnen sagen: All denjenigen, die in der praktischen Jugendhilfe mit gravierenden Problemen - von Drogenmissbrauch über Schwangerschaften von Jugendlichen bis hin zu allen möglichen anderen Dingen - zu

tun haben, bei denen man denkt, dass das die Eltern eigentlich wissen müssten, können wir nicht mit Paragrafen kommen. In diesen Fällen muss tatsächlich pädagogisch reagiert werden. Entweder sie überzeugen die Jugendlichen, dass es sinnvoll ist, die Eltern in einen Prozess, der schwierig ist, mit einzubeziehen, auch wenn die Jugendlichen 18 sind,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

oder sie überzeugen die Jugendlichen nicht. Das kann schlimmstenfalls dazu führen, dass ganz andere Kräfte, wie Polizei und Justiz, tätig werden müssen. Aber dieses pädagogische Handeln können wir nicht durch Gesetze ersetzen; vielmehr können wir nur alles dafür tun, dass es in einem solch schwierigen Dialog tatsächlich gelingt, dass Jugendliche sagen: Okay, in diesem Bereich bin ich vielleicht noch nicht so fit. Da ist es sinnvoll, Vater oder Mutter oder sonstige Erziehungsberechtigte mit heranzuziehen.

Diejenigen, die sich aktiv entziehen und bei denen die Eltern davon nichts wissen, haben aus ihrer Sicht sicherlich gute Gründe dafür, ihre Eltern nicht zu informieren. Glauben Sie, der Dialog zwischen Eltern und - in dem Fall, wenn Sie es so definieren - Kind wird besser, wenn sich Lehrerinnen und Lehrer über eine solche Nichtinformation der Eltern hinwegsetzen und ihrerseits nun sagen: Wissen Sie eigentlich, dass Ihr Sohn oder Ihre Tochter nicht zur Schule kommt? - Das ist eine Einmischung, die die Sache meist nur noch verfahrener macht.

Es ist richtig, dass das eine schwierige pädagogische Situation ist. Es ist richtig, dass Lehrerinnen und Lehrer alles versuchen müssen, um den Dialog mit den Schülerinnen und Schülern, die sich entziehen, aufzunehmen. Sie sind auch befugt, sich in solchen Fällen der Unterstützung aus der Jugendarbeit und Jugendhilfe zu versichern; denn Jugendhilfe hört nicht mit 18 auf, sondern von ihr erfasst werden Jugendliche bis zum 27. Lebensjahr. Es ist aber falsch, so zu tun, als könnte man die Volljährigkeit mit einem kleinen Gesetzesschlenker umgehen.

Ich glaube, dass die Praxis derjenigen, die auf diesem schwierigen Feld erfolgreich arbeiten, es verdient, bekannt gemacht zu werden und in Fortbildungen diskutiert zu werden. Es ist sicherlich richtig, dass man auch an der Schülervertretung, die in diese Frage durchaus mit einzubeziehen ist, nicht vorbeikommt. Unter Umständen ist von Gleichaltrigen eine Unterstützung zu erwarten, mehr jedenfalls als durch einen Paragrafen, mit dem wir uns unter Umständen viel Ärger einhandeln, womöglich noch Prozesse, die in der Praxis nicht weiterhelfen.

(Angelika Birk)

Ich appelliere deshalb an die CDU - das Anliegen haben wir verstanden -: Sorgen Sie mit dafür, dass wir gemeinsam einen Diskurs hinbekommen, um dem ernstzunehmenden Problem der Schulabsenz - darüber haben wir hier schon mehrfach gesprochen - und anderer schwieriger Situationen Herr zu werden. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass wir gemeinsam mit Elternverbänden und Schülerverbänden, der Lehrerschaft und anderen pädagogischen Fachberufen hier einen Schritt weiterkommen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Der SSW wird der vorliegenden Änderung des Schulgesetzes nicht zustimmen. Ich werde meine Begründung hierfür sehr kurz halten; das verspreche ich.

Erstens. Wir sind der Meinung, dass die Eltern bereits heute von der Schule ausreichende Informationen über die Entwicklung ihrer Kinder erhalten beziehungsweise erhalten können, wenn sie es denn selbst wollen. Herr Höppner hat eben deutlich gemacht, dass es dafür sogar eine rechtliche Grundlage gibt. Die Informationspflicht der Schule gegenüber den Eltern, zum Beispiel über die schulische Entwicklung und den Leistungsstand ihrer Kinder, ist unserer Meinung nach eine Selbstverständlichkeit für Schülerinnen und Schüler bis 18 Jahren. Deshalb brauchen wir auch keine gesetzliche Bestimmung. Sie ist schlicht und einfach überflüssig und führt zu mehr Bürokratie. Gerade diese will doch die CDU eigentlich abbauen, oder nicht?

Zweitens. Eine Informationspflicht der Schule gegenüber den Eltern, deren Kinder bereits volljährig sind, besteht bisher nicht. Das hängt natürlich mit der Volljährigkeit zusammen. Wenn der Gesetzgeber beschlossen hat, dass junge Menschen mit 18 Jahren volljährig mit allen Rechten und Pflichten sind, dann muss man ihnen auch zutrauen, ihren schulischen Werdegang selbst zu regeln, ohne dass die Eltern gleich mit eingeschaltet werden. Selbst wenn die Schülerinnen und Schüler Widerspruch gegen eine schriftliche Unterrichtung der Eltern bei auffallendem Absinken des Leistungsstandards einlegen können, bleibt der Beigeschmack, dass die Volljährigkeit nicht respektiert wird.

Wir sind der Auffassung, dass es die Schule in den beiden beschriebenen Fällen selbst in der Hand hat, um mit Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern oder bei Volljährigkeit nur mit den Schülerinnen und Schülern die angesprochenen Probleme zu bereden und zu lösen. Weiterhin hat die Schule die Möglichkeit, mit Erlaubnis der volljährigen Schülerinnen und Schüler auch die Eltern zu solchen Gesprächen mit einzuladen. Das geschieht ja auch in den allermeisten Fällen. Eine gesetzlich vorgeschriebene Informationspflicht ist jedenfalls nicht sehr hilfreich, um die Probleme in unseren Schulen zu lösen;

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

denn es geht eindeutig um den Dialog zwischen Schule und Elternhaus. Den kann man nur vor Ort ausgestalten und nicht gesetzlich verordnen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

Ich erteile der Ministerin, Frau Erdsiek-Rave, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war der Amoklauf des Schülers in Erfurt, der unter anderem die Frage aufgeworfen hat, über die wir heute diskutieren, nämlich ob unser Schulgesetz dahin gehend geändert werden sollte, dass in Zukunft auch Eltern volljähriger Schülerinnen und Schüler über die schulische Entwicklung und den Leistungsstand der Schüler informiert werden müssen oder sollten.

Unser Schulgesetz erlaubt die Übermittlung personenbezogener Daten - darum handelt es sich ja - durch die Schule an Einzelpersonen, also auch an Eltern volljähriger Schüler, aber dies grundsätzlich nur mit der Einwilligung der oder des Betroffenen. So weit das Schulgesetz.