Protocol of the Session on June 5, 2014

(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das ist eine Ver- drehung von Verantwortlichkeiten!)

Entschuldigen Sie bitte. Ich will doch gar nicht auf die Verantwortlichkeit heraus. Dass Berlin entscheidet, weiß ich auch. Wir können uns natürlich dazu eine Meinung bilden. Wir können eine Meinung dazu haben.

Nur: Wenn ich einen solchen Antrag stelle, aber genau weiß, wie er ausgeht, und in einer halben Stunde ist festzuhalten, dass der Landtag von Nordrhein-Westfalen das Asyl ablehnt…

(Lukas Lamla [PIRATEN]: Wieso geht das so aus? – Weil Sie keinen Arsch in der Hose haben!)

Ach, entschuldigen Sie!

Herr Kollege Priggen, ich möchte Ihren Redefluss einmal unterbrechen, und zwar aus zwei Gründen:

Zum einen gibt es den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Schulz.

Zum anderen rüge ich Sie, Herr Abgeordneter Lamla, ausdrücklich für diesen unparlamentarischen Ausdruck. Ich finde es – ehrlich gesagt – ein bisschen ungehörig. Das ist eben die Art, wie Sie das manchmal zum Ausdruck bringen wollen. Das wird aber – das ist Ihnen klar – vom Präsidium ausdrücklich gerügt.

Herr Priggen, lassen Sie die Zwischenfrage von Herrn Kollegen Schulz zu?

Natürlich.

Das ist nett von Ihnen. – Herr Schulz, bitte schön.

Vielen Dank, Herr Kollege Priggen, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Herr Priggen, Sie haben gerade das in diesem Landtag bevorstehende Abstimmungsergebnis antizipiert.

(Reiner Priggen [GRÜNE]: Ja!)

Sie haben ausgeführt, dass aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Bund Ihrer Einschätzung nach die SPD in Nordrhein-Westfalen wie auch die CDU in Nordrhein-Westfalen unseren Antrag ablehnen werden.

Sie haben ferner ausgeführt, …

Herr Schulz, kommen Sie bitte zu Ihrer Fragestellung. Das ist keine Diskussionsrunde.

… dass wir, selbst dann, wenn Sie, wir und die FDP zustimmen, aufgrund der Ablehnung im Landtag Herrn Snowden schaden. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Grünen in Nordrhein-Westfalen, die hier im Landtag vertreten sind, offenbar mit einer Partei und Fraktion im Bündnis stehen, die Edward Snowden zu schaden bereit ist, indem sie den Antrag ablehnt?

(Zuruf von der SPD: Unverschämtheit! – Un- ruhe bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Kollege Schulz, Sie können jetzt Klimmzüge machen, wie Sie wollen. Ich bin lange genug im Parlament und in der Politik. Wenn ich einen solchen Antrag stelle – ich weiß, dass die Materie kompliziert ist – und aufgrund der langen Diskussion in der Bundesregierung absehen kann, wie das Abstimmungsverhalten aussieht, bin ich auch für das Ergebnis der Abstimmung verantwortlich.

Ich finde den Antrag, den Inhalt und Tenor richtig. Ich habe Ihnen auch erklärt, warum das so ist. Ich bin durch Koalitionsdisziplin gebunden. Aber selbst wenn wir alle drei zustimmen würden, ist das Ergebnis so, wie ich es gesagt habe. Sie sind verantwortlich dafür, dass dieses Ergebnis hergestellt wird. Damit schaden Sie Snowden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ich will Ihnen noch etwas sagen: Eigentlich machen Sie es an der Stelle noch schlimmer. Ich weiß, dass es in der SPD und auch in der CDU Kolleginnen und Kollegen gibt, die sagen, dass das, was die Amerikaner machen und wie sie mit uns umgehen, eigentlich nicht richtig ist. Die SPD hat 150 Jahre Geschichte mit Verfolgung in der Bismarck-Zeit, in der Nazizeit und in der Kaiserzeit. Die SPD weiß, was politische Flüchtlinge sind.

Sie bringen nun einen Antrag ein, bei dem Sie das Ergebnis genau kennen. Sie machen das nur für sich, nicht für Edward Snowden. Das ist an der Stelle Ihre politische Verantwortung.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Nicolaus Kern [PIRATEN] schlägt mit der Faust auf sein Abgeordnetenpult und verlässt aufgebracht den Sitzungssaal.)

Vielen Dank, Herr Priggen. – Als nächster Redner spricht für die FDPFraktion Herr Dr. Wolf.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Piratenfraktion beantragt sicheren Aufenthalt in Deutschland für einen Straftäter aus den USA. Geheimnisverrat ist zunächst einmal kein politisches, sondern ein strafrechtliches Delikt. Das dürfte hier auch unstreitig gegeben sein. Allerdings – das ist nicht zu leugnen – hat uns Herr Snowden – auch durch die Offenlegung der anlasslosen massenhaften Datensammlung und -speicherung der NSA bezüglich deutscher und auch europäischer Bürger – von einem Fehlverhalten der NSA in Kenntnis gesetzt, was unserem Rechtsverständnis sicherlich nicht entspricht.

Bei einer solch schwierigen Lage, Herr Priggen, hinsichtlich eines internationalen Strafrechtkonflikts hat unsere Rechtsprechung in der Vergangenheit

die sogenannte Radbruch‘sche Formel angewendet, bei der es darauf ankam, möglicherweise zwischen dem positiven Recht auf der einen Seite und einer wie auch immer gearteten Gerechtigkeit auf der anderen Seite abzuwägen nach dem Motto: Was Recht ist, kann trotzdem Unrecht sein. Ob das greift, ist genau die Frage. Wir haben das in der Vergangenheit bei der Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechts und auch bei den Mauerschützen aus der DDR gehabt. Da ging es darum, dass das, was dort gestattet war, jedenfalls nach unserem allgemeinen Rechtsverständnis nicht gestattet sein kann.

Das Kriterium ist unerträgliche Ungerechtigkeit. Die Frage ist erstens, ob der Gedanken, der in der Rechtsprechung im Hinblick auf Mord und Totschlag entwickelt wurde, auf das übertragen werden kann, was in Amerika sozusagen vonseiten Herrn Snowdens als Tatbestand – in dem Sinne, dass wir das so nicht gelten lassen – verwirklicht worden ist. Diese schwierige Frage ist natürlich nicht einfach zu klären. Im Gegenteil, wenn man zwischen dem abwägt, wo die Radbruch‘sche Formel bisher angewandt wurde, ist das natürlich eher etwas entfernter. Das, was dort passiert ist, ist aus unserer Sicht ein inakzeptabler Vorgang; aber es ist doch weit von den Taten entfernt, die bislang in der Diskussion standen, wenn es um die Frage eines Strafrechtkonflikts zwischen verschiedenen Rechtssystemen ging.

Der zweite Punkt betrifft die Zuständigkeit. Das ist von allen Rednern – außer natürlich von denen der Piraten – sehr deutlich artikuliert worden. Sie liegt ausschließlich beim Bund, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wenn es um die Entscheidungsreife geht, muss man festhalten, dass die Untersuchung längst nicht abgeschlossen ist. Gerade heute tagt der NSA-PUA. Er wird einen Beschluss über die Zeugenvernehmung Snowdens in Moskau fassen. Der Vorsitzende des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, Herr Sensburg, hat im Übrigen sehr deutlich gemacht, dass es bislang jedenfalls keine Zulieferung von Unterlagen durch Herrn Snowden gegeben hat. Deswegen wird die mögliche Befragung von Herrn Snowden abzuwarten sein.

Letztendlich entscheidet die Bundesregierung, meine Damen und Herren, unter Berücksichtigung der außenpolitischen und transatlantischen Belange. Diese Entscheidung ist nicht vom Landtag zu treffen, sondern auf der Bundesebene. Insofern ist das von uns abzuwarten. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der FDP und Reiner Priggen [GRÜNE])

Vielen Dank, Herr Dr. Wolf. – Nun spricht Herr Minister Jäger.

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens finde ich, dass die heutige Debatte und auch die Debatte in den vergangenen Monaten in den Ausschüssen zum selben Themenkomplex deutlich gezeigt hat, dass wir uns einig darin sind, dass der Mut und die Leistung Edward Snowdens hier von niemandem ernsthaft bezweifelt wird.

Zweitens. Eine flächendeckende Überwachung jeglicher privater und staatlicher Kommunikation ohne Rechtsgrundlage stellt nach deutschem Grundrecht eine Straftat dar.

Drittens besteht nach meinem Empfinden der Wunsch, Edward Snowden als Zeugen im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu vernehmen. Meine Damen und Herren, dieser Wunsch ist ganz offensichtlich auch auf Bundesebene vorhanden, da der Untersuchungsausschuss zur NSAAffäre Anfang Mai beschlossen hat, genau diesen Edward Snowden als Zeugen zu hören.

Es ist auch nicht Sinn und Zweck dieses Hohen Hauses, Antworten auf die Fragen zu finden, die sich auf Bundesebene stellen und auch dort beantwortet werden müssen. Hier müssen einfach die Regeln des Föderalismus sowie die vorgegebenen Grenzen der Zuständigkeiten zwischen Landesparlament und Bundestag sowie einem in eigener Zuständigkeit handelnden Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages beachtet werden.

Im Übrigen ist auch die Frage, ob ein Auslieferungsgesuch der USA entschieden oder nicht entschieden wird, keine Frage der Politik. Darüber wird in Deutschland kein Parlament zu entscheiden haben. Es wird ausschließlich eine Frage sein, mit der sich die Justiz zu befassen hat. Von daher glaube ich, dass wir gut beraten sind, den Antrag der Piraten abzulehnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Jäger. – Für die Piratenfraktion hat sich noch einmal Herr Kollege Schwerd zu Wort gemeldet. Er hat noch 23 Sekunden.

Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen.

Ich möchte natürlich sehr gerne auf die Rede von Herrn Priggen eingehen. Es ist natürlich eine ganz schöne Doppelmoral, die sich hier offenbart, wenn Sie in anderen Ländern ähnliche Anträge einreichen, die Sie, wenn sie von den Piraten kommen, falsch finden.

(Beifall von den PIRATEN)

Der Wunsch, Druck auf die Politik auszuüben, kommt unmittelbar aus dem Unterstützerumfeld

Edward Snowdens. Gehen Sie einmal davon aus, dass Herr Ströbele nicht der Einzige ist, der Kontakt in diese Szene hat. Wir profilieren uns aber nicht so damit.

(Beifall von den PIRATEN)

Wenn es Ihnen nicht gefällt, dass wir einen Antrag stellen und er hier in diesem Plenum abgelehnt wird, dann kann das kaum unser Fehler, also derjenigen sein, die ihn gestellt haben. Wie könnte eine Ablehnung hier im Landtag mehr schaden als die Haltung der Bundesregierung, die wir erleben? Es ist nämlich die Bundesregierung, die untätig ist. Sie verletzt ihren Amtseid. Oliver Welke hat im ZDF gesagt: Der Rechtsstaat ist offiziell im Arsch. – Das versetzt uns in die Pflicht, unsererseits dagegen zu handeln. Dies könnten wir tun, indem wir von hieraus über den Bundesrat auf die Bundesregierung Druck ausüben. Da die Bundesregierung hier offenbar zum Jagen getragen werden muss, müssen wir das von hieraus tun. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vielen Dank, Herr Schwerd. – Damit sind wir am Ende der Debatte und kommen zur Abstimmung.

Der Ausschuss für Europa und Eine Welt empfiehlt in der Drucksache 16/5979, den Antrag Drucksache 16/4439 abzulehnen. Wir stimmen deshalb nicht über die Beschlussempfehlung, sondern über den Antrag Drucksache 16/4439 selbst ab.

Die Fraktion der Piraten hat gemäß § 44 unserer Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung zu dem Antrag beantragt. Nach Abs. 2 dieses Paragrafen erfolgt die namentliche Abstimmung durch Aufruf der Namen der Abgeordneten. Die Abstimmenden haben beim Namenaufruf mit Ja oder Nein zu antworten oder zu erklären, dass sie sich der Stimme enthalten.