Protocol of the Session on July 5, 2012

Es verbietet sich, mit Schnellschüssen und handwerklich unausgereiften Gesetzentwürfen Hand an

unsere Verfassung zu legen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Glückwunsch zur Rede, Herr Wedel, und zur zeitlichen Punktlandung.

Als nächster Redner spricht für die Landesregierung der, wenn sie denn anstünden, für Verfassungsänderungen zuständige Minister, Herr Innenminister Jäger.

Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, dass für Verfassungsänderungen das Parlament und nicht der Innenminister zuständig ist.

(Heiterkeit)

Auf der Seite der Landesregierung ist der Innenminister zuständig. Dann bleibt es so, wie ich gesagt habe.

Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Direkte Demokratie zu stärken, bedeutet, Demokratie zu leben, weiterzuentwickeln. Direkte Demokratie lässt die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land an politischen Entscheidungen teilhaben und mitgestalten. Denn wer mitbestimmt, übernimmt Verantwortung für das, worüber er abstimmt, für das Geschehen und für die Entwicklung in unserem Land. Aber direkte Demokratie regiert nicht, sondern gestaltet.

Meine Vorredner haben darauf aufmerksam gemacht: Bereits in der letzten Legislaturperiode ist es der alten Landesregierung gelungen, auf kommunaler Ebene die direkte Bürgerbeteiligung zu stärken und damit eine ausgewogenen Balance zwischen repräsentativer und direkter Demokratie zu schaffen. Wir wollen diesen Weg fortsetzen. Auch auf Landesebene wollen wir Bürgerbeteiligung erleichtern. Vor diesem Hintergrund ist deshalb grundsätzlich jede Absicht zu begrüßen, die eine direkte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land stärken will.

Der Gesetzentwurf der Piraten geht allerdings in ein Spannungsfeld von mittelbarer, repräsentativer und direkter Demokratie. Repräsentative Demokratie und direkte Demokratie schließen sich nämlich nicht aus. Dies hat übrigens der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr Prof. Dr. Voßkuhle, im Mai dieses Jahres wie ich finde sehr bemerkenswert in zwei Sätzen auf den Punkt gebracht. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:

„Es ist kein Konkurrent erkennbar, der an die Stelle des Parlamentes treten könnte, wenn es

darum geht, in einer komplexen Welt legitime kollektiv bindende Entscheidungen zu treffen.

Direktdemokratische, sachunmittelbare Demokratie findet ihren Platz also nicht in der Konkurrenz zur repräsentativen Demokratie, sondern neben ihr.“

Um es in deutlichen Worten zu sagen: So richtig es ist, die direkte Demokratie zu stärken, so falsch ist es, repräsentative Demokratie klein zu machen.

(Beifall von der SPD)

Ich glaube, dass es in der direkten Bürgerbeteiligung auch auf Landesebene einen Platz geben muss. Wir haben dazu im Koalitionsvertrag klare Schritte miteinander vereinbart, nämlich unter anderem eine partei- und fraktionsübergreifende Verfassungskommission einzusetzen, um zu prüfen, wie zeitgemäß auf der einen Seite die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen noch ist und wo auf der anderen Seite Elemente der direkten Demokratie zusätzlich in die Verfassung aufgenommen werden können. Wir müssen da sehr sorgfältig vorgehen. An der Verfassung zu operieren, bedarf immer der Seriosität und Sorgfalt.

(Zuruf von den PIRATEN: Die haben wir!)

Das ist in Ihrem Gesetzentwurf nicht erkennbar. Beispielsweise fehlt der Punkt, dass man in einem solchen Zusammenhang einmal darüber reden sollte, wie viele Ja-Stimmen ein Volksentscheid eigentlich braucht, um für eine Verfassung bindend zu werden. Diese Zahl muss man dringend einmal diskutieren, wenn man über Volksentscheide redet.

(Zuruf von den PIRATEN)

Das fehlt in Ihrem Gesetzentwurf völlig. Daran können Sie erkennen, dass wir sehr sorgfältig und behutsam mit der Frage umgehen sollten, wie wir die Verfassung in Nordrhein-Westfalen verändern, um sie zeitgemäßer und attraktiver zu machen und besser mit Elementen der direkten Bürgerbeteiligung auszustatten. Sofern die Landesregierung daran beteiligt ist, lade ich Sie herzlich dazu ein, sich in diesen Diskurs konstruktiv einzubringen. Schnellschüsse in Form solcher Gesetzentwürfe bringen für diese Diskussion wenig bis gar nichts.

Deshalb die herzliche Einladung an Sie: Beteiligen Sie sich an dieser Diskussion für eine Verfassungsänderung in Nordrhein-Westfalen, aber auf eine Art und Weise, in der Sie nicht die repräsentative Demokratie hinten anstellen, sondern gleichwertig neben direkten demokratischen Elementen in der Verfassung betrachten. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Schönen Dank, Herr Minister Jäger. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Ältestenrat hat empfohlen, den Gesetzentwurf Drucksache 16/119 an den Hauptausschuss – federführend – sowie an den Innenausschuss und den Rechtsausschuss zu überweisen. Wer stimmt der Überweisung zu? – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig überwiesen.

Ich rufe auf:

4 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den

öffentlichen Personennahverkehr in Nordrhein-Westfalen (ÖPNVG NRW)

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/57

erste Lesung

Es spricht der zuständige Minister, Herr Verkehrsminister Groschek.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Lassen Sie mich gleich zu Beginn klarstellen: Ja, es ist richtig, ich bin auch Verkehrsminister. Aber ich spreche immer als Minister für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr zu Ihnen.

Der hier einzubringende Gesetzentwurf hat eine lange Vorgeschichte, die viele von Ihnen viel besser kennen als ich. Der Gesetzentwurf vollendet eine Entwicklung der letzten und vorletzten Legislaturperiode. Ich bin auf die vor uns liegende intensive Diskussion gespannt. Wir erfüllen einen Auftrag, der schon eine Geschichte hat.

Konkret geht es darum, die Betriebskostenpauschale für den schienengebundenen Personennahverkehr auf mindestens 858 Millionen € im Jahr zu erhöhen, so wie es auch im Gutachten angeregt wird. An dieser Stelle möchte ich nicht über die Regionalisierungsmittel des Bundes diskutieren. Das werden wir sicherlich noch bei den Ausschussberatungen tun. Aber ich will darauf verweisen, dass die konkrete Höhe und Verteilung der auf die drei Aufgabenträger VRR, NVR und NWL entfallenden Mittel durch eine Rechtsverordnung geregelt werden soll, die sich derzeit in der Verbandsanhörung befindet.

Jetzt möchte ich einen Einwurf der Piraten von anderer Stelle aufgreifen. Ja, wir sind gut beraten, ein sehr partnerschaftliches und diskursorientiertes Verhältnis zwischen Regierung, Ausschüssen und Fraktionen hinzubekommen. Deshalb finde ich es richtig, in das Gespräch mit allen Fraktionen einzusteigen, um die Frage des Benehmens oder Einvernehmens mit dem Ausschuss zu diskutieren. Ich bin da sehr offen und finde, dass der zuständige Aus

schuss ein guter Partner sein soll und nicht nur eine zu unterrichtende Institution.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Die Regelung per Rechtsverordnung möchte ich aufrechterhalten, weil sie nur der Flexibilisierung dient und kein Bevormundungsinstrument ist. An diesem Punkt sollten wir beachten, dass sehr kurzfristig Veränderungsmöglichkeiten eintreten können. Dabei sind die Energiekosten nur ein denkbarer Punkt.

Die Anhebung der Betriebskostenpauschale bedingt allerdings auch eine Kürzung der pauschalierten Investitionsförderung um 30 Millionen € ab 2013. Wir sind an einem Punkt angelangt, der beispielhaft deutlich macht: Das Zeitalter der Politik nach dem Motto „Allen wohl und keinem wehe“ ist vorbei.

Deshalb müssen wir zusehen, wie wir mit einer zu kurz gestrickten Decke möglichst klarkommen. Ein Mehr an Investitionsförderung wäre wünschenswert, ist aber zurzeit nicht finanzierbar. Ich will darauf abheben, dass die Anhebung des Höchstfördersatzes von 85 % auf 90 % eine Perspektive bietet. Ich will darüber hinaus darauf abheben, dass wir bei den Infrastrukturprojekten auch Realisierungsmöglichkeiten für finanzschwache Kommunen vorhalten.

Und ich möchte drei Punkte kurz hervorheben, die die Kundenorientierung deutlich machen. Wir wollen erstens beispielsweise die Zusammenarbeit in Richtung RRX erleichtern. Zweitens wollen wir neu und nutzerfreundlich Bürgerbusse und Taxibusse in die ÖPNV-Pauschale einstellen. Letztendlich wollen wir einen großen Schritt in Richtung NRW-Ticket tun, indem wir einen gesetzlichen Auftrag zur Zusammenführung der zurzeit neun Gemeinschaftstarife auf zunächst drei forcieren wollen. Die Kundinnen und Kunden haben ein Interesse daran, in Nordrhein-Westfalen mit einem Ticket möglichst grenzenlos unterwegs zu sein.

Lassen Sie uns einen großen Schritt in diese Richtung tun!

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Herzlichen Dank, Herr Minister Groschek. – Es spricht für die SPDFraktion Herr Kollege Ott.

Herr Präsident! Es fängt so an, wie es aufgehört hat: Unter Ihrer Präsidentschaft darf ich sprechen.

Nordrhein-Westfalen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist mit seinen rund 18 Millionen Menschen das bevölkerungsreichste Bundesland. Es verfügt über eine umfangreiche und ausdifferenzierte Verkehrsinfrastruktur, die sich im Vergleich zu der anderer Bundesländern sehen lassen kann. So hat heute der Verband „Allianz pro Schiene“ beim so

genannten Bundesländerindex „Mobilitätsvergleich 2012“ noch einmal deutlich gemacht, dass NRW eine Spitzenposition einnimmt. Gleiches wurde NRW für klare Zielsetzungen im Sinne einer zukünftigen und nachhaltigen Verkehrspolitik bescheinigt.

Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass unsere Infrastruktur natürlich in die Jahre gekommen ist. Nichtsdestotrotz ist der ÖPNV in NordrheinWestfalen eine unverzichtbare Stütze dieser Verkehrsinfrastruktur. Er sichert täglich die Mobilität von Millionen von Menschen in unserem Bundesland: Schule, Hochschule, Arbeitsplatz, die Nahversorgung vor Ort – hier ist die Infrastruktur von besonderer Bedeutung.

NRW ist unter der Regierungsverantwortung von SPD und Grünen bis 2005 zum Bahnland Nummer eins geworden. Daran haben wir seit 2010 erneut angeknüpft.

Sprechen wir über den ÖPNV in NordrheinWestfalen, dann reden wir über 2,1 Milliarden Fahrgäste und ein Angebot von 100 Millionen Zugkilometern pro Jahr. Allein im Schienenpersonennahverkehr werden auf 100 Regionallinien mehr als 1.500 Schienenfahrzeuge bewegt. Bedient werden allein 650 km S-Bahn-Strecken. Aber ÖPNV findet auch auf der Straße statt, insbesondere im Busverkehr, bei Sammeltaxis oder Bürgerbussen. Mit diesem Angebot ist NRW ein Topland im europäischen Verkehrsmarkt.

Um unseren ÖPNV attraktiv und bedarfsgerecht auszugestalten, sind bisher rund 1,5 Milliarden € zu dessen Finanzierung gezahlt worden. Das ist eine immense Summe. Auch in Zukunft wird es diesen erheblichen Finanzbedarf geben, und zwar alleine schon deshalb – ich hatte davon gesprochen –, weil vieles in die Jahre gekommen und der Instandhaltungsstau groß ist.