Protocol of the Session on July 12, 2013

Ich bin der Ansicht: Wir leben hier in einer sehr gefestigten Demokratie, in der jeder erst einmal all das, was er meint, äußern darf.

Aber es gibt natürlich auch in einer Demokratie nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern es gibt auch die

schutzwürdigen Interessen derjenigen, über die man sich auslassen will.

Sie erwecken hier nun den Eindruck, dass jeder Whistleblower Missstände aufdeckt.

(Zuruf von den PIRATEN: Per Definition!)

Das ist aber nicht immer so. In unseren Augen reichen deswegen auch die Gesetze aus, die wir haben.

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wir haben Regelungen. Wenn Sie den Verdacht einer Straftat haben, dürfen Sie natürlich auch eine Anzeige bei der zuständigen Stelle erstatten. Es gibt die Staatsanwaltschaft, es gibt die Polizei. Ich habe großes Vertrauen in die Staatsanwaltschaft und in die Polizei in unserem Land. Ich muss mich nicht direkt ans Radio wenden und in die Welt hinausposaunen, dass ich meine, dass etwas passiert ist, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP)

Ich habe in einem Land, in dem arbeitsrechtliche Regelungen sehr intensiv und weit verbreitet sind, zu denen wir als Liberale stehen, auch die Möglichkeit, betriebsintern meine Meinung kundzutun und meine Bedenken zu äußern.

Herr Dr. Orth, darf ich auch Sie unterbrechen? Der Kollege Olejak würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Ja, aber heute nicht. Danke schön.

Sie haben da auch die Möglichkeit, sich zu äußern. Ich finde, dass Sie, indem Sie diesen Antrag hier heute so vorbringen, den Eindruck erwecken, als ob wir in Deutschland in einem Land leben, in dem man nicht sagen kann, was man denkt.

Ich habe sogar eher die Sorge, dass wir, wenn wir Whistleblowing auf diese Art und Weise diskutieren, Anschub leisten wollen, im Zweifel erst mal öffentlich eine Sau durchs Dorf zu treiben. Diesen Eindruck möchte ich in der Politik nicht erwecken.

(Beifall von der FDP)

Für mich sind die anderen, die von diesen Äußerungen Betroffenen, genauso schutzwürdig.

Ich glaube einfach, dass Sie mit Ihrer Art hier und heute eine Blockwartmentalität hervorrufen, indem jeder mal sagt, was er denkt.

Herr Bolte hat eben gesagt, dass sich ein Whistleblower im gesellschaftlichen Interesse äußert. Ich frage mich: Wie ist denn das gesellschaftliche Interesse definiert? Ist es das gesellschaftliche Interes

se der Nichtraucher, die Herrn Napp dafür gemeldet haben, dass er im Bürgermeisterbüro geraucht hat?

(Beifall von der FDP – Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das hat er selbst gemacht! Das ist unglaublich!)

Ist es das gesellschaftliche Interesse, wenn einer am Veggietag des Landtags ein Schnitzel gegessen hat? Was ist denn eigentlich ein gesellschaftliches Interesse?

Wir haben klare gesetzliche Regelungen. Wenn einer Recht und Gesetz bricht, dann kann ich das zur Sprache bringen, dann kann ich das zur Anzeige bringen, dann habe ich auch zivilrechtliche Ansprüche.

Aber ich will nicht, dass wir in Deutschland in eine Grauzone rücken nach dem Motto: Dem einen gefällt es, dem anderen gefällt es nicht, und ich lasse erst mal öffentlich diskutieren. – Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Herr Dr. Orth, bleiben Sie bitte gleich am Pult. Zum einen hätte es den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Kollegen Bolte gegeben. Die hätten Sie aber wahrscheinlich auch nicht zugelassen.

Herr Kollege Olejak hat sich allerdings zu einer Kurzintervention gemeldet.

Vielen lieben Dank. – Sehr geehrter Herr Dr. Orth, um es in einem einzigen Namen zusammenzufassen, was Sie gerade gesagt haben: Gustl Mollath. Das sagt eigentlich alles, nämlich dass wir in Deutschland nicht immer sagen dürfen, was wir denken.

(Beifall von den PIRATEN – Widerspruch von der CDU)

Es geht also überhaupt nicht darum, inwieweit wir hier keinerlei Regelungen haben sollten, haben könnten, haben wollten.

Wenn Sie allen Ernstes sagen, dass wir in Deutschland nicht sagen können, was wir denken, solange wir nicht die Rechte anderer verletzen, haben Sie entweder eine gestörte Wahrnehmung oder ich ein falsches Demokratieverständnis.

(Beifall von der FDP und der CDU)

Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Jäger.

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr

ten Damen und Herren! Der freundlichen Einladung des Abgeordneten Bolte nach Bielefeld und des Abgeordneten Sieveke nach Paderborn folgen hoffentlich viele. Denn sie könnten dann mit der alten Volksweisheit aufräumen: Der liebe Gott in seinem Zorn erschuf Bielefeld und Paderborn.

(Allgemeine Heiterkeit – Beifall von Matthi Bolte [GRÜNE] und Daniel Sieveke [CDU] – Zuruf von der CDU: Verhaltener Beifall!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben in den letzten beiden Tagen sehr kritisch und, wie ich finde, auch sehr kontrovers über die Vorgänge rund um Prism und Tempora diskutiert und debattiert. Ich glaube, in der Zielrichtung sind wir uns einig: Sowohl auf Bundes- wie auch auf europäischer Ebene müssen unsere Fragen schnell und vor allem umfassend beantwortet werden, und zwar ohne Wenn und Aber. Das ist unter befreundeten Staaten eine Selbstverständlichkeit. Ich bin sehr gespannt, mit welchen Informationen Bundesinnenminister Friedrich aus den USA zurückkehren wird und wann er dies den Ländern mitteilen wird.

(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: Das sind wir auch! – René Schneider [SPD]: Der alte Whistleblower!)

Allerdings habe ich mit dem Antrag der Piraten ein Problem: Ich glaube, dass wir völlig unterschiedliche Auffassungen darüber vertreten, wen wir in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen schützen müssen.

Es gibt eine klare Linie zwischen Zivilcourage auf der einen und dem Begehen von eigenen Straftaten auf der anderen Seite. Diese Grenze ist sehr dünn. Diese Grenze kann schnell überschritten werden. Deshalb müssen wir ganz genau und sehr scharf formulieren, wenn es darum geht, Menschen schützen zu wollen, die Insiderwissen preisgeben.

Solch eine präzise Formulierung vermisse ich in Ihrem Antrag. Das fängt schon damit an, dass Sie den Begriff „Whistleblower“ nicht definieren. Laut deutsch-englischem Wörterbuch kommt „whistle“ von „Pfiff“ wie „verpfeifen“, und „Whistleblowing“ bedeutet eigentlich „verräterisch sein“. Daran wird vielleicht ein bisschen deutlich, dass wir – hoffentlich alle – keine Art von Geheimnisverrat gutheißen wollen.

(Beifall von der SPD, der CDU und der FDP)

Das können wir so, glaube ich, alle nicht wollen. Ich vermute mal, dass auch Sie das nicht meinen. Das wird in Ihrem Antrag aber so nicht deutlich.

Was den Landesdienst und den öffentlichen Dienst angeht, haben wir bereits Regelungen, und zwar für alle Beschäftigten, egal ob Angestellte oder Beamte. Sie haben die grundsätzliche Pflicht zur Verschwiegenheit. Ich glaube, aus gutem Grund. Das ist gut so.

Aber dass diese Pflicht zur Verschwiegenheit Grenzen hat, ist auch völlig klar. Eine Verpflichtung zur Verschwiegenheit wird dann aufgehoben, wenn geplante Straftaten anzuzeigen sind.

Nehmen wir mehrere fiktive Beispiele:

Wenn in meinem Ministerium bekannt würde, dass ein Mitarbeiter in einem Büro jeden Tag Geld fälscht, müsste derjenige, der das weiß, dies zur Anzeige bringen, um sich nicht selbst strafbar zu machen.

Wenn ein Mitarbeiter meines Ministeriums weiß, dass ein Kollege in seiner Freizeit Autos anzündet, muss er dies zur Anzeige bringen, wenn er sich selbst nicht strafbar machen will.

Das sind rein fiktive Beispiele. Aber sie zeigen, dass das Recht bereits jetzt Fälle vorsieht, in denen Menschen geschützt werden, die dringend notwendige Hinweise haben und diese weitergeben wollen.

Übrigens haben wir bezogen auf Korruption eine ganze Reihe von Möglichkeiten geschaffen, damit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anonym Hinweise geben können, zum Beispiel in den Ressorts an die Innenrevision. Wenn Bürgerinnen und Bürger den Verdacht auf Korruption äußern wollen, steht hierfür eine Hotline des LKA zur Verfügung. – Herr Herrmann, die Telefonnummer ist inzwischen korrigiert. Herzlichen Dank für den Hinweis!

Ich finde, dass diese Maßnahmen auch betrachtet werden müssen. Aber ich bin im Rahmen einer sachlichen Diskussion in den Ausschüssen für alles offen, wie wir das möglicherweise ergänzen können. Wenn wir Hinweise bekommen wollen, was wir in einem Rechtsstaat natürlich wollen und auch müssen, dann müssen die Menschen innerhalb der Rechtstaatlichkeit eine Adresse, eine Plattform oder ein Forum finden, wo sie solche Hinweise hinterlegen können. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)