Protocol of the Session on July 12, 2013

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann schließe ich die Beratung zum Tagesordnungspunkt 1.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des Antrages Drucksache 16/3437 an den Innenausschuss, der die Federführung erhalten soll, und mitberatend an folgende Ausschüsse: Hauptausschuss, Rechtsausschuss und Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Die abschließende Beratung und Abstimmung wird im federführenden Ausschuss in öffentlicher Sitzung erfolgen. Möchte jemand gegen die Überweisung stimmen? – Sich enthalten? – Beides ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt

2 Einführung rechtsverbindlicher Mindeststan

dards für die Putenhaltung

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/3422

Ich eröffne die Beratung und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Kollegen Börner das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit der Einführung von rechtsverbindlichen Mindeststandards für die Putenhaltung wollen die Fraktionen von SPD und Grünen endlich sicherstellen, dass sich die Bedingungen in der Massentierhaltung für diese Tiere auf ein erträgliches Niveau verbessern.

Es gibt bis heute keine verbindlichen Richtlinien, die erklären, welche Voraussetzungen für die Putenhaltung getroffen werden müssen. Weder Maßnahmen, die das Sozialverhalten der Tiere untereinander verbessern, noch die richtige Versorgung mit Futter oder Medizin sind geregelt.

Die zu enge Haltung der Tiere, insbesondere in den letzten Wochen ihres Lebens, führt dazu, dass sie Aggressionen entwickeln und sich gegenseitig verletzen. Um diese Verletzungen zu mildern, wird den Küken direkt nach dem Schlüpfen ein Teil des Schnabels mit einem Messer oder einem Laserstrahl entfernt. Damit verlieren sie ein wichtiges Tastorgan und die Möglichkeit, sich artgerecht zu entwickeln oder ihre Hygiene zu organisieren. Das Schnabelkürzen ist in NRW verboten, es sei denn, es gibt für den Einzelfall eine Sondergenehmigung. Eine solche Sondergenehmigung wird in NRW trotz dieses Verbotes in jedem Fall erteilt.

Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, dass über den Bundesrat die Haltung von Puten artspezifisch geregelt wird. Das betrifft die Größe und die Dichte des Bestandes, die Organisation von Beschäftigungselementen, den Auslauf, das Futter, die Beleuchtung, die Belüftung, die Stallhygiene, die Gesundheitskontrolle, den Einsatz von Medikamenten und die Notfallversorgung.

In einem zweiten Schritt wollen wir uns über den Bundesrat bzw. ab dem 22. September über die Bundesregierung dafür einsetzen, dass diese Regelungen EU-weit gelten.

Ferner sollen die Bußgelder bei Verstößen so hoch bemessen sein, dass es sich im Zweifelsfall nicht rechnet, diese betriebswirtschaftlich einzukalkulieren.

In Nordrhein-Westfalen wollen wir mit Kontrollen die Einhaltung der schon vorhandenen Vorschriften verbessern.

Das bestehende Verbot des Schnabelkürzens soll in NRW umgesetzt werden. Hierzu wollen wir mit den Verbänden ins Gespräch kommen. Bis zum Beginn des Jahres 2017 müssen Lösungen greifen, die das Schnabelkürzen nicht mehr notwendig werden lassen. Wir wollen mit den Vertretern der Putenmastbetriebe einen Maßnahmenplan erstellen, der dieses Ziel Wirklichkeit werden lässt.

Wir sind uns sicher, dass es auch für den Tierschutz keinen Sinn macht, übereilte Forderungen aufzustellen. Es bringt uns nichts, wenn die Puten dann in Hessen, Bayern oder Rumänien gemästet werden und dort gegebenenfalls noch schlechtere Bedingungen erleben müssen.

Deshalb diese Frist, die wir aber auch als Frist sehen und nicht überschreiten wollen.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, es geht um den Respekt im Umgang mit Tieren, es geht um den Verbraucherschutz, die Produktion von hochwertigen Lebensmitteln, die Vermeidung von Antibiotika im Fleisch und von entsprechenden Folgeerkrankungen beim Verbraucher.

Wir freuen uns auf eine spannende Diskussion im Ausschuss, aber auch mit den Vertretern der Putenmastbetriebe auf dem Weg zu einer artgerechten Aufzucht von Puten in NRW. – Glückauf!

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Börner. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Rüße.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist jetzt ziemlich genau ein Jahrzehnt her, dass hier im Landtag das Thema „Putenhaltung“ schon einmal thematisiert wurde, und zwar mittels einer Kleinen Anfrage des damals zuständigen Abgeordneten Reiner Priggen.

Wenn man die Antwort des Ministeriums liest, dann kann man nur eines feststellen: Alle Probleme in der Putenhaltung, die wir heute kennen und die unbestreitbar sind, waren damals schon bekannt und sind damals in der Antwort auf die Kleine Anfrage auch benannt worden. Ein übertriebener Medikamenteneinsatz ist thematisiert worden, Qualzuchten sind thematisiert worden und natürlich auch die unsägliche Praxis des Schnäbelkürzens.

Aus genau dieser Zeit gibt es parallel ein umfängliches Gutachten einer Professorin zu der Frage, wie man die Stallhaltung der Puten verändern müsste, damit die Lebensbedingungen der Tiere endlich ak

zeptabel sind. In diesem Gutachten geht es darum, wie man die Besatzdichten und die Stallstrukturen verändern müsste, damit die Tiere ihr Verhalten ausleben können. Es geht darum, wie man das Futter verändern müsste. – Es gibt also seit über einem Jahrzehnt viele Antworten auf die Zustände in der Putenhaltung.

Was hat sich seitdem getan? – Herzlich wenig! Die Missstände in der Putenhaltung sind immer noch so, wie sie vor zehn Jahren waren. Wir alle wissen ja – das ist ein geflügeltes Wort –: Der Fortschritt ist eine Schnecke. Bezogen auf die Putenhaltung kann man sagen: eher eine Wanderdüne.

Wenn wir auf die bundeseinheitlichen Eckwerte zur Haltung von Mastputen schauen, die gerade aktualisiert worden sind, wird das ganz deutlich. Alle Experten sagen uns, wir müssten die Besatzdichte in den Putenställen deutlich verringern, um zu Verbesserungen zu kommen.

Wenn die Missstände so sind, wie sie sind, würden wir ja erwarten, dass bei der Erneuerung dieser freiwilligen Haltungsvereinbarung die Besatzdichte wirklich mal deutlich gesenkt wird.

Aber: Wir lesen in der erstmaligen Vereinbarung von 1999 von 52 kg weiblicher Puten pro Quadratmeter, und in der Neuauflage von 2013 finden wir wieder 52 kg weiblicher Puten pro Quadratmeter. Das ist erbärmlich! Nicht mal 100 g weniger pro Quadratmeter haben die Putenhalter zugestanden. Die Puten müssen immer noch eng an eng leben. Was uns dort geboten wird, ist deutlich zu wenig.

(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)

Das ist ein Armutszeugnis angesichts der gesellschaftlichen Debatte über Tierhaltung, die sich in den letzten zehn Jahren noch deutlich verstärkt hat. Hier hätte ich viel mehr erwartet. Daher ist für uns auch klar, dass freiwillige Vereinbarungen an dieser Stelle überhaupt nicht ausreichend sind und dass wir endlich zu einer gesetzlichen Regelung kommen müssen.

Ich will noch eine Sache erwähnen. Minister Remmel hat in puncto Hähnchenmast mit der Antibiotikastudie ja wirklich Aufsehen erregt. Wir haben damals dargestellt, wie stark der Antibiotikaverbrauch ist; 80 % der Hähnchen sind damit behandelt. Wenn man die Putenmast hinzunimmt – die Ergebnisse werden noch kommen –, stellt man fest: Da ist es noch deutlich schlimmer. Wenn man Antibiotika als einen Indikator für schlechte Haltungsbedingungen nimmt, dann muss man sagen, dass die Haltungsbedingungen in der Putenmast zu 100 % schlecht sind.

(Beifall von den GRÜNEN)

Obwohl wir die Tiere dauermedikamentieren, haben wir noch Entzündungen an den Fußballen, Brusthautentzündungen, Gelenkdegenerationen und

Herz-Kreislauf-Probleme bei den Puten aufgrund von Überzüchtung.

Deshalb ist ein „Weiter so!“ mit uns nicht mehr machbar. Es ist auch deshalb nicht machbar, weil die Pute die einzige wichtige landwirtschaftliche Nutztierart ist, die nicht gesetzlich geregelt ist. Wir verstehen überhaupt nicht, wie man hier noch darauf beharren kann, das freiwillig weiterzumachen. Warum sollen wir die Pute nicht mit Rind, Schwein oder Masthuhn gleichstellen? Die Nutztierhaltungsverordnung kann genauso gut Regelungen für die Pute vorsehen wie für alle anderen Tiere. Das ist auch gerecht beispielsweise gegenüber den

Schweinemästern. Denn für sie gibt es klare gesetzliche Bestimmungen. Sie können sich ihre Haltungsvorschriften auch nicht aussuchen. Daher werden wir da bei der Pute nachziehen. Das ist macht Sinn, das schafft Rechtsgleichheit für alle Tierhalter.

(Beifall von den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir machen ernst mit deutlich mehr Tierschutz. Wir wollen klare und verbindliche Haltungsvorschriften haben.

Wir wollen auch ein klares Signal bei der Schnabelkürzung haben. Um es deutlich zu sagen: Wir wollen die Schnabelkürzung abschaffen.

Aber – dafür steht auch diese Koalition, dafür steht auch der Minister – wir machen ein faires zeitliches Angebot an die Branche. Wir sagen nicht: „von heute auf morgen“, sondern wir geben noch mal eine Frist. Zwar hätten die letzten zehn Jahre genutzt werden können; trotzdem gibt es dieses Angebot. Wir erwarten aber auch, dass dann Schluss ist.

Wir wollen mit anderen gesetzlichen Standards gute, bessere Haltungsbedingungen in den Ställen erreichen, auch wenn wir wissen, dass es immer noch Nutztiere sind.

Die Redezeit.

So, wie es jetzt ist, geht es nicht. Wir wollen weniger Erkrankungen, weniger Antibiotikaeinsatz. Das sind wir den Tieren, aber auch den Menschen hier in NRW schuldig, die eine andere Haltung wollen.

Zum Schluss sage ich noch: Heute steht mediterranes Putengeschnetzeltes auf dem Speiseplan der Landtagskantine. Ich persönlich tue mich schwer damit, das zu essen.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

Danke schön, Herr Kollege Rüße. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Wirtz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, Herr Kollege Rüße für den Hinweis. Ich freue mich schon auf das Putengeschnetzelte heute Mittag.

(Heiterkeit und Beifall von der CDU und der FDP – Hanns-Jörg Rohwedder [PIRATEN]: Hoffentlich sind da ordentlich Medikamente drin! – Weitere Zurufe)

Meine Damen und Herren, gut gemeint ist nicht automatisch gut gemacht. Der vorliegende Antrag zur Einführung rechtsverbindlicher Mindeststandards für die Putenhaltung ist dafür ein anschauliches Beispiel. Er ist gut gemeint, schießt aber am Ziel vorbei.